Thesen von Netzpolitik zu Politik 2.0

Mar­kus Becke­dahl hat fünf The­sen zur Poli­tik 2.0 bzw. zur Nut­zung von „social media“ im kom­men­den Wahl­kampf auf­ge­stellt. Fin­de ich span­nen­den und habe jeweils dazu­ge­schrie­ben, was ich davon halte.

After Work Party "Innovation und Arbeit" XIII – Georg Salvamoser
Mei­ne The­se: Wahl­kampf im Web wird face-to-face-Kom­mu­ni­ka­ti­on und ent­spre­chen­de Events im Wahl­kampf nie kom­plett erset­zen können.

 

The­se 1: Dabei sein ist alles!

Jeder halb­wegs moti­vier­te Kan­di­dat wird in einem der kom­men­den Wahl­kämp­fe einen Account bei Face­book und Twit­ter haben, dazu ab und an bei You­tube ins Inter­net spre­chen und viel­leicht blog­gen. Man­che wer­den das auch selbst machen. 

Der leicht sar­ka­ti­sche Unter­ton mag etwas mit die­ser Stu­die zu tun haben. Ich stim­me Mar­kus zu, dass der­zeit viel Wir­bel um Poli­tik 2.0 gemacht wird, und ent­spre­chend vie­le Kan­di­da­tIn­nen dar­auf ange­spro­chen wer­den, sich doch in die schö­ne neue Web-Welt zu bege­ben. Ich glau­be aber wei­ter­hin, dass nicht alle alles mit­ma­chen, und dass es auch hin­sicht­lich der genann­ten Platt­for­men gewis­se Unter­schie­de gibt.

You­tube: sehe ich weni­ger als direk­tes Kan­di­da­tIn­nen-Medi­um als viel­mehr als Platt­form der Par­tei­en (kanal grün und so wei­ter). Für Lis­ten­platz 9 oder den Direkt­kan­di­da­ten von Hin­ter­tup­fin­gen mag es doch etwas auf­wän­dig sein, eige­ne Vide­os zu pro­du­zie­ren (wobei mich auch schon einer unse­rer Orts­ver­bän­de ange­fragt hat, ob nicht kur­ze Video-State­ments der Gemein­de­rats­kan­di­da­tIn­nen eine gute Sache wären). 

Face­book: Ja, mit der Ein­schrän­kung „domi­nan­te Platt­form“ (s.u.). Inter­es­sant ist, was mit *vz, mit XING und mit dem kürz­lich von RTL gekauf­ten „Wer kennt wen“ pas­siert, die mei­nem Gefühl nach ande­re Milieus bzw. Ziel­grup­pen anspre­chen als Face­book. Außer­dem kos­ten Face­book-Accounts wenig: ein­mal anle­gen, und wie viel dann getan wird, ist eine ande­re Sache.

Twit­ter: Poli­tik mit direk­tem und nahe­zu syn­chro­nem Rück­ka­nal – für mich eine der span­nends­ten Ent­wick­lun­gen, aber auch eine Platt­form mit deut­li­cher Info­flut-Ten­denz. Pro­gno­se: wenn’s um die tat­säch­li­che bidi­rek­tio­na­le Nut­zung geht, wird es nur eine Hand­voll Kan­di­da­tIn­nen geben, die wirk­lich dabei sind.

Blogs: Sehe ich nicht. Eher Web 2.0‑Elemente in klas­si­schen Web 1.0‑KandidatInnen-Websites. Die dann aber wirk­lich jede und jeder Kan­di­da­tIn haben wird.

Nicht ange­spro­chen sind hier dezi­dier­te Third-Par­ty-Wahl­kampf­platt­for­men (abgeordnetenwatch.de) und Nischen­platt­for­men. Wahl­kampf bei Gay­ro­meo, Uto­pia oder in der ZEIT- oder Freitag-Community?

The­se 2: Poli­tik 2.0 auch leben?

Eini­ge Poli­ti­ker wer­den sich von der Mas­se abset­zen, indem sie nach den Wahl­kämp­fen immer noch die­se Werk­zeu­ge nut­zen und sie in ihren All­tag integrieren. 

