Wie grün ist Netzpolitik? (Update 10)

Grüne gegen NetzsperrenHeu­te – na, eigent­lich schon ges­tern – fand im Bun­des­tag die „Zensursula“-Abstimmung statt, also die Abstim­mung dar­über, ob das Gesetz zur Bekämp­fung der Kin­der­por­no­gra­phie in Kom­mu­ni­ka­ti­ons­net­zen ange­nom­men wird. Die Abstim­mung fiel mit einer fast ein­heit­li­chen Zustim­mung der Koali­ti­ons­frak­tio­nen erwar­tungs­ge­mäß aus; auf Antrag der Grü­nen wur­de nament­lich abge­stimmt, so dass im Detail doku­men­tiert ist, wer wie abge­stimmt hat.

Dabei sind eine Rei­he von Über­ra­schun­gen zu ver­zeich­nen. Posi­tiv: eine Gegen­stim­me in der CDU, sie gehört Jochen Bor­chert, dem Vater der WAZ-Online-Che­fin, Katha­ri­na Bor­chert. Posi­tiv: drei Nein-Stim­men und drei Ent­hal­tun­gen in der SPD, drei­mal so vie­le wie ursprüng­lich erwar­tet. Na gut – bei sons­ti­ger har­ter Frak­ti­ons­ein­heit­lich­keit ist es viel­leicht über­trie­ben, das posi­tiv zu nennen.

Wie dem auch sei. Es gab auch nega­ti­ve Über­ra­schun­gen. Und die lei­der nicht bei FDP oder LINKE, die bei­de ein­heit­lich – in Frak­ti­ons­dis­zi­plin – gegen das Gesetz gestimmt haben, son­dern bei Bünd­nis 90/Die Grünen. 

Arbeitsplätze!

Kei­ne Ja-Stim­me, ganz so schlimm ist es nicht, aber doch 15 Ent­hal­tun­gen, also ein knap­pes Drit­tel der grü­nen Bun­des­tags­frak­ti­on. Das hat in den Stun­den nach der Abstim­mung in der Netz­com­mu­ni­ty ziem­lich für Auf­re­gung gesorgt – und aus mei­ner Sicht etwas zu unrecht die eigent­li­chen The­men bei­sei­te gescho­ben (dazu: Tho­mas Knü­wer kom­men­tiert im Han­dels­blatt poin­tiert, wie hier „das Netz“ media­le Macht­ver­hält­nis­se zuun­guns­ten der „Exper­ten“ der Volks­par­tei­en ver­scho­ben hat; und beim METRONAUT wird klar gemacht, dass trotz ver­lo­re­ner Abstim­mung der Kampf um die Bür­ger­rech­te im Netz jetzt erst rich­tig losgeht).

Trotz­dem auch hier noch ein paar Wor­te zum grü­nen Abstim­mungs­er­geb­nis. War es uner­war­tet? Ja, inso­fern in den letz­ten Tagen Grü­ne in der Öffent­lich­keit, eben gera­de auch im Kon­trast zur SPD, immer als netz­po­li­tisch zugäng­li­che und ver­nünf­tig­te Par­tei prä­sen­tiert wor­den sind. Das ist auf gruene.de der Fall, es war auf Twit­ter etc. der Fall, und es war auch in den eta­blier­ten Mas­sen­me­di­en so. Nicht zuletzt im Zusam­men­hang mit dem Antre­ten der PIRATENPARTEI bei den Euro­pa­wah­len war eines der Argu­men­te für poten­zi­el­le Pira­ten-Wäh­le­rIn­nen, dass GRÜNE für eine ver­läss­li­che und ver­nünf­ti­ge Netz­po­li­tik ste­hen, und auch sonst kei­nen Unsinn betrei­ben (und ja, ich gebe zu: ich habe durch­aus auch in die­se Rich­tung argumentiert). 

Ich zumin­dest hat­te nicht mit einer geschlos­se­nen Ableh­nung gerech­net. Das hat etwas damit zu tun, dass Mei­nungs­frei­heit auch in Hin­sicht auf die ein­zel­nen Abge­ord­ne­ten bei Grü­nen etwas grö­ßer geschrie­ben wird als in ande­ren Frak­tio­nen, es hat aber auch etwas damit zu tun, dass es ja durch­aus im Vor­feld von ein­zel­nen Abge­ord­ne­ten eher schwie­ri­ge Wort­mel­dun­gen gab. Ekin Deli­göz – als kin­der­po­li­ti­sche Spre­che­rin natür­lich aus einer spe­zi­fi­schen Per­spek­ti­ve argu­men­tie­ren – muss jetzt als Bei­spiel dafür die­nen. Oder auch der Pro­gramm­par­tei­tag: dort wur­de die Kri­tik an Inter­net­sper­ren und dem untaug­li­chen Umgang mit Kin­der­por­no­gra­phie ins Wahl­pro­gramm geschrie­ben. Die Debat­te war aber durch­aus unein­heit­lich, auch Applaus gab es für bei­de Sei­ten. Mit 15 Ent­hal­tun­gen hat­te ich nicht gerech­net, mit unge­fähr fünf aber schon. 

Lei­der lie­gen die per­sön­li­chen Erklä­run­gen der Abge­ord­ne­ten noch nicht vor – da wür­de mich schon inter­es­sie­ren, wie das begrün­det wird.

Was bedeu­tet das jetzt? Ins­ge­samt haben Grü­ne als Frak­ti­on sich rich­tig ver­hal­ten. Dass das Bild weni­ger ein­heit­lich ist, als in ande­ren Frak­tio­nen, muss erst ein­mal hin­ge­nom­men wer­den. In der Sache waren die Abstim­mungs­al­ter­na­ti­ven Nein/Enthaltung unwich­tig – es war klar, dass die Mehr­heit der Koali­ti­on stand. Ärger­lich ist die gro­ße Zahl an Ent­hal­tun­gen trotzdem. 

