Oh, wie schön war Jamaika

May V

Ich war dann doch ver­nünf­tig genug, ges­tern Abend vor Mit­ter­nacht ins Bett zu gehen. Da sah es noch so aus, als wür­de es eine Eini­gung in den Jamai­ka-Son­die­rungs­ver­hand­lun­gen geben kön­nen. Irri­tie­ren­de Tweets von Nico­la Beer, dass wie­der alles offen sei, mal bei­sei­te. Jeden­falls wur­de klar, wo die grü­nen Schmerz­gren­zen lie­gen. Ein CSU-Hin­ter­bänk­ler ver­kün­de­te Eini­gun­gen bei siche­ren Her­kunfts­län­dern, in mei­ner Time­line folg­te fast schon ritua­li­sier­te Empö­rung, bis des­sen 15 Minu­ten vor­bei waren, und das Gan­ze sich als Gerücht entpuppte. 

Dass die Ver­hand­lun­gen sich so lan­ge hin­zo­gen, hät­te irri­tie­ren kön­nen. Am frü­hen Abend lag für mein Gefühl, was ich so las und wahr­nahm, der Abbruch schon in der Luft. Ich schrieb, dass hier ein Paar ver­han­delt, des­sen Bezie­hung geschei­tert ist, dass sich das Ende aber nicht ein­ge­ste­hen möch­te. Als sich die Gesprä­che dann doch wei­ter in den Abend hin­zo­gen, war mei­ne Inter­pre­ta­ti­on ein „jetzt haben sie’s“, der Punkt des Schei­terns schien über­wun­den, der letz­te Kom­pro­miss gefun­den, der Kno­ten durchgehauen.

Wie weit unser grü­nes Son­die­rungs­team dabei tat­säch­lich gegan­gen ist, und wie weit die Par­tei dem gefolgt wäre, wer­den wir nun aller­dings nicht erfah­ren. Denn zur Abstim­mung über die Auf­nah­me von Koali­ti­ons­ver­hand­lun­gen wird es nicht kommen. 

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Kurz: Klimaschutzkoalition

Iro­nie der Geschich­te: par­al­lel zu den Jamai­ka-Koali­ti­ons­ver­hand­lun­gen, äh, Son­die­run­gen fin­det in Bonn der Kli­ma­gip­fel statt und macht drei Din­ge überdeutlich:

1. Das Zeit­fens­ter, poli­tisch zu han­deln und noch etwas dage­gen zu unter­neh­men, dass der Kli­ma­wan­del kata­stro­pha­le Fol­gen zei­tigt, ist jetzt – und es schließt sich zuneh­mend. Auch wie gehan­delt wer­den müss­te, ist doch recht klar.

2. Es gibt eine gro­ße Koali­ti­on der Wil­li­gen – Staa­ten und Staa­ten­bünd­nis­se, Kom­mu­nen und Regio­nen, Wirt­schafts­ak­teu­re, die viel beschwo­re­ne Zivil­ge­sell­schaft, aber auch z.B. die Mehr­heit der Bürger*innen in Deutschland.

3. Die abge­wähl­te Regie­rung mit Koh­le­mi­nis­ter Gabri­el hat nur wenig bis nichts erreicht – und es sieht nicht so aus, als ob die Bun­des­kanz­le­rin hier vor­an­ge­hen möchte.

Für mich unter­streicht das, dass es eine ordent­li­che Kli­ma­po­li­tik auf Bun­des­ebe­ne – mit ent­spre­chen­der inter­na­tio­na­ler Strahl­kraft – nur mit star­ken Grü­nen an ent­schei­den­den Stel­len geben kann. Lei­der sieht es bis­her nicht danach aus, als ob Jamai­ka eine Koali­ti­on der inno­va­ti­ven Kli­ma­schutz-Maß­nah­men wer­den wür­de. Wenn das so bleibt, sehe ich wenig Sinn dar­in, die­ses lager­über­grei­fen­de Bünd­nis zu formen. 

Mor­gen Nacht soll das Son­die­rungs­er­geb­nis vor­lie­gen, am 25. Novem­ber ent­schei­det die grü­ne BDK, ob Koali­ti­ons­ver­hand­lun­gen auf­ge­nom­men wer­den sol­len. Nach der­zei­ti­gem Stand fän­de ich das schwie­rig – und wür­de mich als Ersatz­de­le­gier­ter auch ent­spre­chend ein­brin­gen. Für unse­re Zukunft auf die­sem Pla­ne­ten wäre es zu hof­fen, dass es bis dahin noch über­ra­schend Bewe­gung in Sachen Jamai­ka als Kli­ma­schutz­bünd­nis gibt.

