Ein interessanter Aspekt von Paolo Bacigalupis neuem Science-Fiction-Werk „The Windup Girl“ – übrigens zurecht als zeitgenössisches Gegenstück zu William Gibsons Neuromancer-Trilogie gehandelt und in einem Atemzug mit Ian McDonald genannt – ist die Tatsache, dass Bacigalupi seine Erzählung in einer Zukunft stattfinden lässt, die nach der Globalisierung angesiedelt ist. Für „The Windup Girl“ ist das mehr oder weniger nur der szenische Hintergrund einer Geschichte, in der sich die finsteren Prophezeiungen unkontrollierbarer Genmanipulation, agroindustrieller Nahrungsmittelmonopole und der Klimakatastrophe erfüllt haben. Trotzdem möchte ich „The Windup Girl“ zum Anlass nehmen, diese Zukunft in den Blick zu nehmen.
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Zehn Sätze zum Rauchverbot
Vielleicht sollte ich damit anfangen, dass ich selbst nicht rauche, auch nie geraucht habe. Und dass ich dennoch, als es vor ein paar Jahren um das Rauchverbot – oder muss das Nichtraucherschutz heißen? – eher die liberale Position vertreten habe, dass es ja wohl keine staatliche Sache sei, sich da über – sagen wir mal – die Verpflichtung, kenntlich zu machen, ob in einer Gaststätte geraucht werden darf, hinaus zu engagieren. Inzwischen habe ich mich dran gewöhnt: an rauchfreie Züge, an rauchfreie Gaststätten, an eine rauchfreie Uni. Ich empfinde es als unangenehm, wenn jemand sich an der Straßenbahnhaltestelle eine Zigarette anzündet oder wenn ich am Bahnsteig am gelben Raucherviereck vorbei muss, und als normal, dass auf Parteitagen nicht geraucht wird. Aufregen könnte ich mich, wenn ich sehe, wie Eltern mit Kind im Kinderwagen rauchen.
Damit geht es um die grundsätzliche Frage: darf der Staat (und da ist es egal, ob der Staat das über die demokratisch gewählte Regierung oder via Volksentscheid durchsetzt) hier eingreifen, so direkt in individuelle Körperpraxen intervenieren? Letzlich ist das Rauchverbot in öffentlichen Räumen und Gaststätten ja sowas wie Prävention light, also eine Art Drogenverbot. Dem stehe ich weiterhin skeptisch gegenüber. Bleibt das Argument des Passivrauchens, der direkten Gefährdung und Belästigung Dritter – dem könnte durch technische Lösungen (rauchfreie Zigaretten und ähnliche Innovationen) abgeholfen werden. Toleranz durch Technik?
Äpfel und Birnen vergleichen
Ich kaufe inzwischen zu ungefähr 80–90% Bioprodukte. Das mag auch daran liegen, dass ich inzwischen eine Kundenkarte bei „meinem“ Bioladen habe und damit das Preisniveau halbwegs erträglich ist. Letztlich kaufe ich aber aus politischen Gründen „bio“: weil ich Probleme damit habe, wie der agrarindustrielle Komplex wirtschaftet, weil ich, wenn ich schon Milchprodukte und Eier verzehre, zumindest keine Massentierhaltung damit unterstützen möchte, und weil ich – zum Beispiel beim Kaffee und bei Schokolade – inzwischen „fair“ und „bio“ verbinden kann und sich das sozio-ökologisch gut anfühlt.
Ich weiss, dass es viele gibt, die den Bio-Konsum weniger politisch begründen, sondern – LOHAS ist hier das Schlagwort – mit Lifestyle und „Health“ (vgl. auch NVS II). Aber auch kontrolliert biologisch angebauter fairer Rohrohrzucker ist Zucker, um nur ein Beispiel zu nennen, warum „bio“ nicht automatisch „gesund“ bedeutet. Insofern wundern mich die jetzt viel diskutierten Ergebnisse des Stiftung-Warentest-Vergleichs zwischen biologisch angebauten und konventionellen Produkten wenig. Und ja: dass, wenn beim Anbau weniger Gift eingesetzt wird (auch z.B. Kupferlösungen im Weinbau sind letztlich Gift), dann auch weniger Pestizide im Essen sind: auch das wundert mich nicht wirklich.
