Einige Anmerkungen zum Andreae-Bauer-Papier

Tetris and the big mover I

Die Frei­bur­ger Bun­de­tags­ab­ge­ord­ne­te Kers­tin And­reae, die baden-würt­tem­ber­gi­sche Wis­sen­schafts­mi­nis­te­rin The­re­sia Bau­er, das Lan­des­vor­stands­mit­glied Dan­y­al Bayaz und eini­ge wei­te­re – zumeist in den Zen­tral­stel­len grü­ner Minis­te­ri­en täti­ge – real­po­li­tisch ori­en­tier­te Men­schen aus Baden-Würt­tem­berg haben in die­sem Som­mer die grü­ne Frei­heits­de­bat­te um ein wei­te­res The­sen­pa­pier ergänzt.

Vie­les an dem Papier fin­de ich rich­tig. Und wer es als Erb­schein für die FDP ver­steht, liegt falsch. Rich­tig fin­de ich ins­be­son­de­re die The­se, dass eine bestimm­te grü­ne Les­art einer auf Frei­heit ori­en­tier­ten Poli­tik gibt, die nicht nur aus den bür­ger­recht­li­chen und eman­zi­pa­to­ri­schen Wur­zeln der Par­tei her­ge­lei­tet wird, son­dern auch aus der schlich­ten, aber nichts­des­to­trotz wirk­mäch­ti­gen Tat­sa­che, dass indi­vi­du­el­le Frei­räu­me vor­aus­set­zungs­reich sind. 

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Geschenkter Gaul, oder: von Pferdefleisch und Mindestlohn

White horse

Als Vege­ta­ri­er betrifft mich der Pfer­de­fleisch­skan­dal nicht so wirk­lich. Könn­te eine oder einer jeden­falls den­ken. Aber eigent­lich ist der Pfer­de­fleisch­skan­dal, wie die x Lebens­mit­tel­skan­da­le davor, eher ein Sym­ptom dafür, dass ins­ge­samt irgend­et­was nicht stimmt mit unse­rer hoch­in­dus­tria­li­sier­ten Lebens­mit­tel­in­dus­trie – und, das muss mit­ge­dacht wer­den, mit den Einkommensverhältnissen.

Ich habe mal nach­ge­schaut. Im Jahr 2012 habe ich monat­lich etwa 260 Euro für „Haus­halt“ aus­ge­ge­ben. Das sind in mei­ner eige­nen Sta­tis­tik* vor allem Lebens­mit­tel, aber auch Ver­brauchs­ar­ti­kel wie Toi­let­ten­pa­pier, Geschirr­spül­mit­tel oder Sham­poo. Dazu kom­men Bar­geld­aus­ga­ben – vor allem für Kan­ti­nen­es­sen beim Arbei­ten und Ver­pfle­gung beim Pen­deln. Das dürf­ten noch­mal um die 200 Euro pro Monat sein. Grob geschätzt gebe ich also monat­lich 420 Euro für Lebens­mit­tel aus. Für mich und zwei hal­be** Kin­der. Im Bio­la­den, und unter­wegs eben – lei­der meist nicht sehr öko­lo­gisch – an Bahn­hö­fen und in Kan­ti­nen. Ich trin­ke kei­nen Alko­hol, rau­che nicht und esse kein Fleisch – all das wür­de ver­mut­lich zu deut­lich höhe­ren Aus­ga­ben füh­ren, ins­be­son­de­re dann, wenn ich an Bio­qua­li­tät festhalte.

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Vier Vorschläge zur Identitätskrise der SPD

Balcony tomatoes II

Die Zei­ten, in denen die SPD locker 40 Pro­zent hol­te, sind lan­ge vor­bei. In der Ana­ly­se füh­ren­der Genos­sen – Man­fred Güll­ner vom Insti­tut for­sa sei hier exem­pla­risch erwähnt, aber auch Sig­mar Gabri­el hat sich schon ent­spre­chend geäu­ßert – hängt das immer noch damit zusam­men, dass so eine komi­sche klei­ne Umwelt­par­tei der SPD Ende der 1970er Jah­re ihre The­men weg­ge­nom­men hat. Plötz­lich waren rau­chen­de Schlo­te, rum­peln­de Last­wa­gen und rie­si­ge Fabri­ken nicht mehr Insi­gni­en des sozi­al­de­mo­kra­ti­schen Wegs zum Para­dies, son­dern Pfui­bäh. Iden­ti­täts­kri­se! Eine Par­tei weiß nicht mehr, wofür sie steht.

