Kurz: Politik des Existenziellen

Vor ein paar Tagen hat jemand auf Twit­ter ele­gant zwi­schen den­je­ni­gen unter­schie­den, für die die Kli­ma­kri­se eine exis­ten­zi­el­le Fra­ge ist, und den­je­ni­gen, die dar­in ein The­ma unter vie­len sehen. Jetzt fin­de ich den Tweet nicht mehr, sonst wür­de ich ihn hier zitie­ren. Denn die­se Unter­schei­dung erscheint mir sehr sinn­voll zu sein – gera­de auch im Hin­blick auf die Bun­des­tags­wahl. Und die Bil­der aus Stutt­gart, Tübin­gen und Reut­lin­gen – und jetzt, noch ein­mal hef­ti­ger, aus Rhein­land-Pfalz und Nord­rhein-West­fa­len, machen sehr deut­lich, was Kli­ma­kri­se als exis­ten­zi­el­le Fra­ge bedeu­tet. Mal ganz zu schwei­gen von Rekord­tem­pe­ra­tu­ren und Wald­brän­den in ande­ren Tei­len der Welt.

Und mög­li­cher­wei­se ist das tat­säch­lich, wenn sich jetzt nicht noch ein Sin­nes­wan­del bei der Uni­on und der FDP ein­stellt, das zen­tra­le Unter­schei­dungs­merk­mal für die Wahl­ent­schei­dung bei die­ser Bun­des­tags­wahl. Wer nicht ver­steht, war­um „Kli­ma plötz­lich ein The­ma ist“, wer glaubt, alles kön­ne so blei­ben, der wählt Uni­on oder FDP, und wird dann bit­ter über­rascht wer­den. Wer Kli­ma als Exis­tenz­fra­ge begreift, als Kri­se, bei der zu Han­deln nicht „nice to have“ ist, son­dern im Wort­sin­ne über­le­bens­wich­tig, der wählt ver­mut­lich Grün.

Damit will ich nicht sagen, dass das grü­ne Wahl­pro­gramm eine kom­plet­te Ant­wort auf die­se exis­ten­zi­el­le Fra­ge ent­hält – wohl aber Tei­le der Lösung, ein­zel­ne Puz­zle­stü­cke – und vor allem eben das über­grei­fen­de Ver­ständ­nis dafür, dass es hier um eine Über­le­bens­fra­ge geht, bei der jetzt gehan­delt wer­den muss. Jetzt, nicht irgend­wann, oder wenn es gera­de passt, oder wenn es nicht zu teu­er oder zu unbe­quem ist. Viel­leicht ist es gera­de das Merk­mal einer Kri­se, dass Ent­schei­dun­gen und poli­ti­sche Maß­nah­men not­wen­dig und den­noch unbe­quem und zumu­tend sind. Und dar­um geht es bei die­ser Wahl. 

Kurz: Wahlkampfblues

Dafür, dass ich beruf­lich mit Poli­tik zu tun habe (und jede Land­tags­wahl gespannt bis zum vor­läu­fi­gen End­ergeb­nis ver­fol­ge), ist mein Ver­hält­nis zu Wahl­kämp­fen doch eher ambi­va­lent. Es soll ja Leu­te geben, die mit Begeis­te­rung an Haus­tü­ren, Knei­pen und Info­stän­de gehen, um für Stim­men zu wer­ben. Dafür bin ich eher zu intro­ver­tiert. Und selbst auf sozia­len Medi­en, wo ich mich dann durch­aus selbst dar­an betei­li­ge, Argu­men­te mög­lichst wer­be­wirk­sam rüber­zu­brin­gen, kann ich ein gewis­ses Genervt­sein von Politiker:innen im Wahl­kampf­mo­dus durch­aus nach­voll­zie­hen. Aber trotz­dem: die Angrif­fe und Ver­dre­hun­gen des poli­ti­schen Geg­ners ein­fach ste­hen zu las­sen, das geht ja auch nicht.

