Notizen zu Praxistheorie und Umweltverhalten, Teil III

I am a hard bloggin' scientist. Read the Manifesto.

Das hier ist der drit­te Blog­ein­trag einer Serie, in der ich den Zusam­men­hang von Pra­xis­theo­rie und Umwelt­ver­hal­ten erläu­tern will – vor allem, um mei­ne eige­nen, noch recht rohen Gedan­ken zu ordnen. 

Im ers­ten Teil ging es um eine kur­ze Ein­füh­rung in die Pra­xis­theo­rie, im zwei­ten Teil habe ich mir all­ge­mei­ne Gedan­ken um „mensch­li­ches Umwelt­ver­hal­ten“ gemacht. Jetzt soll es dar­um gehen, ein Kon­zept dafür zu ent­wi­ckeln, bei­des zusammenzubringen.

III. Ein ana­ly­ti­sches Ras­ter, um Pra­xis­theo­rie und Umwelt­ver­hal­ten zusammenzubringen

Die am Schluss des zwei­ten Teils geäu­ßer­ten Über­le­gun­gen lau­fen auf ein Ras­ter hin­aus, in das sozia­le Prak­ti­ken (aber auch Aggre­ga­te sozia­ler Prak­ti­ken) ein­sor­tiert wer­den kön­nen. Die­ses Ras­ter – bzw. die­se Kreuz­ta­bel­le – ist dreidimensional. 

Die ers­te Dimen­si­on „Kon­se­quen­zen“ (bzw. „Nach­hal­tig­keit“) betrifft die tat­säch­li­chen Umwelt­wir­kun­gen: Wie nach­hal­tig ist eine bestimm­te Prak­tik, abso­lut gese­hen bzw. im Ver­gleich zu mög­li­chen Alter­na­ti­ven? Eigent­lich müss­ten hier zwei Aspek­te unter­schie­den wer­den: die Wir­kungs­rich­tung und die Wir­kungs­stär­ke. Auch hier­zu lie­ße sich viel an wei­te­ren Über­le­gun­gen aus­füh­ren (wie lässt sich das am bes­ten mes­sen), dar­um soll es jetzt aber nicht gehen.

Die zwei­te Dimen­si­on der „Inten­tio­nen“ bezieht sich auf das mit der Prak­tik ver­bun­de­ne Wis­sen bzw. auf die dis­kur­si­ve und letzt­lich nor­ma­ti­ve Rah­mung die­ser Prak­tik, d.h. auf inten­tio­na­le Nach­hal­tig­keit bzw. auf das, was klas­si­scher­wei­se „Umwelt­be­wusst­sein“ genannt wird. Wäh­rend die ers­te Dimen­si­on die Prak­tik selbst in den Blick nimmt, hängt die zwei­te Dimen­si­on von den an der Prak­tik par­ti­zi­pie­ren­den Akteu­rIn­nen ab. Im ein­fachs­ten Fall heißt das, die Inten­tio­nen eines Men­schen, der die Prak­tik anstößt und zusam­men mit wei­te­ren „Agen­ten“ aus­führt, zu berück­sich­ti­gen. Wenn es dage­gen um Aggre­ga­te von Prak­ti­ken geht, oder auch, wenn nicht­mensch­li­chen Akteu­ren ein star­ker Hand­lungs­wil­le zuge­ord­net wird, ist die Fra­ge der Inten­tio­na­li­tät komplizierter.

Als drit­te Dimen­si­on – der „Poten­zia­li­tät“ (bzw. „Spiel­raum“) – schließ­lich las­sen sich die Mög­lich­keits­räu­me erfas­sen, unter denen eine Prak­tik steht und in denen die­se statt­fin­det. Das heißt, es geht um Fra­gen wie die, wie ein­fach oder schwie­rig es wäre, alter­na­ti­ve Prak­ti­ken zu wäh­len, oder auch dar­um, wie abhän­gig eine Prak­tik von exter­nen Akteu­ren und von Res­sour­cen ist.

