Windkraft und tote Fledermäuse (Update: BZ)

Baden-Würt­tem­berg ist in Bezug auf Wind­ener­gie sehr weit hin­ten­dran. So wur­den rund um Frei­burg gera­de ein­mal zwei Stand­or­te für Wind­kraft­an­la­gen geneh­migt – drei Räder am Schau­ins­land und vier auf dem Roß­kopf. Letz­te­re gerie­ten vor eini­gen Jah­ren hef­tig in die Debat­te, weil dort rela­tiv vie­le tote Fle­der­mäu­se gefun­den wur­den – die dann von Wind­kraft­geg­ne­rIn­nen schnell als Motiv für einen Gene­ral­ver­dacht ver­wen­det wur­den (wei­te­re: „Lärm“, „Land­schafts­ver­schan­de­lung“ und „Vogel­tod“). Ent­spre­chend genervt klingt die dama­li­ge Pres­se­mit­tei­lung des BUND; in der Pres­se ging es bis hin zum Ver­dacht, dass da jemand absicht­lich tote Fle­der­mäu­se unter die Roß­kopf-Roto­ren legt, um der Wind­kraft zu schaden. 

Wind power
Die vier Wind­rä­der auf dem Roßkopf

Jetzt gibt es eine Stu­die in einem bio­lo­gi­schen Fach­ma­ga­zin (SpOn berich­tet), der zufol­ge es weni­ger Zusam­men­stö­ße zwi­schen Rotor und Fle­der­maus sind, die die­se umbrin­gen, son­dern viel­mehr inne­re Ver­let­zun­gen auf­grund des sich am dre­hen­den Wind­rad schnell ver­än­dern­den Luft­drucks. Das klingt ziem­lich plau­si­bel – und ist inso­fern auch eine gute Nach­richt für Freun­de rege­ne­ra­ti­ver Ener­gien, als damit eine Ursa­chen­be­kämp­fung mög­lich ist. 

Statt also Wind­rä­der pau­schal zu ver­ur­tei­len, las­sen sich mit Unter­su­chun­gen wie die­ser sach­ge­rech­te Kri­te­ri­en für Stand­or­te und Ein­satz­fak­to­ren ent­wi­ckeln. Dazu muss dann aller­dings auch die – in Baden-Würt­tem­berg lei­der bis­her nicht gege­be­ne – prin­zi­pi­el­le Bereit­schaft da sein, Wind­ener­gie auch tat­säch­lich ein­zu­set­zen und zu fördern. 

War­um blog­ge ich das? Weil ich es scha­de fin­de, dass ratio­na­le Argu­men­te schnell miss­braucht wer­den. Der oben ver­link­te Spie­gel-Arti­kel, in dem aus der Ursa­chen­er­klä­rung, war­um Wind­kraft­an­la­gen für Fle­der­mäu­se gefähr­lich sein kön­nen, gleich glo­ba­le Öko­sys­tem-Bedro­hun­gen her­bei­zi­tiert wer­den, ist dafür eben­so ein Bei­spiel wie das Auf­tre­ten man­cher Lob­by­is­tIn­nen für erneu­er­ba­re Ener­gien, die hin­ter jedem Gegen­ar­gu­ment gleich eine Indus­trie­ver­schwö­rung sehen. Nach­hal­tig und kon­struk­tiv ist bei­des nicht.

Update: (27.8.2008) Der Voll­stän­dig­keit hier noch der Link auf den gest­ri­gen BZ-Arti­kel, net­ter­wei­se im Voll­text auch für Nicht-Abon­nen­tIn­nen abrufbar.

Von Luxusgrün zu Notwendigkeitsgrün?

Die taz berich­tet heu­te über den schrump­fen­den Umsatz der Bio­lä­den; dabei geht es vor allem um die schon etwas älte­re Kon­ven­tio­na­li­sie­rungs­de­bat­te, also Bio­pro­duk­te im Super­markt. Inter­es­san­ter fin­de ich einen zwei­ten Aspek­ten: näm­lich den Zusam­men­hang der letz­ten „Öko-Wel­len“ mit dem wirt­schaft­li­chen Auf­schwung. Ich habe das ja die letz­ten Jah­re etwas genau­er ver­folgt, und „cool green“ eben­so wie Din­ge wie das plötz­li­che Inter­es­se Pro­mi­nen­ter für den „Life­style of Health and Sus­taina­bi­li­ty“ (LOHAS) koin­zi­die­ren durch­aus mit „kei­ne ande­re Sor­gen“. Umge­kehrt wur­de das Umwelt­the­ma Anfang der 1990er Jah­re von Platz 1 der bun­des­deut­schen Sor­gen­hit­lis­te ver­drängt. Plötz­lich ging es um sozia­le Sicher­heit, Arbeits­lo­sig­keit und der­glei­chen mehr.