Schön böse for­mu­liert. Hin­zu­zu­fü­gen wäre viel­leicht: eini­ge Poli­ti­ke­rIn­nen nut­zen die­se Platt­for­men auch jetzt schon, auch jen­seits des Wahl­kampfs. Hier liegt aller­dings der Hype nahe: ist es dra­ma­tisch, wenn (Hes­sen, Thors­ten Schä­fer-Güm­bel) ein Medi­um wie Twit­ter z.B. expli­zit als Wahl­kampf­me­di­um ver­wen­det wird? Ide­al­ty­pisch soll­te natür­lich jeder und jede immer kom­mu­ni­zie­ren, Poli­ti­ke­rIn­nen erst recht. Fak­tisch sind Wahl­kämp­fe kom­mu­ni­ka­ti­ons­in­ten­si­ver als „nor­ma­le Poli­tik“. Inso­fern fin­de ich es ver­ständ­lich und schon mal die hal­be Mie­te, wenn einE Poli­ti­ke­rIn sich dazu ent­schließt, „social-media“-Plattformen vor­ran­gig im Wahl­kampf zu nutzen. 

Nicht zuletzt, weil ich hier auch ein gewis­ses Ska­lie­rungs­pro­blem sehe: wenn allein die 56 oder so grü­nen Bun­des­tags­ab­ge­ord­ne­ten alle immer so flei­ßig wie Vol­ker Beck twit­tern wür­den, wäre es selbst für medi­en­af­fi­ne Grü­ne kaum noch mög­lich, die­ser Info­flut zu fol­gen. D.h., dann müss­te letzt­lich doch wie­der tech­nisch gefil­tert oder sozi­al sele­giert wer­den (nicht allen twit­tern­den Poli­ti­ke­rIn­nen fol­gen, nicht allen Grü­nen fol­gen, son­dern nur den zwei per­sön­lich Bekann­ten, der Wahl­kreis­ab­ge­ord­ne­ten und der Frak­ti­ons­spit­ze und dem einen Fach­ab­ge­ord­ne­ten). Oder so. Hier scheint mir die Eta­blie­rung sozia­ler Prak­ti­ken und tech­ni­scher Werk­zeu­ge der mas­sen­haf­ten Nut­zung von „social media“ noch deut­lich hin­ter­her­zu­hin­ken. (P.S.: NY Times zum The­ma „A Beg­in­ners Gui­de for Twit­ter“ geht schon deut­lich in die­se Richtung).

The­se 3: Remix Politics.

Will­kom­men im Kon­troll­ver­lust: Die span­nen­den und uner­war­te­ten Ent­wick­lun­gen wer­den aus der Zivil­ge­sell­schaft kommen. 

Erst­mal: Defi­ne Zivilgesellschaft.

Ich wür­de die­se The­se etwas anders zuspit­zen: span­nend wird es da, wo eher unpo­li­ti­sche Web2.0‑MedialistInnen (Blog­ge­rIn­nen, Twit­ter-Jun­kies, semi­pro­fes­sio­nel­le, aber nicht beruf­li­che Ver­lin­ke­rIn­nen) über die­se tech­ni­schen Schnitt­stel­len mit der Sphä­re der Poli­tik zusam­men­sto­ßen. Bei­spiel: Bericht­erstat­tung der ein­ge­bet­te­ten Blog­ge­rIn­nen vom grü­nen Parteitag. 

Span­nend wird es auch da, wo Poli­ti­ke­rIn­nen kapie­ren, dass „social media“ einen wahn­sin­ni­gen und ganz anders als klas­si­sche Medi­en beein­fluss­ba­ren (aller­dings nicht kon­trol­lier­ba­ren) Reso­nanz­raum schaf­fen kön­nen. Bei­spiel: Howard Dean, und natür­lich Barack Obama.

Die Pira­ten­par­tei wird es aller­dings trotz­dem nicht ins Par­la­ment schaf­fen, und der CCC mutiert in Rich­tung Netzlobby.

The­se 4: Inter­net wird nicht dominieren.

Auch wenn jetzt alle zu den USA bli­cken und von Obama’s Inter­net­kam­pa­gne träu­men: Fern­se­hen bleibt 2009 das Leit­me­di­um. Den ers­ten rich­ti­gen Inter­net-Wahl­kampf wer­den wir 2013 erleben. 

