Mehr so meh

Freiburg before Christmas

Im Rück­blick ist 2023 defi­ni­tiv kein beson­ders gelun­ge­nes Jahr, „meh“ trifft es ganz gut. 

Also, pri­vat war soweit alles ok, ich habe mich nach mehr als einem Jahr­zehnt Arbeit in der Frak­ti­on end­lich mal drum geküm­mert, eine Woh­nung in der Nähe von Stutt­gart – in Ess­lin­gen – zu fin­den (und bin jetzt auch mit dem gan­zen Umzie­hen, Ent­rüm­peln, Strei­chen, Woh­nungs­über­ge­ben fer­tig). Gleich­zei­tig brin­ge ich mich inten­si­ver in die Orts­po­li­tik hier in Gun­del­fin­gen ein. Die Kin­der gedei­hen und wer­den groß, den Kat­zen geht’s gut. Das Sci­ence-Fic­tion-Jahr war inter­es­sant und unter­halt­sam. Coro­na (nach drei Jah­ren ohne) hät­te mich jetzt nicht erwi­schen müssen. 

Je wei­ter raus­ge­zoomt wird, des­to ner­vi­ger erscheint mir 2023. Bür­ger­ent­scheid zur Stra­ßen­bahn ver­lo­ren. Mei­ne Par­tei wird im Land und Bund von allen Sei­ten ange­fein­det. Die Ampel-Regie­rung schlit­tert mehr so dahin, über­zeugt jeden­falls nicht. Die AfD glaubt, sie sei die Wie­der­ge­burt einer natio­na­len Volks­par­tei, die Bau­ern und Bäue­rin­nen grei­fen zu Pro­test­for­men aus den 1920er Jah­ren (und ima­gi­nie­ren sich in den Bau­ern­krieg zurück). Die Bun­des-CDU zer­schmet­tert mal eben die Grund­la­ge für Inves­ti­tio­nen und will von einer Reform der Schul­den­brem­se nichts wis­sen. Und die Lan­des-CDU wäre eigent­lich lie­ber kraft­vol­le Oppo­si­ti­on statt Regie­rungs­part­ner (naja, noch lie­ber wür­de sie den Minis­ter­prä­si­den­ten stel­len …). Alles eher Gegen­wind, alles nichts, was Freu­de berei­tet. Und von der Ukrai­ne oder Isra­el, von der Dik­ta­tur in Russ­land oder der gefähr­de­ten Demo­kra­tie in den USA oder von den dies­jäh­ri­gen Kli­ma­ex­tre­men rede ich erst gar nicht.

Über die­se all­ge­mein schwie­ri­ge Lage las­sen sich dann leicht die Pflan­zen der Hoff­nung über­se­hen, die kräf­tig wach­sen. Der Atom­aus­stieg hat nicht zum Koh­le­re­vi­val geführt, son­dern den Weg für Wind­strom frei­ge­macht. Die Aus­bau­zie­le bei Pho­to­vol­ta­ik wer­den 2023 über­erfüllt. Da bewegt sich viel, im Moment wirkt es jeden­falls so, als wäre allein auf­grund der Wirt­schaft­lich­keit die Wei­che gestellt für eine rapi­de grü­ner wer­den­de Ener­gie aus erneu­er­ba­ren Quel­len und mit Bat­te­rie­spei­chern. Und auch das Deutsch­land­ti­cket ist ein rich­tig gro­ßer Reform­schritt (über die Bahn und deren Infra­struk­tur reden wir jetzt lie­ber nicht). Oder, inter­na­tio­nal betrach­tet: der Sieg der demo­kra­ti­schen Kräf­te in Polen – auch das gibt Hoffnung. 