Mei­ne Schluss­fol­ge­rung: Grü­ne sind sehr offen, was die Nut­zung neu­er Medi­en angeht – auch eini­ge der Ent­hal­tungs­stim­men sind z.B. aktiv bei Face­book unter­wegs, per­sön­lich und nicht nur im Sin­ne eines Pres­se­mit­tei­lungs­ver­tei­lers. Dazu zählt auch die Nut­zung neu­er Medi­en als Wahl­kampf­in­stru­ment. Und prin­zi­pi­ell und ins­ge­samt wür­de ich auch wei­ter­hin sagen, dass es eine gro­ße Offen­heit für netz­po­li­ti­sche For­de­run­gen gibt. Die Zahl derer, die sich damit aktiv aus­ein­an­der­setzt, ist in der Par­tei aller­dings rela­tiv klein. Es sind abso­lut wie pro­zen­tu­al viel­leicht mehr Köp­fe als in der SPD, wo der Weg­gang – mal schau­en, ob’s noch zum Par­tei­wech­sel kommt – von Tauss schwar­ze Löcher reißt. Aber die gro­ße Mehr­heit der Par­tei mag ger­ne im Netz kom­mu­ni­zie­ren, ist pri­ni­zi­pi­ell auch dafür, den jun­gen bzw. jung­ge­blie­be­nen Leu­ten hier ihre poli­ti­sche Spiel­wie­se zu las­sen, hat aber den Ernst der Lage noch nicht erkannt. Und nimmt sich im Zwei­fel die Frei­heit, sich nicht in sein Abstim­mungs­ver­hal­ten rein­re­den zu lassen.

Es geht also dar­um, aus der netz­af­fi­nen Par­tei auch eine netz­po­li­tisch kom­pe­ten­te Par­tei zu machen. Aller­dings wäre es völ­lig falsch, dar­un­ter nur „Kom­mu­ni­ka­ti­ons“- oder Ver­mitt­lungs­pro­ble­me inner­halb der Par­tei zu ver­ste­hen. Viel­mehr brau­chen wir eine ech­te inner­par­tei­li­che Dis­kus­si­on dar­über, wie weit der grü­ne Ein­satz für eine zukünf­ti­ge Gesell­schaft geht, in der infor­ma­tio­nel­le Infra­struk­tu­ren mehr Ein­fluss auf Wert­schöp­fung und Pro­duk­ti­vi­tät haben als Auto­bah­nen, um’s mal pathe­tisch zu for­mu­lie­ren. Es geht nicht (nur) um Auf­klä­rung, son­dern um Über­zeu­gung – und mög­li­cher­wei­se bei dem einen oder ande­ren Punkt auch dar­um, inner­par­tei­li­che Eini­gun­gen zu fin­den, die nicht 100%ig dem „Netz­kon­sens“ entsprechen.

Par­tei­en machen sowas nicht im Wahl­kampf. Das Bun­des­tags­wahl­pro­gramm steht, und es steht für netz­po­li­tisch sinn­vol­le Zie­le.

Wer möch­te, dass Bünd­nis 90/Die Grü­nen beim nächs­ten Ernst­fall bes­ser abschnei­den, muss den­noch jetzt die Wei­chen dafür stel­len, dass in der im Sep­tem­ber neu­ge­wähl­ten Frak­ti­on eben­so wie in der Par­tei – viel­leicht auch: mal wie­der – ernst­haft inhalt­lich über das Netz gestrit­ten wird. Und muss das so orga­ni­sie­ren, das dort nicht nur die übli­chen Ver­däch­ti­gen aus Netz- und Bür­ger­rechts­po­li­tik auf­tau­chen, und viel­leicht noch die, die jetzt ger­ne schö­ne bun­te Wahl­kampf­sei­ten haben wol­len – son­dern auch die „Mit­te der Par­tei“, die sich „eigent­lich“ nur für ganz ande­re Din­ge inter­es­siert: für Umwelt­po­li­tik, für Gleich­be­rech­ti­gung, für Bil­dung, für Kin­der­po­li­tik. Die müs­sen wir mit­neh­men. Anders gesagt: orga­ni­sa­tio­nel­les Ler­nen orga­ni­sie­ren, statt sich von Pira­ten entern zu lassen!

War­um blo­cke ich das? Eigent­lich woll­te ich war­ten, bis klar war, war­um die 15 so abge­stimmt haben, wie sie abge­stimmt haben; aber nach­dem ich in den letz­ten Tagen doch ziem­lich auf die SPD ein­ge­hau­en habe, fand ich’s ein Gebot poli­ti­scher Ehr­lich­keit, jetzt auch hier zu sagen, was Sache ist. Aber nota bene: für Netz­z­ensur hat kein ein­zi­ger Grü­ner, kei­ne ein­zi­ge Grü­ne gestimmt, das waren ande­re! Und für sowas – kurz nach der Abstim­mung kam die ers­te CDU-Ankün­di­gung, über eine Aus­wei­tung nach­zu­den­ken – erst recht nicht.

Update: (19.6.2009, mit­tags) Das vor­läu­fi­ge Ple­nar­pro­to­koll (pdf) der gest­ri­gen Sit­zung (BT-Druck­sa­che 16/16227) liegt inzwi­schen vor. Die Debat­te um das Netz­sper­ren-Gesetz ist dort ab S. 127 wie­der­ge­ge­ben – falls jemand noch­mal wört­li­che Zita­te etc. sucht. Die per­sön­li­chen Erklä­run­gen sind als Anla­gen erwähnt, die aber dem vor­läu­fi­gen Pro­to­koll noch nicht beiliegen.