Ich sehe eher eine funk­tio­na­le Aus­dif­fe­ren­zie­rung als eine Ablö­se-Sequenz. The­men wer­den wei­ter­hin durch klas­si­sche „Leit­me­di­en“ gesetzt – je nach Sphä­re kann das BILD sein, das Fern­seh­pro­gramm (aller­dings fin­det dort ja Poli­tik jen­seits von Unter­hal­tung kaum noch statt, höchs­tens die Agen­da-Set­ting-Funk­ti­on von „Tat­ort“ und „DSDS“ wäre zu nen­nen) oder eben auch die Frank­fur­ter All­ge­mei­ne Sonn­tags­zei­tung. Mobi­li­sie­rung fin­det dage­gen dort statt, wo vie­le Men­schen direkt erreicht und zum Mit­ma­chen über­zeugt wer­den kön­nen. Für die Groß­par­tei­en sind das viel­leicht die eige­nen Mit­glie­der und eher kon­ven­tio­nel­le Kom­mu­ni­ka­ti­ons­ka­nä­le. Für die Klein­par­tei­en ist das Inter­net der Königs­weg der Mobi­li­sie­rung. Das heißt auch: Die 5‑Mark-Kam­pa­gne der Mas­sen­me­di­en wür­de heu­te nicht mehr funk­tio­nie­ren, und „Angrif­fe von unten“ sind mehr denn je mög­lich. Die Syn­chro­ni­sa­ti­on der Öffent­lich­keit liegt nicht mehr nur beim zen­tra­len The­men­set­zen der Mas­sen­me­di­en, son­dern kann nun – plötz­lich, uner­war­tet und umso gefähr­li­cher – auch dezen­tral ver­netzt gesche­hen. Und – da gebe ich Mar­kus recht – das wird dann weni­ger aus den Par­tei­en her­aus kom­men, son­dern eher über Mul­ti­pli­ka­ti­ons­platt­for­men und tech­nisch ver­netz­te sozia­le Netz­wer­ke geschehen.

The­se 5: Es wird domi­nie­ren­de Platt­for­men geben.

Face­book wird zen­tra­le Social-Net­work Platt­form für den Online­wahl­kampf (trotz nach wie vor über­schau­ba­rer deut­scher Nut­zer­zah­len). Der Wil­le der Par­tei­en zur Nut­zung von You­tube ist unüber­seh­bar. Twit­ter wird den Wahl­kampf mas­siv beschleu­ni­gen, bleibt aber vor allem Medienhype. 

You­tube ist Fern­se­hen im Inter­net, und scheint so schön an die alten mas­sen­me­dia­len Ideen anzu­schlie­ßen. Aber ernst­haft: ich glau­be auch, dass es domi­nie­ren­de Platt­for­men geben wird. Ob das für alle Par­tei­en die glei­chen sein wer­den, wage ich zu bezwei­feln. Offen bleibt, wel­che Rol­le hier die Mit­glie­der­net­ze der Par­tei­en spie­len wer­den. Eine tech­ni­sche Wild­card könn­te dar­in lie­gen, dass Cross-Platt­form-Tech­no­lo­gien eta­bliert wer­den (wenn ich mei­ne XING-Kon­tak­te auch bei Face­book sehe, ist es egal, auf wel­cher Platt­form ich agiere). 

Die Ein­schät­zung, dass Twit­ter Medi­en­hype blei­ben wird, tei­le ich nicht. Twit­ter ist der­zeit medi­al gehypt, das ist rich­tig, und die­ser Hype wird auch wie­der abflau­en. Es wird aber wei­ter­hin Men­schen geben, die Twit­ter und kom­pa­ti­ble Platt­for­men nut­zen wol­len, um schnel­le ver­netz­te Direkt­kom­mu­ni­ka­ti­on ohne Lang­zeit­spei­che­rung zu haben (übri­gens: span­nen­der­wei­se mehr Frau­en als Män­ner, wenn die Sta­tis­ti­ken dazu stim­men). Jour­na­lis­tIn­nen wer­den dort mit­le­sen, inso­fern wer­den Debat­ten ihren Weg aus Twit­ter in die klas­si­schen Mas­sen­me­di­en fin­den. Twit­ter funk­tio­niert für die dort ver­netz­ten auch, wenn die Netz­wer­ke nicht all­um­fas­send sind. Die kri­ti­sche Grö­ße, die Rele­vanz garan­tiert, scheint mir jetzt schon über­schrit­ten zu sein. Eher stellt sich die bereits erwähn­te Fra­ge nach den tech­ni­schen und sozia­len Prak­ti­ken, die ein auf einen rele­van­ten Anteil der Gesamt­be­völ­ke­rung und der „Mei­nungs­trä­ge­rIn­nen“ ska­lier­tes Twit­ter hand­hab­bar wer­den las­sen. Zusam­men­ge­nom­men heißt dass dann aber wie­der­um auch, dass es unwahr­schein­lich ist, dass jede mit jedem bei Twit­ter ver­netzt sein wird. Mög­li­cher­wei­se kommt es auch da zu funk­tio­na­len Dif­fe­ren­zie­run­gen im Wahl­kampf- bzw. Poli­tik­kom­mu­ni­ka­ti­ons­ap­pa­rat der Par­tei­en: wer „bespielt“ das „social-media“-Netzwerk, und wer pflegt die klas­si­schen Kamin­zim­mer­kon­tak­te – und wer macht rela­tiv wenig Kom­mu­ni­ka­ti­ons­ar­beit und trotz­dem Politik?

