Mitte Mai gab es dann »postpandemisch« einen beruflichen Auswärtstermin. Dabei habe ich festgestellt, dass Waldenburg und der Blick auf die Hohenlohe auch sehr schön sind – und erst bei sehr genauem Hinsehen die große Zahl an Windrädern auffällt, die hier stehen.
Auf Monsterjagd
Die meisten werden es kennen, von Partys oder vom Versuch, Kinder auf Bahnfahrten zu beschäftigen: Ein Papier wird mehrfach gefaltet, reihum wird ein Teil einer Person gemalt, ohne den Rest zu kennen, und das Ergebnis sieht dann meist ganz lustig aus.
Das gibt es auch in digital, unter monsterland.net findet sich beispielsweise ein solches Onlinespiel. Damit lässt sich sehr viel Zeit verbringen, insbesondere dann, wenn eine Eingabe per Stift und damit ein echtes Zeichnen möglich ist. Die entstehenden Monster sind teilweise kunstvoll, teilweise überraschend – und teilweise großer Mist. Wie bei der Papiervariante kommt es darauf an, dass die Übergänge zwischen Kopf, Bauch und Füßen hinreichend klar sind, so dass die nächste Person weiß, was sie zu tun hat. Und je nachdem kann die Freude oder die Enttäuschung groß sein, wenn das »eigene« Monster sich als Schönheit entpuppt oder völlig verhunzt ist, weil die dritte Zeichner*in partout nicht kapiert hat, was die Idee war. Und manchmal entstehen aus unerwarteten Kombinationen überraschende Dinge.
Science Fiction und Fantasy im Frühjahr 2022, Teil II
Nachdem ich vor ein paar Tagen etwas zu den Filmen und Serien geschrieben habe, die ich in diesem Frühjahr angeschaut habe, nun zur (digital) gedruckten Literatur.
Ich fange »meta« an – mit zwei Büchern, die sich auf unterschiedlichen Enden der Komplexitätsskala mit SF als Literaturgenre auseinandersetzen. Das ist zum einen der im Original französische Comic Die Geschichte der Science-Fiction (2021) von Xavier Dollo und Djibril Morissete-Phan. Nett, auch die Idee, Autor*innen und deren erfundende Welten als Teil der Lehrgeschichte auftauchen zu lassen – aber irgendwie wurde mir nicht so ganz klar, an wen sich das richtet. Für eine tiefergehende Auseinandersetzung mit der Geschichte der SF ist’s dann doch zu oberflächlich, zudem sind seitenlange in Großbuchstaben verfasste Infoboxen eher nicht so prickelnd. Einer ganzen Reihe der Buch‑, Film- und Comicempfehlungen, die am Rand des Comics empfohlen werden, beziehen sich auf die französische Genregeschichte und sind hier nicht erhältlich. Wer noch nichts über die Geschichte der Science Fiction als Genre weiß, wird durch dieses Buch eher verwirrt – wer sich schon damit auskennt, wird relativ bald ungeduldig. Vielleicht wäre das ganze als interaktive Website interessanter als als gedrucktes Buch.
Am anderen Ende der Komplexitätsskala liegt Dietmar Daths Niegeschichte. Science Fiction als Kunst- und Denkmaschine (2019). Auf fast tausend Seiten entwickelt Dath – der ja auch selbst Autor im Genre ist – eine an Beispielen und biografisch-politisch Exkursen reiche Analyse der Funktion von Science Fiction, die auch für Genrekenner*innen noch Entdeckungen bereit hält. Das ist allerdings ein Werk, das studiert werden muss. Insbesondere die zugrundeliegende Theorie, die im Begriff des algebraischen »Aufhebungsfunktors« und der »Neginduktion« mündet, stellt Graubrot oder schlimmeres dar, und muss erst einmal durchdacht werden, um die restlichen 900 Seiten mit Genuss und Erkenntnisgewinn zu lesen. Deutlich wird jedenfalls die Einbettung der SF-Kunstproduktion in ihre jeweiligen gesellschaftlichen Verhältnisse – und deutlich wird auch, dass das in Geschichten gepackte Nachdenken darüber, wie der Lauf der Dinge wäre, eigentlich nie unpolitisch ist, und trotzdem nicht einfach nur ein Werkzeug ist, sondern einen eigenen literarischen Anspruch entwickelt.
Soweit zum Lesen von Texten über Science Fiction – jetzt zur SF selbst.
