Zeit des Virus, Update VIII

Blackforest landscape II

Im Okto­ber hat­te ich zuletzt über den All­tag in der Coro­na-Pan­de­mie geschrie­ben. Seit­dem ist viel pas­siert, und gleich­zei­tig fühlt es sich ein biss­chen so an, als sei­en wir wie­der genau an der glei­chen Stelle.

Viel pas­siert ist, weil im Novem­ber und Dezem­ber die Infek­ti­ons­zah­len steil nach oben gegan­gen sind. Der „Wel­len­bre­cher­lock­down“ ver­fehl­te sein Ziel, ziem­lich zer­knirsch­te Ministerpräsident:innen beschlos­sen dann nach und nach doch här­te­re Maß­nah­men, um schließ­lich im Dezem­ber die Weih­nachts­fe­ri­en vor­zu­zie­hen und den Prä­senz­un­ter­richt aus­zu­set­zen. Die Weih­nachts­pau­se – so jeden­falls mei­ne Inter­pre­ta­ti­on – half dann, die zwei­te Wel­le tat­säch­lich zu bre­chen. Im Janu­ar gin­gen die Zah­len nach unten. Ende Febru­ar waren sie fast wie­der auf dem Punkt vor der zwei­ten Wel­le. Wei­ter­hin gal­ten in Baden-Würt­tem­berg Aus­gangs­be­schrän­kun­gen. Trotz der Ankün­di­gung der CDU-Kul­tus­mi­nis­te­rin, dass sie unab­hän­gig von Inzi­den­zen die Schu­len öff­nen möch­te, blie­ben die­se zu. Dazu bei­getra­gen hat­ten auch die ers­ten Nach­wei­se für die gefähr­li­che­ren und anste­cken­de­ren Virus­mu­ta­tio­nen – inzwi­schen machen sie den Groß­teil der nach­ge­wie­se­nen Infek­tio­nen aus. Seit Ende Dezem­ber begann die Impf­kam­pa­gne, und auch wenn alle nei­disch nach Isra­el oder in die USA blick­ten, die prag­ma­ti­scher und schnel­ler impf­ten (und sich mehr Impf­stoff gesi­chert hat­ten als die EU), sah es ins­ge­samt doch so aus, als sei da Licht am Ende des Tun­nels, um ein belieb­tes Motiv aus den Son­der­sit­zungs­re­den zu zitie­ren. Schnell­tests für den Eigen­ge­brauch wur­den zuge­las­sen, Schnell­test­stra­te­gien aus­ge­rollt. Ent­spre­chend laut ertön­ten dann die Rufe nach Locke­run­gen durch den Ein­zel­han­del, die Gas­tro­no­mie, die Kul­tur­bran­che, durch eini­ge Eltern – und als Sprach­rohr: durch die Medi­en. Eine Mehr­heit in Mei­nungs­um­fra­gen gab es für Locke­run­gen nie, trotz­dem setz­te sich, auch mit Blick auf die Wah­len in Baden-Würt­tem­berg und Rhein­land-Pfalz die Hal­tung durch, dass jetzt die Zeit für Öff­nun­gen sei.

Des­we­gen ste­hen wir jetzt wie­der da, wo wir im Okto­ber stan­den. Die Zah­len gehen rapi­de nach oben. Die drit­te Wel­le hat längst begon­nen. Bis­her konn­ten sich die Ministerpräsident:innen nur zu halb­her­zi­gen Maß­nah­men durch­rin­gen; ein­zel­ne Län­der set­zen noch nicht ein­mal die ver­ab­re­de­te „Not­brem­se“ um, ande­re ver­kün­den, dass gan­ze Land (ja, Saar­land, du bist gemeint), zu einer Modell­re­gi­on für Öff­nun­gen zu machen. Der Ver­such, die Oster­pau­se zu ver­län­gern, schei­ter­te an schlech­ter Vor­be­rei­tung, schlech­ter Kom­mu­ni­ka­ti­on und dem Kom­pe­tenz­wirr­warr zwi­schen Bund (Infek­ti­ons­schutz) und Län­dern (Fei­er­tags­ge­set­ze). Vor ein paar Tagen saß dann die Kanz­le­rin bei Anne Will und sprach ein Macht­wort, vor allem in Rich­tung ihrer eige­nen Minis­ter­prä­si­den­ten und Minis­ter. Ob’s was hilft – da gehen die Mei­nun­gen auseinander. 