Wir haben 2023 gelernt, dass Musk ein fie­ser Typ ist, dass die Hal­tung zu Isra­el und Paläs­ti­na zwi­schen der inter­na­tio­na­len und der deut­schen Lin­ken (inkl. Kli­ma­be­we­gung) sehr unter­schied­lich ist, dass Merz zurück in die 1990er, 1980er oder 1950er möch­te und dass linea­res Fern­se­hen weit­ge­hend tot ist. Cory Doc­to­row hat den Begriff „ens­hi­ti­fi­ca­ti­on“ geprägt, um zu erklä­ren, war­um Inter­net­platt­for­men dazu nei­gen, nach eini­ger Zeit unbe­nutz­bar zu wer­den. Wie wir mit sozia­len Medi­en umge­hen wol­len, wis­sen wir auch 2023 noch nicht wirk­lich. Mast­o­don hat sich als net­te, ruhi­ge Ecke und tech­ni­sche Grund­la­gen­in­fra­struk­tur ent­puppt, die aber genau des­we­gen nicht hype-taug­lich ist. Ach ja: und 2023 war das Jahr, in der die dis­kur­si­ve Leit­tech­no­lo­gie „KI“ hieß. Einer­seits, weil ChatGPT & Co. tat­säch­lich ein­drucks­voll gezeigt haben, dass sie plau­si­bel wir­ken­de Tex­te und Bil­der gene­rie­ren kön­nen (als ob …), ande­rer­seits, weil über­all, wo letz­tes Jahr „Block­chain“ dran­ge­schrie­ben wur­de, jetzt „KI“ dran­steht. Und damit ist dann nicht immer ein LLM oder ähn­li­ches gemeint, son­dern manch­mal ein ganz schlich­ter Algorithmus. 

Pro­gno­se für 2024: der KI-Hype wird abflau­en, weil das mit dem Geld­ver­die­nen nicht so rich­tig klappt. Vor­her aber wird er wei­ter dazu bei­tra­gen, Such­ergeb­nis­se unbrauch­bar zu machen und die Welt mit den typi­schen super­po­si­ti­ven Fünf­satz­ab­sät­zen zu über­flu­ten. Auch 2024 wird nicht das Jahr, in dem Vir­tu­el­le Rea­li­tät oder auto­nom fah­ren­de Autos ihren Durch­bruch fei­ern wer­den (sie­he auch: Musk als fie­ser Typ, sie­he auch: schum­meln). Die Kom­mu­nal- und Euro­pa­wahl im Juni 2024 wird nicht groß­ar­tig, aber ok. Die Ampel wird trotz FDP-Mit­glie­der­be­fra­gung wei­ter­ma­chen. Die Land­tags­wah­len im Osten wer­den kata­stro­phal aus­ge­hen, wenn nicht vor­her noch was pas­siert. Eine Pro­gno­se dazu, wie es in den USA wei­ter­geht, wage ich nicht. Und Viren, der Kli­ma­wan­del und ähn­li­che Din­ge machen das, was sie auch in den letz­ten Jah­ren getan haben: sie fol­gen Natur­ge­set­zen und nicht dis­kur­si­ven Hochs und Tiefs. Was lei­der kei­ne gute Nach­richt ist. 

Sina Trink­wal­der spricht von den Geburts­we­hen eines neu­en Zeit­al­ters. Hof­fen wir, dass das eine zutref­fen­de Beschrei­bung unse­rer Zeit ist.

Kurz: Doppelspiel der CDU

Dass ich ver­wun­dert wäre, wäre jetzt auch falsch. Trotz­dem war die­se Woche eine, die mög­li­cher­wei­se typisch für die CDU/CSU der nächs­ten Jah­re ist. Auf der einen Sei­te: mun­ter mit gegen das Gebäud­en­er­gie­ge­setz schimp­fen, das nach­holt, was in den letz­ten Jah­ren nicht gemacht wur­de. Und auch wenn’s miss­glückt ist, „fair­hei­zen“ als Kam­pa­gne zu star­ten (schön, wie effek­tiv hier die grü­ne Bun­des­tags­frak­ti­on und die Bun­des­par­tei gemein­sam mit Umwelt­or­ga­ni­sa­tio­nen einen Hash­tag gedreht haben). Grü­ne in Inter­views als Ideo­lo­gen dar­stel­len, grü­nen Minister*innen jede Ver­nunft abspre­chen. Über­haupt: das mit dem Kli­ma­wan­del ist viel­leicht gar nicht so schlimm, soll­ten wir uns nicht lie­ber über Gen­der-Ster­ne auf­re­gen? Einen katho­li­schen Kin­der­gar­ten zum Hass­ob­jekt zu machen, weil den Eltern mit­ge­teilt wird, dass es kei­ne Mut­ter­tags­ge­schen­ke gibt. Und um alles zu top­pen: Ein Besuch der CSU in Flo­ri­da, bei DeS­an­tis, also Trump in radi­ka­ler und effek­ti­ver. Das ist einer, der gera­de mas­siv in die Frei­heit der Uni­ver­si­tä­ten ein­greift, der Bücher ver­bie­tet, Schul­bi­blio­the­ken leer­räumt, und LSBTTIQ nicht nur ver­ach­tet, son­dern über poli­ti­sche Maß­nah­men wie Behand­lungs­ver­bo­te aktiv bekämpft. Kuschel­part­ner der Uni­on? (Und über die AfD-nahe Tona­li­tät am Rand des Flücht­lings­gip­fels mal gar nicht geredet …). 

