899, oder: warum ich nicht zum Politcamp fahre

pc10Wer mich kennt, müss­te eigent­lich davon über­zeugt sein, dass ich so unge­fähr alles dafür geben wür­de, zum Polit­camp 10 zu fah­ren. Das gan­ze steht unter dem Mot­to „Poli­tik trifft Web 2.0“. Trotz­dem fah­re ich nicht hin. Ich könn­te es mir jetzt ein­fach machen und sagen: es gab da einen fami­liä­ren Ter­min­kon­flikt. Aber der wäre aus dem Weg zu räu­men gewe­sen, wenn es mir das wert gewe­sen wäre. 

War­um also las­se ich mein kos­ten­lo­ses Ear­ly-Bird-Ticket ver­fal­len, und neh­me nicht am Polit­camp 10 teil?

(Ach­tung: ein Text mit Rant-Cha­rak­ter! Und eher persönlich!)
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Kleines Experiment: Was heißt Teilhabe im/am Internet politisch?

DILO: TypingIch weiss nicht, wie viel ich öffent­lich schon dazu sagen kann, aber in mei­nem letz­ten Wur­zel­werk-Bei­trag ist es zwi­schen den Zei­len viel­leicht schon deut­lich gewor­den. Bei den baden-würt­tem­ber­gi­schen Grü­nen gibt es eine Arbeits­grup­pe Netz­po­li­tik, die einen Antrag erar­bei­ten möch­te, mit dem sich die baden-würt­tem­ber­gi­schen Grü­nen netz­po­li­tisch posi­tio­nie­ren. Ich habe die ehren­vol­le Auf­ga­be erhal­ten, mich um einen der vier Teil­be­rei­che für die­sen Antrag zu küm­mern – wir haben den gro­ßen Kom­plex „Netz­po­li­tik“ letzt­lich her­un­ter­ge­bro­chen auf die The­men „Frei­heit“, „Wirt­schaft“, „Kul­tur“ und „Teil­ha­be“. Mein The­ma ist die Teil­ha­be – und ich fra­ge jetzt euch, was Teil­ha­be im bzw. am Inter­net so alles bedeutet. 

Der eigent­li­che Antrag ent­steht im Wur­zel­werk, bzw. mit Hil­fe der Wur­zel­werk-Wiki-Funk­tio­na­li­tät. Als klei­nes Expe­ri­ment möch­te ich für mei­nen Teil aber mal schau­en, was pas­siert, wenn ich hier zum Mit­schrei­ben und Mit­dis­ku­tie­ren auf­ru­fe. Als Platt­form dafür habe ich auf ietherpad.com* ein Pad ein­ge­rich­tet. Jede/r kann da – ganz anonym, ger­ne auch mit Namens­nen­nung – mit­schrei­ben. Wenn was Gutes bei raus­kommt, wan­dert das ins Wur­zel­werk. Also kei­ne Garan­tie, dass irgend­was letzt­lich in den Antrag über­nom­men wird – aber die Mög­lich­keit, mal mit zu über­le­gen, wie das The­ma Teil­ha­be in Bezug auf das Inter­net durch eine Lan­des­par­tei am bes­ten ange­gan­gen wer­den kann. Und ich zumin­dest fin­de, dass sowas auf Ether­pad rich­tig Spaß machen kann. Alles wei­te­re über­las­se ich erst­mal der Selbstorganisation.

War­um blog­ge ich das? In der Hoff­nung, dass ein paar Leu­te Lust haben, mit­zu­schrei­ben. Und um mal zu schau­en, was pas­siert. Viel­leicht noch als Dis­clai­mer: wer am Pad mit­schreibt, wil­ligt ein, dass alle Ände­run­gen von Bünd­nis 90/Die Grü­nen Baden-Würt­tem­berg ohne Namens­nen­nung wei­ter­ver­wen­det wer­den dür­fen (aber nicht müs­sen ;-) …). Der Zugang zum Pad ist ohne Regis­trie­rung mög­lich. Mein Ziel für den letzt­lich ent­ste­hen­den Antrag wäre, die­sen unter eine libe­ra­le CC-Lizenz zu stel­len, das haben wir aber noch nicht besprochen.

* ietherpad.com ist ein Klon von etherpad.com, die von Goog­le auf­ge­kauft wur­den, ihr Pro­dukt aber als open source frei­ge­ge­ben haben.

Weltherrschaft als Koppelprodukt

Watching the streetview car II

Das gro­ße G ist erneut in den Schlag­zei­len: Chris Stö­cker sieht im Spie­gel Online schon den Griff von Goog­le nach der Welt­herr­schaft (Gideon Böss in der WELT sieht das anders). War­um? Weil Goog­le sei­ne Suche inzwi­schen in Echt­zeit und per­so­na­li­siert anbie­tet, Pro­duk­te per Han­dy-Scan iden­ti­fi­zie­ren kön­nen will, einen eige­nen öffent­li­chen DNS-Ser­ver (sie­he auch fefe) betreibt und über­haupt einen Hau­fen mehr anbie­tet (und natür­lich Chro­me, auch als Stand-alo­ne-Betriebs­sys­tem, und Android, und Cloud Com­pu­ting Appli­ca­ti­ons, und und und.