Von dem nigerianisch-britischen Autor Tade Thompson habe ich Rosewater (2016) gelesen – ein gar nicht so einfach auf einen Punkt zu bringender Roman aus den 2050er/20260er Jahren. Er spielt weitgehend in Nigeria, an einem Ort namens Rosewater, der durch eine gigantische, undurchdringliche Kuppel gekennzeichnet ist, die das Alien Wormwood errichtet hat. Die Hauptperson, Kaaro, ist/war Spezialagent mit psychischen Fähigkeiten – und soll nun herausfinden, warum »Sensitive« wie er plötzlich erkranken und sterben. Neben der durchaus packenden (und meines Erachtens gut verfilmbaren) Handlung kann der Roman auch als Auseinandersetzung mit Hybridisierung und lokaler/globaler Kultur in Nigeria gelesen werden.
Auf Up against it (2011) von Laura Mixon bin ich gestoßen, weil Cory Doctorow über die jetzt erschienene Neuauflage getwittert hat. Und hey – es ist extrem bedauerlich, Mixon und ihr Buch erst jetzt entdeckt zu haben. Mich erinnerte das Setting etwas an The Expanse (der erste Band davon ist ebenfalls 2011 erschienen), insbesondere mit Blick auf die Konflikte zwischen Erde und Astroiden-Siedlung, letztere der Ort der Handlung. Zugleich ist Mixon eine würdige Nachfolgerung der cyberpunkigen Spielart der Space Opera (ich denke da an Bruce Sterlings Schismatrix [das Mixon die Idee eines Viridian Movements von ihm übernommen hat, spricht für sich und für sie] oder die Weltraum-Bücher von Michael Swanwick), und auch der eine oder andere Bezug zu Snow Crash von Neal Stephenson ließe sich herstellen. Die ineinander verschränkten Fokuspunkte, die Mixon benutzt, sind zum einen der Blick von Geoff, einem Teenager, der lieber (Nano-)Dinge zusammenhackt, als etwas sinnvolles zu tun, und der der Administratorin Jane, die das Wohlergehen der ganzen Kolonie vor Augen hat, und gleichzeitig in Machtspielen gefangen ist. Geoffs Bruder kommt ums Leben – was erst wie ein Unfall aussieht, ist ein Mord – und nur der Beginn einer Entwicklung, die ganz Phocaea in Gefahr bringen kann. Mir hat’s sehr gut gefallen.
Ebenfalls Space Opera, aber ganz anders geartet, sind einige der Kurzgeschichten und Novellen von Aliette de Bodard, die ich erst jetzt für mich entdeckt habe. Während ich mit der Urban Fantasy Of Dragons, Feasts and Murders (2020) nicht viel anfangen konnte, vielleicht auch, weil ich mich in die S/M‑Beziehung zwischen den beiden Hauptpersonen nicht so richtig einfühlen konnte, bin ich an ihren Xuya-Universe-Geschichten hängen geblieben. Im einzelnen sind das die Novellen On a Red Station, Drifting [2012], The Citadel of Weeping Pearls [2015], The Tea Master and the Detective [2018] und Seven of Infinities [2020] sowie diverse Kurzgeschichten. Die gemeinsame Welt (zum Teil tauchen auch Personen aus der einen Novelle im Hintergrund der anderen auf) ist ein vietnamesisch geprägtes Weltraumimperium. Werte wie die Achtung der Familie und eine strikte Hierarchie ziehen sich hier ebenso durch wie AIs, die auf Harmonielehren aufbauen, überlichtschnelle Schiffe steuern und Raumstationen kontrollieren oder Memorychips, die den Rat der verstorbenen Älteren immer parat halten – kombiniert mit queeren Romanzen, Kriminalfällen und Sozialstudien. Eine lesenswerte und zu recht mehrfach preisgekrönte Mischung.
Adrian Tchaikovskys Elder Race (2021) wirkt erst einmal wie Fantasy – es gibt eine Königin und miteinander im Krieg liegende Königreiche, es gibt Gerüchte über Magie und dunkle Dämonen, und auf dem Berg in einem Turm lebt ein Zauberer. Relativ bald ist klar, dass der ein Anthropologe ist (deswegen auch die Vergleiche mit Le Guin in den Buchbesprechungen; ganz diesen Status erreicht das Buch meiner Meinung nach aber nicht), dass es hier um eine vergessene Kolonie geht, und dass das, was wie Magie aussieht, eigentlich Technologie ist. Interessant wird das Buch durch die doppelte Perspektive – mit Lynesse sind wir in einem Abenteuerroman, mit Nyr in einer Lost-Colony-Geschichte, und das wechselt von Kapitel zu Kapitel, bis die Perspektiven beginnen, sich zu schneiden.
