Parteitag im Konjunktiv

Irgend­wann fiel mir dann auf, wie oft in den Reden von „hät­ten“, „wür­de“ und „wäre“ die Rede war. Klar, nicht ganz ver­wun­der­lich – schließ­lich war der eigent­li­che Anlass des Par­tei­tags kurz vor Mit­ter­nacht am vor­he­ri­gen Sonn­tag spon­tan ver­schwun­den. Und selbst­ver­ständ­lich spiel­ten die Ergeb­nis­se der abge­bro­che­nen Son­die­run­gen und deren Bewer­tung eine gro­ße Rol­le – von der Ent­täu­schung und Trau­er über ver­pass­te Chan­cen, in den Kli­ma­schutz ein­zu­stei­gen, und wei­te­re Ein­schrän­kun­gen beim Fami­li­en­nach­zug zu ver­hin­dern, bis zur halb­wegs unver­hoh­le­nen Freu­de dar­über, die Zumu­tung Jamai­ka nicht auf sich neh­men zu müssen.

Und klar, dass sich die­se Emo­tio­na­li­tät vor allem in Rich­tung FDP ent­lud. Cem Özd­emir stell­te klar, dass eine nach rechts und ins popu­lis­ti­sche abrut­schen­de FDP nicht län­ger den Anspruch auf Libe­ra­li­tät ver­tre­ten kön­ne. Kat­rin Göring-Eckardt fand die angeb­lich so muti­gen und inno­va­ti­ven Frei­de­mo­kra­ten als Klein­geis­ter und Beden­ken­trä­ger wie­der, als es dar­um ging, ob Deutsch­land den Sprung Rich­tung Ener­gie­wen­de schaf­fen würde. 

Für all das gab es gro­ßen Bei­fall; noch grö­ßer nur der Applaus für das Lob für das Son­die­rungs­team mit sei­nen vier­zehn so ver­schie­de­nen Mit­glie­dern. Gera­de dar­in, und in der klein­tei­li­gen inhalt­li­chen Vor­be­rei­tung im Pro­gramm­pro­zess, in der Bun­des­tags­frak­ti­on, aber auch in den Bun­des­ar­beits­ge­mein­schaf­ten lag ein Grund für das Stan­ding und die begrün­de­te Hart­nä­ckig­keit der grü­nen Sondierer*innen. Wenn wir es schaf­fen, die­se selbst­be­wuss­te, inhalt­lich fun­dier­te Gemein­sam­keit, die­sen Team­geist in die wei­te­re Zukunft der Par­tei mit­zu­neh­men, haben wir eini­ges gewonnen.

Par­tei­tag im Kon­junk­tiv aber auch, weil noch alles ande­re als Klar­heit dar­über herrsch­te, wie es den jetzt mit der Bun­des­re­gie­rung eigent­lich wei­ter­ge­hen wird. Ob die Erfah­rungs­wer­te noch gel­ten, die eine Gro­ße Koali­ti­on als wahr­schein­lich erschei­nen las­sen, oder ob Neu­land betre­ten wird mit einer – wie auch immer gear­te­ten – Min­der­heits­re­gie­rung. Oder ob es doch zu den Neu­wah­len kommt, die nie­mand will. In jedem Fall wäre die grü­ne Posi­ti­on eine andere.

Ich bin froh, dass auch der zen­tra­le Beschluss die­ses Par­tei­tags (neben einer Sym­pa­thie­kund­ge­bung für die wegen Ver­stoß gegen den § 219a ver­ur­teil­te Ärz­tin, einer Reso­lu­ti­on zum Ham­ba­cher Forst und einem Arbeits­auf­trag zum The­ma digi­ta­le Urab­stim­mung) sich hier nicht fest­legt, son­dern klar macht, dass wir Grü­ne bereit sind, zu reden, Ver­ant­wor­tung zu über­neh­men, uns auf Kom­pro­mis­se ein­zu­las­sen und gege­be­nen­falls auch Neu­es zu wagen. Ade­nau­ers „Kei­ne Expe­ri­men­te“ ist ein schlech­ter Rat­ge­ber zu einem Zeit­punkt, zu dem Erprob­tes mög­li­cher­wei­se nicht mehr funktioniert.

Der ein­tä­gi­ge Par­tei­tag (in einem ehe­ma­li­gen Bus­de­pot im Ber­li­ner Bezirk Trep­tow-Köpe­nick, mit dem Charme back­stein­in­dus­tri­el­ler Umnut­zung) war also kein Par­tei­tag der Beschlüs­se, son­dern einer der Debat­te. Alle vier­zehn Mit­glie­der des Son­die­rungs­teams kamen zu Wort (und wur­den alle von Kat­rin ein­zeln cha­rak­te­ri­siert – die Frau hat unge­ahn­te Talen­te), dazu kamen unzäh­li­ge gelos­te Rede­bei­trä­ge. (Lei­der war mir das Los­glück mal wie­der nicht hold, aber da ging es mir wie vie­len anderen).

So wich­tig auch der par­tei­in­ter­ne Dis­kurs ist und war, in dem dann doch klar wur­de, wo Mehr­hei­ten und wo Min­der­hei­ten lie­gen, so war doch der ein­zi­ge exter­ne Red­ner, der Kli­ma­for­scher Prof. Hans Joa­chim Schellnhu­ber, das wah­re High­light des 42. Bundesparteitags. 