Das kann jetzt als Griff zur per­sis­ten­ten Welt­herr­schaft ver­stan­den wer­den. Kris­ti­an Köhn­topp dage­gen geht – schon vor eini­gen Wochen – von einem Miss­ver­ständ­nis aus: es ist falsch, Goog­le als Such­ma­schi­ne zu inter­pre­tie­ren. Für Köhn­topp ist das, was Goog­le macht, viel­mehr folgendes:

Alles in allem wirkt der Ansatz von Goog­le auf mich wie eine Fir­ma von Phy­si­kern oder ande­ren Expe­ri­men­tal-For­schern mit aka­de­mi­schem Back­ground, die beschlos­sen haben, ein­mal ’so rich­tig‘ in die Wirt­schaft zu gehen und ihre Metho­den dort hin zu por­tie­ren. Man baut Model­le, iden­ti­fi­ziert Abhän­gig­kei­ten und eli­mi­niert sie kon­se­quent und man hat kei­ne Angst, dabei auch rich­tig groß zu den­ken und Neu­land zu betreten. 

Oder anders gesagt: eine Fir­ma, die Abhän­gig­kei­ten auf der Input-Sei­te maxi­mal redu­ziert (eige­nes Netz, eige­ne Ser­ver-Far­men, eige­ner DNS-Ser­ver, …), die so ent­stan­de­ne Infra­struk­tur halb­öf­fent­lich zugäng­lich macht (Open-Source-Vari­an­ten wich­ti­ger Tech­no­lo­gien, wer­be­fi­nan­zier­te Zur­ver­fü­gung­stel­lung) und so – ob wil­lent­lich und stra­te­gisch oder nolens volens – immense sozio­tech­ni­sche Abhän­gig­kei­ten pro­du­ziert. Goog­le will nicht die Welt­herr­schaft, son­dern will – so mei­ne Syn­the­se aus Stö­cker und Köhn­topp – die tech­nisch bes­te Lösung zur Daten­ver­ar­bei­tung im Netz anbie­ten. Und erzeugt neben­bei ein biß­chen Welt­herr­schaft (oder zumin­dest eine immense, per­so­na­li­sier­te Daten­hal­de und Tools, um die­se zu durch­su­chen und mög­li­cher­wei­se auch pro­fi­ta­bel zu machen). 

Welt­herr­schaft als Kop­pel­pro­dukt funk­tio­niert auch des­halb, weil die Goog­le-Lösung (Such­ma­schi­ne, GMail, …) meis­tens bes­ser funk­tio­niert als die Ver­su­che ande­rer Anbie­ter oder gar staat­li­cher Inno­va­ti­ons­pro­gram­me (hal­lo, IT-Gip­fel mit dei­nen Leucht­turm­pro­jek­ten). Es gibt aber auch Aus­nah­men – wave bei­spiels­wei­se kommt gar nicht so toll an, und chro­me ist bis­her als Brow­ser wie als Betriebs­sys­tem ein abso­lu­tes Nischen­pro­dukt. Bes­ser heißt hier vor allem: Goog­le-Pro­duk­te und Dienst­leis­tun­gen funk­tio­nie­ren, sind rela­tiv fehlertolerant/wartungsarm, sind zumeist sehr ein­fach bedien­bar – und sie sind schnell. Das hängt dann (sie­he Köhn­topp) wie­der mit den eige­nen Ser­vern und Lei­tun­gen zusam­men, und so schließt sich der Kreis zwi­schen tech­nisch guten Ange­bo­ten und der Infra­struk­tur für die Weltherrschaft.

Bleibt die Fra­ge nach den poli­ti­schen Kon­se­quen­zen des tech­no-öko­no­mi­schen Inter­es­ses von Goog­le. Ver­staat­li­chen? Regu­lie­ren? Lau­fen las­sen? Daten­schutz neu den­ken? Goog­le gar als Bünd­nis­part­ner gegen Angrif­fe auf Netz­neu­tra­li­tät und ähn­li­ches ein­span­nen? Die UNO an Goog­le verkaufen?

Mein vor­läu­fi­ger Ein­druck ist der, dass das Netz hier eine Fir­ma mög­lich gemacht hat, die bis­her so nicht vor­ge­se­hen war (um mit Cas­tells zu spre­chen: die tat­säch­lich infor­ma­tio­na­len und netz­werk­för­mi­gen Kapi­ta­lis­mus auf glo­ba­ler Ebe­ne betreibt, und dabei Wis­sen auf Wis­sen anwen­det). Was fehlt, ist eine ähn­li­che kon­zeptof­fe­ne und inno­va­ti­ve glo­ba­le Poli­tik­agen­tur. Die­ser poli­ti­sche glo­bal play­er fehlt uns heu­te noch.