Selbst für den Fall, dass die­se drei Dimen­sio­nen jeweils nur dicho­to­mi­siert wer­den, ent­steht so ein drei­di­men­sio­na­ler Wür­fel mit acht unter­schied­li­chen Fel­dern, in die Prak­ti­ken, Teil­prak­ti­ken oder Aggre­ga­te von Prak­ti­ken wie Lebens­sti­le, Milieus, Per­so­nen, Insti­tu­tio­nen oder Pro­jek­te ein­ge­ord­net wer­den kön­nen (Abb. 1). 

Würfel Nachhaltigkeit/Praktiken
Abb. 1 – Ana­ly­se­wür­fel aus Nach­hal­tig­keit x Inten­tio­na­li­tät x Spielraum

Je nach Fra­ge­stel­lung kön­nen aller­dings auch ein­zel­ne Sei­ten des Wür­fels bereits inter­es­sant sein. So kann es bei­spiels­wei­se, um über Ver­än­de­rungs­po­ten­zia­le für Nach­hal­tig­keit nach­zu­den­ken, hilf­reich sein, die Inten­tio­na­li­tät aus­zu­blen­den und ein­fach nur die Kreuz­ta­bel­le Nach­hal­tig­keit x Spiel­raum zu betrachten. 

Um das gan­ze zu illus­trie­ren, kann noch­mal das Bei­spiel Wäsche­wa­schen her­an­ge­zo­gen wer­den. Mit Spiel­raum mei­ne ich hier jeweils die indi­vi­du­el­le Ver­füg­bar­keit von Res­sour­cen (könn­te aber auch stär­ker auf die Ersetz­bar­keit von Prak­ti­ken bezo­gen wer­den). Typi­sche sub­jek­tiv und objek­tiv mehr oder weni­ger nach­hal­ti­ge Wäsche­wasch­prak­ti­ken (vgl. dazu auch Sho­ve 2002) könn­ten dann zum Bei­spiel so aussehen:

Rela­tiv gro­ße Möglichkeitsspielräume

  1. hohe Nach­hal­tig­keit, hohe Inten­tio­na­li­tät, vie­le Res­sour­cen ver­füg­bar: Kauf und Nut­zung einer neu­en Wasch­ma­schi­ne, die beson­ders wenig Strom und Was­ser ver­braucht, Betrieb mit sola­rer­hit­zem Heiß­was­ser und genau dosier­tem Öko-Wasch­mit­tel, Trock­nung der Wäsche in der Son­ne, weil es bes­ser für die Umwelt ist. 
  2. hohe Nach­hal­tig­keit, gerin­ge Inten­tio­na­li­tät, vie­le Res­sour­cen ver­füg­bar: Kauf und Nut­zung einer neu­en Wasch­ma­schi­ne, die vom Her­stel­ler als beson­ders gut ange­prie­sen wird (und wenig Was­ser und Strom ver­braucht, was aber für den Kauf irrele­vant ist); Trock­nung der Wäsche in der Son­ne, weil das schon immer so gemacht wurde. 
  3. gerin­ge Nach­hal­tig­keit, hohe Inten­tio­na­li­tät, vie­le Res­sour­cen ver­füg­bar: Kauf und Nut­zung einer neu­en, umwelt­freund­li­chen Wasch­ma­schi­ne, die jetzt beson­ders oft ein­ge­setzt wird; dabei immer viel von dem guten Öko-Wasch­mit­tel („scha­det ja nichts“). 
  4. gerin­ge Nach­hal­tig­keit, gerin­ge Inten­tio­na­li­tät, vie­le Res­sour­cen ver­füg­bar: Kauf und Nut­zung einer gebrauch­ten Wasch­ma­schi­ne mit hohem Was­ser- und Strom­ver­brauch, häu­fi­ger Betrieb mit bil­ligs­tem Wasch­mit­tel, schlecht aus­ge­las­tet (Motiv: „Bil­lig ist gut, Geld lie­ber für ande­res verwenden“). 