Visiting "Demeterhof Hiss" – XIX
Hof­la­den – Luxusgrün?

Mit dem von eini­gen jetzt wahr­ge­nom­me­nen Rüber­schwap­pen der Rezes­si­on von den USA hier­her scheint es eine ähn­li­che Ent­wick­lung zu geben. Jeden­falls kom­men­tiert die Times „Sud­den­ly being green is not cool any­mo­re“. Kurz gesagt: das nöti­ge Geld, um sich einen grü­nen Lebens­stil leis­ten zu kön­nen und die­sen als hip zu pro­pa­gie­ren, ist (in Groß­bri­tan­ni­en) nicht mehr da, die Hype­wel­le um Luxus­grün scheint sich dem Ende zuzu­nei­gen. Die Times-Kom­men­ta­to­rin Ali­ce Thom­son sieht dar­in aber auch etwas gutes:

But para­do­xi­cal­ly, just as Bri­tain is tur­ning its back on the envi­ron­ment, the coun­try is final­ly beco­ming gree­ner. Fewer peo­p­le are moving house so they are buy­ing fewer new white goods such as washing machi­nes and fri­d­ges. They may not be queu­e­ing up for £9 orga­nic Poilâ­ne bread, but for the first time in a deca­de they are dis­car­ding less food. They buy less impul­si­ve­ly and think more careful­ly befo­re their weekly shop. Child­ren are wea­ring hand-me-down uni­forms rather than new ones made in sweatshops. 

Mich erin­nert das an die Beob­ach­tung u.a. von Sil­ke Klein­hü­ckel­kot­ten (wenn ich mich jetzt an den rich­ti­gen Text erin­ne­re), dass die in der tat­säch­li­chen Wir­kung „grüns­ten“ Milieus nicht die Post­ma­te­ria­lis­ten sind, son­dern eher rela­tiv arme, mit Spar­sam­keits­wer­ten auf­ge­wach­se­ne tra­di­tio­nel­le Milieus. Das könn­te als Gegen­pol zum Luxus­grün auch als „Not­wen­dig­keits­grün“ bezeich­net wer­den (oder auch als „unfrei­wil­li­ge Umweltschützer“).

Aller­dings hat Armut (über deren Uner­wünscht­heit geht es hier gar nicht) nicht nur öko­lo­gisch posi­ti­ve Effek­te. Neben den von Thom­son beschrie­be­nen ste­hen die feh­len­den Mög­lich­kei­ten, mit­tel­fris­tig in öko-spar­sa­me Pro­duk­te zu inves­tie­ren. Thom­son spricht von wei­ter­ge­nutz­ten Wasch­ma­schi­nen und Kühl­schrän­ken – genau die sind aber eben­so wie schlecht­ge­dämm­te Woh­nun­gen mög­li­cher­wei­se ein gro­ßes öko­lo­gi­sches Pro­blem. Und wer gezwun­gen ist, die bil­ligs­ten Nah­rungs­mit­tel zu wäh­len, schmeißt die­se zwar viel­leicht nicht weg, trägt aber trotz­dem unge­wollt zur Ver­stär­kung indus­tri­el­ler Agrar­wirt­schaf­ten und zu lan­gen Trans­port­kreis­läu­fen bei. Not­wen­dig­keits­grün muss also nicht unbe­dingt funk­tio­nie­ren. Das kann an feh­len­den idel­len Wer­ten lie­gen (Spar­sam­keit und auch das von Thom­son eben­falls ange­führ­te Bei­spiel, selbst Gemü­se anzu­bau­en, funk­tio­nie­ren nur mit ent­spre­chen­dem Wis­sen), die feh­len­den mate­ri­el­len Wer­te kön­nen zu öko­lo­gi­schen Fehl­al­lo­ka­tio­nen füh­ren, und feh­len­de Rah­men­be­din­gun­gen (Dis­coun­ter nimmt Bio wie­der aus dem Ange­bot, um nur ein Bei­spiel zu wäh­len) zei­gen die Abhän­gig­keits­struk­tu­ren deut­lich auf, unter denen Not­wen­dig­keits­grün steht. 

