Die drei Ebenen des Falls Johannes Ponader

Paint job II

Der FAZ-Her­aus­ge­ber Frank Schirr­ma­cher ist ja sowas wie ein Pira­ten­fan. Auch des­we­gen ist dem poli­ti­schen Geschäfts­füh­rer der Pira­ten, Johan­nes Pon­ader, ein klei­ner media­ler Coup gelun­gen: Er hat – um die Poin­te vor­weg­zu­neh­men – öffent­lich erklärt, auf sei­nen Arbeits­lo­sen­geld-II-Anspruch zu ver­zich­ten. Das hat eine gan­ze Men­ge unter­schied­li­cher Reak­tio­nen aus­ge­löst, vor allem von denen, die Ponaders Über­schrift „Abschied vom Amt“ falsch ver­stan­den haben. Par­tei­über­grei­fend, ver­steht sich (schön ana­ly­siert dies das Blog der digi­ta­len LINKEN). Und es war auch eine Reak­ti­on – dar­auf, dass ver­sucht wur­de, ihn öffent­lich in eine Rei­he mit Flo­ri­da-Rolf etc. zu stel­len, also als einen, der Sozi­al­leis­tun­gen missbraucht. 

Ich fin­de Ponaders Reak­ti­on nach wie vor respektabel. 

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Der Fluss ohne Form. Eine Kritik der Liquid Culture Declaration

River art I

Jörg Blum­tritt, Bene­dikt Köh­ler und Sab­ria David haben vor eini­gen Wochen eine Erklä­rung abge­ge­ben – die Decla­ra­ti­on of Liquid Cul­tu­re.

Dem Spiel mit dem Adjek­tiv liquid (flüs­sig, auch: liqui­de, zah­lungs­fä­hig; viel­leicht auch sowas wie das neue open) ent­spre­chend neh­men die AutorIn­nen als ihr Leit­mo­tiv das Bild des Flus­ses der Geschich­te, der jetzt – an den Marsch­lan­den der Post­mo­der­ne vor­bei – in die kon­tu­ren­lo­se offe­ne See der Gegen­wart fließt. Ori­en­tie­rung auf die­sem Meer – im Zusam­men­hang mit dem Inter­net kein neu­es Bild (Bickenbach/Maye 1997) – geben nur noch die Sterne.
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Kurz: Parteigewordene Bürokratie

Wel­che Par­tei hat einen Beam­ten als Vorsitzenden?

Wel­che Par­tei legt bekann­ter­ma­ßen mehr Wert auf Ver­fah­ren als auf Inhalte?

Wel­che Par­tei hat für in einem For­mu­lar fest­ge­hal­te­ne Vor­stands­be­schlüs­se „Umset­zungs­ver­ant­wort­li­che“?

Vie­les spricht dafür: die Pira­ten sind die ers­te par­tei­ge­wor­de­ne digi­ta­le Büro­kra­tie. Was mich, aber das wäre eine ande­re Geschich­te, an die Wiki­pe­dia erin­nert. Oder: der deut­sche Nerd und die ord­nungs­ge­mä­ße Durch­füh­rung von Verwaltungsvorschriften …

Pure Transparenz wird niemals siegen

Water texture

Heu­te tagt die grü­ne BAG Medi­en & Netz­po­li­tik in Ber­lin. Da ich ande­re Ter­mi­ne hat­te und nicht tei­neh­men konn­te, hat­te ich heu­te mor­gen – mehr scherz­haft – danach gefragt, ob die BAG-Sit­zung denn gestreamt wird. Wird sie erwar­tungs­ge­mäß nicht, und, an die eige­ne Nase gefasst, auch „mei­ne“ BAG Wis­sen­schaft, Hoch­schu­le, Tech­no­lo­gie­po­li­tik nächs­tes Wochen­en­de wird vor­aus­sicht­lich ohne Stream aus­kom­men. Ja, schlim­mer noch: Wenn ich drü­ber nach­den­ke, fin­de ich es ganz gut, wenn Par­tei­ar­beits­grup­pen zwar mit­glie­der­öf­fent­lich, aber eben doch in einem eini­ger­ma­ßen geschütz­ten Raum tagen. 

Ähn­lich wie bei der Video­über­wa­chung öffent­li­cher Plät­ze ist es ver­mut­lich allein schon die Ankün­di­gung, dass gestreamt wird, die mehr oder weni­ger sub­til das Ver­hal­ten Ein­zel­ner beein­flusst. Kurz: Ich glau­be, dass unter Aus­schluss der vir­tu­el­len Öffent­lich­keit offe­ner gere­det wird, dass über noch „gehei­me“ Din­ge infor­miert wird, die z.B. aus Sicht der Bun­des­tags­frak­ti­on ande­re Frak­tio­nen noch nicht mit­be­kom­men sol­len, dass in den Län­der­be­rich­ten nicht nur Erfolgs­mel­dun­gen auf­tau­chen, son­dern auch Selbst­kri­tik. Und ich glau­be, dass all das anders wäre, wenn die brei­te Netz­öf­fent­lich­keit dabei wäre, sich viel­leicht sogar ein­mi­schen könnte.

Wich­tig ist mir, dass die­ses Argu­ment kein gene­rel­les Argu­ment gegen die (gestream­te) Öffent­lich­keit von Sit­zun­gen ist. Ich fin­de es gut, dass unse­re Par­tei­ta­ge offen für alle sind und im Netz über­tra­gen wer­den. Glei­ches gilt für die Land­tags­sit­zun­gen oder für Gemein­de­rats­sit­zun­gen (der­zeit in Baden-Würt­tem­berg ein hei­ßes The­ma, weil der Daten­schutz­be­auf­trag­te das Live­strea­ming ver­bo­ten hat, solan­ge es dafür kei­ne expli­zi­te Geset­zes­grund­la­ge gibt). 