Wahlnachtgedanken

Es wird noch mun­ter aus­ge­zählt, aber der eine oder ande­re Trend bei der Bun­des­tags­wahl 2017 zeich­net sich doch ab. Aktu­ell – 23:30 – ist noch nicht klar, ob LINKE oder GRÜNE zweit­kleins­te Frak­ti­on vor der CSU wer­den, aber ins­ge­samt scheint das Ergeb­nis doch halb­wegs sta­bil: Mas­si­ve Ver­lus­te für die Uni­on, die nur noch bei rund 33 Pro­zent lan­det, eine SPD mit einem mise­ra­blen Ergeb­nis knapp über 20 Pro­zent, die AfD als dritt­stärks­te Par­tei mit – deut­lich bes­ser als in den meis­ten Umfra­gen – rund 13 Pro­zent, stark durch die Ver­lus­te der Uni­on gespeist, die FDP bei etwa 10,5 Pro­zent und GRÜNE und LINKE jeweils etwa bei 9 Prozent.

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Ein Stimmungsbild (im Herbst)

Yesterday's rain II

Drau­ßen ist es Spät­som­mer. Mal wie­der ein Wet­ter­um­schwung – vor ein paar Tagen waren es noch über 35 °C, jetzt reg­net es im Herbst­mo­dus. Aber ich will nicht über das Wet­ter schrei­ben, son­dern über die Bun­des­tags­wahl, und die­ses Land. 

Eigent­lich woll­te ich die­sen Text anders begin­nen, ich hat­te ihn auch schon halb fer­tig. Mit einem Blick auf die mög­li­chen Koali­tio­nen nach der Wahl, mit einem Blick auf die FDP, die sich der­zeit so in der Mit­tel­punkt rückt, und auch auf die Ori­gi­nal-AfD. Auf die Infas-Ana­ly­se in der ZEIT ein­ge­hen, die zeigt, dass Deutsch­land doch offe­ner und libe­ra­ler ist, als vie­le den­ken, und dass die medi­al so domi­nan­ten rech­ten Het­zer nur eine Min­der­heit vertreten. 

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Eine Zahl, zwei Deutungen

Dandelion with bee

Dem aktu­el­len Deutsch­land­trend der ARD las­sen sich ein paar inter­es­san­te Zah­len ent­neh­men. Als da wären:

  • Schulz schwä­chelt, Mer­kel schon wie­der vor­ne. Gro­ße Koali­ti­on am ehes­ten als Regie­rungs­ko­ali­ti­on gewünscht
  • Grü­ne bei acht Pro­zent in der Sonn­tags­fra­ge, Mehr­hei­ten jen­seits der Gro­ßen Koali­ti­on nicht in Sicht
  • Macht die Regie­rung eine gute Arbeit? 73 Pro­zent der CDU-Anhänger*innen, 60 Pro­zent der GRÜNEN-Anhänger*innen und 51 Pro­zent der SPD-Anhänger*innen sagen: ja. Wider­spruch gibt’s vor allem von den Freund*innen der AfD (nur 2 Pro­zent sind zufrieden).
  • 47 Pro­zent der GRÜNEN-Anhänger*innen wol­len Mer­kel, 37 Pro­zent wol­len Schulz

Dazu lie­ße sich jetzt eini­ges sagen. Ich picke mal die Aus­sa­ge her­aus, dass die GRÜNEN-Anhänger*innen der Gro­ßen Koali­ti­on doch recht deut­lich eine gute Arbeit unter­stel­len. Dass 60 Pro­zent mit der Arbeit der Bun­des­re­gie­rung zufrie­den sind (vor einem Monat waren es erst 44 Pro­zent) ist, wenn sich das so bestä­ti­gen soll­te – noch ist es eine Moment­auf­nah­me -, durch­aus eine dra­ma­ti­sche Aus­sa­ge. Denn war­um soll­te jemand zur Wahl gehen und grün wäh­len, wenn ins­ge­samt doch alles ganz gut läuft?