Definitiv keine Science Fiction ist dagegen Francesca Mays Wild and Wicked Things (2022) – England nach dem ersten Weltkrieg, es gibt Magie, die allerdings nach dem Einsatz im Krieg verboten und verpönt ist. Annie Mason kommt nach Crow Island, um das Erbe ihres Vaters anzutreten und den Kontakt zu ihrer Freundin Beatrice wieder herzustellen. Es gibt Gerüchte darüber, dass Magie auf Crow Island gelebt wird – insbesondere die Partys im Delacroix-Haus sind berüchtigt. Annie fühlt sich zu Emmeline Delacroix hingezogen – und gerät immer tiefer in die Welt der Magie, die ihre Kosten hat. Das Buch ist fesselnd geschrieben und bringt das Zeitgefühl dieser Zwischenkriegszeit sehr gut rüber; in gewisser Weise musste ich daher beim Lesen an Vogts Anarchie Déco denken – beiden Büchern gemeinsam ist die ungefähre Epoche, eine queere Liebesgeschichte und eben eine Alternativweltgeschichte, in der es Magie gibt – aber so richtig lebendig wird all das für mich bei May und nicht bei den Vogts.
Nicht wirklich empfehlen möchte ich am Schluss Kameron Hurleys Empire Ascendant (2015), den zweiten Teil ihrer Worldbreaker-Geschichte. Ich musste mich eher durcharbeiten, die Vielzahl an Perspektiven mit jeweils unterschiedlichen Konventionen lässt den Überblick schnell vermissen. Wer epische Fantasy – hier vermischt mit Parallelwelten – mag, wird einiges an Empire Ascendant spannend finden, mir war das zu vollgepackt, und teilweise auch zu grausam. Band 2 gelesen habe ich vor allem, weil ich am Schluss von Band 1 wissen wollte, wie es weitergeht.. Teil 3 werde ich aber erst mal nicht lesen.
Photo of the week: A murder of crows VIII
Vor ein paar Tagen stellte ich fest, dass diverse Vogel- und Herbstlandschaftsfotos aus dem November noch unbearbeitet auf meiner Festplatte lagen. Zumindest eines davon möchte ich gerne zeigen – ein Krähenschwarm in Aktion. Oder, wenn die Augen zugekniffen werden: vielleicht sind es auch Striche eines Tuschepinsels.
Science Fiction und Fantasy im Frühling 2022, Teil I
Allmählich wird es Zeit, die ganzen Bücher und Filme/Serien, die ich im Frühjahr angeschaut habe, Revue passieren zu lassen. Und aus Gründen teile ich das in zwei Beiträge – heute die Filme und Serien, die Bücher und Kurzgeschichten folgen später. Angeguckt habe ich nämlich – neben einem Rewatch der »Umbrella Academy« mit meinen Kindern – ziemlich viel. Also, eigentlich nur einen Film – The Green Knight – und gleich viereinhalb Serien.
The Green Knight (2021), eine Adaption der Arthus-Sage, ist verdichtet, hübsch anzuschauen, seltsam, teilweise poetisch, und das Ende ist unbefriedigend düster. Letztlich steckt hier in etwas über zwei Stunden ähnlich viel Stoff wie in einer ganzen Staffel einer Fantasy-Serie, aber im verdichteten Fokus auf den jungen Sir Gawain (der nicht der titelgebende Green Knight ist). Also durchaus interessant und ansehenswert. Und manches erschließt sich erst im Nachlesen der Wikipedia-Beschreibung. (Machen das andere Menschen auch so, nach dem Filmgucken erst mal nachzugucken, was sie da gesehen haben?)