Update 2: Hier die per­sön­li­che Erklä­rung von Ekin Deli­göz zu ihrem Abstimmungsverhalten.

Update 3: Syl­via Kot­ting-Uhl hat die per­sön­li­che Erklä­rung jetzt auch auf ihre Home­page gestellt; wenn ich das rich­tig sehe, ist die­se wort­gleich mit der von Ekin.

Wenn ich mir die 15 Abweich­le­rIn­nen noch­mal anschaue, dann bleibt der Ein­druck einer Mischung – die 15 wür­den sonst nicht unbe­dingt gemein­sam unter einem Antrag o.ä. stehen. 

Inter­es­sant sind die The­men­fel­der: Ekin Delin­göz ist kin­der- und fami­li­en­po­li­ti­sche Spre­che­rin, Irmin­gard Sche­we-Gerigk ist frau­en­po­li­ti­sche Spre­che­rin der Bun­des­tags­frak­ti­on. Cor­ne­lia Behm, Syl­via Kot­ting-Uhl, Hans-Josef Fell und Ulri­ke Höf­gen sind Exper­tIn­nen der Frak­ti­on in ver­schie­de­nen umwelt­po­li­ti­schen Fel­dern. Thi­lo Hop­pe ist Ent­wick­lungs­exper­te und Vor­sit­zen­der die­ses Aus­schus­ses. Thea Dückert ist eine der par­la­men­ta­ri­schen Geschäfts­füh­re­rIn­nen und sitzt im Aus­s­schuss für Wirt­schaft und Tech­no­lo­gie, der den Gesetz­ent­wurf feder­füh­rend betreut hat. Im klas­si­schen Sor­tier­me­cha­nis­mus „Flü­gel“ reicht das Spek­trum von ganz links (z.B. Kot­ting-Uhl, Sche­we-Gerigk, Hop­pe) bis ganz rea­lois­tisch (z.B. Chris­ti­ne Scheel, Kat­rin Göring-Eckardt). Was ich damit sagen will: hier wird mehr oder weni­ger das gan­ze Spek­trum der Par­tei abgebildet. 

Nicht bei den „Ent­hal­te­rIn­nen“ dabei sind (glück­li­cher­wei­se) die Fach­leu­te für Innen­po­li­tik und Bür­ger­rech­te (z.B. Vol­ker Beck, Wolf­gang Wie­land, Jer­zey Mon­tag, Hans-Chris­ti­an Strö­be­le, Moni­ka Lazar). Scha­de, dass deren Exper­ti­se hier nicht mehr Gewicht erhal­ten hat.

Update 4: Der Web­site von Pris­ka Hinz ist zu ent­neh­men, dass die bis­her bekann­te per­sön­li­che Erklä­rung von ihr, von Ekin Deli­göz, Chris­ti­ne Scheel, Kat­rin Göring-Eckardt, Kers­tin Mül­ler, Syl­via Kot­ting-Uhl, Thea Dückert, Cor­ne­lia Behm, Harald Ter­pe und Hans-Josef Fell unter­stützt wird. 

Blei­ben also noch fünf (Marie­lui­se Beck, Rain­der Steen­block, Thi­lo Hop­pe, Ulri­ke Höf­ken und Irmin­gard Sche­we-Gerigk) die sich – soweit mir bis­her bekannt – nicht zu den Grün­den für ihr Abstim­mungs­er­geb­nis geäu­ßert haben.

Update 5: Muss­te ja so kom­men ;-) – inzwi­schen gibt’s die Face­book-Grup­pe Grü­ne Pirat_innen. Mit hof­fent­lich deut­lich mehr Rücken­wind als bei den Pira­ten in der SPD (das gleich­na­mi­ge Blog wur­de übri­gens inzwi­schen gelöscht). Und zumin­dest schon mal mit ’nem Gender_Gap im Namen.

Update 6: (20.6.2009) Per Twit­ter wird ver­mel­det, dass das heu­te statt­ge­fun­de­ne „Camp Netz­be­grü­nung“ mehr netz­po­li­ti­sche Kom­pe­tenz – auch in der grü­ne Bun­des­tags­frak­ti­on ein­for­dert. Was auch immer das kon­kret bedeutet. 

Und noch­mal zum Abstim­mungs­ver­hal­ten der grü­nen Frak­ti­on – es war wohl erst kurz vor der Abstim­mung klar, dass es eine gro­ße Zahl von Ent­hal­tun­gen geben wür­de. Wie zu hören war, gab es kei­ne Pro­be­ab­stim­mung, und auch die nament­li­che Abstim­mung war in der Frak­ti­on nicht abge­spro­chen. Einer­seits scha­de, weil ein geschlos­se­ne­res und kla­re­res Bild viel­leicht bes­ser gelun­gen wäre, wenn die Frak­ti­ons­füh­rung frü­her die Bri­sanz der Sache wahr­ge­nom­men hät­te, bzw. wenn die „Ent­hal­te­rIn­nen“ frü­her Wort gege­ben hät­ten. Ander­seits liegt damit ein sonst in der Pro­gramm­po­si­ti­on ver­deck­ter Kon­flikt in der Par­tei in der Öffent­lich­keit – das ist im Wahl­kampf nicht toll, ist aber Vor­aus­set­zung dafür, dass der Kon­flikt jetzt ange­gan­gen wird.

