Schock im öffentlichen Wohnzimmer

Lightning II

Jetzt also doch: Elon Musk kauft – für 44 Mrd. Dol­lar – Twit­ter, der Wider­stand dage­gen wur­de, wohl nicht ganz frei­wil­lig, aufgegeben.

Ges­tern Abend, als sich die­se Nach­richt ver­brei­te­te, explo­dier­te Twit­ter gera­de­zu – von Spaces zum Aus­den­ken der bes­ten Belei­di­gun­gen, um Musks Ein­la­dung auf die Pro­be zu stel­len, dass auch sei­ne här­tes­ten Kritiker*innen doch bit­te blei­ben sol­len, schließ­lich gehe es ihm um „free speech“ bis hin zu Debat­ten dar­über, ob es Zeit ist, das Medi­um zu wech­seln, oder ob mehr Regu­lie­rung im Sin­ne des „Digi­tal Ser­vices Act“ der Euro­päi­schen Uni­on hel­fen könn­te. Dazwi­schen immer wie­der Hin­wei­se dar­auf, wer unter wel­cher Adres­se nun – zunächst ein­mal, zusätz­lich oder tem­po­rär – bei Mast­o­don zu fin­den ist. „Schock im öffent­li­chen Wohn­zim­mer“ weiterlesen

Kurz: Das Ende ist nah?

Nein, ich rede nicht vom IPCC-Bericht und auch nicht von der Pan­de­mie, son­dern davon, dass Elon Musk heu­te ange­kün­digt hat, die Mehr­heit an Twit­ter über­neh­men zu wol­len. Es gibt unter­schied­li­che Ein­schät­zun­gen dazu, ob das ernst gemeint ist oder ob es ihm dar­um geht, über in Reak­ti­on auf sei­ne Ankün­di­gung erfol­gen­de Akti­en­käu­fe viel Geld zu machen. 

Die Ankün­di­gung macht auf jeden Fall eines deut­lich: Twit­ter als für mich extrem wich­ti­ger qua­si-öffent­li­cher Dis­kus­si­ons­raum steht auf dün­nem Eis. Das sind nicht nur die immer mal wie­der vor­kom­men­den Rede­signs, Wer­bung, tech­ni­schen Neue­run­gen usw. (nein, ich will kei­ne Start­sei­te, dan­ke, mei­ne chro­no­lo­gi­sche Time­line ist mir lieb und teu­er), son­dern auch das schlich­te Wis­sen dar­um, dass die­ser kom­mu­ni­ka­ti­ve Raum eben ein pri­va­ter Raum ist, der einer Akti­en­ge­sell­schaft gehört, die durch­aus das Inter­es­se hat, damit einen Gewinn zu erzie­len. Und die damit tun und las­sen kann, was sie will. 

Als Reak­ti­on dar­auf habe ich des­we­gen zumin­dest mal @_tillwe_@mastodon.social regis­triert und eine App damit beauf­tragt, dort mei­ne Twit­ter-Bei­trä­ge zu spie­geln. Ich pla­ne aktu­ell nicht, wirk­lich aktiv auf Mastodon/im Fedi­ver­se zu wer­den, auch wenn ich das im Grund­satz sinn­voll fin­de. Noch ist mei­ne gut kura­tier­te Time­line auf Twit­ter „mein Ort“ im Netz. Soll­te es not­wen­dig sein, zu wech­seln, weiß ich zumin­dest, wohin.

Eintauchen in den Kaninchenbau

Festumzug 08 (cute little bunny)

Überblick: Mark Zuckerberg hat vor einigen Tagen bekanntgegeben, dass Facebook in Zukunft Meta heißen wird, und in seiner Keynote mächtig Werbung für eine Ausrichtung der Aktivitäten dieser Firma Richtung „Metaversum“ gemacht. Ich nehme das zum Anlass, um über Virtuelle Realitäten zu sprechen – ausgehend von Hank Greens Büchern (An Absolutely Remarkable Thing und A Beautifully Foolish Endeavor). Dann gucke ich mir an, was es bedeuten könnte, wenn das Metaverse als »Web 3.0« dargestellt wird. Das geht nicht ohne zwei längliche Exkurse – einmal in die Geschichte des WWW, und einmal in den Kaninchenbau der Blockchain- und NFT-Community. Am Schluss lande ich bei Matthew Ball, der eine Definition aufstellt, was alles zu so einem Metaversum dazugehört – und bleibe hinsichtlich des tatsächlichen Bedarfs dann doch, Überraschung, extrem skeptisch.

