Kurz: taz-Leserbrief zur LDK (Update 6)
Mal wieder keine Zeit, dass zu tun, was ich jetzt gerne tun würde, nämlich ausführlich von der grünen Landesdelegiertenkonferenz in Schwäbisch Gmünd zu berichten. Die hat nämlich gezeigt, wie wichtig Arbeit in die Partei hinein ist, um Vertrauen zu erlangen, das dann auch bei der Listenaufstellung zählt (von einem Linksrutsch zu sprechen, nur weil statt Uschi Eid jetzt Beate Müller-Gemmeke unter den ersten acht ist – ansonsten ist das Personalpaket nämlich unverändert – wäre ganz übertrieben). Aber dazu vielleicht ein anderes Mal mehr, jetzt nur kurz mein Leserbrief an die taz (der BZ müsste ich für einen Artikel, dessen kleinster Fehler es ist, Petra Roth und Claudia Roth miteinander zu verwechseln, eigentlich auch einen schreiben …).
Bei der Überschrift „Das Kind, das zu viel will“ habe ich ja erst gedacht: na endlich, da blickt mal ein Journalist durch, was auf dem Parteitag passiert ist: da will einer nicht nur den Bundesvorsitz, sondern glaubt auch, mit reinen Prestigeargumenten Druck machen zu können, um noch mehr zu bekommen. Stand aber nicht im Kommentar, sondern der war wieder nur die Paraphrase dessen, was Cem Özdemir in seiner Rede schon gesagt hat. Mein Eindruck als Delegierter war anders: Die anwesenden Parteimitglieder wussten genau, was sie gemacht haben, sie wussten auch, dass es kein gutes Presseecho gibt, wenn der designierte Parteichef durchfällt – aber sie haben mit diesem Wissen anders entschieden und einer für Baden-Württemberg und die Grünen guten Bundestagsliste und der Trennung von Amt und Mandat den Vorzug gegeben. Wer immer dazu gebracht hat, dass Cem dann auf Platz 8 noch einmal angetreten ist, ist ein schlechter Berater. Der Parteitag hat sehr deutlich gemacht, dass er Cem für einen guten Bundesvorsitzenden hält – mit viel Applaus bei dessen Rede und auch am Schluss. Aber eins mögen Grüne überhaupt nicht: Erpressungsversuche von oben. Fazit: Es gab viele gute grüne Vorsitzende ohne Mandat – und auch Cem könnte einer davon werden.
Update: Der Kommentar der Süddeutschen ist da doch schon ein ganzes Stück weit näher dran an dem, was ich in der Halle in Schwäbisch Gmünd beobachtet habe. Ja: es geht auch um Inhalte, aber auch um Vernetztsein, das heißt eben auch darum, die „Basis“ der Partei ernst zu nehmen. Wichtige Qualität für grüne Vorsitzende wie Abgeordnete, nebenbei bemerkt.
Update 2: Die Sachergebnisse und die gesamte Liste gibt’s auf der grünen Website. Dort auch Fotos von der LDK, u.a. dieses (Gratulation für Sylvia Kotting-Uhl, oder: Landesvorsitzender Daniel Mouratidis zwischen vier bekennenden Linken …).
Update 3: Ach so, der Twitter-Live-Bericht in der Retrospektive ist vielleicht auch noch erwähnenswert.
Update 4: Laut Medienberichten hat Cem Özdemir erkärt, trotz der Abstimmungsniederlage für den Parteivorsitz zu kandidieren. Ich denke, er hat was drauss gelernt, und finde es gut, dass er das machen will.
Update 5: Dirk Werhahn, Agnieszka Malczak und Wolfgang G. Wettach (1, 2) haben auch schon was gebloggt.
Update 5: (16.10.2008) Inzwischen ist mein Leserbrief (mit kleinen Veränderungen) wie auch ein paar weitere zur LDK in der taz erschienen.