In other news: die heu­ti­gen Mahn­wa­chen waren wohl über­wie­gend gut besucht, auch von Grü­nen (dass es in Frei­burg eine geben soll­te, habe ich lei­der zu spät erfah­ren). Jörg Tauss hat, wie ges­tern bereits als Gerücht zu hören, heu­te sei­nen Über­tritt zur Pira­ten­par­tei ver­kün­det – da passt er hin, den­ke ich. 

Update 7 (21.06.2009): Die poli­ti­sche Bun­des­ge­schäfts­füh­re­rin Stef­fi Lem­ke der Grü­nen stellt in ihrem Blog noch­mal klar da, was die offi­zi­el­le Par­tei­li­nie ist – und sagt auch deut­lich, dass sie die 15 Abwei­chun­gen davon falsch fin­det. Im HR-Blog wird die per­sön­li­che Erklä­rung von Pris­ka Hinz et al. ver­ris­sen. Und „Was war, was wird“ bei hei­se online zitiert die­sen Blog­ein­trag, wenn auch nicht ganz vor­teil­haft ;-) – „Mit 15 Ent­hal­tun­gen zeig­ten die Grü­nen ihre bekann­te Geschmei­dig­keit der kohl­krafti­gen Inter­pre­ta­ti­on, die schon immer die FDP für Bes­ser­es­ser auszeichnete.“

Update 8 (22.06.2009): „Clau­dia Roth ist mit dem grü­nen bun­des­vor­stand ein­stim­mig gegen inter­net­sper­rung.“ schreibt sie auf ihrer Face­book-Sei­te. Und auch die Grü­ne Jugend hat auf ihrem gest­ri­gen Bun­des­aus­schuss einen ent­spre­chen­den Beschluss gefasst (noch nicht online). Schließ­lich noch der Hin­weis auf die inner­grü­ne Unter­schrif­ten­samm­lung mit Bit­te an die Frak­ti­on, das The­ma ernst zu nehmen.

Update 9: Wer sowas mag, kann sich den grü­nen Bun­des­vor­sit­zen­den Cem Özd­emir zum The­ma Ableh­nung der Netz­sper­ren auch im Bewegt­bild anschauen.

(2.7.2009) Hab’s auch als Kom­men­tar dran­ge­hängt, der Voll­stän­dig­keit hal­ber auch hier: Es gab wohl heu­te ein Gespräch zwi­schen der Bun­des­tags­frak­ti­on der Grü­nen, diver­sen (grü­nen) Netz­po­li­ti­ke­rIn­nen und Kin­der­schüt­ze­rIn­nen. Habe bis­her nur die Tweets von Julia See­li­ger, Jan Phil­ipp Albrecht und Josef Wink­ler dazu gese­hen, die alle­samt posi­tiv klan­gen. Bin gespannt, ob des Gespräch kon­kre­te Ergeb­nis­se zeitigt.

Kommunikationsprobleme

Yellow communication

Heu­te gab es eine Pro­be­ab­stim­mung zur Netz­z­ensur in der SPD-Frak­ti­on. Jörg Tauss schrieb dar­über bei Twit­ter:

ent­aeuscht: In der SPD-Frak­ti­on nur zwei Gegen­stim­men zu #zen­sur­su­la. Scha­de. War es dann wohl. Peten­ten haben alles falsch verstanden :-( 

Ich bin über das „Peten­ten haben alles falsch ver­stan­den“ gestol­pert. Dach­te erst, er meint das selbst so. Habe dann noch­mal nach­ge­fragt. Die rich­ti­ge Inter­pre­ta­ti­on: die über­gro­ße Mehr­heit der SPD-Frak­ti­on glaubt, dass die 131919 Unter­stüt­ze­rIn­nen der Peti­ti­on gegen Inter­net­sper­ren gar nicht wirk­lich böse auf die SPD und ihre Poli­tik sind, son­dern den Gesetz­ent­wurf nur falsch ver­stan­den haben. Alles also ein Kom­mu­ni­ka­ti­ons­pro­blem (die Nach­wahl­va­ri­an­te davon: ein Mobi­li­sie­rungs­pro­blem). Gemeint ist damit: wir wis­sen, was gut ist, wir haben es nur nicht geschafft, das den Leu­ten auch nahezubringen.

Die­se Argu­men­ta­ti­on mag ich gar nicht. Lei­der kommt sie in der Poli­tik oft vor. Wenn eine poli­ti­sche Maß­nah­me auf Wider­stand stößt, wenn eine Par­tei nicht gewählt wird: Kom­mu­ni­ka­ti­ons­pro­blem. Ein­fach und blöd. Und zwar aus drei Gründen.