Wenn ich mich so in mei­nem Umfeld umschaue, dann ist es com­mon sen­se, dass trotz Imp­fun­gen der älte­ren Bevöl­ke­rung und trotz Test­stra­te­gie ein wei­te­rer har­ter Lock­down zu erwar­ten ist. Bis­her bleibt es bei Appel­len an die Arbeitgeber:innen, doch bit­te Home-Office zu ermög­li­chen. Das ist die eine Schrau­be, an der gedreht wer­den kann. Im Instru­men­ten­kas­ten lie­gen ansons­ten noch Aus­gangs­sper­ren (über deren Wirk­sam­keit hef­tig gestrit­ten wird) und här­te­re Kon­takt­be­gren­zun­gen – der­zeit sind Tref­fen zwi­schen zwei Haus­hal­ten erlaubt. Und mit der stär­ke­ren Anste­ckungs­ra­te unter Kin­dern und Jugend­li­chen dank der Muta­ti­on B.1.1.7 gera­ten auch Schu­len und Kin­der­ta­ges­stät­ten noch ein­mal in den Blick. Ich hal­te es für wahr­schein­lich, dass die Öff­nun­gen hier zurück­ge­nom­men wer­den (vor Ostern waren in Baden-Würt­tem­berg die Klas­sen 1–6 sowie die Abschluss­klas­sen in Prä­senz im Unter­richt), bzw. dass sie nur dort erlaubt wer­den, wo die Inzi­denz­wer­te nied­rig genug sind (100, 200?) und wo eine umfang­rei­che Test­stra­te­gie zumin­dest dazu bei­trägt, infi­zier­te Schüler:innen schnell zu fin­den. Das hat in Öster­reich aller­dings auch nur so halb geklappt. 

Mit Blick auf mei­ne eige­nen Kin­der bin ich da durch­aus zwie­ge­spal­ten. Mei­nem jün­ge­ren Kind hat es gut getan, ein paar Wochen Prä­senz­un­ter­richt gehabt zu haben. Das hat auch etwas damit zu tun, dass es viel ein­fa­cher ist, sich auf den Unter­richt zu kon­zen­trie­ren, wenn Mine­craft und Fort­ni­te (das sind die Orte, wo mein Kind sich mit sei­nen Freund:innen trifft) nicht nur einen Maus­klick ent­fernt sind. Und das älte­re Teen­ager­kind war jetzt seit Weih­nach­ten das ers­te Mal wie­der in der Schu­le, um eine Mathe­ar­beit zu schrei­ben – und hoch­be­glückt dar­über, end­lich ein­mal den Rest der Klas­se wie­der­zu­se­hen und nicht allei­ne zu ver­sump­fen. Sie ver­misst mehr oder weni­ger alles, was Fünf­zehn­jäh­ri­ge so machen.

Und gleich­zei­tig – trotz Pflicht, medi­zi­ni­sche Mas­ken im ÖPNV, in der Schu­le (und auch beim Ein­kau­fen) zu tra­gen: da sind immer auch die Sor­gen dabei. 

Mit dem Imp­fen dau­ert es noch eine gan­ze Wei­le. Und die Berich­te meh­re­ren sich, dass die här­tes­ten Fäl­le auf den Inten­siv­sta­tio­nen jetzt eher bei jün­ge­ren Alters­grup­pen, also z.B. den 40–50-jährigen, auf­tre­ten. Gleich­zei­tig wird hef­tig über Long Covid und die mög­li­chen Lang­zeit­fol­gen auch bei den wie­der Gene­sen­den diskutiert. 