Stark ein­ge­schränk­te Möglichkeitsspielräume

  1. hohe Nach­hal­tig­keit, hohe Inten­tio­na­li­tät, wenig Res­sour­cen ver­füg­bar: Kauf einer gebrauch­ten Wasch­ma­schi­ne, aus­schlag­ge­bend dabei die Umwelt­freund­lich­keit, immer voll befüllt, Öko-Wasch­mit­tel genau dosiert, Trock­nung auf der Wäsche­lei­ne, weil beson­ders umweltfreundlich. 
  2. hohe Nach­hal­tig­keit, gerin­ge Inten­tio­na­li­tät, wenig Res­sour­cen ver­füg­bar: Nut­zung einer alten Wasch­ma­schi­ne, aber immer voll befüllt, bil­li­ges Wasch­mit­tel nied­rig dosiert (Motiv: Spar­sam­keit), Trock­nung auf der Wäsche­lei­ne (wg. bewähr­te Praxis). 
  3. gerin­ge Nach­hal­tig­keit, hohe Inten­tio­na­li­tät, wenig Res­sour­cen ver­füg­bar: Wei­ter­ver­wen­dung der alten Wasch­ma­schi­ne („die tut’s ja auch noch, so muss kei­ne neue pro­du­ziert wer­den“) und Über­be­fül­lung der Trom­mel, wor­auf der Motor bald den Geist auf­gibt und ersetzt wer­den muss. 
  4. gerin­ge Nach­hal­tig­keit, gerin­ge Inten­tio­na­li­tät, wenig Res­sour­cen ver­füg­bar: Nut­zung einer alten, schlecht aus­ge­las­te­ten Wasch­ma­schi­ne, bil­ligs­tes Wasch­mit­tel, Ver­wen­dung des 90°-Programms, güns­ti­ger gebrauch­ter Trock­ner mit hohem Energieverbrauch. 

An die­sen Bei­spie­len wird zum einen noch ein­mal die Abhän­gig­keit nach­hal­ti­ger Prak­ti­ken von Res­sour­cen sicht­bar, zum ande­ren aber auch, dass mate­ri­ell iden­ti­sche Prak­ti­ken auf ganz unter­schied­li­che Wissensbezüge/diskursive Rah­mun­gen bezo­gen sein kön­nen. Damit ist klar, dass bezo­gen auf ihre Wir­kung nach­hal­ti­ge Prak­ti­ken nicht unbe­dingt auch mit der Inten­ti­on „Nach­hal­tig­keit“ ver­se­hen sein müs­sen. Inso­fern Milieus durch typi­sche Bün­del sozia­ler Prak­ti­ken cha­rak­te­ri­siert wer­den kön­nen, las­sen sich damit auch die­se mehr oder weni­ger* genau in die­sen Wür­fel ein­ord­nen. Wer anders­her­um Nach­hal­tig­keit umset­zen möch­te, muss damit in unter­schied­li­chen Milieus ganz unter­schied­li­che Ansatz­punk­te nut­zen (vgl. etwa Klein­hü­ckel­kot­ten 2005).

In der Dar­stel­lung oben wur­de die Dimen­si­on „Spiel­raum“ mit den ver­füg­ba­ren Res­sour­cen ein­zel­ner Per­so­nen bzw. typi­scher Milieus gleich­ge­setzt. Indi­rekt wur­den damit die Ver­än­de­rungs­hür­den ein­zel­ner Prak­ti­ken in den Blick genom­men. Neben den expli­zit genann­ten finan­zi­el­len Res­sour­cen (kann jemand es sich leis­ten, eine neue Wasch­ma­schi­ne zu kau­fen), die in ihrer Wir­kung wie­der­um sub­jek­tiv zu betrach­ten sind (sieht jemand eher die ein­ma­li­gen Anschaf­fungs­kos­ten oder die lau­fen­den Strom­kos­ten) gehört dazu auch kul­tu­rel­le Res­sour­cen im Sin­ne von Wis­sen über Mög­lich­kei­ten und Gren­zen (Bsp. Öko-Wasch­mit­tel) oder auch im Sin­ne impli­zi­ten, mit ein­ge­schlif­fe­nen Prak­ti­ken ver­bun­de­nen Wis­sens (z.B. Wäsche auf der Lei­ne trock­nen) sowie die Fra­ge, was für Prak­ti­ken in einem bestimm­ten Kol­lek­tiv sozi­al akzep­tiert sind (Bsp. Sauberkeitsnormen). 

