Der langsame Pendelschlag des Zeitgeists

Was haben digi­ta­le Demo­kra­tie, fahr­schein­lo­ser Nah­ver­kehr, das bedin­gungs­lo­se Grund­ein­kom­men und Umsonst­lä­den gemein­sam? All das sind Ideen, die schon ein­mal popu­lär waren. Und die­se vier sozia­len Erfin­dun­gen, um einen Begriff von Robert Jungk zu gebrau­chen, sind sicher­lich nicht die ein­zi­gen radi­ka­len For­de­run­gen, die in den letz­ten Jah­ren wie­der­ent­deckt oder neu erfun­den wer­den. Und zwar nicht im Span­nungs­feld von Far­ce und Tragödie.

Vor eini­ger Zeit habe ich die Pira­ten­par­tei – als Bewe­gung ver­stan­den – mit den dama­li­gen neu­en sozia­len Bewe­gun­gen der 1970er Jah­re ver­gli­chen und eine gan­ze Rei­he – ober­fläch­li­cher? – Ähn­lich­kei­ten gefun­den. Die Wie­der­gän­ger der radi­ka­len Ideen, aber auch der Cha­rak­ter der Pira­ten als einer gesell­schaft­li­chen Par­ti­zi­pa­ti­ons­be­we­gung wirft für mich die Fra­ge auf, was hin­ter die­sem peri­odi­schen Wie­der­auf­le­ben steckt, für das sich ver­mut­lich noch vie­le wei­te­re Bei­spie­le fin­den las­sen wür­den. Sei es Occu­py und die sozia­le Revol­te der 1960er, viel­leicht auch der Natur­schutz- und Öko­ge­dan­ke, der eben­falls in Wel­len­be­we­gun­gen immer wie­der auftaucht. 

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Der Eulenspiegelgraben der Politik

Inside the old piano I

Der Ältes­ten­srat des Land­tags Schles­wig-Hol­stein hat ein Ver­bot für Lap­tops im Ple­nar­saal beschlos­sen. Oder viel­leicht auch nicht. Oder wird es tun. Dazu gibt es unter­schied­li­che Aus­sa­gen. (Übri­gens: Wenn mich nicht alles täuscht, gibt es eine sol­che Rege­lun­gen für den Land­tag Baden-Würt­tem­berg, d.h. alle nut­zen halt eif­rig lüf­ter­lo­se Gerä­te, vul­go Tabs, Pads und Phones). 

Wie dem auch sei: Heu­te erreg­te ein dies­be­züg­li­cher Akt sym­bo­li­scher Poli­tik die Gemü­ter in mei­ner Twit­ter-Time­line. Die einen mein­ten dazu „Kin­der­gar­ten“, ande­re amü­sier­ten sich oder zoll­ten – wie ich – Lob für die auf orgi­nel­le Art und Wei­se erzie­le Auf­merk­sam­keit. Dazwi­schen liegt, wür­de ich mit Blick auf mei­nen Namens­vet­ter sagen, der Eulen­spie­gel­gra­ben der Politik. 

Was war gesche­hen? Zwei Mit­glie­der der Pira­ten­frak­tio­nen Schles­wig-Hol­stein – u.a. die Ex-Alt­grü­ne Ange­li­ka Beer – hat­ten im Ple­nar­saal des dor­ti­gen Land­tags heu­te nicht etwa Lap­tops dabei, son­dern … Schreibmaschinen. 

Aus mei­ner Sicht, auf die­ser Sei­te des Eulen­spie­gel­gra­bens, ein sehr schö­nes, ein­gän­gi­ges Bild. Maxi­mal zuge­spitzt und mir einer Spur Iro­nie gewürzt: „Wenn ihr uns die Tech­nik von heu­te ver­bie­tet, neh­men wir in die­sem alt­mo­di­schen Haus eben die von ges­tern.“ Auch wenn’s der poli­ti­sche Geg­ner ist: gelungen!