War­um blog­ge ich das? Weil ich die Debat­ten um Goog­le span­nend fin­de. Viel­leicht auch des­we­gen, weil hier (in Varia­ti­on der Köhn­topp­schen Argu­men­ta­ti­on) eine nerdige/technische Kul­tur zwar erfolg­reich in Rich­tung Pro­fit evol­viert ist, trotz aller social respon­si­bi­li­ty (google.org usw.) dabei aber auch der für der­ar­ti­ge nerd/technische Kul­tu­ren typi­sche Autis­mus gegen­über der sozia­len Ein­bet­tung und den sozia­len und poli­ti­schen Kon­se­quen­zen tech­ni­scher Lösun­gen hoch­ska­liert wurde.

Kurz: Kleinigkeiten

Die Wiki­pe­dia (bzw. genau­er der Betrei­ber Wiki­me­dia*) macht der­zeit wie­der sei­nen all­jähr­li­chen Spen­den­ma­ra­thon. Bis­her habe ich mich da durch­aus mal betei­ligt. Die­ses Jahr liegt mei­ne Spen­de bei 1,23 Euro und einem Kommentar. 

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Hei­ße Debat­te in der Wiki­pe­dia-Spen­de­rIn­nen-Lis­te (Aus­zug)

Und ich bin bei wei­tem nicht der ein­zi­ge, der nur eine Klei­nig­keit spen­det – und die Spen­den­lis­te gleich­zei­tig als Forum nutzt, um die Unzu­frie­den­heit über Lösch­wahn, Vogo­nen­tum und Arti­kel­ster­ben nutzt. Wer sich auch betei­li­gen will, kann hier spen­den (Ach­tung: nicht nur einen Betrag rein­schrei­ben, son­dern auch ankreu­zen, dass es nicht 20, 50 oder 100 Euro sein sollen). 

* Wiki­me­dia Deutsch­land e.V. sam­melt die Spen­den ein. Was einer­seits schön ist, weil damit eine steu­er­li­che Absetz­bar­keit – gemein­nüt­zi­ger Ver­ein – gesi­chert ist. Ande­rer­seits kann Wiki­me­dia Deutsch­land e.V. mit den Spen­den gar nicht so rich­tig was sinn­vol­les anfan­gen (vgl. Tätig­keits­be­richt, S. 22/23 (pdf)).

Ein Versuch über Wikipedia


Die trei­ben­de Kraft hin­ter der Wiki­pe­dia: „someone is wrong on the inter­net“ (xkcd, Lizenz)

Be bold! Mach’s ein­fach, wenn du etwas ändern willst. Was mich von Anbe­ginn an an der Wiki­pe­dia fas­zi­niert hat, war die­ser grund­sätz­li­che Impe­ra­tiv. Den meis­ten ist wahr­schein­lich der „Neu­tral Point of View“ wich­ti­ger, oder das kol­la­bo­ra­ti­ve Prin­zip, oder die enzy­klo­pä­di­sche Qua­li­tät. Aber was mich lan­ge Jah­re dazu gebracht hat, vie­le Aben­de und Stun­den in das Schrei­ben von Ein­trä­gen, in Edit­wars, aber mehr noch in lan­ge Debat­ten um die sprich­wört­li­che Kom­ma­set­zung zu inves­tie­ren, war wohl die­ser Imperativ. 

Der hat natür­lich zunächst etwas sehr ame­ri­ka­ni­sches: Wenn du was ändern willst an der Welt, dann tue es ein­fach, nimm’s selbst in die Hand! Oder auch was von Pip­pi Lang­strumpf: Wir machen uns die Welt, wie sie uns gefällt. Fas­zi­na­ti­on strahl­te das „Be bold!“ aber vor allem des­we­gen auf mich aus, weil sich ein rie­si­ges Pro­jekt mit vie­len tau­send Mit­strei­te­rIn­nen schein­bar allein an die­sem – darf ich das Adjek­tiv ver­wen­den – anar­chis­ti­schen Grund­satz kris­tal­li­sie­ren konn­te. Natür­lich ist das ver­kürzt, natür­lich gab es auch von Anfang an ande­re Regeln (den wis­sens­phi­lo­so­phisch frag­wür­di­gen neu­tra­len Stand­punkt, bei­spiels­wei­se), und natür­lich gab es das Gott­kö­nig­tum von Jim­bo Wales als Letzt­in­stanz. Trotz­dem: der Geist, den ich mit der Wiki­pe­dia ver­bin­de – seit 2002 war ich an der eng­lisch­spra­chi­gen Wiki­pe­dia betei­ligt – lässt sich am ehes­ten in die­sem „Be bold!“ zusam­men­fas­sen – immer zusam­men­ge­dacht mit einer von mir als angel­säch­sisch emp­fun­de­nen, stark deli­be­ra­tiv-dis­kur­si­ven Atmo­sphä­re des Pro­blem­lö­sens durch Kom­mu­ni­ka­ti­on auf Augen­hö­he. Im schlimms­ten Fall dann ein „agree to disagree“.
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