Zwischenstation (Update 2)
Nur kurz ein Lebenszeichen (für alle, die meinen Microblogging-Twitter-Feed ignorieren): ich war bis gerade eben auf dem 34. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Soziologie im beschaulichen Jena, und werde dann morgen zum grünen Listenaufstellungsparteitag für Baden-Württemberg fahren (Henning wird wohl live berichten). Zur Listenaufstellung jetzt nichts weiter, zum Soziologiekongress noch ein paar Eindrücke:
Von der BesucherInnen-Zahl her war der Kongress (diesmal unter dem Motto „Unsichere Zeiten“) groß und bunt wie immer. Insgesamt fand ich ihn sehr gelungen, vor allem auch die räumliche Nähe (fast alles in einem Gebäude, ganz anders als in Kassel vor zwei Jahren). Es gab eine gewisse Arhythmik im Programm: morgens oft nicht so ganz spannende Plenen parallel, nachmittags ungfähr 25 Veranstaltungen zur Auswahl, und abends ein nichts so ganz überschneidungsfreies Programm.
Im Vorfeld habe ich von Leuten mit anderem Fachhintergrund gehört, dass ein ganzwöchiger Kongress ja Luxus sei. Aber ich glaube, genau dieser Luxus macht viel für die (wie ich immer noch finde, sehr starke) Fachidentität aus. Nicht nur, dass so ein Kongress – er findet übrigens alle zwei Jahre statt – ein exzellenter Generator für zufällige Begegnungen (und den Überblick über das soziologische Publikationswesen) ist. Er trägt auch stark dazu bei, sich zu vergewissern, dass es da – bei allen Schulenbildungen und heftigen Hahnen‑, Hennen- und Kückenkämpfen – eine weit geteilte gemeinsame Grundstimmung gibt. Er normalisiert den Modus der Verunsicherungserwartung und verstärkt die Wahrnehmung, dass es eben doch noch ziemlich viele andere gibt, die ähnliche Weltbeobachtungen anstellen. Also: Gemeinschaftsbildung (besonders gut sichtbar in der Abschlussveranstaltung, in der unter dem Motto „Männer auf verlorenem Posten“ eine Soziologin und ein (sehr sozialwissenschaftlicher) Historiker sowie 1000 SoziologInnen mit einer provokant-biologistischen Medizinerin und Gerichtsgutachterin diskutierten. Sollte interdisziplinär sein, machte aber nochmal klar, dass es sehr, sehr viele Menschen gibt, die die Selbstverständlichkeit einer sozialen Konstruktion von Geschlechterrollen teilen und mit so Konstrukten wie der „natürlichen mütterlichen Fürsorge“ und dem „beschützenden Mann“ nichts anfangen können. Insofern spannend, und ein schönes Mittel zum imagined community building).
Was habe ich selbst auf dem Kongress gemacht?
1. Mir einige Sachen angehört – u.a. Irene Dölling, die noch mal sehr schön deutlich gemacht hat, wie postfordistische Entgrenzungen und die Aufhebung der Institutionen im Beckschen Individualismus letztlich natürlich auch sowas wie Geschlechterarrangements irritieren und verändern. Und die Debatte neben Nancy Fraser und Axel Honneth, die so mittelspannend war. Und noch ein paar Vorträge da und dort.
2. An den Veranstaltungen der Sektion Umweltsoziologie teilgenommen (die Plenarveranstaltung gemeinsam mit der Wissenschafts- und Techniksoziologie et al. hat mir gut gefallen, die „Neue Trends“-Sektion war etwas schräg, da hätte ich mir mehr erwartet, und die von mir mitorganisierte und moderierte Sektions+Nachwuchsgruppensitzung heute hat meine eigenen Erwartungen trotz einiger technischer Probleme zu Beginn deutlich übertroffen – dort gab es vier Vorträge zum Klimawandel, die, so mein vielleicht etwas voreingenommener Eindruck, insgesamt ein sehr rundes Bild der soziologischen Klimawandelsdebatte gegeben haben, und gezeigt haben, was Umweltsoziologie alles machen kann. Von der Wissenschaftsdekonstruktion bis zu Alltagspraktiken und Fragen der (misslungenen) Verhaltenssteuerung).