War­um ich das blog­ge? Weil ich es ein­fa­cher fin­de, in die­ser Form auf die­se The­sen zu reagie­ren als mit einem Kom­men­tar bei Markus.

Kurz: Virales Marketing für Bahnspionage (Update 6: Nachbesprechung)

2008/09 ist das Dop­pel­jahr der Daten­schutz­skan­da­le. Nach Lidl und der Tele­kom kam die Bahn dran, die ihre eige­nen Mit­ar­bei­te­rIn­nen beschat­te­te. Natür­lich kann so ein The­ma an einem netz­po­li­ti­schen Blog nicht vor­bei­ge­hen. Mar­kus Becke­dahl hat des­we­gen auf netzpolitik.org u.a. ein ihm anonym zuge­schick­tes Doku­ment ver­öf­fent­licht, in dem es um ein Gespräch des Ber­li­ner Daten­schutz­be­auf­trag­ten mit der DB-Füh­rung geht. Der Bahn scheint die bis­he­ri­ge Auf­merk­sam­keit, die auf ihr Daten­schutz­pro­blem (und auf die Unein­sich­tig­keit von Har­mut „Ich wür­de es wie­der machen“ Meh­dorn) gelenkt wird, nicht zu rei­chen. Was machen sie also? netzpolitik.org eine Abmah­nung schi­cken, die prompt zu der gewünsch­ten vira­len Auf­merk­sam­keits­ge­ne­rie­rung führt. 

Mei­ne Pro­gno­se: selbst wenn Mar­kus sich gew­zun­gen sieht, den Text zu ent­fer­nen – auf irgend­wel­chen Pfa­den wird das Memo garan­tiert bei Wiki­leaks auf­tau­chen. Erfolg für die Bahn im Sin­ne einer Kon­trol­le ihres öffent­li­chen Images also: keiner.

Update: Laut Riv­va berich­tet inzwi­schen (17:28) – gera­de mal gut zwei Stun­den nach dem Ori­gi­nal­pos­ting – min­des­tens 22 Blogs über Mar­kus‘ Abmah­nung, dazu kom­men mehr als hun­dert Tweets. Einen beson­de­ren Hin­weis ver­dient hat das Inter­view, das Julia See­li­ger mit Mar­kus dazu geführt hat. 

Update 2: Wei­te­re 15 Minu­ten spä­ter ist auch hei­se mit dabei.

Update 3: (4.2.2002) Mar­kus fasst zusam­men, was in den Stun­den nach der Ver­öf­fent­li­chung alles pas­siert ist – inkl. umfang­rei­chem Pres­se­spie­gel. Ein­drucks­voll auch die lan­ge, lan­ge Feed­back-Lis­te. Und eine Face­book-Grup­pe „Meh­dorn muss weg“ gibt’s jetzt auch.

Update 4: Recht­li­che Bewer­tung der Abmahn­ak­ti­on bei Tele­me­di­cus, und Kopien des Doku­ments nicht nur bei Pira­te Bay etc., son­dern auch bei Toni Hof­rei­ter MdB und bei Vol­ker Beck MdB (bei­de Grü­ne). Sehr gut! (Auch, dass Vol­ker Beck es nicht beim The­ma­ti­sie­ren im Web belas­sen hat, son­dern gleich mal eine münd­li­che Anfra­ge an die Bun­des­re­gie­rung dazu gestellt hat.)

