Plädoyer für eine Präsidentin

Gesine Schwan I

Jetzt ist Chris­ti­an Wulff also doch gegan­gen. Anfang des Jah­res hat­te ich noch rum­ge­spot­tet, dass er das erst im März tun wird, und dass Ange­la Mer­kel als Prä­si­dal­kanz­le­rin dann sei­ne Nach­fol­ge­rin wer­den wird. Noch wis­sen wir – abge­se­hen von aller­lei Spe­ku­la­tio­nen – nicht, wer die (mög­li­cher­wei­se dann tat­säch­lich über­par­tei­li­che) Per­son sein wird, die am 18. März zum Bun­des­prä­si­den­ten oder zur Bun­des­prä­si­den­tin gewählt wer­den wird. 

Ich per­sön­lich wür­de es begrü­ßen, wenn es eine Bun­des­prä­si­den­tin wird. Bis­her gab es zwar schon eini­ge Kan­di­da­tin­nen – aber immer nur dann, wenn rela­tiv klar war, dass sie kei­ne Chan­cen hat­ten. Eine Bun­des­prä­si­den­tin – bzw. zunächst ein­mal eine tat­säch­lich aus­sichts­rei­che Kan­di­da­tin – erscheint mir jetzt über­fäl­lig. Ein ent­spre­chen­der Tweet lös­te auf Face­book eine grö­ße­re Debat­te dar­über aus, ob den Geschlecht ein Kri­te­ri­um sein könn­te. Dort, aber auch auf Twit­ter, wur­de die Befürch­tung geäu­ßert, dass dann „irgend­ei­ne“ Frau genom­men wer­den wür­de, und damit einer der unzäh­li­gen Män­ner mit For­mat nicht Bun­des­prä­si­dent wer­den wird. Ande­re fan­den es prin­zi­pi­ell falsch, über­haupt über Geschlecht zu reden.

Zunächst ein­mal: Ich fin­de es ange­mes­sen, wenn Grü­ne (und die SPD, und wer sonst noch alles mit dabei sein wird …) in die Gesprä­che mit der Bun­des­kanz­le­rin mit der Posi­ti­on rein gehen, dass eine gute Kan­di­da­tin für das Bun­des­prä­si­den­ten­amt ein Bün­del an Kri­te­ri­en erfül­len muss: Sie muss über­par­tei­lich aner­kannt sein, selbst wenn sie ein Par­tei­buch besitzt. Sie muss for­mal, aber ins­be­son­de­re auch von ihrer Per­sön­lich­keit her, geeig­net sein, den Scha­den, den die letz­ten, hoch­po­li­ti­schen Ent­schei­dun­gen Mer­kels am Amt ange­rich­tet haben, wie­der zu repa­rie­ren – sie muss das Amt der Bun­des­prä­si­den­tin also neu defi­nie­ren und aus­fül­len. Und sie muss, gleich­wer­tig zu den ande­ren Kri­te­ri­en die­ses Bün­delns, eine Frau sein.

Spöt­tisch hat­te ich geschrie­ben, dass eine Begren­zung auf Kan­di­da­tin­nen „kei­ne all­zu­gro­ße Ein­schrän­kung“ dar­stel­le. Was ich damit mei­ne (und was wohl nicht gene­rell so ver­stan­den wur­de): Bei den Namen von Kan­di­da­ten, die der­zeit im Spiel sind, zieht nie­mand in Zwei­fel, ob der­je­ni­ge auch tat­säch­lich geeig­net ist. Ob Joa­chim Gauck oder Klaus Töp­fer, Andre­as Voß­kuh­le oder Nor­bert Lam­mert – wer genom­men wird, erscheint hier eher als eine Fra­ge des poli­ti­schen Geschmacks denn als Fra­ge der Eignung.

Dage­gen fin­det sich – obwohl rela­tiv breit dar­über dis­ku­tiert wird, dass jetzt eine Frau dran sein müss­te – hier dann gleich die Debat­te dar­über, ob sie es über­haupt kann. Oder gar dar­über, dass das arg ange­schla­ge­ne Amt wei­ter dadurch beschä­digt wür­de, dass eine Frau als Frau einem qua­li­fi­zier­tem Mann vor­ge­zo­gen wird. Eine typi­sche Debat­ten­la­ge (wie es natür­lich auch irgend­wie typisch ist, dass über Kan­di­da­tin­nen erst in dem Moment dis­ku­tiert wird, in dem der Kar­ren im Dreck steckt und die Repu­ta­ti­on des Amtes weit­ge­hend ver­flo­gen ist, und unter ein klein wenig ande­ren poli­ti­schen Bedin­gun­gen viel­leicht auch ernst­haft über des­sen Abschaf­fung dis­ku­tiert wer­den würde).