  1. Wer von Kom­mu­ni­ka­ti­ons­pro­ble­men redet, um poli­ti­sche Dif­fe­ren­zen zu erklä­ren, kann nur davon aus­ge­hen, selbst und ein­zig und allein im Besitz der Wahr­heit zu sein. Wenn der ande­re es bloss ver­stan­den hät­te, hät­te er’s schon rich­tig ver­stan­den. Die Argu­men­ta­ti­ons­fi­gur Kom­mu­ni­ka­ti­ons­pro­blem impli­ziert also Über­heb­lich­keit und negiert – mög­li­cher­wei­se ja berech­tig­te! – unter­schied­li­che Wahr­neh­mun­gen. Sie igno­riert, dass ande­re als die Mit­glie­der und Abge­ord­ne­ten der eige­nen Par­tei viel­leicht mehr wis­sen könnten. 
  2. Wer von Kom­mu­ni­ka­ti­ons­pro­ble­men redet, hat ein Kom­mu­ni­ka­ti­ons­pro­blem, weil die Par­tei dann näm­lich nicht kom­mu­ni­ziert. Son­dern meint damit ja, dass die Mar­ke­ting-Bot­schaft nicht ange­kom­men ist. Kom­mu­ni­ka­ti­ons­pro­blem impli­ziert also auch: Ein­weg statt Dia­log. Fol­ge­rich­tig also, dass diver­se Inter­net-Akti­vis­tIn­nen-Grup­pen heu­te wei­te­re Gesprä­che mit der SPD abge­lehnt haben. 
  3. Schließ­lich: Wer von Kom­mu­ni­ka­ti­ons­pro­ble­men redet, ver­steht sein eigent­li­ches Geschäft nicht. Selbst Ein­weg-Mar­ke­ting-Par­tei­en soll­ten in der Lage sein, ihre Poli­tik auch zu „ver­kau­fen“. Wer sich am Ende, wenn das fal­sche beschlos­sen wird, auf Kom­mu­ni­ka­ti­ons­pro­ble­me zurück­zieht, hat auch vor­her nicht ver­sucht, zu über­zeu­gen, die poli­ti­sche Posi­ti­on der Par­tei zu ver­brei­ten. Hat das viel­leicht gar nicht für not­wen­dig ange­se­hen, weil im Inne­ren der Raum­schiff-Bla­se alles so schön selbst­evi­dent aussah. 

Also, lie­be Par­tei­en (auch: lie­be eige­ne Par­tei!) – bit­te kei­ne Kom­mu­ni­ka­ti­ons­pro­ble­me. Wer Wäh­le­rIn­nen und Bür­ge­rIn­nen nicht für dumm hält, son­dern für mün­dig, muss ers­tens ver­su­chen, mit die­sen in einen zwei­sei­ti­gen Dia­log zu tre­ten, statt auf Beschal­lung zu set­zen, muss zwei­tens Argu­men­te dann auch ernst­neh­men – und, wenn gro­ße Pro­test­wel­len gera­de jen­seits der regis­trier­ten Lob­by-Gesprä­che auf­tau­chen, mal über­le­gen, wo die her­kom­men, und muss drit­tens ein­se­hen, dass man­che poli­ti­sche Ideen gesell­schaft­lich nicht akzep­tiert wer­den. Nicht, weil die fal­schen Wer­be­spots geschal­tet wur­den, son­dern weil eine Mehr­heit sie falsch findet. 

Es kann ja sogar Fäl­le geben, in denen es sinn­voll ist, irgend­ei­ne poli­ti­sche Maß­nah­me trotz gerin­ger Akzep­tanz durch­zu­set­zen – dann bit­te ich aber dar­um, auch dazu zu ste­hen, und sich nicht hin­ter Kom­mu­ni­ka­ti­ons­pro­ble­men zu ver­ste­cken. Es mag tat­säch­lich Miss­ver­ständ­nis­se geben. Aber wenn ein gro­ßer Teil aller Exper­tIn­nen in einem The­ma einer Mei­nung sind – dann liegt ver­mut­lich kein Miss­ver­ständ­nis vor. Und ja, Poli­tik kann sehr kom­plex sein, und Poli­tik ist schwie­rig zu kom­mu­ni­zie­ren: aber es macht doch mehr Sinn, es zu ver­su­chen – und dank elek­tro­ni­scher Medi­en ist genau das immer ein­fa­cher gewor­den, als selbst dar­an zu glau­ben, dass nur aller­ein­fachs­te Bot­schaf­ten ver­stan­den werden.

Denn wer sei­ne Wäh­le­rIn­nen wie unmün­di­ge Kin­der behan­delt (und selbst die soll­ten nicht so behan­delt wer­den), muss sich – letz­ter Satz – nicht wun­dern, wenn denen die Lust an der Poli­tik ver­geht. Oder an bestimm­ten Par­tei­en.

War­um ich das blog­ge? Weil mein laten­ter Ärger über die­ses Schein­ar­gu­ment hier mal einen kon­kre­ten Anlass gefun­den hat.

SPD tagt mal eben

Schon wie­der das The­ma SPD. Dies­mal geht’s aber schon eher um die Bun­des­tags­wahl als noch um die Europawahl.

SPD-Par­tei­ta­ge sind ent­we­der extrem effi­zi­ent oder deut­lich weni­ger demo­kra­tisch als z.B. Par­tei­ta­ge der Grü­nen. Inklu­si­ve Lied am Schluss und Kanz­ler­kan­di­da­ten­re­densand­wich vor­her und nach­her dau­ert der Wahl­pro­gramm­par­tei­tag der SPD näm­lich sage und schrei­be sechs Stun­den. Das „Antrags­buch“ ist eher unüber­sicht­lich; wenn ich es rich­tig ver­ste­he, wird zu den meis­ten Ände­rungs­an­trä­gen schlicht ableh­nen emp­foh­len (und dann wohl auch so gemacht). Da wird einem erst so rich­tig deut­lich, wie ver­gleichs­wei­se weit­ge­hend basis­de­mo­kra­tisch Bünd­nis 90/Die Grü­nen tat­säch­lich sind.

Wie dem auch sei, inter­es­sant ist die­ser SPD-Par­tei­tag aus zwei Grün­den. Zum einen könn­te sich dort theo­re­tisch ent­schei­den, dass die SPD von ihrem Beschluss, kei­ne Koali­ti­on mit der LINKEN ein­zu­ge­hen, abkehrt. (U.a. gibt es heu­te in der taz einen Auf­ruf unse­res MdBs Thi­lo Hop­pe an die SPD, doch mal ein klein wenig rea­lis­ti­scher an rot-grün-rote Gestal­tungs­op­tio­nen heranzugehen). 

