Zukunft wird aus Mut gemacht – eine erste Einschätzung

„Lie­be wird aus Mut gemacht“, heißt es bei Nena (und spä­ter bei Jan Delay). Dass der ges­tern vor­ge­leg­te Ent­wurf für das grü­ne Bun­des­tags­wahl­pro­gramm 2017 unter dem Mot­to „Zukunft wird aus Mut gemacht“ steht, dürf­te damit durch­aus etwas zu tun haben. Wie dem auch sei: die­se fünf Wor­te kon­zen­trie­ren aus mei­ner Sicht sehr gelun­gen die Hal­tung, mit der wir Grü­ne in die Bun­des­tags­wahl zie­hen (soll­ten) – zukunfts­ori­en­tiert, auf Lösun­gen aus, opti­mis­tisch, unver­zagt – und mit Hirn und Herz.

Wer sich selbst über den Ent­wurf des Wahl­pro­gramms infor­mie­ren will, kann das auf der grü­nen Web­site tun. Beschlos­sen wird das Pro­gramm auf einer Bun­des­de­le­gier­ten­kon­fe­renz im Juni. Wie immer wird es dafür Ände­rungs­an­trä­ge geben; dies­mal mit Vor­lauf und der Not­wen­dig­keit, sie über das Tool Antrags­grün ein­zu­brin­gen. Ich bin gespannt, ob die Zahl der Ände­rungs­an­trä­ge ähn­li­che Höhen erreicht wie bei den letz­ten Bun­des­tags­wahl­pro­gram­men, oder ob sie dies­mal hand­hab­ba­rer und damit demo­kra­ti­scher ausfällt.

Denn eini­ges ist anders: mutig und mit fri­schem Grün ist nicht nur das Mot­to, mit dem Pro­gramm­ent­wurf vor­ge­stellt wur­de, son­dern auch die Ton­la­ge und der Auf­bau des Pro­gramms unter­schei­den sich deut­lich von frü­he­ren Jah­ren. Das Pro­gramm ist spür­bar kür­zer. Der Anspruch ist nicht Voll­stän­dig­keit, und erst recht nicht – wie 2013 – die bis aufs letz­te Kom­ma durch­ge­rech­ne­te Kon­zept­prä­sen­ta­ti­on, son­dern es geht dar­um, zum einen grü­ne Zie­le dar­zu­stel­len, und zum ande­ren um ganz kon­kre­te, in der nächs­ten Bun­des­re­gie­rung umsetz­ba­re Pro­jek­te, die dazu bei­tra­gen, die­se Zie­le zu verwirklichen. 

Als BAG-Spre­cher Wis­sen­schaft, Hoch­schu­le, Tech­no­lo­gie­po­li­tik bin ich, als ich vor eini­gen Mona­ten zum ers­ten Mal von die­sem neu­en Auf­bau erfah­ren habe, zuerst ein­mal zusam­men­ge­zuckt. Die­ser Auf­bau bedeu­tet näm­lich auch, dass auf eine strik­te fach­po­li­ti­sche Glie­de­rung ver­zich­tet wird. Im vor­lie­gen­den Ent­wurf kommt Hoch­schul­po­li­tik zwar vor, und es gibt auch ein Schlüs­sel­pro­jekt zur drin­gend not­wen­di­gen Bafög-Reform, aber es gibt eben nicht mehr das eine Kapi­tel „Hoch­schu­le und Wis­sen­schaft“. Aber ein Wahl­pro­gramm ist kein Lexi­kon. Inso­fern bin ich froh, dass der Bun­des­vor­stand und die Schreib­grup­pe an dem jetzt rea­li­sier­ten Auf­bau und an der Aus­rich­tung ent­lang der Fra­ge, wel­che Pro­ble­me wir wie lösen, wel­che Zie­le wir wie errei­chen, fest­ge­hal­ten hat. Das macht das Pro­gramm les­ba­rer, zugäng­li­cher und – das gilt ins­be­son­de­re auch für die Prä­am­bel – ansprechender.

Der Ent­wurf ist stär­ker als frü­her ein Text aus einem Guss. Die vier gro­ßen Kapi­tel erge­ben zusam­men fast schon so etwas wie ein grü­nes Credo:

Umwelt im Kopf
Welt im Blick
Frei­heit im Herzen
Gerech­tig­keit im Sinn 

Herz und Hirn also auch hier – mir gefällt das. Man­che Zei­tungs­kom­men­ta­re (huch: Grü­ne jetzt doch nicht mehr auf dem abstei­gen­den Ast – wie sol­len wir denn das dar­stel­len, passt ja gar nicht zum vor­herr­schen­den Nar­ra­tiv?) ver­kür­zen, weil Öko­lo­gie wie immer bei uns vor­ne steht, das gan­ze jetzt auf ein rei­nes Öko­pro­gramm. Ist es aber nicht. Und wenn sich der Kon­kre­ti­sie­rungs­grad der Pro­jek­te in den ein­zel­nen Kapi­teln unter­schei­det, dann sagt das viel­leicht etwas über bun­des­po­li­ti­sche Hand­lungs­mög­lich­kei­ten aus, sagt aber auch etwas dar­über aus, wo noch nach­ge­schärft wer­den muss.