3. Sektionales Networking (Mitgliederversammlung der Sektion, Mittagstreffen der Nachwuchsgruppe Umweltsoziologie in einem schön alternativen Gasthaus). Und natürlich viele Gespräche mit vielen Leuten.
4. Mich amüsiert, insbesondere mit „DIE STERNE“ auf dem Kongresskonzert (gute Idee). ((Anekdote: Einlass nur mit Stempel auf der Eintrittskarte, der nachweist, dass die Extragebühr gezahlt wurde. Wusste ich nicht, bei mir ist kein Stempel, Momente der Verunsicherung, dann fällt mir ein, dass im Namensschild noch so ein Stück Papier steckte, das den Stempel verdeckt hat.))
5. Selbst was vorgetragen – zur postindustriellen Forstwirtschaft, in der Sektionssitzung der Sektion Land- und Agrarsoziologie. Deren Vorsitzender, was ich nicht wusste, und andere wohl auch nicht, u.a. auch Wald besitzt.
6. Beobachtungen über SoziologInnen angestellt (z.B. scheint es mir eine Koinzidenz zwischen philosophienahen bzw. stark theorieorientierten Vorträgen, der Ablehnung von Powerpoint (Vortrag heißt „vom Blatt vorlesen“) und der Bevorzugung leger-formalen Kleidung und Haarschnitte zu geben).
Und was habe ich nicht gemacht? U.a. nicht in die Veranstaltungen zur Internetsoziologie reingeschaut (immer hatte ich was anderes parallel). Schade, bin gespannt, ob sich da was erfahren lässt, wie es da lief (und zwar vor dem für 2010 zu erwartenden Kongressband).
Warum blogge ich das? Weil die Eindrücke noch frisch sind. Und als Merkposten, um rechtzeitig für den Kongress 2010 in Frankfurt die Unterkunft zu organisieren. Die war in Jena trotz lange vorheriger Buchung nämlich ziemlich weit draußen.
Update: (14.10.2008) Einen lesenswerten und etwas wissenschaftlicheren Bericht über die Ereignisse aus der Markt- und Wirtschaftssoziologie hat Tina Günther über den Kongress geschrieben (wie wir schon auf dem Bahnsteig in Weimar festgestellt haben, haben wir komplett unterschiedliche Veranstaltungen besucht). Umso interessanter, was dort passiert ist, wo ich nicht war.
Update 2: Und hier noch die von mir ebenfalls leider nicht besuchte Web 2.0-Veranstaltung.
Photo of the week: Half a flower portrait
Kurz: Unzufrieden? Bitte eintreten!
Noch ist ja recht unklar, wie sich die GAL in Hamburg bezüglich der Fortsetzung ihrer Koalition verhalten wird. Aber ganz egal, ob schwarz-grün die Koalition aus GAL und CDU in Hamburg fortgesetzt wird oder nicht, möchte ich doch eine Idee aus der Mailingliste der Grünen Linken aufgreifen, die im Rahmen von Austrittsüberlegungen einzelner Personen und Debatten mit Nicht-Mehr-Grünen entstanden ist: wer unzufrieden damit ist, wie sich Bündnis 90/Die Grünen entwickeln, und Mitglied ist, sollte die Zähne zusammenbeißen und erst recht dabei bleiben – wer noch kein Mitglied ist, und gerne eine andere grüne Partei hätte, sollte eintreten. Der Gedanke hat für mich – nicht zuletzt aufgrund der Fünfprozenthürde – einiges für sich (und passt gut zum Heinrich-Böll-Motto der Heinrich-Böll-Stiftung, dass nämlich Einmischung die einzige Möglichkeit sei, realistisch zu bleiben).