Damit wird auch poli­ti­scher Hand­lungs­be­darf in allen drei Berei­chen sicht­bar: in der Popu­la­ri­sie­rung der Wis­sens- und Wert­grund­la­gen eines trag­fä­hi­gen „Suf­fi­zi­enz­le­bens­stil“ (der ja – eben­so wie Sub­sis­tenz – durch­aus mit Spar­sam­keit und nicht Aske­se ver­markt­bar ist), in der Unter­stüt­zung öko­lo­gi­scher Inves­ti­to­nen bei feh­len­den Ein­kom­men (der Öko-Bonus geht in die­se Rich­tung, aber auch mobi­le Ener­gie­spar-Bera­tun­gen sozia­ler Ein­rich­tun­gen, die es neu­er­dings gibt), aber auch in der ord­nungs­po­li­ti­schen Steue­rung der Rah­men­be­din­gun­gen (d.h. letzt­lich auch: Inter­na­li­sie­rung exter­ner Kon­se­quen­zen in Preis­struk­tu­ren, auch wenn das erst mal unso­zi­al aussieht).

Soweit ein paar ers­te rohe Über­le­gun­gen zur Fra­ge, ob das Ende der LOHAS-Wel­le erreicht ist, und was danach kom­men könnte.

War­um blog­ge ich das? Mich inter­es­siert der schein­bar kon­junk­tur­ab­hän­gi­ge Zusam­men­hang von Umwelt und Milieu, aber auch die poli­ti­sche Fra­ge, wie unter wirt­schaft­lich schwie­ri­ger wer­den­den Bedin­gun­gen Nach­hal­tig­keit gestal­tet wer­den kann.

Die unerklärliche Anziehungskraft der Coffee-to-go-Becher

Nach­dem ich rela­tiv oft die Cafe­te­ri­en des Stu­den­ten­werks fre­quen­tie­re, ist mir auf­ge­fal­len, dass dort seit eini­ger Zeit nicht nur Kaf­fee­ma­schi­nen ein­ge­setzt wer­den, die ganz pas­sa­bel dar­in sind, die soge­nann­ten „Kaf­fee­spe­zia­li­tä­ten“ her­zu­stel­len, son­dern dass es dort seit eini­gen Mona­ten auch „Cof­fee-to-go-Becher“ gibt. Damit mei­ne ich die­se beschich­te­ten Papier­be­cher, die von Bäcke­rei­en, der Bahn oder Bis­tros aus­ge­ge­ben wer­den, wenn jemand sei­nen Kaf­fee mit­neh­men möch­te. Die­se Becher nun wie­der­um sind von einem Geheim­nis umge­ben: einer uner­klär­li­chen Anziehungskraft.

Early cafeteria breakfast

Betrach­ten wir das „EC“, da hier das Phä­no­men am deut­lichs­ten sicht­bar wird. Inzwi­schen ste­hen dort drei (oder sogar vier?) Selbst­be­die­nungs­kaf­fee­ma­schi­nen, aus denen Kaf­fee, Cap­puc­ci­no, Milch­kaf­fee, Lat­te Mac­chia­to etc. abge­ru­fen wer­den kann. Die Auto­ma­ten ste­hen im kas­sen­na­hen Bereich der Selbst­be­die­nungs­the­ke. Die räum­li­che Anord­nung ist hier chro­no­lo­gisch medi­iert (soll hei­ßen: nor­ma­ler­wei­se bewe­gen sich die Leu­te von links nach rechts an der The­ke vor­bei). Rechts von den Auto­ma­ten sind noch ein paar Süßig­kei­ten und die Tas­se, links ist das unter­schied­li­che Geschirr dafür zu fin­den. Es gibt dort: Scha­len für Milch­kaf­fee, Becher für Kaf­fee, Cap­puc­ci­no etc., Lat­te-Glä­ser und Espres­so-Tas­sen. Und die bereits erwähn­ten To-go-Becher. 