Mei­ne Hoff­nun­gen lie­gen in der Oster­pau­se, die ver­mut­lich nicht lang genug ist, aber den Anstieg der Infek­tio­nen viel­leicht doch bremst – und in der poli­ti­schen Ver­nunft, ange­sichts stei­gen­der Infek­ti­ons­zah­len und mit Zeit­ver­satz dann voll­lau­fen­den Inten­siv­sta­tio­nen doch auf här­te­re Maß­nah­men zu set­zen. Por­tu­gal wird dafür als Bei­spiel ange­führt. Und immer wie­der schwirrt auch das Was-wäre-wenn durch den Raum – wenn es doch schon im Okto­ber einen ech­ten Lock­down gege­ben hät­te, hät­ten dann Tote und schwer Erkrank­te ver­mie­den wer­den können?

Zeit des Virus, Update V

Was hat sich geän­dert seit mei­nem letz­ten Update Anfang Mai? Eini­ges ist gleich geblie­ben – ich arbei­te nach wie vor im Home-Office, und die Tage sind trotz allem nach wie vor gut gefüllt. Nach wie vor gilt beim Ein­kauf und im ÖPNV eine Mas­ken­pflicht, und drau­ßen ein Abstands­ge­bot, auch wenn sich nicht alle dar­an halten. 

Mehr oder weni­ger ver­schwun­den sind die Coro­na-Demos – mög­li­cher­wei­se auch des­we­gen, weil mit bis vor kur­zem schnell sin­ken­den Infek­ti­ons­zah­len recht gro­ße Locke­rungs­schrit­te umge­setzt wur­den. Es ist wie­der mög­lich, sich mit meh­re­ren Per­so­nen zu tref­fen, Sport­ein­rich­tun­gen und Schwimm­bä­der dür­fen unter bestimm­ten Umstän­den auf­ma­chen, die ers­ten Thea­ter- und Kino­vor­füh­run­gen mit stark redu­zier­ter Sitz­zahl fin­den statt, und es ist in Aus­sicht gestellt, dass auch grö­ße­re Ver­an­stal­tun­gen bald wie­der statt­fin­den kön­nen, solan­ge es sich dabei nicht um feucht-fröh­li­che Volks­fes­te han­delt. Ach ja, und die Schu­len – aber dazu gleich. 

Ins­ge­samt hat sich die Stim­mung ver­scho­ben. Das Virus wird längst nicht mehr so ernst genom­men. Auch wenn es nicht so gut gelun­gen ist wie in Neu­see­land, so scheint Deutsch­land doch über den Berg zu sein. Es gibt zwar nach wie vor kei­nen Impf­stoff, aber aktu­ell – das ist doch fast schon wie­der ein Zustand wie vor dem Aus­bruch der Pan­de­mie. Das scheint mir jeden­falls die in vie­len Köp­fen vor­herr­schen­de Mei­nung zu sein. Dass Mas­ken dann nicht mehr so gern getra­gen wer­den, dass auf das neu gelern­te regel­mä­ßi­ge Hän­de­wa­schen schnell mal ver­zich­tet wird … das ver­wun­dert dann auch nicht. Und selbst die­je­ni­gen, die mit einer zwei­ten Wel­le rech­nen, neh­men die Zeit jetzt als Pau­se zwi­schen den Aus­brü­chen wahr.

Ein biss­chen geht es mir auch so. Wobei vie­les unge­wiss ist. Ich habe jetzt für den August eine Feri­en­woh­nung an der Nord­see gebucht – mit dem etwas flau­en Gefühl, dass es eigent­lich völ­lig unklar ist, ob im August lan­ge Zug­fahr­ten und Urlau­be mög­lich sind, oder eher nicht. Also mit einem schlech­ten Gefühl. Gleich­zei­tig war jetzt schon vie­les ausgebucht.