Auf der ande­ren Sei­te: eine gan­ze Rei­he von Minis­ter­prä­si­den­ten und ein stell­ver­tre­ten­der Minis­ter­prä­si­dent in Koali­tio­nen der CDU mit Grü­nen. Das klappt bei allen ideo­lo­gi­schen Unter­schie­den soweit ganz ok, ist jeden­falls eine rea­le und rea­lis­ti­sche poli­ti­sche Konstellation. 

Was ist jetzt das stra­te­gi­sche Ziel davon, Grü­ne im Bund zu ver­teu­feln? Ich mein, dass es irgend­wie selt­sam ist, Grü­ne abends im Bier­zelt als Aus­ge­burt der Höl­le dar­zu­stel­len, und am nächs­ten Mor­gen am Kabi­netts­tisch mit ihnen über den bes­ten Weg zur Umset­zung von Kli­ma­schutz­ge­set­zen zu strei­ten? Da ent­steht doch ein Wider­spruch, der irgend­wann viel­leicht auch Wähler*innen auf­fällt. Mag sein, dass das dahin­ter steckt, dass Merz etc. nicht ein­fach nur plan­los in die Arme der Fins­ter­nis ren­nen, weil das schein­bar rech­te Wähler*innen über­zeugt, son­dern dass sie aktiv aus­schlie­ßen wol­len, bei den nächs­ten Wah­len über Koali­tio­nen mit Bünd­nis 90/Die Grü­nen auch nur nach­den­ken zu müs­sen. Zie­le wäre dann ent­we­der – Modell Ber­lin – eine Koali­ti­on mit einer wil­li­gen SPD, oder, um noch wei­ter in die Ver­gan­gen­heit zu gehen, eine CDU-SPD-FDP-Koali­ti­on als Koali­ti­on der ganz alten Bun­des­re­pu­blik. Denk­bar – aber da will ich nichts unter­stel­len – wäre rech­ne­risch natür­lich auch eine Öff­nung zur AfD. Öster­rei­chi­sche Ver­hält­nis­se? Oder gar Ungarn als Vor­bild? Ich hof­fe doch nicht. 

Kurz: Landtagswahl in NRW

In Schles­wig-Hol­stein ist immer noch nicht kla­rer, wie es wei­ter­geht – dort scheint Dani­el Gün­ther auf eine „über­gro­ße“ Fort­füh­rung von Jamai­ka behar­ren zu wol­len. Heu­te dann Wahl in NRW – mit einem groß­ar­ti­gen grü­nen Ergeb­nis, etwa eine Ver­drei­fa­chung zum letz­ten Stand mit jetzt rund 18 Pro­zent; es wird noch gezählt. Anders als im Vor­feld erwar­tet kein Kopf-an-Kopf-Ren­nen zwi­schen CDU und SPD, viel­mehr liegt Wüst mit rund 36 Pro­zent deut­lich vor der SPD mit rund 27 Pro­zent. Dem Land­tag gehö­ren nach aktu­el­lem Stand wei­ter­hin FDP und AfD an, jeweils rund 5,5 Pro­zent nach dem aktu­el­len Stand der Hoch­rech­nun­gen. In Sit­zen umge­rech­net heißt das: Schwarz-Grün hät­te eine Mehr­heit, Schwarz-Rot theo­re­tisch auch, und eine Ampel wäre eben­falls mög­lich. An aktu­ell zwei Sit­zen schei­tert dage­gen Rot-Grün. Anders wür­de es aus­se­hen, wenn eine der bei­den klei­nen Par­tei­en doch raus­fliegt. Wer defi­ni­tiv mit kata­stro­pha­len zwei Pro­zent – und ver­dient – nicht drin ist: die LINKE. 