Was ich nun selt­sam fin­de, ist die Tat­sa­che, dass ich immer wie­der Men­schen beob­ach­te, die ganz selbst­ver­ständ­lich einen der roten Papier­be­cher mit einem Kaf­fee­ge­tränk befül­len, sich damit dann aber nicht auf den Weg machen, son­dern sich in der Cafe­te­ria nie­der­las­sen – auf der Ter­ras­se, oder sogar im Innen­be­reich. Die­ses Ver­hal­ten ist mir in zwei­er­lei Hin­sicht uner­gründ­lich. Zum einen fin­de ich es ästhe­tisch und geschmack­vol­ler, wenn schon Auto­ma­ten­kaf­fee, die­sen dann wenigs­tens in einer rich­ti­gen (in dem Fall so eine Art Pseu­do­por­zel­lan mit gla­si­ger Ober­flä­che) Tas­se bzw. in einem rich­ti­gen Becher zu trin­ken. Und zum ande­ren ist es natür­lich doch ein biß­chen ver­schwen­de­risch, einen Mit­nah­me­be­cher mit­zu­neh­men, wenn es gar kei­nen Ort gibt, an den gegan­gen wird.

Spon­tan fal­len mir für die­se Pra­xis drei Hypo­the­sen ein:

1. Die To-go-Becher ste­hen direkt neben den Kaf­fee­ma­schi­nen; zusam­men mit der aus ande­ren Situa­tio­nen (Bäcke­rei usw.) bekann­ten ein­ge­spiel­ten Erwar­tung, schnell mit­zu­neh­men­den Kaf­fee in einem Papier­be­cher ser­viert zu bekom­men, sind sie damit ers­te Wahl; es wird gar nicht erst wei­ter nach ande­ren Behält­nis­sen gesucht. Hier könn­te eine Umsor­tie­rung der Becher­sta­pel hel­fen (oder der belieb­te Agent „Hin­weis­schild“).

2. Die To-go-Becher wer­den von den­je­ni­gen bevor­zugt, die sich nicht sicher sind, ob sie ihren Kaf­fee tat­säch­lich in der Cafe­te­ria trin­ken wol­len, oder nicht doch viel­leicht in die Ver­le­gen­heit kom­men, ihn mit­neh­men zu müs­sen. Mit dem Papier­be­cher gibt es dann kei­ne Not­wen­dig­keit, den Kaf­fee in Eile aus­zu­trin­ken, und sich der Gefahr von Ver­brü­hun­gen aus­zu­set­zen. (Ver­wandt hier­mit: der Weg zur Geschirr­rück­ga­be soll ver­mie­den wer­den, um wert­vol­le Minu­ten in der knap­pen Pau­sen­zeit zwi­schen zwei Ver­an­stal­tun­gen zu spa­ren). Die­se Hypo­the­se wäre inso­fern über­prüf­bar, als dann die­je­ni­gen auch auf Tabletts, Tel­ler und Besteck ver­zich­ten müss­ten: also Kaf­fee pur und Gebäck auf der Hand.

3. Am gra­vie­rends­ten der drit­te mög­li­che Grund: sich vor­zu­stel­len, dass es Leu­te gibt, in deren per­sön­li­cher All­tags­äs­the­tik Papier­be­cher ange­mes­se­ner erschei­nen – als Hom­mage an eine Weg­werf­kul­tur, zur Repe­ti­ti­on des Gefühls, sich bei Star­bucks zu befin­den, oder aus ima­gi­nier­ten hygie­ni­schen Gründen. 

Soweit die Hypo­the­sen zur ohne wei­te­re Prü­fung wei­ter­hin uner­klär­li­chen Anzie­hungs­kraft der Coffee-to-go-Becher. 

Han­delt es sich dabei um ein auf Frei­burgs Stu­die­ren­de beschränk­tes Phä­no­men? Oder gibt es wei­te­re Fall­bei­spie­le, wo die Ein­füh­rung von Papier­be­chern die Nut­zung von mehr­fach ver­wend­ba­rem Geschirr sinn­los redu­ziert hat?

War­um blog­ge ich das? Weil ich mich schon mehr­fach drü­ber geär­gert bzw. gewun­dert habe, und das jetzt mal los­wer­den wollte.