Update 5: (6.2.2009) Netz­po­li­ti­sche Soli­da­ri­sie­rung und die dadurch ver­ur­sach­ten Medi­en­be­rich­te bis hin zum taz-Titel­the­ma schei­nen gehol­fen zu haben – die DB AG möch­te „die Sache“ wohl nicht wei­ter verfolgen.

Update 6: (8.2.2009) Auch wenn ich nicht jeden Punkt so tei­le, fin­de ich die post-mor­tem-Ana­ly­se von Ralf Bend­rath sehr lesens­wert. Ein biß­chen zu kurz kommt mir dabei aller­dings die Wür­di­gung der „Emer­genz eines Hin­ter­grundau­s­chens viel­fa­cher poli­ti­scher Empö­rung, dass das kon­kre­te – und auch in die­sem Fall letzt­lich poli­ti­sche – Han­deln erst glaub­wür­dig wer­den lässt“, wie ich in einem Kom­men­tar dazu schrei­be. Erst die Mög­lich­keit risi­ko­lo­sen Soli­da­ri­täts­ak­ti­vis­mus ermög­licht die rasan­te und schnel­le Akti­vie­rung des Web2.0‑Netzwerks – die wie­der­um zur Kulis­se wird, vor der sym­bol­po­li­tisch und in direk­ter Ver­hand­lung agiert wer­den kann.

Prima Material für eine Fallstudie zu Blogs (Update 2)

Boing Boing owns their blog, but not their repu­ta­ti­on – that’s got to be ear­ned. (Quel­le)

Also, per­haps „per­ma­link“ should be ren­a­med. (Quel­le)

Logo BoingBoingIch mache mir jetzt nicht die Mühe, alle Fund­stel­len her­aus­zu­su­chen: seit ein paar Tagen gibt es Gerüch­te dar­um, dass das Blog „Boing­Bo­ing“ (so unge­fähr das dritt­größ­te über­haupt) alle auf die Blog­ge­rin „Vio­let Blue“ ver­wei­sen­den Ein­trä­ge gelöscht hat. Das ist ers­tens des­we­gen ein The­ma, weil Blogs von „Per­ma­links“ leben (also für Ver­wei­se auf Blog­ein­trä­ge einen dau­er­haf­ten Link zur Ver­fü­gung stel­len); die Per­ma­links zu allen Ein­trä­gen, in denen Vio­let Blue erwähnt wird, funk­tio­nie­ren nicht mehr, wenn die Ein­trä­ge gelöscht bzw. „unpu­blished“ (aus der Ver­öf­fent­li­chung gezo­gen) wer­den. Zwei­tens ist es gute Pra­xis in Blogs, frü­he­re Feh­ler durch Ergän­zun­gen etc. zu ver­deut­li­chen, statt still­schwei­gend zu edi­tie­ren, und drit­tens hat gera­de Boing­Bo­ing den Ruf, für freie Rede, Trans­pa­renz, netz­kul­tu­rel­le Wer­te und gegen Zen­sur zu kämp­fen. Eine explo­si­ve Gemenge­la­ge also (und Herz­schmerz ist auch dabei).

Inzwi­schen gibt es ein State­ment von Boing­Bo­ing, in dem kurz gesagt steht: ja, wir haben alle Ein­trä­ge gelöscht, in denen auf Vio­let Blue Bezug genom­men wird, und nein, wir sagen nicht war­um. Erin­nert mich ein biß­chen an die Kom­mu­ni­ka­ti­ons­po­li­tik im Fall Flickr.

Inter­es­sant dar­an ist nun letzt­lich gar nicht so sehr der kon­kre­te Fall, son­dern viel­mehr das, was dazu an Dis­kus­si­on statt­fin­det. Allein schon die – in kür­zes­ter Zeit meh­re­re hun­dert – Kom­men­ta­re zum oben genann­ten State­ment bei Boing­Bo­ing selbst sind sehr lesens­wert, in wei­te­ren Blogs gibt’s wei­te­re Debat­ten. Bei Boing­Bo­ing fin­det die eine Hälf­te es völ­lig unmög­lich, weil Boing­Bo­ing damit sei­ne Repu­ta­ti­on ver­spielt und das fra­gi­le Netz­werk der Ver­lin­kun­gen im Inter­net gefähr­det, die ande­re Hälf­te fin­det es völ­lig okay, weil es halt ein pri­va­tes Blog ist, und die Betrei­be­rIn­nen tun und machen kön­nen, was sie wol­len. Ein biß­chen Fan­boy­tum ist sicher auch dabei.

