Mehr so meh

Freiburg before Christmas

Im Rück­blick ist 2023 defi­ni­tiv kein beson­ders gelun­ge­nes Jahr, „meh“ trifft es ganz gut. 

Also, pri­vat war soweit alles ok, ich habe mich nach mehr als einem Jahr­zehnt Arbeit in der Frak­ti­on end­lich mal drum geküm­mert, eine Woh­nung in der Nähe von Stutt­gart – in Ess­lin­gen – zu fin­den (und bin jetzt auch mit dem gan­zen Umzie­hen, Ent­rüm­peln, Strei­chen, Woh­nungs­über­ge­ben fer­tig). Gleich­zei­tig brin­ge ich mich inten­si­ver in die Orts­po­li­tik hier in Gun­del­fin­gen ein. Die Kin­der gedei­hen und wer­den groß, den Kat­zen geht’s gut. Das Sci­ence-Fic­tion-Jahr war inter­es­sant und unter­halt­sam. Coro­na (nach drei Jah­ren ohne) hät­te mich jetzt nicht erwi­schen müssen. 

Je wei­ter raus­ge­zoomt wird, des­to ner­vi­ger erscheint mir 2023. Bür­ger­ent­scheid zur Stra­ßen­bahn ver­lo­ren. Mei­ne Par­tei wird im Land und Bund von allen Sei­ten ange­fein­det. Die Ampel-Regie­rung schlit­tert mehr so dahin, über­zeugt jeden­falls nicht. Die AfD glaubt, sie sei die Wie­der­ge­burt einer natio­na­len Volks­par­tei, die Bau­ern und Bäue­rin­nen grei­fen zu Pro­test­for­men aus den 1920er Jah­ren (und ima­gi­nie­ren sich in den Bau­ern­krieg zurück). Die Bun­des-CDU zer­schmet­tert mal eben die Grund­la­ge für Inves­ti­tio­nen und will von einer Reform der Schul­den­brem­se nichts wis­sen. Und die Lan­des-CDU wäre eigent­lich lie­ber kraft­vol­le Oppo­si­ti­on statt Regie­rungs­part­ner (naja, noch lie­ber wür­de sie den Minis­ter­prä­si­den­ten stel­len …). Alles eher Gegen­wind, alles nichts, was Freu­de berei­tet. Und von der Ukrai­ne oder Isra­el, von der Dik­ta­tur in Russ­land oder der gefähr­de­ten Demo­kra­tie in den USA oder von den dies­jäh­ri­gen Kli­ma­ex­tre­men rede ich erst gar nicht.

Über die­se all­ge­mein schwie­ri­ge Lage las­sen sich dann leicht die Pflan­zen der Hoff­nung über­se­hen, die kräf­tig wach­sen. Der Atom­aus­stieg hat nicht zum Koh­le­re­vi­val geführt, son­dern den Weg für Wind­strom frei­ge­macht. Die Aus­bau­zie­le bei Pho­to­vol­ta­ik wer­den 2023 über­erfüllt. Da bewegt sich viel, im Moment wirkt es jeden­falls so, als wäre allein auf­grund der Wirt­schaft­lich­keit die Wei­che gestellt für eine rapi­de grü­ner wer­den­de Ener­gie aus erneu­er­ba­ren Quel­len und mit Bat­te­rie­spei­chern. Und auch das Deutsch­land­ti­cket ist ein rich­tig gro­ßer Reform­schritt (über die Bahn und deren Infra­struk­tur reden wir jetzt lie­ber nicht). Oder, inter­na­tio­nal betrach­tet: der Sieg der demo­kra­ti­schen Kräf­te in Polen – auch das gibt Hoffnung. 