Bei Aus­schuss­sit­zun­gen bin ich ambi­va­lent. Die sind in Baden-Würt­tem­berg der­zeit gene­rell nicht-öffent­lich und wer­den nur in Aus­nah­me­fäl­len (etwa bei Anhö­run­gen) geöff­net. Da hier gewähl­te Volks­ver­tre­te­rIn­nen stell­ver­tre­tend für alle debat­tie­ren, wäre ich prin­zi­pi­ell dafür, sie öffent­lich zu machen. Aller­dings befürch­te ich, dass das in der Tat Ver­än­de­run­gen der Dis­kus­si­ons­kul­tur hin zu noch mehr Schau­fens­ter und noch weni­ger Sach­ar­gu­men­ta­ti­on mit sich bringt.

Damit wird auch deut­lich, dass das Pro­blem tie­fer liegt: Par­la­ments­sit­zun­gen sind zwar öffent­lich, die eigent­li­chen Ent­schei­dun­gen fal­len aber anders­wo. Die dort vor­ge­tra­ge­nen Argu­men­te rich­ten sich damit weni­ger an die ande­ren Abge­ord­ne­ten als viel­mehr an die Öffent­lich­keit. Sie die­nen der Selbst­po­si­tio­nie­rung, sie die­nen dazu, Geset­ze und The­men mit zuge­spitz­ten Bot­schaf­ten zu ver­knüp­fen. Wie abge­stimmt wird, ent­schei­det sich in den Arbeits­krei­sen der Frak­ti­on, even­tu­ell in der Frak­ti­ons­sit­zung – bei­des geschlos­se­ne Orte. Und wie die Regie­rungs­frak­tio­nen han­deln, hat auch etwas damit zu tun, was im Kabi­nett ent­schie­den wird (und anders­her­um) – wie­der­um ein Ort höchs­ter Verschwiegenheit.

Um zurück zu den Sit­zun­gen grü­ner Bun­des­ar­beits­ge­mein­schaf­ten zu kom­men: Wenn die rele­vant für die Wei­ter­ent­wick­lung der inner­par­tei­li­chen Mei­nun­gen sind, dann funk­tio­nie­ren sie nur, wenn Abge­ord­ne­te dort offen reden kön­nen. Die wie­der­um sind – von Land zu Land unter­schied­lich, m.E. in den Län­dern mit Regie­rungs­be­tei­li­gung ganz beson­ders aus­ge­prägt – aber an die Kul­tur der nur zu beson­de­ren Anläs­sen geöff­ne­ten Türen gewöhnt. Und han­deln danach.

Ver­trau­lich­keit hat nicht ohne Grund etwas mit Ver­trau­en und mit Ver­traut­heit zu tun. Bis­her ver­trau­li­che Mei­nungs­bil­dungs­pro­zes­se trans­pa­rent zu machen (Ergeb­nis­se sind noch ein­mal eine ande­re Fra­ge), ist in einer „intrans­pa­rent socie­ty“ ein poten­zi­el­ler Ver­trau­ens­bruch. Und des­we­gen sehr viel weni­ger ein­fach umzu­set­zen, als es die pla­ka­ti­ven Pira­ten­for­de­run­gen und die tech­ni­schen Mög­lich­kei­ten suggerieren.

P.S.: Extrem­bei­spiel für die wei­te­re Debat­te: die For­de­rung der Pira­ten, Koali­ti­ons­ver­hand­lun­gen zu streamen.

War­um blog­ge ich das? Weil die­se Gedan­ken – die nicht abge­schlos­sen sind – schlecht in 140 Zei­chen pas­sen. Dank an @sebaso, @neina_hh, @themroc, @christiansoeder und @mrtopf für Anre­gun­gen auf Twitter.

Über Doppelmitgliedschaften – oder: Wozu gibt’s Parteien?

Double decoration

Anke Dom­scheit-Berg, Mit­glied von Bünd­nis 90/Die Grü­nen, und heu­te die Ham­bur­ger Grü­ne Nina Gal­la sind der Pira­ten­par­tei bei­getre­ten. Ins­be­son­de­re der Pira­ten-Ein­tritt von Dom­scheit-Berg fand auch ein gewis­ses media­les Echo, so nach dem Mot­to: „Grü­ne ver­lie­ren ihre Netz­kom­pe­tenz“ (wobei ich sagen muss, dass Dom­scheit-Berg inner­par­tei­lich bis­her so gut wie gar nicht in Erschei­nung getre­ten ist; ihr netz­po­li­ti­sches Renom­mee beruht nicht auf ihrem par­tei­po­li­ti­schen Enga­ge­ment). Mal abge­se­hen davon, dass es wei­ter­hin eine ziem­lich gro­ße Zahl grü­ner Netz­po­li­ti­ke­rIn­nen gibt – wir könn­ten ja auch mal einen offe­nen Brief oder sowas machen, um zu zei­gen, wie vie­le wir sind – fin­de ich die­se Par­tei­ein­trit­te vor allem des­we­gen inter­es­sant, weil sie nach dem Wil­len der bei­den Neu-Pira­tin­nen genau das sein sol­len: Ein­trit­te, aber kei­ne Über­trit­te, kei­ne Parteiwechsel.

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