Zum ande­ren wird es aus netz­po­li­ti­scher Sicht span­nend. Björn Böh­ning, der SPD-Gegen­kan­di­dat zu Strö­be­le, hat – flü­gel­über­grei­fend – einen Initia­tiv­an­trag gestellt, der eine etwas sinn­vol­le­re Hal­tung der SPD beim The­ma „Inter­net­zen­sur“ ein­for­dert. Vie­le netz­af­fi­ne Men­schen machen u.a. vom Erfolg die­ses Antrags abhän­gig, wie sie in Zukunft zur SPD ste­hen wer­den. Die Zei­chen sehen aller­dings schlecht aus. Inzwi­schen liegt ein Beschluss des SPD-Par­tei­vor­stan­des vor,der im Prin­zip nichts wei­ter noch ein­mal auf­schreibt als die Hal­tung der SPD-Bun­des­tags­frak­ti­on: rhe­to­ri­sche Zuge­ständ­nis­se, aber kei­ne Abkehr vom Prin­zip Auf­bau einer Zen­sur­in­fra­struk­tur für das Internet. 

Ich weiss nicht, wie das bei der SPD abläuft, neh­me aber an, dass der Böh­ning-Antrag damit aus dem Ren­nen ist. Mor­gen abend wis­sen wir mehr. Schon jetzt ist aber klar: wer eine eta­blier­te Par­tei wäh­len oder unter­stüt­zen möch­te, für die eine sinn­vol­le Inter­net­po­li­tik inzwi­schen klar zum Selbst­ver­ständ­nis gehört, ist bei den Grü­nen deut­lich bes­ser auf­ge­ho­ben als bei der SPD.

War­um blog­ge ich das? Vor allem, weil mich inter­es­siert, wie inner­par­tei­li­che Mei­nungs­bil­dung in der SPD funk­tio­niert. Und ob Jörg Tauss MdB SPD jetzt doch zur Pira­ten­par­tei wech­selt – bis­her demen­tiert er.

Über Pseudonyme und PolitikerInnen

Im Kom­men­tar­be­reich mei­nes letz­ten Bei­trags zur Kom­mu­nal­wahl gab es ein paar Kom­men­ta­re, die mir einen grund­sätz­li­che­ren Kom­men­tar wert sind. 

Die Sach­la­ge: Word­Press fragt ja – aus Spam­schutz­grün­den – bei der Ein­ga­be eines Kom­men­tars ver­pflich­tend nach der eMail-Adres­se. Die­se wird nicht ange­zeigt, ist mir aber – z.B. beim Frei­schal­ten des Kom­men­tars – sicht­bar. Als Blog­be­trei­ber weiss ich des­we­gen manch­mal ein biß­chen mehr als die Lese­rIn­nen des Blogs. Auch Kom­men­ta­re unter Pseud­onym sind also nur begrenzt anonym. Wer wirk­lich anonym blei­ben will, muss eine nicht exis­tie­ren­de eMail-Adres­se ein­ge­ben. (Es gäbe natür­lich auch noch den Fall, dass bewusst eine eMail-Adres­se ver­wen­det wird, die nicht zu der kom­men­tie­ren­den Per­son gehört, wor­auf ich im Moment erst­mal nicht ein­ge­hen will). 

In die­sem Fall war klar, dass ein Kom­men­tar im Sti­le eines „ich habe in der Zei­tung gele­sen, dass die GAF dies und das tut, und des­we­gen ist sie nicht wähl­bar“ tat­säch­lich von einem grü­nen Stadt­rat kam. Das hat mich ziem­lich geär­gert, weil ich das als unlau­ter anse­he. Nicht ganz so krass wie die­ser Fall, aber doch ärger­lich. Des­we­gen habe ich ges­tern abend – halb im Affekt ;-) – die­se Tat­sa­che öffent­lich gemacht. Nicht den Namen des Stadt­rats, aber die Tat­sa­che, dass die­ser Kom­men­tar der eMail-Adres­se nach von einem grü­nen Stadt­rat kam.

Wenn ich etwas län­ger drü­ber nach­ge­dacht hät­te, hät­te ich den Kom­men­tar viel­leicht etwas anders for­mu­liert. Mir ging es nicht dar­um, eine kon­kre­te Per­son bloß­zu­stel­len. Mit der Zuord­nung „grü­ner Stadt­rat“ und Frei­bur­ger The­men könn­ten sich hin­ter dem Pseud­onym ja immer noch unge­fähr 11 Per­so­nen ver­ber­gen. Nach Schlaf drü­ber hät­te ich aber viel­leicht eher eine For­mu­lie­rung „ein Poli­ti­ker“ o.ä. gewählt – weil’s mir eben nicht um die Per­son geht, und auch nicht um ein Outing von irgend­wem, son­dern um den schlech­ten Stil, sich als Poli­ti­ke­rIn und damit als Per­son des öffent­li­chen Lebens hin­ter einem Pseud­onym zu verstecken.

Ich könn­te jetzt lang zur Real­na­me-Debat­te im Netz aus­ho­len. Das will ich hier nicht tun, son­dern ganz kurz fünf Über­le­gun­gen beschreiben.