Mehr oder weni­ger durch? Dann kam Tön­nies, dann kam Ber­lin-Neu­kölln, dann kam Göt­tin­gen – jeweils mit mehr oder weni­ger iso­lier­ten Aus­brü­chen, die aber doch zei­gen, wie schnell die Infek­ti­ons­zah­len wie­der hoch­ge­hen kön­nen. Was mich irri­tiert: eigent­lich müss­te zumin­dest im Fall Tön­nies längst die loka­le Lock­down-Rege­lung grei­fen. Die Minis­ter­prä­si­den­ten­kon­fe­renz hat­te dazu einen Wert von 50 Infek­tio­nen / sie­ben Tage fest­ge­legt – der ist deut­lich über­schrit­ten. Und auch wenn das Infek­ti­ons­ge­sche­hen alle mei­ne Urtei­le über Schlacht­hö­fe bestä­tigt, so wür­de es mich doch extrem wun­dern, wenn die hun­der­te infi­zier­ten Beschäf­tig­ten das Virus in der Schlacht­fa­brik gelas­sen hät­ten und nicht mit nach Hau­se, in Schu­len, Ver­ei­ne und Got­tes­diens­te mit­ge­nom­men und wei­ter ver­brei­tet hät­ten. (Ich wür­de ja fast dazu raten, ein­fach mal alle Schlacht­fa­bri­ken für zwei Wochen zu schlie­ßen – wohl wis­send, dass dahin­ter agrar­in­dus­tri­el­le Wert­schöp­fungs­ket­ten ste­cken, die bis zur „Tier­pro­duk­ti­on“ reichen …)

Deut­lich macht das jeden­falls: das Wie­der­auf­flam­men des Virus kann schnell gehen. Dann wird sich zei­gen, ob die Coro­na-Warn-App (und die Digi­ta­li­sie­rung der Daten­ein­ga­be in den Gesund­heits­äm­tern) hilft, Infek­ti­ons­ket­ten schnell zu iden­ti­fi­zie­ren und ein­zu­däm­men. Bis­her bleibt die App – über zehn Mil­lio­nen Mal her­un­ter­ge­la­den – wohl auch auf­grund gerin­ger Fall­zah­len grün, aber das muss nicht so blei­ben. Apro­pos: dass die­se App Open-Source ist, auf einem daten­schutz­freund­li­chen dezen­tra­len Pro­to­koll auf­setzt, und dass es inten­si­ve Mög­lich­kei­ten zu Feed­back in der Ent­wick­lun­gen gege­ben hat, ist doch ganz beacht­lich. Viel­leicht ein Vor­bild für wei­te­re Soft­ware­pro­jek­te der öffent­li­chen Hand.

Ach ja, die Schu­len. Die brin­gen mit einer Tei­l­öff­nung Bewe­gung in den Tages­ab­lauf. Die sechs Wochen bis zu den baden-würt­tem­ber­gi­schen Som­mer­fe­ri­en fin­den im rol­lie­ren­den Prä­senz­un­ter­richt statt, d.h., um Abstands­re­geln ein­zu­hal­ten, ist jeweils die Hälf­te der Kin­der eine Woche in der Schu­le, die ande­re eine Woche zu Hau­se; bei den „Prä­senz­kin­dern“ gibt es noch dazu Früh- und Spät­schich­ten. Effek­tiv sind es dann gera­de mal vier Unter­richts­stun­den pro Tag Anwe­sen­heit in der Schu­le; der Fokus liegt auf den Haupt­fä­chern. In der Fern­un­ter­richts­wo­che gibt es dage­gen Neben­fa­ch­un­ter­richt auf Mood­le (was inso­fern ein biss­chen scha­de ist, als gera­de Fächer wie Bio­lo­gie, Phy­sik und Che­mie vom expe­ri­men­tel­len Machen leben). Ob die­ses Hin und Her zwi­schen Prä­senz und Fern­un­ter­richt letzt­lich mehr bringt als der zuneh­mend inten­si­ver betreu­te Distanz­un­ter­richt per Mood­le, bleibt abzu­war­ten. Auf jeden Fall führt er dazu, dass wir wie­der frü­her auf­ste­hen müs­sen – mei­ne Kin­der haben den Unter­richts­be­ginn um 8.00 Uhr erwischt, mit ent­spre­chen­dem Vor­lauf. Hat jetzt, in die­sen lan­gen Som­mer­ta­gen, auch posi­ti­ve Sei­ten. Und ob die Tat­sa­che, dass das eine Kind in den A‑Wochen, und das ande­re in den B‑Wochen in die Schu­le geht, eher ein Vor- oder ein Nach­teil ist, ist mir eben­falls noch nicht ganz klar. (Nach­teil: jede Woche an den Kin­der­ta­gen früh auf­ste­hen, Vor­teil: das jeweils ande­re Kind hat dann zu Hau­se wäh­rend der ver­kürz­ten Schul­zeit sei­ne Ruhe …). 