Inter­pre­ta­ti­ons­schwie­rig­kei­ten löst dabei der Begriff „Par­tei­an­hän­ger“ aus. Ich gehe davon aus, dass damit die­je­ni­gen gemeint sind, die in der Umfra­ge ange­ge­ben haben, bei der Bun­des­tags­wahl die jewei­li­ge Par­tei wäh­len zu wol­len. Das wären dann hier, opti­mis­tisch gerech­net, maxi­mal 120 Per­so­nen (für die Sonn­tags­fra­ge wur­den 1502 Per­so­nen befragt; wie hoch der Anteil der­je­ni­gen ist, die die Ant­wort auf die­se Fra­ge ver­wei­ger­ten, erschließt sich mir nicht). Ent­spre­chend ist der „Mess­feh­ler“ recht hoch. 

Aber gehen wir mal davon aus, dass die 60 Pro­zent, die ange­ben, mit der Regie­rung zufrie­den zu sein, real sind. Dann sind aus mei­ner Sicht zwei Inter­pre­ta­tio­nen mög­lich, die davon abhän­gen, was über das Del­ta zwi­schen den hier erziel­ten acht Pro­zent in der Sonn­tags­fra­ge und dem Wäh­ler­po­ten­zi­al ver­mu­tet wird.

Die eine Inter­pre­ta­ti­on wür­de etwa so lau­ten: Klar, dass die nur noch acht Pro­zent Grün-Wähler*innen sich zufrie­den mit Mer­kel und ihrer Regie­rung zei­gen – das sind näm­lich über­wie­gend die, die Schwarz-Grün gut fin­den, die Cem Özd­emir und Kat­rin Göring-Eckardt gut fin­den, die sich ein­ge­rich­tet haben und ange­kom­men sind. Weg­ge­fal­len sind alle poten­zi­el­len Wähler*innen, die stär­ker auf pro­gres­si­ve Refor­men set­zen, die grund­le­gend unzu­frie­den sind, und die eben kein Wei­ter so wol­len, son­dern sich als Unbe­que­me sehen. Und wenn mal auf die Feh­ler der Regie­rung rich­tig drauf­ge­hau­en wür­de, wenn kla­re Alter­na­ti­ven auf­ge­zeigt wür­den, dann wür­den auch die­se Wähler*innen wie­der davon über­zeugt sein, Grün zu wählen.

Die ande­re Inter­pre­ta­ti­on kommt zu ganz ande­ren Ergeb­nis­sen, und wür­de etwa so aus­se­hen: Grü­ne Parteianhänger*innen sind ange­kom­men und wol­len gar kei­ne gro­ße Ver­än­de­rung. Viel­mehr sind sie im Gro­ßen und Gan­zen damit zufrie­den, wie es läuft. Es soll nicht alles anders wer­den, aber wenn man­ches bes­ser wird, wäre das doch ganz ok. Damit die­se auch wirk­lich zu Wahl gehen, und damit auch die­je­ni­gen zur Wahl gehen, die jetzt noch nicht ange­ge­ben haben, Grün zu wäh­len – die aber genau­so ticken -, muss der Wahl­kampf deut­lich machen, wo Grün etwas Posi­ti­ves ver­än­dern kann, etwa in der Kli­ma­schutz­po­li­tik, ohne jedoch Nega­tiv­kam­pa­gnen zu fah­ren und Deutsch­land und die Bun­des­re­gie­rung schlecht zu reden.

Wel­che die­ser Ver­mu­tun­gen dar­über stimmt, was die­je­ni­gen den­ken, die grün wäh­len könn­ten, der­zeit aber nicht grün wäh­len, lässt sich nicht aus dem Infra­test-Dimap-Deutsch­land­Trend able­sen. Die bei­den aus­ein­an­der­lau­fen­den Inter­pre­ta­tio­nen beschrei­ben aber ganz gut das Dilem­ma, in dem die­ser Wahl­kampf steckt: Sich auf eine die­ser Sei­ten schla­gen – oder ver­su­chen, einen Weg zu fin­den, der für poten­zi­el­le Wähler*innen, die Mer­kel und ihre Poli­tik gar nicht so schlecht fin­den, genau­so attrak­tiv ist wie für die­je­ni­gen, die mei­nen, dass es end­lich Zeit sei für eine Rot-Rot-Grü­ne Koali­ti­on? (Wobei die ein­zi­gen, die wirk­lich gar nichts mit der Bun­des­re­gie­rung anfan­gen kön­nen, in die­ser Umfra­ge die Anhänger*innen der AfD sind …)

War­um blog­ge ich das? Weil ich die­se Zah­len doch erstaun­lich – und für uns Grü­ne gefähr­lich – fin­de.