Wir haben 2023 gelernt, dass Musk ein fie­ser Typ ist, dass die Hal­tung zu Isra­el und Paläs­ti­na zwi­schen der inter­na­tio­na­len und der deut­schen Lin­ken (inkl. Kli­ma­be­we­gung) sehr unter­schied­lich ist, dass Merz zurück in die 1990er, 1980er oder 1950er möch­te und dass linea­res Fern­se­hen weit­ge­hend tot ist. Cory Doc­to­row hat den Begriff „ens­hi­ti­fi­ca­ti­on“ geprägt, um zu erklä­ren, war­um Inter­net­platt­for­men dazu nei­gen, nach eini­ger Zeit unbe­nutz­bar zu wer­den. Wie wir mit sozia­len Medi­en umge­hen wol­len, wis­sen wir auch 2023 noch nicht wirk­lich. Mast­o­don hat sich als net­te, ruhi­ge Ecke und tech­ni­sche Grund­la­gen­in­fra­struk­tur ent­puppt, die aber genau des­we­gen nicht hype-taug­lich ist. Ach ja: und 2023 war das Jahr, in der die dis­kur­si­ve Leit­tech­no­lo­gie „KI“ hieß. Einer­seits, weil ChatGPT & Co. tat­säch­lich ein­drucks­voll gezeigt haben, dass sie plau­si­bel wir­ken­de Tex­te und Bil­der gene­rie­ren kön­nen (als ob …), ande­rer­seits, weil über­all, wo letz­tes Jahr „Block­chain“ dran­ge­schrie­ben wur­de, jetzt „KI“ dran­steht. Und damit ist dann nicht immer ein LLM oder ähn­li­ches gemeint, son­dern manch­mal ein ganz schlich­ter Algorithmus. 

Pro­gno­se für 2024: der KI-Hype wird abflau­en, weil das mit dem Geld­ver­die­nen nicht so rich­tig klappt. Vor­her aber wird er wei­ter dazu bei­tra­gen, Such­ergeb­nis­se unbrauch­bar zu machen und die Welt mit den typi­schen super­po­si­ti­ven Fünf­satz­ab­sät­zen zu über­flu­ten. Auch 2024 wird nicht das Jahr, in dem Vir­tu­el­le Rea­li­tät oder auto­nom fah­ren­de Autos ihren Durch­bruch fei­ern wer­den (sie­he auch: Musk als fie­ser Typ, sie­he auch: schum­meln). Die Kom­mu­nal- und Euro­pa­wahl im Juni 2024 wird nicht groß­ar­tig, aber ok. Die Ampel wird trotz FDP-Mit­glie­der­be­fra­gung wei­ter­ma­chen. Die Land­tags­wah­len im Osten wer­den kata­stro­phal aus­ge­hen, wenn nicht vor­her noch was pas­siert. Eine Pro­gno­se dazu, wie es in den USA wei­ter­geht, wage ich nicht. Und Viren, der Kli­ma­wan­del und ähn­li­che Din­ge machen das, was sie auch in den letz­ten Jah­ren getan haben: sie fol­gen Natur­ge­set­zen und nicht dis­kur­si­ven Hochs und Tiefs. Was lei­der kei­ne gute Nach­richt ist. 

Sina Trink­wal­der spricht von den Geburts­we­hen eines neu­en Zeit­al­ters. Hof­fen wir, dass das eine zutref­fen­de Beschrei­bung unse­rer Zeit ist.

Nach der Mega-BDK: Grün geht weiter

BDK 2023

Ich hat­te ja auf­ge­schrie­ben, dass ich durch­aus mit Sor­ge auf den grü­nen Bun­des­par­tei­tag schaue. Nach vier Par­tei­tags­ta­gen (bei mir: drei im Stream, einer vor Ort) stel­le ich fest, dass wir Grü­ne leben­di­ger sind, als man­che das ger­ne hät­ten. Ich wür­de mich freu­en, wenn ein biss­chen von dem – zuwei­len auch trot­zi­gen – Auf­bruchs­geist und Mut, den die­se vier Tage aus­ge­strahlt haben, in die nächs­ten Wochen und Mona­te hin­ein­wir­ken wür­de. Denn Koor­di­na­ti­on und Zusam­men­halt, gemein­sa­mes Strei­ten um die Sache und gemein­sa­mes Hin­ste­hen für das Erreich­te, das bleibt drin­gend angesagt.

Die ganz gro­ßen Über­ra­schun­gen sind aus­ge­blie­ben. Die Bun­des­vor­sit­zen­den und der (bis auf den Schatz­meis­ter) gleich geblie­be­ne Bun­des­vor­stand wur­den mit guten bis sehr guten Ergeb­nis­sen bestä­tigt, die Euro­pa­lis­te mit Spit­zen­kan­di­da­tin Ter­ry Reint­ke ist jün­ger, weib­li­cher und lin­ker gewor­den. Was lei­der nicht gut gelun­gen ist: Leu­te mit fach­li­cher Exper­ti­se, aber ohne inten­si­ve Par­tei-Ein­bin­dung auf die Lis­te zu brin­gen. Das war mal eine grü­ne Stär­ke, inzwi­schen kopie­ren es ande­re, und bei uns sieht es dies­be­züg­lich eher mau aus. Gleich­wohl: auf der jetzt gewähl­ten Lis­te sind sehr star­ke Kandidat*innen, und es ist immer wie­der erfreu­lich, zu sehen, wie viel­fäl­tig und her­aus­ra­gend unse­re Leu­te sind.