Nach den Som­mer­fe­ri­en soll es dann, heißt es, mög­li­cher­wei­se wie­der vol­len Prä­senz­un­ter­richt ohne Abstands­ge­bo­te geben. Ich glau­be noch nicht ganz dar­an – und hof­fe, dass die Kul­tus­bü­ro­kra­tie und die Schu­len die Som­mer­fe­ri­en auch dazu nut­zen, einen Plan B auf­zu­stel­len, der sys­te­ma­tisch und päd­ago­gisch sinn­voll 50 bis 100 Pro­zent Distanz­ler­nen auf eine klu­ge Grund­la­ge stellt. Ja, auch wenn dann nicht kon­trol­liert wer­den kann, ob Schü­le­rin X oder Schü­ler Y wirk­lich jede Test­auf­ga­be selbst gemacht hat – das wird ernst­haft als Argu­ment für den Prä­senz­un­ter­richt ange­führt; als ob es bei Schu­le vor allem dar­um gin­ge, Lern­stoff zu kontrollieren. 

Mög­li­cher­wei­se wird es mit der Prä­senz bei Kitas und Grund­schu­len anders aus­se­hen – das ist jeden­falls eine Deu­tung der „Kin­der­stu­die“ der baden-würt­tem­ber­gi­schen Uni­ver­si­täts­kli­ni­ken. Die bezieht sich aber – unab­hän­gig von allen auf­grund der Situa­ti­on nicht anders mög­li­chen Ent­schei­dun­gen über das For­schungs­de­sign – nur auf Kin­der bis zehn Jah­re. Und Isra­el zeigt, dass eine Öff­nung der Schu­len durch­aus auch Pro­ble­me nach sich zieht. Inso­fern befürch­te ich, dass wir im Sep­tem­ber noch längst nicht wie­der beim stink­nor­ma­len Prä­senz­un­ter­richt lan­den wer­den – und hof­fe gleich­zei­tig, dass der not­ge­drun­ge­ne Digi­ta­li­sie­rungs­schub auch über „Coro­na“ hin­aus etwas an der Unter­richts­ge­stal­tung ändern wird.

Zeit des Virus, Update III

Flowers everywhere! - IX

All­mäh­lich wird aus der hek­ti­schen Betrieb­sam­keit der ers­ten Wochen etwas, das sich lang zieht, etwas, das nach Aus­dau­er und War­ten ruft. Etwas, das noch kein Ende kennt, ein Drit­tes neben Kri­se und Normalbetrieb.

In den letz­ten drei Wochen, seit ich zuletzt über die „Zeit des Virus“ geschrie­ben habe, ist es gefühlt deut­lich schwie­ri­ger und anstren­gen­der gewor­den. Ostern hat ganz gut geklappt, Kern­fa­mi­li­en­fei­er, per Sky­pe zuge­schal­te­te Groß­el­tern und Geschwis­ter, gemein­sam ver­brach­te Zeit. Aber die Oster­fe­ri­en, die in Baden-Würt­tem­berg erst mor­gen enden, sind kei­ne Feri­en, weil die Kin­der bei­de noch Schul­stoff erle­di­gen müs­sen, und weil auch die Frak­ti­ons­ar­beit weit­ge­hend „nor­mal“ weiterläuft.