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Unsozial, unfrei, ungerecht: die FDP

Screenshot "Gelb statt grün", http://www.gelb-statt-gruen.de
Screen­shot gelb-statt-gruen.de

Wenn die SPD nicht mehr wei­ter weiss, dann grün­det sie ’nen Arbeits­kreis. Die FDP dage­gen haut in die­ser Situa­ti­on am liebs­ten wild um sich. Das neus­te Ergeb­nis die­ses ver­zwei­fel­ten Umsich­schla­gens heißt gelb-statt-gruen.de und ist eine Anti-Grü­nen-Kam­pa­gnen­sei­te. Ich bin ja ganz ange­tan davon, dass die FDP der­zeit so wenig eige­nes Kon­zept hat, dass sie’s nur im Kon­trast zu uns Grü­nen über­haupt dar­stel­len kann. Noch mehr amü­siert mich aber, dass die Selbst­dar­stel­lung auf die­ser Web­site ein ziem­lich rea­lis­ti­sches Bild der FDP zeich­net – und deut­lich macht, war­um die Par­tei out ist. „Unso­zi­al, unfrei, unge­recht: die FDP“ weiterlesen

Skeptisches zur Grundeinkommenspetition

Über diver­se Kanä­le bin ich in den letz­ten Tagen auf die Grund­ein­kom­mens­pe­ti­ti­on auf­merk­sam gemacht wor­den. Bis­her gehö­re ich nicht zu den über 10.00020.000 Mit­zeich­ne­rIn­nen der Peti­ti­on (mit­zeich­nen noch bis 10.2.17.2. mög­lich), obwohl ich, wie lang­jäh­ri­ge Lese­rIn­nen die­ses Blogs wis­sen, der Idee eines bedin­gungs­lo­sen Grund­ein­kom­mens durch­aus posi­tiv gegen­über­ste­he. Neben­bei bemerkt: ich fin­de es klas­se, dass es – bei allen Män­geln – das ePe­ti­ti­ons-Sys­tem des Bun­des­tags gibt. Und die Grund­ein­kom­mens­pe­ti­ti­on zeigt, dass das gut mit vira­len Ver­brei­tungs­we­gen und sozia­len Net­zen (auch außer­halb der digi­ta­len Welt) zusammenpasst.

War­um ste­he ich trotz­dem bis­her nicht unter der Peti­ti­on? Dafür habe ich vor allem zwei Gründe.

1. Der voll­stän­di­ge Text der Peti­ti­on lautet 

„Der Deut­sche Bun­des­tag möge beschlie­ßen … das bedin­gungs­lo­ses Grund­ein­kom­men einzuführen.“ 

Das ist für sich allei­ne genom­men auf jeden Fall knapp, aber auch ziem­lich schwam­mig. Jetzt lie­ße sich argu­men­tie­ren, dass es sinn­voll ist, dass das schwam­mig ist, weil sonst zu vie­le aus­ge­grenzt wer­den. Sehe ich anders – mir wäre eine Peti­ti­on, die einen real­po­li­tisch durch­dach­ten Vor­schlag macht, lie­ber. So lässt sich das trotz der vie­len, vie­len Mit­un­ter­zeich­ne­rIn­nen näm­lich viel zu schnell vom Tisch wischen. Auch die Mit­glie­der des Peti­ti­ons­aus­schus­ses des Deut­schen Bun­des­tags wer­den in ers­ter Linie das in die­se Peti­ti­on hin­ein­le­sen, was sie da ger­ne lesen wol­len. Mei­ner Erfah­rung ist, wenn die Grund­ein­kom­mens­idee nicht näher begrün­det und geer­det wird, das in die offen­mög­lichs­te For­mu­lie­rung hin­ein­ge­le­se dann schnell genau das Fal­sche. Und Ableh­nungs­grund im Bundestag. 

Noch schwie­ri­ger wird es, wenn der knap­pe Text mit der Begrün­dung zusam­men gele­sen wird. In die­ser wird näm­lich die – zuge­ge­be­ner­ma­ßen ziem­lich popu­lä­re – Götz-Wer­ner-Vari­an­te eines über die Mehr­wert­steu­er finan­zier­ten 1500-Euro-Grund­ein­kom­mens zur Grund­la­ge gemacht. Ich bin zwar für ein bedin­gungs­lo­ses Grund­ein­kom­men, glau­be aber, dass ein biß­chen mehr Kom­pro­miss­fä­hig­keit sein muss, um in einem real­po­li­tisch agie­ren­den Kon­text Reso­nanz und Anschluss­fä­hig­keit zu pro­du­zie­ren. Und der Bun­des­tag ist so unge­fähr das Maxi­mum an Tagespolitik.