A Beautifully Foolish Endeavor, oder: Was es braucht, um eine Virtuelle Realität aufzubauen

In der letz­ten Woche habe ich zwei Bücher von Hank Green gele­sen, das 2018 erschie­ne­ne An Abso­lut­e­ly Remar­kab­le Thing (dt. Ein wirk­lich erstaun­li­ches Ding) und des­sen letz­tes Jahr her­aus­ge­kom­me­ne Fort­set­zung A Beau­tiful­ly Foo­lish Endea­vor. Bei­de sind gut und span­nend geschrie­ben und auf jeden Fall eine Lese­emp­feh­lung wert, aber dar­um geht es mir heu­te nicht. Viel­mehr will ich mal ver­su­chen, auf­zu­schrei­ben, was es mit Meta­ver­se und ähn­li­chen plötz­lich in der Welt befind­li­chen Begrif­fen auf sich hat. Aber dazu gleich – erst ein­mal zu Hank Green.

Ich erwäh­ne die Bücher, weil sie – aus­ge­hend von dem Sze­na­rio, das plötz­lich ein außer­ir­di­scher Robo­ter mit­ten in Man­hat­tan steht – in wun­der­ba­rer Wei­se die Gesetz­mä­ßig­kei­ten unse­rer Social-Media-Zeit aus­ein­an­der­neh­men. Denn die ers­te, die dem Robo­ter begeg­net, ist April May, die Design stu­diert hat, in einem Start-up arbei­tet und ger­ne Influen­ce­rin wäre. Und ein gro­ßer Teil der Hand­lung von An Abso­lut­e­ly Remar­kab­le Thing zeich­net schlicht nach, mit wel­chen Mecha­nis­men aus einem ers­ten klei­nen You­tube-Video welt­wei­te Auf­merk­sam­keit wird, wie Medi­en­ein­la­dun­gen fol­gen, usw. April May genießt ihren neu gefun­de­nen Ruhm im Licht der Öffentlichkeit. 

Dann kippt das Gan­ze: eine Gegen­sei­te ent­steht, eine aus dem Netz gesteu­er­te Hass-Bewe­gung der „Defen­ders“, die die USA oder die Erde vor Außer­ir­di­schen schüt­zen möch­ten. Gut geschrie­ben, alles sehr echt, und mit dem Hauch Sati­re, der heu­te not­wen­dig ist, um deut­lich zu machen, dass es um ein erns­tes The­ma geht. Der ers­te Band endet eher über­ra­schend – ich möch­te dem hier nicht vor­grei­fen. Und der zwei­te Band wid­met sich dann einem ande­ren The­ma. Auch da sei nicht zu viel ver­ra­ten, aber letzt­lich geht es um die Fra­ge, was pas­siert, wenn die Mensch­heit eine Mög­lich­keit bekommt, in vir­tu­el­le Räu­me umzu­zie­hen, die kom­plett echt wir­ken, aber alle Mög­lich­kei­ten bie­ten, sie selbst zu gestalten. 

Greens Roman ist bei­lei­be nicht das ers­te Buch, das sich mit den Vor- und Nach­tei­len vir­tu­el­ler Rea­li­tät aus­ein­an­der­setzt. Da lie­ße sich mit Neal Ste­phen­sons Snow­crash und Wil­liam Gib­sons Neu­ro­man­cer eine Linie bis zum Cyber­punk der 1980er zie­hen. Irgend­wo zwi­schen­drin tau­chen dann auch Ernest Cli­nes Rea­dy Play­er One, LX Becketts Game­ch­an­ger und Ste­phen­sons Fall; or, Dodge in Hell auf. Und vie­le andere. 