Ich lege mich fest: FDP und AfD wer­den im Land­tag blei­ben, eine Mehr­heit für Rot-Grün wird es nicht geben. Damit ste­hen sich als mög­li­che Regie­rungs­mo­del­le Schwarz-Grün und eine Ampel gegen­über. Auch wenn’s legi­tim und mit Blick auf den Bund irgend­wie nahe­lie­gend wäre, glau­be ich nicht so recht dar­an, dass die knapp noch­mal in den Land­tag gekom­me­ne FDP da mit­ma­chen wird. Inso­fern hal­te ich es für sehr wahr­schein­lich, dass jetzt zunächst ver­sucht wird, über Schwarz-Grün zu ver­han­deln. Die CDU-State­ments dazu klan­gen fast schon anbie­dernd, die grü­nen State­ments etwa der Spit­zen­kan­di­da­tin Mona Neu­baur mach­ten klar, dass es wie im Wahl­kampf ver­spro­chen um Inhal­te gehen wird, d.h. ins­be­son­de­re um die Fra­ge, wie das Indus­trie­land NRW kli­ma­neu­tral wer­den kann. Ich bin gespannt – und gra­tu­lie­re den nord­rhein-west­fä­li­schen Grü­nen schon mal zur mit 39 oder 40 Per­so­nen bis­her größ­ten grü­nen Frak­ti­on im NRW-Landtag! 

Bleibt am Schluss noch der Hin­weis des Poli­tik­wis­sen­schaft­lers Rai­ner Faus, dass die Vor­stel­lung falsch ist, aus vie­len Ein­zel­ab­stim­mun­gen in der Wahl­ka­bi­ne ent­stün­de so was wie ein „Wäh­ler­wil­le“ oder ein „Regie­rungs­auf­trag“. Das ist nicht der Fall, son­dern das Ergeb­nis von Ver­hand­lun­gen – egal, wer immer wie­der die glei­chen Behaup­tun­gen auf­stellt. (Und eben­so lie­ße sich hier noch­mal dar­auf hin­wei­sen, dass der „Wahl­ge­win­ner“ am Schluss die Par­tei ist, die die Regie­rung stellt.)

Zur Landtagswahl in Schleswig-Holstein

Schles­wig-Hol­stein hat gewählt, und das Ergeb­nis ist irgend­wie doch über­ra­schend. Mit 43,4 Pro­zent schrappt Dani­el Gün­thers CDU an der abso­lu­ten Mehr­heit (ein Sitz fehlt!). Auf Platz zwei lan­den die schles­wig-hol­stei­ni­schen Grü­nen mit 18,3 Pro­zent und 14 Sit­zen, ein Rekord­ergeb­nis auch das. Ganz vor­ne lie­gen Grü­ne bei den jüngs­ten Wähler*innen – übri­gens in einem Land mit Wahl­al­ter 16. Und erst­mals in Schles­wig-Hol­stein sind unter den Man­dan­ten auch drei grü­ne Direkt­man­da­te (zwei­mal Kiel, ein­mal Lübeck) – herz­li­chen Glückwunsch!

Die SPD – vor eini­gen Wochen im Saar­land noch glän­zen­de Gewin­ne­rin – ver­liert mas­siv und kommt auf 16,0 Pro­zent (12 Sit­ze), die FDP hal­biert sich etwa (6,4 Pro­zent, 5 Sit­ze), und der SSW kommt auf 5,7 Pro­zent und vier Sit­ze. Erfreu­lich: die AfD ver­passt den Wie­der­ein­zug und zeigt, dass Rechts­extre­me auch abge­wählt wer­den können.