Bleiben wir bei Fantasy: The Wheel of Time (2022) ist eine von Amazon Prime groß beworbene Verfilmung der Bücher (ab 1990 erschienen) von Robert Jordan, die ich allerdings nicht gelesen habe. In gewisser Weise das übliche: Auserwählte, Traumatisierung, ein Quest, der Kampf Hell gegen Dunkel, ein Magiesystem und eine untergegangene Welt. Mir haben sowohl das Casting der Hauptpersonen als auch die Ausstattung, die Kostüme und der Weltenbau (bei allen Plausibilitätsfragen) gut gefallen. Was wahrscheinlich auf die Vorlage zurückzuführen ist, ist der die Serie durchziehende Dualismus: es gibt eine helle und eine dunkle Seite, und es gibt eine Welt der Frauen und eine Welt der Männer, die sich durch den Zugang/Nicht-Zugang zu Magie unterscheidet. Positiv betrachtet führt das in der ersten Staffel zu starken weiblichen Hauptpersonen, allerdings schwingt für mich da immer auch mehr als ein Hauch Essentialismus mit. Der zweite Punkt, bei dem ich mir nicht so sicher bin, was ich davon halten soll (und wie viel davon aus Jordans Büchern kommt) ist der Umgang mit den fantasy-typischen sekundarisierten ethnischen Zuschreibungen. Das führt einerseits zu einer im positiven Sinne sehr divers ausgestalteten Welt, in der unterschiedliche Kulturen, Hautfarben, Herkünfte vorkommen, andererseits sind das teilweise nur sehr dünn übertünchte Klischees real existierender Kulturen, von travellers über pseudo-arabische bis hin zu irgendwie asiatischen Traditionen. Richtig seltsam wird das, wenn einem auffällt, dass die wichtigsten Antagonisten der ersten Staffel dunkelhäutig sind – und der Hauptgegner, The Dark One, bzw. sein Avatar Ishamael, an antisemitische Karikaturen erinnert. Soll das so sein?
Die zweite Verfilmung einer Buchreihe mit Klassikerstatus, die ich mir angeschaut habe, ist die erste Staffel von Foundation (2021) nach den Büchern von Isaac Asimov. Nominell Science Fiction, in der Jahrtausende umspannenden, teilweise mythisch aufgeladenen Fassung von Science Fiction taucht dann aber doch das eine oder andere Fantasy-Element auf. Es ist eine Weile her, dass ich Asimovs Foundation gelesen habe, und ich war mir nicht so sicher, wie die dem Buch zugrundeliegende Psychohistorik als mathematisch-stochastisch basierter Blick in die Zukunft in Bilder umsetzbar ist. Das ist der Verfilmung gut gelungen, wie überhaupt einiges an Wow-Effekten und spannenden ästhetischen Entscheidungen in der ersten Staffel steckt. Und die Modernisierungen, die Apple TV bei der Verfilmung vorgenommen hat – etwa die Einfügung der einen oder anderen weiblichen Hauptperson in das weitgehend rein männliche Personal der 1951er Buchfassung – finde ich zielführend und sinnvoll. Anschaubar.
Und noch eine Buchverfilmung – The Expanse ist mit sechsten Staffel (2021/22) zu Ende gegangen, und es ist klar, dass trotz des einen oder anderen offenen Handlungsfadens und Vorahnung wohl – zunächst – keine Fortsetzung geplant ist. Was schade ist, aber immerhin kommt die Serie in der sechsten Staffel in gelungener Weise zu einem Ende. Über alle sechs Staffel hinweg überzeugte mich die Mischung aus großer solarer Geopolitik zwischen Erde, Mars und dem »Belt«, dem Asteroidengürtel – und jetzt der Welt hinter dem Ring -, überwiegend realistischer Science-Fiction (mit einem zum Glück nur in kleinen Mengen beigemischtem Anteil Horror) und den persönlichen Entwicklungen und Spannungen in der Besatzung der Rocinante. Vielleicht geht’s ja doch noch weiter.
Dann nochmal Science Fiction – die zweite Staffel von Picard (2022) spielt zwar nominell im Star-Trek-Universum, ist aber eigentlich eine ganz andere Geschichte – über den inner space von Picard und die Traumata, die er in seiner Kindheit erlebt hat, über die Einsamkeit der Borg – und über die 2020er Jahre auf der Erde. Dass dafür ein ganz großer Zeitreise-Bogen gespannt werden muss, und nicht immer alles logisch aufeinander aufbaut: geschenkt.
Und last but not least: Netflix hat seiner Horror/Science-Fiction-Anthologie Love, Death & Robots (2022) eine dritte Staffel gegönnt. Ich habe noch nicht alle Folgen angeschaut, finde aber das Konzept, Kurzgeschichten knapp (10–20 Minuten je Folge) zu verfilmen, zumeist als 3D-Animation, durchaus überzeugend. »The Swarm« basierend auf einer schon etliche Jahre alten Kurzgeschichte von Bruce Sterling ist nah am Text, wirkte mir optisch aber zu sehr nach Computerspiel (und außerdem habe ich mir den Schwarm ganz anders vorgestellt). John Scalzis drei Roboter sind dagegen ein extrem passender Kommentar zur aktuellen Lage in den USA. Besonders empfehlenswert finde ich die Verfilmung von Michael Swanwicks »The Very Pulse of the Machine«, allein schon wegen der an Moebius erinnernden grafischen Umsetzung.