1. Pseud­ony­mi­tät / Anony­mi­tät hat im Netz eine lan­ge Tra­di­ti­on. „No one knows you are a dog“. Gera­de im Kon­text von Geschlechts­iden­ti­tä­ten gibt es dazu auch viel Lite­ra­tur. Ein Vor­teil pseud­ony­mer Kom­mu­ni­ka­ti­on kann es sein, dass vor­ur­teils­frei­er kom­mu­ni­ziert wird. Im Ide­al­fall zählt nur die Kraft der Argu­men­te – ohne Blick auf die Per­son. Das stimmt aller­dings inso­fern nicht, als auch bei län­ge­rern Kom­mu­ni­ka­ti­ons­ket­ten mit einem Pseud­onym bei den ande­ren Betei­lig­ten die­ser netz­ba­sier­ten Inter­ak­ti­on sich ein bestimm­tes Bild einer Per­son auf­baut. Die­ses kann nun – und das war ein belieb­ter Topos in den Anfangs­ta­gen des Net­zes – durch­aus auch ein Bild einer Per­son sein, die mit der „Off­line-Per­son“ wenig zu tun hat. Das Netz als Spiel, mit flui­der Iden­ti­täts­kon­struk­ti­on. Heu­te ist – neben Rol­len­spie­len und „Spaß-Foren“ – viel­leicht Second Life noch am ehes­ten ein Ort, auf den der­ar­ti­ge Über­le­gun­gen zutreffen.

2. The­se: der Erfolg von Face­book, Twit­ter & Co. beruht auch dar­auf, dass hier über­wie­gend „ech­te Per­so­nen“ auf­tau­chen, und kei­ne gespiel­ten Identitäten.

3. In poli­ti­schen Kon­tex­ten hat Anony­mi­tät dann eine sinn­vol­le Funk­ti­on, wenn es um „whist­le­b­lo­wing“ geht. Wenn nicht-öffent­li­che Doku­men­te öffent­lich gemacht wer­den, wenn Inter­na berich­tet wer­den – ohne dass die berich­ten­de Per­son auf­ge­deckt wird. In der Zei­tung heißt das Pseud­onym dann „aus Krei­sen“. Schon allein des­we­gen, weil es nach mei­nem Kennt­nis­stand durch­aus mög­lich wäre, die Her­aus­ga­be der eMail-Adres­se z.B. des Kom­men­ta­tors eines straf­recht­lich rele­van­ten Kom­men­tars gericht­lich zu erzwin­gen, wür­de ich hier aller­dings nicht dar­auf ver­trau­en, dass die eMail-Adres­se vom Blog­be­trei­ber schon nicht wei­ter­ge­ge­ben wird, son­dern dazu raten, dann rich­tig anonym auf­zu­tre­ten. (Eben­so, wenn es um Kom­mu­ni­ka­ti­on in Dik­ta­tu­ren geht).

4. In poli­ti­schen Kon­tex­ten hat Anony­mi­tät bzw. die Annah­me fal­scher Iden­ti­tä­ten natür­lich auch dann eine Tra­di­ti­on, wenn es dar­um geht, bewusst Gerüch­te in die Welt zu set­zen oder „dem Geg­ner“ zu scha­den. Die­se Tra­di­ti­ons­li­nie hal­te ich aller­dings für verwerflich.

5. Weil (4) bekannt ist, hal­te ich – trotz der Netz­tra­di­ti­on (1) – wenig davon, in poli­ti­schen Debat­ten pseud­onym auf­zu­tre­ten. Oder posi­ti­ver for­mu­liert: das Gewicht von Argu­men­ten gewinnt an Bedeu­tung, wenn ich es einer tat­säch­li­chen poli­tisch han­deln­den Per­son zurech­nen kann, und mir nicht nur mit einer kon­stru­ier­ten Spiel­iden­ti­tät einen rhe­to­ri­schen Kampf lie­fe­re. Poli­ti­sche Online-Kom­mu­ni­ka­ti­on, die an real­welt­li­che Kon­tex­te ange­bun­den ist – bei­spiels­wei­se eine Wahl­ent­schei­dung oder Berich­te über poli­ti­sche The­men in einer Stadt – fin­det unter „Wirk­lich­keits­ver­dacht“ (so hat­te ich das in mei­ner Magis­ter­ar­beit genannt) statt. Des­we­gen erwar­te ich von Per­so­nen des öffent­li­chen Lebens – zumin­dest sol­chen, denen ich poli­ti­sche Ehr­lich­keit unter­stel­le – sich in poli­ti­schen Debat­ten nicht hin­ter einer Mas­ke zu ver­ste­cken. Son­dern Inter­es­sen auf den Tisch zu legen. 

Und des­we­gen das „Tei­lou­ting“.

War­um blog­ge ich das? Weil mir die­se Über­le­gun­gen für einen Kom­men­tar im Kom­men­tar­feld dann doch etwas zu wich­tig sind – und jetzt bit­te wäh­len gehen!

Kurz: Erst ab 14 lesen … (Update 5: der Roboter war’s)

… soll­test Du, soll­ten Sie die­ses Blog. Sagt jeden­falls „Jugend­schutz­pro­gramm“, ein wohl recht weit ver­brei­ter­ter, von Bau­er und Free­net ent­wi­ckel­ter Jugend­schutz­fil­ter (a pro­pos Jugend­schutz: es feh­len noch unge­fähr 5000 Mit­zeich­ne­rIn­nen für die Peti­ti­on gegen die Von-der-Ley­en-Sper­ren, um 100.000 Mit­zeich­ne­rIn­nen zu errei­chen). Die­ser Bau­er-Free­net-Fil­ter – Ero­tik-Bezahl-Inhal­te – ist ein schö­nes Bei­spiel für die Miss­brauchs­ge­fahr von Sperr­lis­ten. Denn in der Nega­tiv­lis­te ste­cken nicht nur die eigent­lich dort hin­ge­hö­ren­den Ero­tik- und Gewalt­sei­ten, son­dern auch das kri­ti­sche und links­li­be­ra­le Spek­trum. Mit der Frei­ga­be ab 14 bin ich noch ganz gut weg­ge­kom­men, diver­se grü­ne und links­li­be­ra­le Blogs sind ganz gesperrt, auch gruene.de ist gesperrt (Nach­trag: inzwi­schen auf auf „ab 14“ run­ter­ge­setzt), eben­so die taz.de (wei­ter­hin ganz gesperrt). 