Auch bei mir gibt es zuneh­mend das Gefühl, dass es doch mal auf­hö­ren müss­te mit die­sem Lock­down, mit den gan­zen Beschrän­kun­gen. Ich kann mir noch nicht so ganz vor­stel­len, wie die Kin­der damit klar kom­men sol­len, wei­te­re Wochen im „Home-Schoo­ling“ zu ver­brin­gen. Für Mon­tag sind die nächs­ten Auf­ga­ben und Tele­fo­na­te mit den Lehrer*innen ange­kün­digt. „Macht doch mal was“ bleibt trotz­dem an den Eltern hän­gen, und klar: es gibt so etwas wie einen Rhyth­mus, aber es sind doch Tage, an denen deut­lich weni­ger pas­siert als es in der Schu­le der Fall wäre. Und zumin­dest R. ist zuneh­mend frus­triert davon, wenn drau­ßen auf dem Hof Kin­der spie­len und ich nur sage, dass wir es nicht möch­ten, dass er dazu geht.

Gefühlt also Eile, trotz aller Intro­ver­tier­heit der Wunsch, dass die Zeit des Virus mal vor­bei gehen möge. Und gleich­zei­tig im Kopf das Wis­sen dar­um, dass wir noch längst nicht über den Berg sind, der Ärger dar­über, dass allein die Debat­te um „Locke­run­gen“ bei eini­gen wohl dazu geführt hat, das alles nicht mehr ernst zu neh­men … ich möch­te nicht wis­sen, was das für die Anste­ckungs­zah­len in ein paar Tagen bedeutet.

Und wenn ich ver­su­che, mir die ver­schie­de­nen Stra­te­gien, mit dem Virus umzu­ge­hen, vor Augen hal­te, dann wird klar: Her­den­im­mu­ni­tät, der Auf­bau eines natür­li­chen Schut­zes bei einem gro­ßen Teil der Bevöl­ke­rung: das funk­tio­niert nicht, jeden­falls nicht ohne eine Viel­zahl an Toten in Kauf zu neh­men. Was jetzt pas­siert, ist das Sen­ken der Wei­ter­ver­brei­tung auf ein Maß, mit dem das Gesund­heits­sys­tem klar kommt. Das sieht aktu­ell gut aus, die Neu­in­fek­tio­nen sind zurück­ge­gan­gen und seit Tagen sta­bil, auch die Zahl der täg­li­chen Todes­fäl­le ist halb­wegs sta­bil (zynisch, dass das eine gute Nach­richt ist). Aber so wei­ter zu machen, heißt eben auch, einen Kern aus Kon­takt­ver­mei­dung und har­ten Beschrän­kun­gen noch min­des­tens bis in den Herbst, viel­leicht auch ins Früh­jahr auf­recht zu erhal­ten. Und dann ste­hen sowohl Selb­stän­di­ge, die nichts ver­die­nen, weil der­zeit zum Bei­spiel nie­mand Auf­trit­te von Künstler*innen bucht, vor einem Pro­blem – genau­so wie alle Eltern, die das Gewurs­tel der letz­ten Wochen bis weit in die Zukunft hin­ein wei­ter­füh­ren sol­len. (Und nein, bei wei­tem nicht jeder Haus­halt besteht aus Vater Allein­ver­die­ner, der päd­ago­gisch ver­sier­ten Mut­ter Hob­by­leh­re­rin und den bra­ven Kin­dern 1 und 2, die ger­ne mit dem Hund im Gar­ten tol­len). (Apro­pos: sehr gut dazu Anna­le­na Baer­bock in der taz).

Nahe lie­gen­de Lösun­gen für die­ses Pro­blem gibt es nicht, am bes­ten wäre wohl eine Kom­bi­na­ti­on aus ech­tem Tele­un­ter­richt für die Kin­der (aber das muss tech­nisch erst ein­mal klap­pen), einem rol­lie­ren­den oder sonst irgend­wie redu­zier­tem Sys­tem von Kita- und Schul­öff­nun­gen und Lohn­er­satz­leis­tun­gen für alle, die so nicht arbei­ten kön­nen. Und irgend­wann dann die Imp­fung. Aber so oder so heißt dass, das es noch eine gan­ze Wei­le wei­ter­geht mit dem Sta­tus quo.