Um das Wäsche­wa­schen nach­hal­ti­ger zu machen, sind damit nicht nur je nach Milieu und Situa­ti­on unter­schied­li­che Stra­te­gien sinn­voll; auch die Dele­ga­ti­on von Nach­hal­tig­keit an nicht­mensch­li­che Akteu­re bzw. vor- und nach­ge­la­ger­te Infra­struk­tu­ren – also bei­spiels­wei­se die Ein­füh­rung hoher Stan­dards für den erlaub­ten Ener­gie- und Was­ser­ver­brauch neu­er Wasch­ma­schi­nen bzw. die Art, wie Strom pro­du­ziert oder Abwas­ser geklärt wird – ist not­wen­dig, aber nicht in jedem Fall an eta­blier­te Prak­ti­ken anschlussfähig.

* Mehr oder weni­ger genau inso­fern, als nicht alle Prak­ti­ken milieu­iden­ti­fi­zie­rend sind, und auch gene­rell nicht unbe­dingt mehr von ganz­heit­li­chen Lebens­sti­len aus­ge­gan­gen wird (Reuss­wig 1994). Poferl et al. (1997) haben sich den Zusam­men­hang von Milieus und „Umwelt­ment­a­li­tä­ten“ ange­schaut und kom­men nur für die Umwelt­ment­a­li­tät „Per­sön­li­ches Ent­wick­lungs­pro­jekt“ zu einer kla­ren Milieuzuordnung.

Lite­ra­tur (sie­he auch Teil I und II)

Klein­hü­ckel­kot­ten, Sil­ke (2005): Suf­fi­zi­enz und Lebens­sti­le. Ansät­ze für eine milieu­ori­en­tier­te Nach­hal­tig­keits­kom­mu­ni­ka­ti­on. Ber­lin: Ber­li­ner Wissenschafts-Verlag. 

Poferl, Ange­li­ka / Schil­ling, Karin / Brand, Karl-Wer­ner (1997): Umwelt­be­wußt­sein und All­tags­han­deln. Eine empi­ri­sche Unter­su­chung sozi­al-kul­tu­rel­ler Ori­en­tie­run­gen. Hrsg. vom Umwelt­bun­des­amt. Opla­den: Leske+Budrich.

Reuss­wig, Fritz (1994): Lebens­sti­le und Öko­lo­gie. Gesell­schaft­li­che Plu­ra­li­sie­rung und all­tags­öko­lo­gi­sche Ent­wick­lung unter beson­de­rer Berück­sich­ti­gung des Ener­gie­be­reichs. Frank­furt am Main: Ver­lag für Inter­kul­tu­rel­le Kommunikation. 

Sho­ve, Eliza­beth (2002): Sus­taina­bi­li­ty, sys­tem inno­va­ti­on and the laun­dry. Lan­cas­ter: Lan­cas­ter Uni­ver­si­ty, Dept. of Socio­lo­gy. Elek­tro­ni­sches Doku­ment, URL: http://www.comp.lancs.ac.uk/sociology/papers/Shove-Sustainability-System-Innovation.pdf, Abruf Jan. 2008.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

I accept that my given data and my IP address is sent to a server in the USA only for the purpose of spam prevention through the Akismet program.More information on Akismet and GDPR.