Was das soll? Bis­her gibt es nur Ver­mu­tun­gen, die sind beim Spie­gel­fech­ter gut zusam­men­ge­fasst. Ich habe Frei­tag eine höf­li­che Mail an jusprog.de geschickt, die aber bis­her nicht beant­wor­tet wur­de. Bleibt also der Ver­dacht, der gera­de die Rune im Netz zieht, dass da jemand unter dem Deck­man­tel „Jugend­schutz“ alles all­zu unlieb­sa­me, kri­ti­sche für Kin­der und Jugend­li­che, deren Eltern (oder Insti­tu­tio­nen) wohl­mei­nend die­sen Fil­ter instal­lie­ren, aus dem Netz räumt. Mal schau­en, ob ein medi­al wirk­sa­mer Skan­dal drauß wird. Ein „schö­nes“ Bei­spiel für die Risi­ken und Neben­wir­kun­gen von Fil­ter­pro­gram­men ist es allemal. 

Update (26.5.2009): Ich ste­he mit feh­len­den Ant­wor­ten auf eine höf­li­che Anfra­ge nicht allei­ne da – selbst der Tele­po­lis gegen­über woll­te sich jusprog.de wohl nicht äußern. Dubios!

Update 2 (27.5.2009): Inzwi­schen hat jusprog.de mir eine Ant­wort­mail auf mei­ne Anfra­ge geschickt. Klingt ganz freund­lich – jetzt bin ich auf die ange­kün­dig­ten Inter­views gespannt. Und was sonst dahin­ter ste­cken könn­te, wenn’s kei­ne poli­ti­sche Vor­auswahl ist:

Hal­lo Herr Westermayer,

Vie­len Dank für Ihre Anfra­ge, wir über­prü­fen bereits gewis­sen­haft alle Mel­dun­gen. Es wer­den in den nächs­ten Tagen Inter­views bei heise.de und Taz.de erschei­nen, in denen der Ver­ein Stel­lung bezieht. Sei­en Sie ver­si­chert, dass kein poli­ti­sches Motiv unser Han­deln antreibt.

Mit freund­li­chen Grüßen

Ihr Help­desk-Team

Update 3: Gleich danach gab’s noch eine Mail, und zwar als Reak­ti­on auf mei­ne kon­kre­te Kri­tik, dass taz.de fälsch­lich gesperrt sei. Klingt nach Stan­dard­text – und zwi­schen den Zei­len weni­ger sinn­voll. Unmo­de­rier­te Foren gibt’s bei der taz näm­lich nicht.

Guten Tag,

Die Sei­te „taz.de“ ist als Rubrik „Default ab 14“ in den Fil­ter ein­ge­tra­gen und kann von Ihnen selbst natür­lich sofort wie­der mit­tels Admin Pass­wort als ein­zel­ne URL oder Rubrik frei­ge­ge­ben werden.

Bei unse­rer Soft­ware geht es nicht nur um Ero­tik son­dern auch den Schutz von Kin­dern im Netz vor unmo­de­rier­ten Foren etc.

Es muss also enwe­der die Sei­te selbst, oder die ent­spre­chen­de Kate­go­rie frei­ge­ge­ben wer­den, um Zugriff auf die Sei­te zu haben. Die Frei­schal­tung kann nur durch den Admi­nis­tra­tor erfolgen.

Mit freund­li­chen Grüßen

Ihr Help­desk-Team

Update 4 (28.5.2009): Soll­te das hier der oben ange­kün­dig­te taz-Bericht sein, klingt das aller­dings mehr nach der alten Lei­er – kein Kom­men­tar, wir sagen nichts zu Details und kön­nen es auch nicht erklä­ren, Sperr­emp­feh­lun­gen geben wir trotz­dem. Aber viel­leicht kommt ja noch mehr. 

Übri­gens: war­um ist die Debat­te um ein Fil­ter­pro­gramm rele­vant? Ers­tens, weil genau die­ses Fil­ter­pro­gramm mög­li­cher­wei­se bald eine offi­zi­el­le Ein­satz­emp­feh­lung bekom­men; zwei­tens, weil dar­an die Pro­ble­ma­tik von „gehei­men“ Sperr­lis­ten schön deut­lich wird – und drit­tens, weil sich zeigt, dass Eltern, die ihre Kin­dern ein „siche­res“ Netz prä­sen­tie­ren wol­len (was ja durch­aus ein legi­ti­mes Anlie­gen ist), gut dar­an tun, ent­spre­chen­de Fil­ter vor Ein­satz selbst zu tes­ten – und nöti­gen­falls so lan­ge an den Ein­stel­lun­gen her­um­zu­dre­hen, bis zumin­dest ein paar lesens­wer­te Sei­ten auch für Teens auf­tau­chen. Gleich­zei­tig wird deut­lich: blin­des Ver­trau­en in Soft­ware ist – wie immer – Murks.

Update 5 (29.5.2009): Schrieb ich da gera­de was vom blin­den Ver­trau­en in Soft­ware? Wie sich jetzt her­aus­stellt, wer­den die in den Fil­ter ein­ge­pfleg­ten Sei­ten nicht von „gut­ge­schul­ten Mit­ar­bei­tern“, son­dern in ers­ter Linie von „Craw­lern“ – also Soft­ware­agen­ten – erfasst, die neue Sei­ten sich­ten und ver­su­chen, die­se anhand von Wort­ver­knüp­fun­gen „raten“ (oder ver­su­chen, zu er-raten, um was es geht).