Kan­di­da­tin­nen, die Mer­kel der SPD und den Grü­nen vor­schla­gen könn­te (oder anders­her­um) gibt es mehr als genug. Es gibt unter den poten­zi­el­len prä­si­dia­len Kan­di­da­tin­nen wel­che, die ich poli­tisch extrem schwie­rig fän­de (z.B. Ursu­la von der Ley­en oder Annet­te Scha­van), es gibt wel­che, die Mer­kel ver­mut­lich extrem schwie­rig fän­de (z.B. Gesi­ne Schwan oder Sabi­ne Leu­theus­ser-Schnar­ren­ber­ger) und es gibt vie­le, die (unab­hän­gig von den unter­schied­li­chen Par­tei­bü­chern, so vor­han­den) in der Bevöl­ke­rung und in der Poli­tik auf brei­te Unter­stüt­zung sto­ßen könn­ten – um nur eini­ge in alpha­be­ti­scher Rei­hen­fol­ge zu nen­nen: Jut­ta All­men­din­ger, Kat­rin Göring-Eckardt, Jut­ta Lim­bach, Chris­tia­ne Nüss­lein-Vol­hard, Hei­de Simo­nis, Rita Süss­muth, Ant­je Voll­mer oder Mar­gret Win­ter­man­tel wären mit eini­ger Wahr­schein­lich­keit bes­se­re Bun­des­prä­si­den­tin­nen als es Horst Köh­ler oder Chris­ti­an Wulff waren.

Inso­fern, um das Selbst­ver­ständ­li­che zu beto­nen: Eine selbst auf­er­leg­te Ein­schrän­kung der Par­tei­en, in der nächs­ten Bun­des­ver­samm­lung nur Kan­di­da­tin­nen auf­zu­stel­len, wür­de die Aus­wahl unter unter­schied­li­chen, für die­ses Amt geeig­ne­ten Per­sön­lich­kei­ten aus mei­ner Sicht nicht begrenzen. 

Dass es zu einer sol­chen frei­wil­li­gen Ver­ein­ba­rung kommt, hal­te ich aller­dings für wenig wahr­schein­lich. Viel­leicht kommt es jedoch zumin­dest dazu, dass CDU, CSU, FDP, SPD und Grü­ne – die LINKE scheint Mer­kel ja außen vor las­sen zu wol­len – sich vor­ab auf eine Kan­di­da­tin eini­gen, und eben nicht auf den elf­ten Mann in Fol­ge. Damit wäre dann in his­to­ri­scher Per­spek­ti­ve zumin­dest der Anteil von Frau­en an den Füh­rungs­kräf­ten der DAX-Unter­neh­men (der­zeit gera­de mal acht Pro­zent) übertroffen. 

Aber war­um soll es nun unbe­dingt eine Prä­si­den­tin sein? Auf jeden Fall nicht des­we­gen, weil ich glau­be, dass eine Frau per Geschlecht die bes­se­re Prä­si­den­tin ist, die­ses Amt bes­ser aus­füllt. Ich könn­te mir vor­stel­len, dass eine Prä­si­den­tin es anders aus­füllt als ihre Vor­gän­ger – nicht qua bio­lo­gi­schem Geschlecht, son­dern auf­grund ande­rer sozia­ler Zwän­ge, Ungleich­heits­er­fah­run­gen und Zuschrei­bun­gen, denen sie in ihrer Bio­gra­phie aus­ge­setzt war. Aber auch das ist extrem abhän­gig davon, wel­che Frau es wird – der Fall Chris­ti­an Wulff wäre auch mit einer Chris­tia­ne Wulff genau­so denk­bar gewe­sen, nur eben deut­lich unwahr­schein­li­cher (unwahr­schein­li­cher auf­grund der geschlechts­hier­ar­chi­schen Struk­tu­ren unse­rer Gesell­schaft, nicht auf­grund unter­schied­li­cher Persönlichkeitsmerkmale).

Wich­ti­ger ist mir jedoch ein ganz ande­rer Grund. Das Bun­des­prä­si­den­ten­amt ist letzt­lich ein weit­ge­hend sym­bo­lisch-reprä­sen­ta­ti­ves Amt. Wenn Chris­ti­an Wulff in sei­ner Rück­tritts­re­de erzählt hat, dass sei­ne Frau Bet­ti­na für ihn das moder­ne Deutsch­land reprä­sen­tie­re, dann ist das eher eine sehr selt­sa­me Vor­stel­lung – von Moder­ni­tät, aber auch von Reprä­sen­ta­ti­on. Nein, ich glau­be, wenn uns eine Frau reprä­sen­tie­ren wür­de, wäre das ein ent­schei­den­der Bei­trag dazu, die immer noch vor­han­de­nen geschlechts­be­zo­ge­nen Denk­schwel­len in der Gesell­schaft her­ab­zu­set­zen, die Unsicht­bar­keit erfolg­rei­cher Frau­en redu­zie­ren und so ins­ge­samt dazu bei­zu­tra­gen, dass aus der recht­li­chen eine tat­säch­li­che Gleich­be­rech­ti­gung wird, dass im End­ef­fekt die Vor­stel­lung von ganz unter­schied­li­chen Frau­en in Füh­rungs­per­so­nen irgend­wann nicht län­ger the­ma­ti­sie­rungs­be­dürf­tig ist. 

War­um blog­ge ich das? Letzt­lich auf­grund der hef­ti­gen Reak­tio­nen auf Face­book auf mei­ne The­se, dass es eine Kan­di­da­tin wer­den müsse.

4 Antworten auf „Plädoyer für eine Präsidentin“

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