War­um ist das gan­ze nun Mate­ri­al für eine Fall­stu­die zu Blogs? Weil z.B. hier sehr schön deut­lich wird, wie aus einem sub­kul­tu­rel­len Blog mit (emo­tio­nal gebun­de­ner und auf Sozi­al­ver­trau­en auf­bau­en­der) Gemein­schaft eine mas­sen­me­dia­le Kör­per­schaft mit for­ma­tier­ter Öffent­lich­keit und regel­ge­lei­te­tem Sys­tem­ver­trau­en wird. In die­sem Insti­tu­tio­na­li­sie­rungs­pro­zess kommt es zu Wahr­neh­mungs­ver­schie­bun­gen und ver­än­der­ten Rah­mun­gen bis­her akzep­tier­ter oder nicht akzep­tier­ter Prak­ti­ken. Was Repu­ta­ti­on aus­macht, wan­delt sich eben­falls. Kurz gesagt: hier lässt sich die gesell­schaft­li­che Gene­se repro­du­zier­ba­rer Erwar­tun­gen an das Ver­hal­ten von „Blogs“ und die Kon­flikt­haf­tig­keit der damit ver­bun­de­nen unter­schied­li­chen impli­zi­ten Stan­dards beob­ach­ten – und die Fra­ge stel­len, ob Effek­te wie die­ser auto­ma­tisch mit Wachs­tum und Kapi­ta­li­sie­rung von Web 2.0‑Angeboten zustan­de kom­men, oder ob es Mög­lich­kei­ten gibt, die „net­te Inter­net­com­mu­ni­ty von neben­an“ auch auf ein paar Mil­lio­nen Sei­ten­ab­ru­fe pro Tag zu skalieren.

War­um blog­ge ich das? Weil’s ein span­nen­des Real­ex­pe­ri­ment ist.

Update: (7.7.2008) Nach­dem der Kom­men­t­ar­th­read bei Boing­Bo­ing inzwi­schen auf über 1500 Kom­men­ta­re ange­wach­sen ist (und von gegen­sei­ti­gen Beschimp­fun­gen zurück zu einem zivi­li­sier­ten Dis­kurs gefun­den hat), erscheint es mir als pas­send, fol­gen­de simp­le Erklä­rung für die star­ke Dyna­mik inter­net­ba­sier­ter Dis­kus­sio­nen in die­sen Arti­kel einzufügen:


Duty Calls, xkcd (CC-BY-NC)

Update 2: (23.7.2008) Inzwi­schen gibt es die Les­sons Lear­ned – mit wei­te­ren 500 Kom­men­ta­ren. Und ein inter­es­san­tes Essay zu den Kon­se­quen­zen für’s Blog­ging gibt’s (anders­wo) auch.

Schweden totalüberwacht

In der gedruck­ten taz, die ich heu­te in der Stra­ßen­bahn gele­sen habe, stand noch, dass das neue schwe­di­sche Über­wa­chungs­ge­setz erst­mal über­ra­schend in den Aus­schuss ver­wie­sen wur­de, bei netzpolitik.org und in der Online-Aus­ga­be der taz ist dann schon zu lesen, dass eben­so über­ra­schend heu­te mor­gen doch noch dem Gesetz zuge­stimmt wurde. 

Lulea Gammelstad: Museum Village I
Rikste­le­fon – durch­sich­tig und abgehört

Damit darf der schwe­di­sche Aus­lands­ge­heim­dienst sämt­li­che elek­tro­ni­sche Kom­mu­ni­ka­ti­ons­me­di­en über­wa­chen, die Schwe­dens Gren­zen über­que­ren – nicht nur in Bezug auf Ver­bin­dungs­da­ten, son­dern auch inhalt­lich. Und bekommt dafür extra einen zwei­ten Super­rech­ner. Tech­no­lo­gisch erin­nert mich das sehr an die Zen­sur-Zen­tra­len Chi­nas etc. – selbst eMails zwi­schen schwe­di­schen Bür­ge­rIn­nen wer­den zur Aus­lands­kom­mu­ni­ka­ti­on, sobald einer der bei­den betei­lig­ten Ser­ver im Aus­land steht (Goog­le-Mail, Yahoo, Hot­mail, Gmx, …).