Die Koali­ti­ons­bil­dung wird jetzt inter­es­sant. Rech­ne­risch wäre eine Grü­ne-SPD-SSW-FDP-Koali­ti­on mit der bis­he­ri­gen grü­nen Finanz­mi­nis­te­rin Moni­ka Hein­old an und einem Sitz Mehr­heit mög­lich, poli­tisch denk­bar ist das wohl aber nicht. Blei­ben die CDU-plus-x-Vari­an­ten. Laut ARD am belieb­tes­ten wäre eine Fort­set­zung von Jamai­ka – aber das haben, sofern nicht not­wen­dig, Grü­ne wie FDP aus­ge­schlos­sen. Zuge­spitzt: Jamai­ka hat sich durch zu gro­ßen Zuspruch ver­un­mög­licht. Die Vari­an­te CDU-SSW schei­tert wohl inhalt­lich, eben CDU-SPD. Blei­ben CDU-FDP oder CDU-Grü­ne … oder eine CDU-Allein­re­gie­rung als skan­di­na­vi­sche Minderheitsregierung.

Robert Habeck – des­sen „Baby“ das grü­ne Auf­blü­hen in Schles­wig-Hol­stein immer noch ist, und des­sen Beliebt­heit wohl Zug­kraft ent­wi­ckelt hat, auch wenn die grü­nen Kom­pe­tenz­wer­te bei Kli­ma und Umwelt sin­ken – Habeck also warb ges­tern Abend mit Feu­er in jedes ihm hin­ge­hal­te­ne Mikro­fon für Schwarz-Grün, dass sei die Fort­set­zung der lager­über­grei­fen­den Erfolgs­ge­schich­te, Schwarz-Gelb dage­gen ein Rück­fall in die 1980er. Inhalt­lich bin ich da bei ihm, zuver­sicht­lich, dass das am Ende das Ergeb­nis ist, bin ich nicht.

Nun bin ich kein Poli­tik­wis­sen­schaft­ler, aber wenn ich das rich­tig ver­ste­he, gibt es zwei Denk­schu­len dazu, wel­che Koali­tio­nen wahr­schein­lich sind. Die eine blickt auf inhalt­li­che Schnitt­men­gen (Ergeb­nis wäre hier Schwarz-Gelb), die ande­re kommt mit Blick auf Macht­aspek­te, Minis­ter­pos­ten etc. unter allen inhalt­lich nicht aus­ge­schlos­se­nen auf die kleinst­mög­li­che als wahr­schein­lichs­te Koali­ti­on (und auch das wäre Schwarz-Gelb).

Dass am Ende doch Schwarz-Grün her­aus­kommt, ist nicht unmög­lich. Wenn es so sein soll­te, wäre das aus grü­ner Sicht gut, sicher­lich auch gut für das Land – und etwas wirk­lich Neu­es, weil es dann kein aus der Not gebo­re­nes Grün-Schwarz wäre, son­dern ein trotz „bes­se­rer“ Alter­na­ti­ven gewähltes.

Bleibt die bun­des­po­li­ti­sche Bril­le. Dani­el Gün­ther hat gezeigt, dass eine CDU des 21. Jahr­hun­derts gewin­nen kann. Er steht gewis­ser­ma­ßen für das Gegen­teil der Merz-CDU aus den 1990ern. Jede Koali­ti­ons­ent­schei­dung wird auch dar­auf­hin gedeu­tet wer­den, wird, auch wenn es letzt­lich um die A20 oder das Wat­ten­meer geht, als Ent­schei­dung für oder gegen den Kurs der Bun­des-CDU gele­sen werden.

Rele­van­ter dafür, ob Fried­rich Merz sich eta­blie­ren kann, oder ob die CDU nicht zur Ruhe kommt, dürf­te aller­dings die NRW-Wahl am nächs­ten Sonn­tag sein. Dort lie­gen CDU und SPD aktu­ell Kopf an Kopf, eine Abwahl des CDU-MPs Wüst ist denk­bar. Und soll­te es dazu kom­men, dürf­ten die ers­ten fra­gen, ob Merz der rich­ti­ge Spit­zen­mann für die CDU ist. Sehen wir dann – und war­ten jetzt erst ein­mal dar­auf, wie sich das mit den Koali­tio­nen an der Küs­te wei­ter entwickelt.