Lesenswert: Klimawandel und Alltagshandeln

Titel Klimawandel und AlltagshandelnDie hes­si­sche Lan­des­stif­tung der Hein­rich-Böll-Stif­tung, der BUND und das Insti­tut für sozi­al-öko­lo­gi­sche For­schung (ISOE) haben mit dem jetzt erschie­ne­nen Band Kli­ma­wan­del und All­tags­han­deln nicht nur die Doku­men­ta­ti­on einer im Herbst 2006 statt­ge­fun­de­nen Tagung her­aus­ge­ge­ben, son­dern bie­ten – an der Gren­ze zwi­schen Wis­sen­schaft und Poli­tik – einen guten Über­blick über den aktu­el­len Stand zur Fra­ge, was im All­tag kli­ma­po­li­tisch und kli­ma­schüt­ze­risch getan wer­den kann.

Der Band glie­dert sich, grob gesagt, in drei The­men­ge­bie­te. Im ers­ten, „Kli­ma­wan­del, Kli­ma­po­li­tik, Kli­ma­schutz“, gibt Uwe Frit­sche vom Öko-Insti­tut einen kon­zi­sen Über­blick über den Wis­sens­stand zum Kli­ma­wan­del und reißt Hand­lungs­fel­der an. Klaus Wort­mann dis­ku­tiert das The­ma Ener­gie­spa­ren im Haus­halt his­to­risch, d.h. er arbei­tet sozu­sa­gen Geschich­te der „Ener­gie­spar­be­we­gung“ seit den 1970er Jah­ren mit ihren Höhen und Tie­fen, poli­ti­schen Zuwen­dun­gen und all­täg­li­chen Rück­zü­gen auf. Anja Wir­sing schließ­lich stellt eine Foto­ak­ti­on vor, mit der Frau­en zum inter­na­tio­na­len Frau­en­tag Kli­ma­bot­schaf­ten posi­tio­nie­ren (das Buch ist damit illustriert).

Im zwei­ten Abschnitt geht es dann um die Rah­men­be­din­gun­gen. Wer­ner Neu­mann dis­ku­tiert wirt­schaft­li­che und struk­tu­rel­le Pro­ble­me des Poli­tik­fel­des Ener­gie­ef­fi­zi­enz. Aus der Sicht des Ver­brau­cher­schut­zes betrach­tet Hol­ger Kra­win­kel Glüh­bir­nen­ver­bo­te und ähn­li­che Aktio­nen und plä­diert für ein Minis­te­ri­um mit gebün­del­ter Ener­gie­spar­kom­pe­tenz. Hans Acker­mann zeigt, wo tat­säch­lich Ein­spar­po­ten­zia­le lie­gen und Hans-Peter Frank dis­ku­tiert das Strom­spar­för­der­pro­gramm der Stadt­wer­ke Marburg.

Für mich am span­nends­ten der drit­te Teil des Buchs: „Die all­täg­li­che Pra­xis: Im All­tag kli­ma­scho­nend han­deln“. Imma­nu­el Stieß vom ISOE geht aus­führ­lich auf eine all­tags­öko­lo­gi­sche Per­spek­ti­ve in der Kli­ma­dis­kus­si­on ein. Dabei geht es nicht nur um die ener­ge­ti­schen Effek­te ver­schie­de­ner Bedürf­nis­fel­der und die all­täg­li­chen Hand­lungs­mög­lich­kei­ten; die­se all­tags­öko­lo­gi­sche Per­spek­ti­ve wird in den Rah­men des gro­ßen Wand­lungs­pro­zes­ses der Tech­ni­sie­rung und Ver­wis­sen­schaft­li­chung all­täg­li­chen Han­delns gestellt. Ein­dring­lich macht Stieß klar, war­um Kon­su­men­tIn­nen und Haus­hal­te Schlüs­sel­ak­teu­re für den Kli­ma­schutz sind – und wie ein prak­ti­ka­bler Weg zu einem post­fos­si­len All­tag aus­se­hen kann. Er nennt hier ins­be­son­de­re vier Punkte: 