Wenn es dabei um inhalt­li­che Angrif­fe geht – bei­spiels­wei­se um die Fra­ge der CO2-Beprei­sung und der Aus­wir­kun­gen auf unter­schied­li­che sozia­le Grup­pen – lässt sich bei aller Ver­zweif­lung über die Heu­che­lei der gro­ßen Koali­ti­on wie der Lin­ken ja noch halb­wegs sach­lich argu­men­tie­ren. Mit dem Ener­gie­geld haben wir ein Kon­zept, das gera­de die­je­ni­gen belohnt, die kei­ne rie­si­gen Alt­bau­ten bewoh­nen oder gro­ße Autos fah­ren. Kli­ma­schutz wird bei uns sozi­al gedacht, was aber nichts dar­an ändert, dass Kli­ma­schutz eine exis­ten­zi­el­le Fra­ge ist – und eben nicht ein x‑beliebiges poli­ti­sches Pro­blem, das mal höher und mal nied­ri­ger gewich­tet wer­den kann. In der Kon­se­quenz kann das unbe­quem sein. Und ich neh­me uns Grü­ne als ein­zi­ge ernst­haf­te poli­ti­sche Kraft wahr, die hier nicht scheut, not­wen­di­ge Zumu­tun­gen auch zu kom­mu­ni­zie­ren. Auch das steckt im Übri­gen in „Bereit, wenn Ihr es seid“, dem vor ein paar Tagen ent­hüll­ten Wahlkampfclaim.

Nein, so rich­tig schlimm bis uner­träg­lich ist Wahl­kampf im Modus der künst­li­chen Ver­dum­mung, der Schlamm­schlacht, bis hin zu nahe­zu schon trumpes­ken Tat­sa­chen­ver­dre­hun­gen und auf­ge­bla­se­nen Mücken­skan­da­len. Jede Reak­ti­on dar­auf ver­stärkt den Schlamm­ge­halt, nicht zu reagie­ren ist aber auch kei­ne Lösung. Das geht dann oft ein­her mit popu­lis­ti­scher Dumm­heit – ich unter­stel­le Scholz, Laschet, Wagen­knecht, Esken, Lind­ner, Söder und selbst dem Blu­me-Mar­kus von der CSU, dass sie sehr genau wis­sen, wie weit weg ihre Behaup­tun­gen von der Wahr­heit ent­fernt sind. Aber das scheint nicht das ent­schei­den­de Kri­te­ri­um zu sein. Sich dumm zu stel­len, bewusst miss­zu­ver­ste­hen, böse Absicht zu unter­stel­len, wo Nach­läs­sig­keit die ein­fa­che­re Erklä­rung wäre – all das heißt auch, die Wähler:innen für dumm zu hal­ten und ihnen kei­ne ver­nunft­ge­lei­te­te und eigen­stän­di­ge Ent­schei­dung zuzutrauen.

Oder, um Jac­in­da Ardern zu zitieren:

I real­ly rebel against this idea that poli­tics has to be a place full of ego, whe­re you’re con­stant­ly focu­sed on scoring hits against one another.

Grünes Hoch, hohes Grün

Green day II

Ein Monat nach den baden-würt­tem­ber­gi­schen Land­tags­wah­len ste­cken wir mit­ten in der Ver­hand­lun­gen mit der CDU über eine zwei­te grün-schwar­ze Koali­ti­on; dies­mal nicht als Kom­ple­men­tär­ko­ali­ti­on, son­dern als Auf­bruch für Baden-Würt­tem­berg ange­legt, in dem sich die deut­lich ver­scho­be­nen Kräf­te­ver­hält­nis­se wider­spie­geln. 32,6 Pro­zent als bes­tes Land­tags­wahl­er­geb­nis Grü­ner über­haupt (58 der 70 Direkt­man­da­te im Land!), und 24,1 Pro­zent für die CDU. Das hat nicht nur dazu geführt, dass die CDU-Spit­zen­kan­di­da­tin ihren Abschied von der Poli­tik erklärt hat, son­dern auch kla­re grü­ne Erfol­ge bereits in den Son­die­rungs­ge­sprä­chen ermöglicht. 

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