Gleichzeitig muss schon gefragt werden, mit was für einem Verständnis die Stiftung Warentest an den Vergleich rangegangen ist. Zumindest zwischen den Zeilen scheint da die alte Tonnen-Ideologie durchzuscheinen. Gut ist, wo viel drinsteckt – Hochleistungskühe, überdüngte Felder, aufgeputsche Kunstlebensmittel, und was möglichst billig ist. Mit der SZ kann also die Frage gestellt werden, was die politische Agenda dahinter ist, Biolebensmittel schlechtzureden („sind ja gar nicht besser“) – vor allem dann, wenn die Ergebnisse des Vergleichs diese Aussage gar nicht decken.
Und auch dem Fazit der SZ kann ich mich nur anschließen:
Aber gemessen an den Ansprüchen, mit denen die ökologische Landwirtschaft eigentlich angetreten ist, bleibt es dabei: Bio war und ist besser. Besser für die Umwelt, die Tiere und letztlich auch für den Menschen.
Es geht also nicht um Gesundheitsförderung und „medicinal food“, sondern um einen viel weiter gefassten Begriff von Gesundheit – vergleichbar der Definition der WHO. Die Ansprüche ökologischer Landwirtschaft bestehen eben nicht darin, hochpreisige Nischenlebensmittel mit Wellnessfaktor zu produzieren, sondern ein Ernährungssystem zu etablieren, dass Lebensmittel herstellt, die nicht auf Massentierhaltung angewiesen sind, die Böden und Grundwasser in der Bewirtschaftung schonen und die idealerweise in regionaler Nähe produziert werden.
Anders gesagt: letztlich verbergen die so objektiv erscheinenden Testergebnis und Noten, dass dahinter immer ein – durchaus auch offengelegter, aber nichtsdestotrotz gesetzter – Maßstab der Bewertung steht. Insofern vergleicht die Stiftung Warentest hier Äpfel und Birnen.
Warum blogge ich das? Erstens, weil mich die Frage nach der Agenda hinter dem Schlechtreden von Biolebensmitteln durchaus auch umtreibt – und zweitens, weil ich es interessant finde, was für ein Echo diese – ja immer wieder mal auftauchenden – Meldungen haben. Kurz gesagt: die Politik des Biolebensmittelkonsums. Und drittens, weil ich glaube, dass wir „Ökos“ auch eine Spur Selbstkritik brauchen – eine qualitative Inhaltsanalyse der Produktwerbung und der einschlägigen Magazine dürfte zu Tage fördern, dass gerade in den letzten Jahren die für den Boom so förderliche Botschaft „Gesundheit“ immer wieder gerne nach vorne gestellt wurde.
Lesenswert: AufTakt 1993 wiedergefunden
Wenn meine Vermutungen über die soziodemographische Zusammensetzung meiner Blogleserschaft stimmen, müsste es einige geben, denen „AufTakt“ etwas sagt: das war das Jugendumweltfestival, das 1993 in Magdeburg stattfand. Und ich war dabei. Zwar nicht auf einer der Sternradtouren, aber beim Festival selbst, und auch beim medialen Auftakt – der „Hair“-Vorführung auf der Freiburger Mensawiese.
Karsten Schulz schreibt dazu:
„Die Freiburger Aufführung fand auf der Wiese vor der Mensa statt. Trotz beginnenden Regens wurde weiter gespielt und gesungen, was für das tanzende Publikum auf der Wiese ziemlich schlammig endete.“ (Schulz 2009, S. 90).