  • Ener­gie­ef­fi­zi­en­te Ange­bo­te und Pro­duk­te müs­sen in die all­täg­li­che Lebens­füh­rung inte­grier­bar sein, sie müs­sen „all­tags­kom­pa­ti­bel, breit ver­füg­bar und leicht zu hand­ha­ben sein“ und sich in All­tags­rou­ti­nen inte­grie­ren lassen. 
  • Infor­ma­ti­on zum Kli­ma­schutz muss eine ein­fa­che Ori­en­tie­rung erlau­ben, als Posi­tiv­bei­spiel nennt Stieß die EU-Ener­gie­ver­brauchsla­ben von A++ bis G. 
  • Die unter­schied­li­che Lebens­wirk­lich­keit unter­schied­li­cher Bevöl­ke­rungs­grup­pen muss berück­sich­tigt werden. 
  • Die unter­schied­li­chen Hand­lungs­mög­lich­kei­ten und ‑res­sour­cen unter­schied­li­cher Grup­pen müs­sen berück­sich­tigt sein, bspw. sind die Anfangs­in­ves­ti­tio­nen in spar­sa­me Gerä­te schwie­rig – es kann sich nicht jeder leis­ten, spar­sam zu sein. 

Als wei­te­re Posi­tiv­fak­to­ren nennt Stieß all­tags­na­he und gut ver­ständ­li­che Öko-Rat­ge­ber, die Eco­T­op­Ten-Initia­ti­ve des Öko-Insti­tuts und neue Kom­mu­ni­ka­ti­ons­for­men wie Stromwechsel-Partys.

Red light

Elke Dünn­hoff vom Hei­del­ber­ger ifeu geht im Detail auf Grün­de ein, die das Ener­gie­spa­ren erschwe­ren. Dazu gehört die zuneh­men­de tech­ni­sche Aus­stat­tung der Haus­hal­te (von Kaf­fee­ma­schi­nen über Mobil­te­le­fo­ne bis zur Wasch­ma­schi­ne und zur Glüh­bir­ne), dabei zuneh­mend „intel­li­gen­te“ Gerä­te mit Stand­by-Modus. Hand­lungs­an­sät­ze in pri­va­ten Haus­hal­ten glie­dert sie nach den drei Maß­nah­men­ar­ten „Nut­zungs­ver­hal­ten“, „Klein­in­ves­ti­tio­nen“ und „Kauf­ent­schei­dun­gen“. Wich­tig an ihrem Bei­trag fin­de ich, dass sie aus­führ­lich auf Hemm­nis­se zum Strom­spa­ren ein­geht, u.a. dass der Strom­ver­brauch der Gerä­te nicht sicht­bar ist.

Zum Teil All­tags­öko­lo­gie gehö­ren wei­ter­hin ein Bericht von Hans Acker­mann aus dem All­tag eines Ener­gie­spar­haus­halts und ein Über­blick von Ramo­na Sief­ke über Erfah­run­gen aus der Ener­gie­be­ra­tung der Verbraucherzentralen. 

Ein wich­ti­ges The­ma spre­chen zwei wei­te­re Bei­trä­ge an – ein­mal wis­sen­schafts­nah (Stieß und Dünn­hoff) und ein­mal prak­tisch (Bet­ti­na Sicken­ber­ger) geht es um das Zusam­men­brin­gen von Energiesparpolitik/Energiekostenanstieg und sozia­len Kon­se­quen­zen, Sozi­al­po­li­tik. Stieß und Dünn­hoff berich­ten über eine mit der Hans-Böck­ler-Stif­tung durch­ge­führ­te Stu­die zu den Aus­wir­kun­gen stei­gen­der Ener­gie­kos­ten auf Haus­hal­te, die ALG II bzw. Sozi­al­hil­fe bezie­hen. Sicken­ber­ger stellt den „Ein­spar­ser­vice“ der Cari­tas Frank­furt am Main vor, bei der „Arbeits­lo­se“ zur Vor-Ort-Ener­gie­be­ra­tung ein­ge­setzt werden.