„Ein­tau­chen in den Kanin­chen­bau“ weiterlesen

25 Jahre Neuland

Bei Auf­räu­men – ja, das mit dem Weg­wer­fen ist nicht so ein­fach – bin ich auf eine Bro­schü­re des Pres­se- und Infor­ma­ti­ons­amts der Bun­des­re­gie­rung gesto­ßen. A5, mit CD (kei­ne Ahnung, wo die hin­ge­kom­men ist), 75 Sei­ten – mit dem ver­hei­ßungs­vol­len Titel „Chan­cen durch Mul­ti­me­dia – Was bringt die neue Tech­nik?“. Für die Nach­ge­bo­re­nen: die Bro­schü­re stammt aus dem Jahr 1996. Und was damals als Mul­ti­me­dia bezeich­net wur­de, war kurz dar­auf so nor­mal, dass es kei­ner beson­de­ren Bezeich­nung mehr bedurfte.

Zum Kon­text: 1996 war ich im drit­ten Semes­ter an der Uni­ver­si­tät. Com­pu­ter kann­te ich schon, aber die waren bis dahin nicht wirk­lich mul­ti­me­di­al, zumin­dest die meis­ten PCs nicht. Da über­wog noch die Ori­en­tie­rung an Text; die PCs in der Schu­le, auf denen ich Tur­bo Pas­cal gelernt hat­te, hat­ten mono­chro­me Bild­schir­me (also grün auf schwarz), mein Ami­ga konn­te zwar vie­le Far­ben, aber kein Inter­net, und das 1992 1991 erfun­de­ne World Wide Web steck­te noch in den Kin­der­schu­hen. Auf neue­ren PCs lief Win­dows 3.1, auf ganz neu­en das schon halb­wegs wie heu­ti­ge Betriebs­sys­te­me aus­se­hen­de Win­dows 95. Dass Haus­ar­bei­ten an der Uni auf dem PC geschrie­ben wur­den, wur­de erwar­tet, war aber eine Neue­rung. Und Video­ka­me­ras, moder­ne Brow­ser wie Mosaic und Net­scape waren noch eine Beson­der­heit – ich erin­ne­re mich jeden­falls dar­an, dass das eines der Allein­stel­lungs­merk­ma­le der SUN-Work­sta­tions in der Infor­ma­tik war. Was ich sagen will: in den 1990er Jah­ren gab es einen rasan­ten Umbruch des­sen, was als Com­pu­ter­tech­no­lo­gie als selbst­ver­ständ­lich galt. Maus und Fens­ter waren gera­de erst dabei, sich flä­chen­de­ckend durch­zu­set­zen, Daten­fern­über­tra­gung und Mail war zum Teil noch Hob­by eher selt­sa­mer Gestal­ten. In die­ser Situa­ti­on also die ver­mut­lich bei der CeBIT 1996 ver­teil­te Bro­schü­re der dama­li­gen schwarz-gel­ben Bundesregierung.

Wenn ich sie heu­te durch­blät­te­re, ist das teil­wei­se depri­mie­rend, weil eini­ge der damals gemach­ten Ver­spre­chun­gen und Pro­gno­sen heu­te, 25 Jah­re spä­ter, noch längst nicht ein­ge­trof­fen sind. Bei ande­ren Din­gen wird deut­lich, dass damals die fal­schen Wei­chen gestellt wur­den. Dazu gleich mehr.

„25 Jah­re Neu­land“ weiterlesen

Twitter: Die gute alte Zeitlinie

Ges­tern Abend las ich ers­te Tweets dazu, dass Twit­ter mal wie­der mit der Abschaf­fung der chro­no­lo­gi­schen Time­line her­um­ex­pe­ri­men­tiert. Das soll erst­mal „nur“ die Web­ober­flä­che betref­fen, noch nicht die Apps – aber trotz­dem: mich hat das auf­ge­schreckt und fast noch mehr geär­gert als die gest­ri­gen Wahlkampfquerelen.