Ich erinnere mich jedenfalls noch gut an Zelten auf relativ nassen Elbwiesen, an Konzerte von Ygdrassil [Update, 6.8.23: weil mir die Stimme so im Ohr war, mal geschaut – und tatsächlich auf Spotify findet sich die Sängerin Linde Nijland und mit etwas Suchen auch die damals gehörte Band „Ygdrassil“, auf Nijlands Website als „Harmony Singing Duo“ beschrieben … das hört sich dann so an] und dem Wahren Helmut, an Mithelfen im Küchenzelt und buntbemalte, fröhliche Demos im Regen. Und an viele tausend junge Leute, die ein paar Tage lang zeigten, dass eine andere Republik möglich ist. So viele, dass es zum Beispiel (in der Ära vor dem Mobiltelefon) gar nicht so einfach war, Kontakt zu anderen Grüne-Jugend-AktivistInnen zu finden, die es zweifelsohne dort auch gab.
Und warum komme ich ausgerechnet jetzt auf einen Sommer vor knapp 17 Jahren zurück? Weil heute Karsten Schulz’ oben bereits einmal zitierte Dissertation in der Post war. Er hat dort AufTakt 1993 mit dem Ersten Freideutschen Jugendtag 1913 auf dem Hohen Meißner verglichen. Beim Reinblättern bin ich dann vor allem auf Erinnerungen gestoßen, und dachte mir, mal schauen, ob der Beginn – oder der Höhepunkt? – der Jugendumweltbewegung bei dem einen oder der anderen hier auch welche auslöst.
Wer ein bißchen in der näheren Vergangenheit schmöckern möchte, kann das im Buch tun – oder auf der von Karsten aufgebauten Website auftakt93.de mit Archivmaterial, Berichten und einem Überblick über die verschiedenen Veröffentlichungen zu AufTakt.
Nicht beantwortet ist für mich die Frage, ob AufTakt heute noch möglich wäre. Zum einen fehlt (soweit ich das überblicken kann) heute ein Äquivalent zur doch recht aktiven und hoch politisierten Jugendumweltbewegung – da wäre es übrigens mal spannend, systematisch zu schauen, was aus den damals Aktiven so geworden ist. Der einzige „Promi“ aus dem Jugendumweltbewegungsumfeld, der mir so einfällt, ist Sven Giegold. Und der Rest? Zum anderen sind die Randbedingungen heute anders. Mobiltelefon und Facebook-Vernetzung (Karsten Schulz berichtet noch, wie damals vor allem gefaxt wurde) sorgen beispielsweise für ein ganz anderes Verhältnis zwischen Dezentralität und zentraler Steuerung. Und auch politisch sieht es heute anders aus. Oder ist das nur der übliche Verdruss der älter Gewordenen über die neuen Jungen?
Karsten Schulz: Beschreibung und Verortung zweier überverbandlicher Jugendtreffen junger Jugendbewegungen. Kassel: Weber & Zucht 2009. Hier erhältlich.
Warum blogge ich das? Weil hier Teile meiner eigenen Biographie zu Geschichte werden, und der (technisch unterstützte) Generationenwechsel erst so richtig sichtbar wird. Und weil mich interessiert, wer diese Biographie teilt.
P.S.: Die Bilder sind Negative der (natürlich analogen) Fotos, die ich bei AufTakt gemacht habe – und weil ich grade nur die Negative gefunden habe, habe ich ausprobiert, ob ein LCD-Bildschirm, eine Spiegelreflexkamera und ein Bildbearbeitungsprogramm sich dazu eignen, Negativstreifen zu scannen und in richtige Farben umzuwandeln. Ergebnis: bedingt ;-) – aber Erinnerungen sehen halt mal so aus.
Vulkan greift Flugverkehr an!
Ausbruch des Eyjafjallajökull, Daníel Örn, CC-BY
Vulkanausbrüche sind ein gutes Beispiel für Naturereignisse, die große Konsequenzen für menschliche Gesellschaften haben, ohne dass es sich dabei um menschgemachte Katastrophen handelt. Oder wer hätte bis vor kurzem jemals die Vermutung geäußert, dass ein Vulkanausbruch auf Island zu Chaos in Zügen der Deutschen Bahn führen könnte?
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