Der klei­ne Hoff­nungs­fun­ke: die Zahl der Neu­in­fek­tio­nen und die Zahl der Infek­tio­nen pro Per­son nimmt so stark ab, dass wie­der zu „Con­tain­ment“ als Stra­te­gie gegrif­fen wer­den kann. Das hat aber zwei nicht ganz ein­fa­che Vor­aus­set­zun­gen. Zum einen braucht es schnel­le Tests, auch auf Immu­ni­tät, und Wis­sen dar­über, wie die Dun­kel­zif­fern aus­se­hen. Also Tests und Strich­pro­ben. Und zum ande­ren braucht es eine Ein­hal­tung sowohl der jetzt gel­ten­den Kon­takt­be­schrän­kun­gen wie auch der dann wei­ter not­wen­di­gen Hygie­ne­re­geln durch einen gro­ßen Teil der Bevöl­ke­rung, also Ein­sicht. Bei den Tests und Stich­pro­ben bin ich halb­wegs zuver­sicht­lich, bei der Ein­sicht habe ich der­zeit so mei­ne Zwei­fel. Der Heins­berg-Coup von Laschet ist dies­be­züg­lich, um es deut­lich zu sagen, hoch­gra­dig kontraproduktiv.

In der Pres­se und in der Frak­ti­on – genau­so wie in den sozia­len Medi­en – gibt es der­zeit eigent­lich nur ein The­ma. Auch das trägt dazu bei, dass die­se Tage sich stre­cken. Es geht immer um Coro­na. In der Arbeit. In der Frei­zeit. Am Wochen­en­de. In den „Feri­en“. Usw. Klar gibt es Flucht­mo­men­te – Com­pu­ter­spie­le, Fil­me, Bücher – aber eigent­lich ist das Virus dau­er­prä­sent. Und das seit Wochen. Auch das macht die­se Zeit schwie­rig. Viel­leicht brau­chen wir hier ande­re Räume.

Gleich­zei­tig emp­fin­de ich es als schwie­rig, die Pan­de­mie aus­zu­blen­den. Bei­spiel Wahl­pro­gramm – im Früh­jahr 2021 sind Land­tags­wah­len in Baden-Würt­tem­berg. Da jetzt ein Pro­gramm zu schrei­ben, das aus­sieht wie jedes ande­re, das wird nicht gehen. Nicht nur, weil die Wirt­schafts­la­ge und die Finanz­la­ge des Lan­des eine ande­re sein wer­den, son­dern auch des­we­gen, weil die Pan­de­mie eine gan­ze Rei­he von poli­ti­schen Prio­ri­tä­ten umge­wor­fen hat. Das ist jeden­falls mein Ein­druck. Jetzt auf Ant­wor­ten aus dem Jahr 2019 zu set­zen, hät­te ähn­li­che Effek­te wie die gran­di­os dane­ben gegan­ge­ne „Alle reden von Deutsch­land – wir nicht“-Kampagne, die die West-Grü­nen nach der Wen­de aus dem Bun­des­tag kick­te. Es braucht also Sen­si­bi­li­tät dafür, wie die Stim­mung im Land im Früh­jahr 2021 aus­se­hen wird. Nur weiß das jetzt noch nie­mand. Poli­tik wie üblich funk­tio­niert auch des­we­gen gera­de nicht.

Arne Jung­jo­hann hat­te auf Twit­ter mit Bezug auf Caro­lin Emckes Coro­na-Tage­buch nach gene­ra­tio­nen­de­fi­nie­ren­den his­to­ri­schen Ereig­nis­sen gefragt. Bis­her hät­te ich da mit Tscher­no­byl geant­wor­tet, viel­leicht mit der Wen­de, mit der ers­ten rot-grü­nen Bun­des­re­gie­rung, mit 9/11 oder auch mit Fuku­shi­ma und allen Fol­gen, auch in der baden-würt­tem­ber­gi­schen Lan­des­po­li­tik. Gut mög­lich, dass das Jahr 2020 in vie­len Bio­gra­fien die­se Ereig­nis­se über­strah­len wird und in der Geschich­te der Zukunft der Punkt sein wird, an dem das alte 20. Jahr­hun­dert dann wirk­lich geen­det hat.

P.S.: April­ta­ge mit fast 30° Cel­si­us, viel zu wenig Regen, Dür­re­war­nung – die ande­re gro­ße Kri­se ist wei­ter­hin da.