So weit, so schlecht. Das gan­ze kann zwar Moti­va­ti­on dafür sein, hier­zu­lan­de noch etwas über­zeug­ter gegen ent­spre­chen­de Schäub­le-Befug­nis­se anzu­ge­hen. Wenn Schwe­den jedoch dem Ruf des pro­gres­si­ven Skan­di­na­vi­ens gerecht wer­den will, blei­ben dem Land eigent­lich nur zwei Wege. Ent­we­der wird das Gesetz zurück­ge­nom­men (frei­wil­lig, oder über den Euro­päi­schen Gerichts­hof für Men­schen­rech­te, wo es wohl Kla­gen geben soll) – oder das Gesetz wird so ergänzt, dass alle Bür­ge­rIn­nen des Lan­des Zugriff auf die­se Über­wa­chungs­da­ten bekom­men. Dann wären wir bei David Brins „Trans­pa­rent Socie­ty“ (oder auf dem Weg dahin). Ob ich das dann gut fän­de, weiss ich nicht – es wäre aber zumin­dest der logisch nächs­te Schritt in Rich­tung einer post-pri­va­ten Gesell­schaft und wür­de zur bis­he­ri­gen Posi­tio­nie­rung Schwe­dens in die­sem Bereich pas­sen (es gibt dort bei­spiels­wei­se kein Steuergeheimnis).

Eine letz­te Über­le­gung geht noch­mals in eine ande­re Rich­tung: so ein biß­chen habe ich ja – ohne jetzt ver­schwö­rungs­theo­re­tisch wer­den zu wol­len – den Ver­dacht, dass Geset­ze wie das in Schwe­den gera­de beschlos­se­ne eigent­lich nur einen lan­ge exis­tie­ren­den Sta­tus quo lega­li­sie­ren. Ich den­ke da z.B. an Eche­lon, aber auch an die gan­zen Spio­na­ge­skan­da­le bei Lidl, Tele­kom und Co. Es wäre jeden­falls wohl falsch, davon aus­zu­ge­hen, dass elek­tro­ni­sche Kom­mu­ni­ka­ti­on heu­te über­wa­chungs­frei abläuft, und erst mit Geset­zen wie dem neu­en schwe­di­schen Über­wa­chung stattfindet.

War­um blog­ge ich das? Weil ich es erstaun­lich fin­de, wie schnell und mit letzt­lich doch wenig all­ge­mei­nen Pro­tes­ten der­ar­ti­ge Geset­ze ver­ab­schie­det wer­den können.

Kurzeintrag: Netzpolitik improvisiert, aber gut

Es tobt der Blog­ger­kon­gress re:publica in Ber­lin und mit­ten­mang Netzpolitik.org-Blogger Mar­kus Becke­dahl mit sei­nem – als For­de­rungs­ka­ta­log ver­harm­los­ten – The­sen­pa­pier zu einer zeit­ge­mä­ßen Netz­po­li­tik in Deutsch­land. Die­ses Papier hat es in sich – unge­ho­belt, pole­misch, mit­ten ins Schwar­ze: Inter­net als Grund­ver­sor­gung, För­de­rung von Open-Source-Com­mu­ni­tys, Freie Soft­ware als Wirt­schafts­fak­tor, Poli­ti­ker, die sich das Netz nicht aus­dru­cken, öffent­lich geför­der­te Infor­ma­tio­nen bit­te unter offe­ne Lizen­zen, freie, anony­me Kom­mu­ni­ka­ti­ons­we­ge in der digi­ta­len Gesell­schaft, ein Urhe­ber­recht, das sich der Gesell­schaft anpasst und nicht umgekehrt.

Was die­ses Papier will, soll­te eigent­lich eine Selbst­ver­ständ­lich­keit sein: Eine Gesetz­ge­bung, die eine freie, offe­ne und nach­hal­ti­ge digi­ta­le Gesell­schaft ermöglicht.

Das schreibt Felix Kno­ke bei Spie­gel Online. Und soll hier als Kost­pro­be genü­gen, um sich den kom­plet­ten For­de­rungs­ka­ta­log bei Mar­kus‘ netzpolitik.org anzu­schau­en und zu diskutieren.