Chro­no-was? Alle sozia­len Medi­en, die dem Grund­prin­zip fol­gen, dass Nutzer*innen die Bei­trä­ge ihrer Kon­tak­te sehen, ste­hen vor dem Grund­pro­blem, die­se irgend­wie ord­nen zu müs­sen. Bei Twit­ter (und vor lan­gen Zei­ten auch bei Face­book) war dies lan­ge schlicht die ein­fachs­te Ord­nung: das neus­te oben, das ältes­te unten. Ein­fach und schlicht, algo­rith­misch nicht beson­ders anspruchs­voll, aber für mich ein zen­tra­ler Aspekt des­sen, was Twit­ter ausmacht.

In den letz­ten Jah­ren hat Twit­ter immer mal wie­der am Inter­face rum­ge­schraubt. Län­ge­re Tweets, ech­te Rep­lys statt selt­sa­mer sozia­ler Kon­ven­tio­nen, schi­cke­re Ein­ga­be­fel­der, Her­zen statt Stern­chen und so wei­ter. Ein­ge­führt wur­de lei­der auch eine (stan­dard­mä­ßig akti­vier­te) Ansicht der „bes­ten“ Tweets, die soge­nann­te Startseite.

Ich ver­ste­he, dass es aus tech­ni­scher Hin­sicht reiz­vol­ler ist, einen Algo­rith­mus zu pro­gram­mie­ren – viel­leicht sogar mit einer Pri­se maschi­nel­les Ler­nen, wer weiß – der aus­wählt, wel­che Tweets eine Nutzer*in zu sehen kriegt. Ein maschi­nel­les best of – wer träumt nicht davon?

Was dabei ver­lo­ren geht, sind die Nuan­cen und Zufäl­lig­kei­ten. Ich jeden­falls möch­te alles sehen – auch die unin­ter­es­san­ten Tweets der Leu­te, denen ich fol­ge. Ich möch­te kei­ne Vor­schlä­ge, kei­ne Fuß­ball­in­for­ma­tio­nen, am liebs­ten auch kei­ne Wer­bung (aber ja, ich ver­ste­he, dass es wel­che geben muss), kein „Leu­te, denen du folgst, fan­den auch toll“ und erst recht nicht die Top ten der meist­ge­klick­ten Tweets Deutsch­lands. Dan­ke, nein – ich möch­te lesen, was die 1500 oder so Leu­te schrei­ben, denen ich fol­ge. Nicht mehr und nicht weniger.

Die vor eini­gen Jah­ren ein­ge­führ­te Start­sei­te lässt sich mit einem Klick auf einen But­ton oben rechts abschal­ten bzw. auf „neus­te Tweets“ (das ist die chro­no­lo­gi­sche Ansicht aller Tweets) umschal­ten. Eine Zeit lang stell­te sich das hart­nä­ckig dann wie­der zurück, in der letz­ten Zeit aber war die­se gewähl­te Ansicht sta­bil und ich glücklich.

Wenn die Gerüch­te stim­men, dass die chro­no­lo­gi­sche Time­line ganz ver­schwin­den soll, dann ist das zumin­dest für mich ein gro­ßer Trop­fen in das Fass, doch mal Mast­o­don oder ähn­li­ches aus­zu­pro­bie­ren. Face­book hat die Ver­ödung gezeigt, die ein Wech­sel von „alle“ zu „was der Algo­rith­mus für rele­vant hält“ mit sich bringt – mal ganz zu schwei­gen von den Radi­ka­li­sie­rungs­ef­fek­ten algo­rith­mi­scher Emp­feh­lun­gen, sofern die­se vor allem auf Klick­zah­len beru­hen. Dann kom­men am Schluss Sex, Gewalt und Tier­ba­bys raus – oder halt viel geklick­te AfD-Propaganda.

P.S.: Wenn das hier kein Rant, son­dern ein sach­li­cher Text wäre, wür­de ich jetzt noch was zu immer wei­ter ein­ge­schränk­ten APIs schrei­ben, und viel­leicht auch zum Pro und Con­tra von Edi­tier­but­tons – das las­se ich jetzt aber mal weg und belas­se es bei der vor­weg­ge­nom­me­nen Melan­cho­lie des Nut­zers, der sich immer mal wie­der mit Ver­än­de­run­gen der Inter­faces und Funk­ti­ons­wei­sen lieb­ge­won­ne­ner digi­ta­ler Infra­struk­tu­ren kon­fron­tiert sieht.