Dass wir die ein­zi­ge Par­tei sei­en, die sich für wis­sen­schaft­li­che Fak­ten inter­es­sie­re, war Honig für uns Grü­ne (auch wenn’s ver­mut­lich nur bei der Kli­ma­po­li­tik stimmt, und in ande­ren Poli­tik­fel­dern mal mehr, mal weni­ger). Der Phy­si­ker Schellnhu­ber mach­te aber auch deut­lich, dass wir eigent­lich noch viel zu wenig radi­kal sind. Kipp­punk­te im pla­ne­ta­ren Sys­tem – das Abschmel­zen von Grön­land und der Ant­ark­tis, aber auch Wet­ter­zy­klen wie der Mon­sun­re­gen – machen ein Han­deln not­wen­dig, das noch über das ja im Wei­ter-so-Sze­na­rio noch längst nicht erreich­te Pari­ser Kli­ma­ziel von 1,5 bis 2,0 Grad Erwär­mung hin­aus deut­li­che Anstren­gun­gen nach sich zieht. Es braucht Anst­re­gun­gen, um aus dem loka­len Mini­mum des fos­si­len Zeit­al­ters in eine neu zu erfin­den­de Moder­ne der 2020er und 2030er Jah­re zu kom­men. Koh­le­aus­stieg und Agrar- und Ver­kehrs­wen­de wer­den da nicht rei­chen, es wird dann bei­spiels­wei­se auch um den Aus­stieg aus Beton und Zement gehen. 

Dass wir für die­se gar nicht mehr so fer­ne Neu­erfin­dung der Moder­ne ein – posi­ti­ves – poli­ti­sches Nar­ra­tiv fin­den müs­sen, um die gro­ße Trans­for­ma­ti­on hin­zu­krie­gen, das war die eine gro­ße Bot­schaft von Schellnhu­ber. Die ande­re war es, Kli­ma­po­li­tik und Flucht mit­ein­an­der zu ver­bin­den. Wenn der Mee­res­spie­gel ansteigt, Dür­ren am einen Ort und Stark­re­gen­er­eig­nis­se am ande­ren heu­te noch besie­del­te Teil der Erde unbe­wohn­bar machen, wird sich die Fra­ge stel­len, wo die­se Kli­ma­flücht­lin­ge hin sol­len. Der Weg von Puer­to Rico nach Flo­ri­da ist da erst der Anfang. Auf die­se Bewe­gun­gen muss Poli­tik sich vor­be­rei­ten – Schellnhu­ber brach­te hier die Idee eines „Kli­ma­pas­ses“ ins Spiel, die all den­je­ni­gen, die auf­grund von Kli­ma­er­eig­nis­sen ihre Hei­mat ver­las­sen müs­sen, das Recht gibt, sich in einem der Haupt­emis­si­ons­län­der anzusiedeln.

Vor die­sem Hin­ter­grund erschie­nen selbst kon­junk­ti­ve Erfol­ge in der Son­die­rung klein; umso bit­te­rer, wenn noch nicht ein­mal der Ein­stieg in den Koh­le­aus­stieg gelingt, wenn die von Mer­kel selbst ver­ein­bar­ten Kli­ma­zie­le nicht mehr gel­ten sol­len. Und zugleich ist damit eine gro­ße Auf­ga­be für uns Grü­ne beschrie­ben: wenn wir nicht die­je­ni­gen sind, die den Weg in eine post­fos­si­le Moder­ne vor­be­rei­ten, wer soll es dann tun?

Das – mög­li­cher­wei­se – als kleins­te Oppo­si­ti­ons­frak­ti­on tun zu müs­sen, wird kein Spaß. Das ändert aber nichts an der poli­ti­schen Rele­vanz des The­mas. Es bleibt zu hof­fen, dass wir es schaf­fen, in den kom­men­den wei­ter unse­re gemein­sam geteil­ten Inhal­te in den Vor­der­grund zu stel­len, und auf dem im Son­die­rungs­pro­zess gewon­ne­nen inner­par­tei­li­chen Ver­trau­en auf­zu­bau­en. Ich bin hier hoff­nungs­voll, selbst wenn man­che es als Beschimp­fung emp­fin­den, wenn die Pres­se die neu wahr­ge­nom­me­ne Ver­nunft der Grü­nen lobt, wenn man­che all­zu­gern in alte Ritua­le zurück­fal­len wol­len, oder wenn der Rück­zug ins kusche­li­ge grü­ne Nest lockt, in dem kei­ne kon­ven­tio­nel­len Landwirt*innen oder Industriearbeiter*innen stö­ren. Nein, Kat­rin hat recht: wir müs­sen ganz bewusst auch dahin gehen, wo die sind, die dies­mal nicht grün gewählt haben. Dann schau­en wir mal, was an Zukunfts­ge­stal­tung so mög­lich ist

Der nächs­te Par­tei­tag steht bereits im Janu­ar an – die Euro­pa­wahl ruft, es soll ein Grund­satz­pro­gamm­pro­zess gestar­tet wer­den, und auch der Bun­des­vor­stand muss (eigent­lich noch 2017) neu gewählt wer­den. Dafür wün­sche ich mir eine Hal­tung von Ver­trau­en und Zusam­men­ge­hö­rig­keits­ge­fühl als Grund­la­ge. Wenn wir es dann noch schaf­fen, die Leu­te nach vor­ne zu stel­len, die inhalt­lich stark sind und weit­hin sicht­bar für grü­ne Zie­le wer­ben – und die­se Leu­te haben wir – dann bin ich zuver­sicht­lich, dass das Ende der grü­nen Geschich­te noch lan­ge nicht erzählt ist.

War­um blog­ge ich das? Klei­ner Reisebericht.

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