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Vor der Mega-BDK: Neuerfindung oder Weiterwursteln?

Rasmus' painting II

Ab heu­te Don­ners­tag, am spä­ten Nach­mit­tag, 17 Uhr, beginnt in Karls­ru­he die 49. Bun­des­de­le­gier­ten­kon­fe­renz (BDK) von Bünd­nis 90/Die Grü­nen. Das ers­te Mal, dass die­ser Par­tei­tag mit rund 800 Dele­gier­ten für vier Tage zusam­men­kommt – und es steht auch eini­ges auf der Tages­ord­nung: der Bun­des­vor­stand und der Par­tei­rat wer­den neu gewählt, das Wahl­pro­gramm für die Euro­pa­wahl 2024 und die Lis­te dazu – für die 40 Plät­ze, die gewählt wer­den sol­len, bewer­ben sich rund 65 Per­so­nen – sol­len beschlos­sen wer­den, und zudem gibt es eine gan­ze Rei­he von Dring­lich­keits­an­trä­gen, u.a. zur Hal­tung zu Isra­el und zur Migra­ti­ons­po­li­tik. Alles gut? Ich mache mir Sorgen.

Karls­ru­he, weil dort vor im Janu­ar 1980 die dama­li­gen DIE GRÜNEN gegrün­det wur­den, und coro­nabe­dingt erst jetzt das 40-jäh­ri­ge Jubi­lä­um gefei­ert wer­den kann. So rich­tig viel Par­ty­stim­mung sehe ich jedoch im Vor­feld der BDK nicht. Zwar ste­hen wir Grü­ne mit rund 15 Pro­zent in den bun­des­wei­ten Umfra­gen unge­fähr da, wo wir bei der Bun­des­tags­wahl 2021 lagen. Aber die Per­for­manz der Ampel, die all­ge­mei­nen Kri­sen (bis hin zu den Wahl­er­geb­nis­sen in Bay­ern und Hes­sen vor ein paar Wochen und dem Rechts­ruck in den Nie­der­lan­den heu­te), und jetzt noch das Urteil des Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richts zur Ver­fas­sungs­wid­rig­keit des Kli­ma- und Trans­for­ma­ti­ons­fonds – das alles lädt nicht zum Jubeln ein. 

Die Dring­lich­keits­an­trä­ge sind hef­tig umstrit­ten. Der Bun­des­vor­stand (der kom­plett noch ein­mal kan­di­diert) steht im Wind­schat­ten der grü­nen Minister*innen und wird, so mein Ein­druck, als wenig tat­kräf­tig wahr­ge­nom­men. Der Par­tei­rat ver­liert an poli­ti­scher Bedeu­tung. Und bei er Euro­pa­lis­te wird es spä­tes­tens ab Platz 2 ein Hau­en und Ste­chen geben, weil fast alle bis­he­ri­gen Abge­ord­ne­ten wie­der ins Euro­pa­par­la­ment wol­len, aber alle Pro­gno­sen davon aus­ge­hen, dass das Rekord­ergeb­nis von 2019 nicht gehal­ten wer­den kann.

Viel­leicht, noch einen Schritt wei­ter­ge­hend, zeigt sich ein Kon­struk­ti­ons­pro­blem in Regie­rungs­zei­ten. Robert Habeck macht sei­ne Sache als Kli­ma- und Trans­for­ma­ti­ons­mi­nis­ter so gut, wie das in die­sen Zei­ten eben geht. Er ist als Vize­kanz­ler zugleich für die Koor­di­na­ti­on der grü­nen Regie­rungs­sei­te ins­ge­samt zustän­dig. Da wird es mit dem geschlos­se­nen und abge­stimm­ten Auf­tre­ten schon schwie­ri­ger. Und beim Blick auf die Par­tei zeigt sich so etwas wie ein Führungsvakuum. 

Omid Nou­ri­pour und Ricar­da Lang haben zwi­schen den wider­stre­ben­den Inter­es­sen der Regie­rungs­po­li­tik und einer eigent­lich recht selbst­be­wuss­ten Par­tei wenig Bein­frei­heit. 2018 bis 2021 war eine Zeit des mas­si­ven Mit­glie­der­wachs­tums, getra­gen von der Unter­stüt­zung der Öffent­lich­keit für grü­ne The­men. Erfol­ge wer­den ger­ne zusam­men gefei­ert. Die­ser Wind hat sich nun gedreht. Und die Fra­ge danach, wie eine Par­tei mit dem Anspruch, die gesam­te Gesell­schaft zu ver­tre­ten und zu moder­ni­sie­ren, in einer Zeit hef­ti­gen Gegen­winds agie­ren soll, bleibt ungeklärt. 