Doris Hayn (ISOE) schließ­lich macht in ihrem Bei­trag zum Ernäh­rungs­han­deln deut­lich, dass Kli­ma­ef­fek­te all­täg­li­chen Han­delns nicht nur dort statt­fin­den, wo direkt Strom durch irgend­wel­che Gerä­te fließt. Zugleich geht es dar­um, wie schwie­rig es ist, die ver­steck­ten Kli­ma­ef­fek­te zu ver­rin­gern und all­täg­li­che Prak­ti­ken zu ver­än­dern. Die Dar­stel­lung der Kom­ple­xi­tät des All­tags erscheint mir sehr hilf­reich und macht sehr klar, war­um ein­fa­che Rezep­te nicht unbe­dingt funk­tio­nie­ren. Auch Hayn betont, dass kli­ma­po­li­ti­sche Hand­lungs­emp­feh­lun­gen all­tags­kom­pa­ti­bel sein müs­sen, und es nicht zu stän­di­gen Abwä­gungs­pro­zes­sen kom­men kann. Zugleich hält sie fest, dass das Hand­lungs­feld Ernäh­rung deut­lich zeigt, dass Kli­ma­schutz letzt­lich „(ein­schnei­den­de) Ver­än­de­run­gen von Ver­brauchs- und Kon­sum­ge­wohn­hei­ten, von Lebens­wei­sen und Lebens­sti­len“ not­wen­dig machen wird. Da braucht es zwar auch Umwelt­rat­ge­ber, die all­tags­kom­pa­ti­ble Tipps geben, aber noch viel mehr Unter­stüt­zung der pri­va­ten Akteu­re durch poli­ti­sche Rah­men und wirt­schaft­li­che Angebote.

Das Buch wird ergänzt durch eine Kurz­vor­stel­lung der betei­lig­ten Ein­rich­tun­gen und einen Über­blick über Web­sites und Umwelt­rat­ge­ber für Klimaschutz.

Wie auch schon in der Gewich­tung in die­ser Kri­tik deut­lich gewor­den ist, sind eini­ge Tei­le des Buches für mich sehr viel inter­es­san­ter als ande­re. Neben dem Über­blick über den Stand der wis­sen­schaft­lich-poli­ti­schen Kli­ma­de­bat­te sind dies vor allem die expli­zit all­tags­öko­lo­gi­schen Bei­trä­ge. Bei ande­ren schim­mert dann doch zu sehr der Vor­trags­stil einer Tagung durch; statt wei­ter­ge­hen­den Infor­ma­tio­nen fin­det sich dann das tex­tu­el­le Äqui­va­lent einer Power­Point-Prä­sen­ta­ti­on. Das und der rela­tiv hohe Preis sind sicher­lich Punk­te, die gegen Kli­ma­wan­del und All­tags­han­deln spre­chen. Für alle, die poli­tisch oder wis­sen­schaft­lich mit dem The­ma zu tun haben, ist die Anschaf­fung jedoch sinn­voll, inso­fern hier ent­schei­den­de Eck­pfei­ler für eine all­tags­ori­en­tier­te Her­an­ge­hens­wei­se an Kli­ma­po­li­tik gesetzt werden. 

* * *

Hayn, Doris / Zwen­gel, Ralf (Hrsg.) (2008): Kli­ma­wan­del und All­tags­han­deln. Essen: Klar­text. 186 Sei­ten, 14,95 Euro. Ver­lags­in­for­ma­ti­on. Bei Ama­zon bestel­len.

Lesenswert: Wovon Menschen leben

Cover »Wovon Menschen leben«Die Mün­che­ner anstif­tung ist eine der klei­ne­ren, wenig bekann­ten Stif­tun­gen – umso inter­es­san­ter erscheint mir das, was dort gear­bei­tet wird. Ein in jeder Hin­sicht hand­fes­tes Ergeb­nis der Arbeit der anstif­tung ist das Buch „Wovon Men­schen leben. Arbeit, Enga­ge­ment und Muße jen­seits des Mark­tes“ der Sozio­lo­gin­nen Andrea Bai­er, Chris­ta Mül­ler und Karin Wer­ner (mit Foto­gra­fien von Cor­ne­lia Suhan). 