Womit wir wie­der bei den Anträ­gen wären. Ich bin gespannt, ob wir es als Par­tei schaf­fen, Nach­schär­fun­gen und an der einen oder ande­ren Stel­le auch Kon­tro­ver­sen über das rich­ti­ge Instru­ment, um ein Ziel zu errei­chen, zu füh­ren, ohne wie sonst eine Antrags­flut zu pro­du­zie­ren, die am Schluss dann zu einem Pro­gramm führt, des­sen strin­gen­tes Kon­zept nur noch zu erah­nen ist. (Auch wenn man­che das nicht glau­ben wol­len: der Veggie­day war nie das gro­ße grü­ne Schlüs­sel­pro­jekt für 2013 – son­dern ein Vor­ha­ben unter Hunderten …). 

Hier sind dann auch die BAGen und Kreis­ver­bän­de gefragt, klu­ge Anträ­ge zu stel­len, statt kon­text­blind für die Par­tei ins­ge­samt die eige­nen zen­tra­len Fra­gen und Wahr­hei­ten in den Vor­der­grund zu packen. Und, die­se Pro­gno­se sei gewagt: ich gehe davon aus, dass Antrags­kom­mis­si­on und Bun­des­vor­stand sich anders als bis­her nicht mehr dar­auf ein­las­sen, For­mel­kom­pro­mis­se zu fin­den, um die Antrags­zahl zu redu­zie­ren, son­dern dass es dies­mal stär­ker um Abstim­mun­gen zwi­schen kla­ren Alter­na­ti­ven gehen wird. Ob ich mit die­ser Ver­mu­tung rich­tig lie­ge, wer­den wir im Mai und Juni sehen. 

Und noch etwas: dem Pro­gramm ist dies­mal ein umfang­rei­cher Pro­zess vor­ge­schal­tet gewe­sen – nicht nur in Schreib­grup­pe und Bun­des­vor­stand, son­dern auch die BAGen – inkl. BAG-Kon­vent – und Lan­des­ver­bän­de wur­den stär­ker als bis­her üblich schon im Vor­feld ein­ge­bun­den. Bei wei­tem nicht jeder Vor­schlag hat es in den Pro­gramm­text geschafft. Aber es ist doch eine ande­re und bes­se­re Vor­ge­hens­wei­se, wich­ti­ge Akteu­re der Par­tei mit­zu­neh­men. Und auch das zeigt sich in die­sem Programmentwurf.

War­um blog­ge ich das? Weil die Ent­ste­hung des Pro­gramms ein Kern­pro­zess der inner­par­tei­li­chen Mei­nungs­bil­dung vor der Bun­des­tags­wahl ist.

4 Antworten auf „Zukunft wird aus Mut gemacht – eine erste Einschätzung“

  1. Also wenn dies­mal die BAGen stär­ker mit­ge­nom­men wur­den als bis­her möch­te ich lie­ber nicht wis­sen, wie es bis­her war. Davon habe ich zumin­dest in der BAG Demo­kra­tie und Recht nicht viel mit­be­kom­men, viel­mehr fühl­te man sich aus­ge­sperrt, auch durch die Ansa­ge gera­de kei­nen Kon­takt zur Schreib­grup­pe zu suchen (und durch eben­die­se Hal­tung der Schreibgruppe).

    1. War viel­leicht auch je nach BAG sehr unter­schied­lich. Die BAG-Sprecher*innen wur­den jeden­falls halb­wegs gut infor­miert und in den Pro­zess ein­be­zo­gen; die BAGen ins­ge­samt vor allem mit dem Konvent.

  2. Ich muss Bern­hard bei­pflich­ten. Der Pro­gramm­teil zum The­ma Inne­re Sicher­heit bedarf drin­gend einer Schär­fung. Man hat nicht den Ein­druck, als habe man die Kom­pe­ten­zen abge­ru­fen, die zur Ver­fü­gung gestan­den hät­ten. Das ist sehr bedauerlich!
    Der Hin­weis, die BAG-Spre­cher wären infor­miert gewe­sen, hilft da nicht wirk­lich weiter.
    Ich fin­de das höchst ärger­lich, zumal wir ohne­hin in der Defen­si­ve sind!

  3. Geschmä­cker sind ver­schie­den, die­se Weis­heit mei­ner Oma fin­de ich gera­de wie­der bestä­tigt. Mir ist im Wahl­pro­gramm viel zu viel Pro­sa, und es fehlt mir eine kla­re Struk­tur. Es ist zwar kein Lexi­kon, aber eben ein Pro­gramm, und kei­ne Rede oder Auf­satz. Für Pro­sa­lieb­ha­ber sicher nett, aber viel­leicht soll­te man doch an die Bedürf­nis­se und Ver­schie­den­heit der Wähler*innen den­ken, die Pro­sa (von nicht weni­gen als poli­ti­sches Geschwa­fel emp­fun­den) zuguns­ten kla­rer Aus­sa­gen und mehr Struk­tur. Wenn ich für mei­ne Wahl­ent­schei­dung wis­sen will, was die Grü­nen zu einem oder meh­re­ren The­men möch­ten, will ich nicht erst einen hal­ben Roman lesen müs­sen, bis ich gefun­den habe, was ich suche. Dort will ich dann in knap­per, aber kla­rer Spra­che die grund­le­gen­de Linie oder die Zie­le lesen kön­nen, und bei Bedarf dann noch die Details nach­le­sen können.
    Man soll­te bei jedem Text beim Schrei­ben im Hin­ter­kopf behal­ten, wel­che Bedürf­nis­se der Leser wahr­schein­lich hat, und das gilt natür­lich in ver­stärk­tem Maß, wenn ich den Leser von einer Sache über­zeu­gen will.

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