Kurz: 100 Mrd. Euro für die (militärische) Zeitenwende?

Ich habe mir ges­tern die Son­der­sit­zung des Bun­des­tags – das ers­te Mal über­haupt an einem Sonn­tag – ange­schaut. Das war eine his­to­ri­sche Sit­zung. Trotz­dem hin­ter­lässt sie bei mir ein scha­les Gefühl. Das hat vor allem mit der „Zei­ten­wen­de“ zu tun, die Bun­des­kanz­ler Scholz als Leit­mo­tiv sei­ner Rede gewählt hat, und die vor allem durch Auf­rüs­tung und eine Abkehr vom bis­he­ri­gen Kurs der SPD gekenn­zeich­net zu sein scheint

Um nicht falsch ver­stan­den zu wer­den: ich begrü­ße es, dass es jetzt spür­ba­re Sank­tio­nen gegen Putins Russ­land gibt. Und ich hal­te es in die­ser his­to­ri­schen Situa­ti­on für rich­tig, dass die EU der Ukrai­ne Waf­fen lie­fert – es geht dar­um, sich gegen einen Angriff zu ver­tei­di­gen. Da hält die Ukrai­ne bes­ser stand, als Putin sich das wohl gedacht hat­te. Und ja, ich fin­de es sogar nach­voll­zieh­bar, dass die Ver­tei­di­gungs­li­nie der NATO nach Osten jetzt ver­stärkt wer­den soll.

Aber mir war das bei Scholz dann doch zu viel Begeis­te­rung dafür, der Bun­des­wehr noch mehr Geld zu geben. Ande­re Fra­gen kamen in sei­ner Rede nur am Ran­de vor – die zukünf­ti­ge Per­spek­ti­ve der Ukrai­ne. Die Tat­sa­che, dass es auch sozi­al­de­mo­kra­ti­sche Ener­gie­po­li­tik war, die uns in die jet­zi­ge Abhän­gig­keit gebracht hat. Und auch in Rich­tung der aus der Ukrai­ne flie­hen­den Men­schen fehl­te mir in Scholz‘ Rede Empa­thie und aus­ge­streck­te Hän­de. Ein Stück weit fand sich dass das dann bei Baer­bock (huma­ni­tä­re Hil­fe), bei Habeck (Ener­gie­po­li­tik) und selbst bei Lind­ner (das bis­her grü­ne Framing von Kli­ma­schutz als Ermög­li­chung von Frei­heit auf­grei­fend) wie­der. Aber trotz­dem – ich hät­te das ger­ne von Scholz gehört. So ste­hen die ange­kün­dig­ten 100 Mrd. € für die Bun­des­wehr dem Bit­ten um zwei­stel­li­ge Mil­lio­nen­be­trä­ge für huma­ni­tä­re Hil­fe gegen­über; von einem 100-Mrd.-€-Manhattan-Programm, um die „Ener­gie­sou­ve­rä­ni­tät“ schnellst­mög­lich zu errei­chen, war eben­so nichts zu hören. Gleich­zei­tig heißt es von Lind­ner, dass die Schul­den­brem­se wei­ter gilt und die Inves­ti­tio­nen in die Bun­des­wehr anders­wo ein­ge­spart wer­den müs­sen. Dass da das Par­la­ment mit­zu­re­den hat, hat dan­kes­wer­ter­wei­se Brit­ta Haßel­mann deut­lich gemacht. Viel­leicht setzt sich ja doch noch ein Kurs intel­li­gen­ter Stär­kung der Bun­des­wehr statt schlicht „mehr Geld in Rüs­tung“ durch. Das wer­den jeden­falls kei­ne ein­fa­chen Ent­schei­dun­gen in der Koalition.

Am Ran­de: Merz begann staats­män­nisch und ende­te unter­ir­disch; die Lin­ke wag­te die vor­sich­ti­ge Distan­zie­rung von ihrer bis­he­ri­gen Linie, und die AfD wäre jeder­zeit bereit, ein putin­sches Mario­net­ten­ka­bi­nett zu bilden.