Ich bin auf die­ses Buch gesto­ßen, weil mich das The­ma Nach­hal­tig­keit und Lebens­sti­le auf­grund mei­nes Pro­mo­ti­ons­vor­ha­bens beschäf­tigt. Aber anders als vie­le ande­re Bücher zu die­sem The­men­feld geht es bei „Wovon Men­schen leben“ nun zwar auch um die wis­sen­schaft­li­che Aus­ein­an­der­set­zung: um einen neu­en Begriff von Arbeit, der in der Tra­di­ti­on von Ben­n­holdt-Thom­sen die Bedeu­tung von Sub­sis­tenz, also Pro­duk­ti­on, die sich am eige­nen Leben und nicht am Markt ori­en­tiert, in den Vor­der­grund stellt; um die Fra­ge, wie Sub­sis­tenz und das Leben in einer funk­tio­nal dif­fe­ren­zier­ten Gesell­schaft zusam­men­passt (oder ob es nicht eben gera­de die infor­mel­len Zwi­schen­stü­cke sind, die das Funk­tio­nie­ren einer sol­chen Gesell­schaft erst ermög­li­chen); um den Zusam­men­hang zwi­schen Sub­sis­tenz, Indi­vi­du­um und Gemein­schaft; und nicht zuletzt um die Fra­ge, ob Sub­sis­tenz (im Sin­ne der Kon­sum­ver­zicht posi­tiv wer­ten­den Suf­fi­zi­enz­stra­te­gie) zu mehr Nach­hal­tig­keit im All­tag füh­ren kann. 

Das ist jedoch nur die eine Sei­te des Buches. Die ande­re besteht aus 28 Por­träts ein­zel­ner Men­schen und Paa­re, zu deren All­tag „Arbeit, Enga­ge­ment und Muße jen­seits des Mark­tes“ gehört. Die­se Por­träts sind die Grund­la­ge inten­si­ver Inter­view- und Beob­ach­tungs­tä­tig­keit der For­sche­rin­nen, wer­den hier aber nicht nüch­tern prä­sen­tiert, son­dern die Autorin­nen neh­men bewusst Stel­lung, gehen auf die Posi­ti­on der Befrag­ten ein und stel­len die­se mit­füh­lend und „unver­hoh­len sym­pa­thi­sie­rend“ dar. Beglei­tet wer­den die­se Por­träts von schö­nen Foto­gra­fien und einer DVD, auf der Video­ma­te­ri­al aus den Inter­views ent­hal­ten ist. Geord­net haben die Autorin­nen die Por­träts nach vier Kate­go­rien: „Für ande­re sor­gen“, „Nah­raum gestal­ten“, „Natur erle­ben – Natur bewah­ren“, „Sel­ber machen“ – damit sind auch die The­men ange­spro­chen, die das Buch als rote Fäden durchziehen. 

Ein biß­chen – aber mit ande­ren Gewich­tun­gen, und einer ande­ren Aus­sa­ge – erin­nert das Buch an Ulrich Becks „Eige­nes Leben“, das eben­falls auf die Kom­bi­na­ti­on aus Ana­ly­se, Por­trät und Foto­gra­fie auf­baut. Aller­dings ist Becks Blick auf die Welt ein ande­rer. Viel­leicht macht fol­gen­des Zitat die Grund­hal­tung der Autorin­nen am bes­ten deutlich:

Wir woll­ten nicht nach den Defi­zi­ten der Men­schen Aus­schau hal­ten – z.B. ihrer man­geln­den Bereit­schaft in Sachen umwelt­be­wuss­tes Han­deln -, wir woll­ten viel­mehr wis­sen, wel­che posi­ti­ven Ansät­ze es für Nach­hal­tig­keit, sprich die Erhal­tung der natür­li­chen und sozia­len Res­sour­cen, im ganz nor­ma­len All­tag ganz nor­ma­ler Leu­te gibt. (S. 18)

Auch das Buch selbst ist – viel­leicht sogar ein biß­chen unüb­lich für das The­ma beim oekom-Ver­lag – als schön gestal­te­tes Hard­co­ver erschie­nen; das passt zur Grund­hal­tung, die die theo­re­ti­schen Über­le­gun­gen und die Por­träts durch­zieht: die Vor­stel­lung, dass auch im hier und jetzt ein „gutes Leben“ im bes­ten Sin­ne mög­lich ist.

* * *

Andrea Bai­er, Chris­ta Mül­ler, Karin Wer­ner (2007): Wovon Men­schen leben. Arbeit, Enga­ge­ment und Muße jen­seits des Mark­tes. Mün­chen: oekom. 301 Sei­ten plus DVD, Hard­co­ver. 24,90 Euro. Bei Ama­zon kau­fen.

Mit der neu­en Rubrik „Lesens­wert“ möch­te ich kur­ze Hin­wei­se auf inter­es­san­te Bücher geben.