Jen­seits des Eulen­spie­gel­gra­bens wird die sel­be Hand­lung ganz anders gese­hen – „albern“, „Kin­der­gar­ten“, despek­tier­lich gegen­über der Wür­de des Hau­ses sei so etwas, der par­la­men­ta­ri­schen Ord­nung und so wei­ter. Schön sei etwas ande­res. (Ich erin­ne­re hier mal an Tan­nen­zwei­ge, Latz­ho­sen, Woll­pull­over und Kak­teen, die in der For­mie­rung der grü­nen Bun­des­tags­frak­ti­on als par­la­men­ta­ri­sche Staf­fa­ge dien­ten – oder an Claus Schmie­dels Taschen­rech­ner im Jahr 2012).

Kurz und gut: Poli­tik muss – sagt Win­fried Kret­sch­mann – kei­nen Spaß machen. Regie­ren ist eine erns­te Sache. Aber Sati­re, Ver­zer­rung, sogar eine gewis­se Albern­heit – all das kann durch­aus ein wirk­sa­mes Werk­zeug poli­ti­schen Han­delns sein. Und in die­sem Sin­ne, völ­lig unab­hän­gig vom Inhalt, gefällt mir der Pro­test der Pira­ten in Schles­wig-Hol­stein. Die Auf­merk­sam­keit haben sie damit erhal­ten, eine Bot­schaft rüber­ge­bracht. Ob’s nützt – das ist eine ande­re Frage.

War­um blog­ge ich das? Um den Begriff „Eulen­spie­gel­gra­ben“ in Goog­le auf­find­bar zu machen.

Piraten als Bewegung: die 1970er im Remake?

Seventh sky horse III

Die ehe­ma­li­ge Geschäfts­füh­re­rin der Pira­ten, Mari­na Weis­band, gab vor kur­zem dem ZEIT-Maga­zin ein Inter­view, in dem sie sich über ihre Außen­sei­ter-Schul­erfah­run­gen aus­ge­las­sen hat. Mei­ne ers­te Reak­ti­on auf die­ses Inter­view war sowas wie „Mutig, da sagt mal eine, wie das für vie­le in der Schu­le ist“ (und mei­ne heim­li­che Ver­mu­tung wäre die, dass eine Mei­nungs­um­fra­ge unter Nerds, ja viel­leicht auch eine unter eher links-alter­na­tiv poli­ti­schen Akti­ven, eine über­durch­schnitt­li­che Men­ge ähn­li­cher Erfah­run­gen zu Tage för­dern wür­de. Aber das mag ein Effekt mei­ner pri­va­ten Fil­ter-Bubble sein).

Julia See­li­ger hat dar­auf anders reagiert, und inzwi­schen hat sie ihre Kri­tik am Inter­view (und einer dahin­ter ver­mu­te­ten Hal­tung) auch aus­for­mu­liert. Sie pickt einen digi­ta­len Kri­tik­ka­nal der Pira­ten („Solid­Feed­back“) her­aus und schreibt: „Pira­ten als Bewe­gung: die 1970er im Remake?“ weiterlesen

Ich und du und die Politiker

Was mich manch­mal auf­regt, wenn ich mei­nen Twit­terstream ver­fol­ge, sind Tweets, in denen pau­schal „die Poli­ti­ker“ (mit­ge­meint ver­mut­lich auch „die Poli­ti­ke­rin­nen“) beschimpft wer­den. (Ins­be­son­de­re dann, wenn Pira­tIn­nen sowas twittern …).

Nicht, weil es nicht genü­gend Poli­ti­ke­rIn­nen aller Par­tei­en gäbe, über die zu schimp­fen sich lohnt. Da fal­len mir ganz schnell auch ganz vie­le ein, ohne jetzt Namen zu nennen.

Son­dern weil „die Poli­ti­ker“ eine ganz wun­der­bar poli­tik­ver­dros­se­ne pau­scha­le popu­lis­ti­sche Pole­mik ist. Wer das so meint – ok. Es mag ja Leu­te geben, die jeden Glau­ben dar­an ver­lo­ren haben, dass die­se unse­re Demo­kra­tie irgend­wie funk­tio­niert. Aber wer sich über „die Poli­ti­ker“ ärgert, soll­te sich zumin­dest bewusst sein, dass damit eigent­lich gemeint ist, dass das par­la­men­ta­ri­sche Sys­tem der Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land nicht funk­tio­niert. Also: infor­miert euch!

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