2. Weil ich dem Peti­ti­ons­aus­schuss nicht zutraue, über den Tel­ler­rand fast aller dort ver­tre­ten Par­tei­en hin­weg­zu­schau­en, glau­be ich nicht, dass er – egal wie die Peti­ti­on genau for­mu­liert wäre – ein Grund­ein­kom­men irgend­wie posi­tiv in den im Bun­des­tag ablau­fen­den poli­ti­schen Pro­zess hin­ein­ge­ben wür­de. Inso­fern stellt sich mir die Fra­ge, ob eine Peti­ti­on das rich­ti­ge Instru­ment ist. Wenn es einen Volks­ent­scheid auf Bun­des­ebe­ne geben wür­de, wäre das alles noch ein­mal ein biß­chen anders. So kann das Ziel der Peti­ti­on eigent­lich nur sein, über den Umweg Bun­des­tag eine gesell­schaft­li­che und poli­ti­sche Debat­te in Gang zu brin­gen bzw. wie­der anzu­hei­zen. Ob das so klappt? Ich habe mei­ne Zwei­fel, und glau­be, dass ande­re Akti­ons­for­men effek­ti­ver wären – ent­we­der im Sin­ne von viel, viel Über­zeu­gungs­ar­beit in einer der grö­ße­ren Frak­tio­nen, also ganz real­po­li­tisch (das hat lei­der z.B. bei Grüns auf Bun­des­ebe­ne nur bedingt geklappt) oder eben anders­her­um im Sin­ne außer­par­la­men­ta­ri­scher Sym­bol- und Mei­nungs­bil­dungs­po­li­tik und eines poli­ti­schen Wech­sels von unten.

Zusam­men­ge­fasst: um so eine Sache wie das Grund­ein­kom­men wirk­lich vor­an­zu­brin­gen, braucht es auf allen Ebe­nen mehr poli­ti­sche Pro­fes­sio­na­li­tät. Damit mei­ne ich nicht PR und Mar­ke­ting (das klappt auch, wenn vor­ne ein Cha­ris­mat steht), son­dern die Mühen der poli­ti­schen Ebe­nen zu durch­wan­dern und die Müh­len von BIs und Ver­bän­den, Par­tei­en und Kam­pa­gnen zum Klap­pern zu brin­gen. Noch die bes­te Idee kann dar­an schei­tern, dass ihr allei­ne zuviel zuge­traut wird und dar­über ver­ges­sen wird, Netz­wer­ke und Bünd­nis­se zu schmie­den, die Öffent­lich­keit zu errei­chen und immer wie­der und wie­der Über­zeu­gungs­ar­beit zu leis­ten. Poli­ti­sche Erfol­ge ent­ste­hen nicht von allei­ne, son­dern brau­chen auch unter der Ober­flä­che der Anträ­ge und Par­tei­tags­re­den viel Vor­ar­beit. (Das sei im übri­gen auch den Grund­ein­kom­mens­ak­ti­vis­tIn­nen in der eige­nen Par­tei noch ein­mal gesagt!).

Viel­leicht ist die E‑Petition ein Fokus­punkt, um eine poli­ti­sche Pro­fes­sio­na­li­sie­rung zu errei­chen. Ich bin skep­tisch. Im Unter­grund sich allei­ne über­las­sen habe ich Angst, dass aus der viel­un­ter­zeich­ne­ten Peti­ti­on eher ein sehr kur­zes Feu­er­werk mit einer sehr lan­gen Lun­te wer­den wird. Und dar­auf habe ich kei­ne Lust. Aber viel­leicht über­zeugt mich ja in den nächs­ten fünf Tagen noch jemand vom Gegen­teil (oder davon, dass ich durch die ehren­amt­li­che Teil­nah­me am poli­ti­schen Betrieb schon so ver­dor­ben bin, dass ich die Kraft der Ideen nicht mehr wahrnehme).

War­um blog­ge ich das? Weil ich es begrün­dungs­be­dürf­tig fin­de, die Peti­ti­on nicht zu unter­zeich­nen. Und weil ich ger­ne auf allen Ebe­nen (Peti­ti­on als par­ti­zi­pa­ti­ves Instru­ment, Grund­ein­kom­men als Real­po­li­tik, pro­fes­sio­na­li­sier­te Kam­pa­gnen­ar­beit) Debat­ten anre­gen möchte.