Das ist der Ele­fant im Par­tei­tags­raum. Wenn alles gut läuft, dann ist die­se Mega-BDK der Punkt, an dem die Par­tei sich wie­der ein­mal neu erfin­det und damit auch zu neu­er Geschlos­sen­heit fin­det. Wenn nicht, dann blei­ben die nächs­ten Mona­te schwierig. 

P.S.: Ich wer­de mir die BDK heu­te und mor­gen im Stream anschau­en und bin vmtl. Sams­tag vor Ort.

Notizen zu Gemeinsam Handeln, Tag 2

Mannheim / Tagung "gemeinsam handeln"

Der zwei­te Tag der Tagung „Gemein­sam Han­deln“ des baden-würt­tem­ber­gi­schen Staats­mi­nis­te­ri­ums war wohl­ge­packt. Und obwohl eini­ge hoch­ka­rä­ti­ge Referent*innen krank­heits­be­dingt abge­sagt hat­ten, blieb doch eini­ges an bemer­kens­wer­ten Vor­trä­gen und Redner*innen – inso­fern bin ich auf das ange­kün­dig­te Buch zur Tagung gespannt. Noch mehr dar­auf, wie die dis­ku­tier­ten Pro­blem­stel­lun­gen ihren Weg in das Regie­rungs­han­deln finden.

Ging es am ers­ten Tag um über­grei­fen­de The­men, um Bür­ger­be­tei­li­gung und um die Wirt­schaft, so stand am zwei­ten Tag v.a. der Kli­ma­wan­del im Mittelpunkt. 

Zuvor bau­te Prof. Jan-Wer­ner Mül­ler aus Prince­ton (Mot­to „kon­ser­va­ti­ve Denk­fi­gu­ren für eine pro­gres­si­ve Poli­tik frucht­bar machen“) aber noch den gan­zen gro­ßen poli­tisch-phi­lo­so­phi­schen Rah­men auf, indem er den Zusam­men­hang von Frei­heit und Zusam­men­halt aus­leuch­te­te. Im Kern ging es hier um das Pro­blem des „Ver­lie­rers“ in der Demo­kra­tie – wie muss ein demo­kra­ti­scher Pro­zess in einer frei­heit­li­chen und plu­ra­len Gesell­schaft aus­se­hen, um am Schluss nicht eine Spal­tung in Mehr­heit und Min­der­heit her­vor­zu­ru­fen, son­dern ein Ergeb­nis, das auch von denen mit­ge­tra­gen wird, die in der Sach­fra­ge ver­lo­ren haben. Als Vor­aus­set­zun­gen für einen zusam­men­halts­för­dern­den Umgang mit Kon­flik­ten nann­te Mül­ler drei Punk­te: (1) ande­re nicht kate­go­ri­al aus­schlie­ßen, den poli­ti­schen Geg­ner nicht zum Feind erklä­ren; (2) zwi­schen einer gemein­sa­men Fak­ten­grund­la­ge und ger­ne strit­ti­gen Mei­nun­gen zu gemein­sam geteil­ten Fak­ten unter­schei­den; (3) nicht auf tech­no­kra­ti­sches Recht­ha­ben vertrauen. 

D.h. auch: wer ver­liert, muss immer eine Chan­ce haben, sei­ne oder ihre Posi­ti­on in der nächs­ten Run­de durch­set­zen zu kön­nen. Mül­ler ging dann wei­ter auf die spe­zi­fi­sche Rol­le von Par­tei­en und Gerich­ten ein und stell­te dar, dass Bür­ger­rä­te ein Instru­ment der zusam­men­halts­för­dern­den Kon­flikt­lö­sung sein kön­nen, wenn sie als Ergän­zung, nicht als Ersatz einer reprä­sen­ta­ti­ven Demo­kra­tie kon­zi­piert sind. Dis­ku­tiert wur­de auf dem anschlie­ßen­dem Podi­um ins­be­son­de­re die Fra­ge, was die­se Aus­sa­gen mit Bezug auf AfD und Rechts­extre­mis­mus bedeu­ten – vor der Folie der Transformation(en). Mit­ge­nom­men habe ich das Wort davon, dass der „Kul­tur­kampf die Ein­stiegs­dro­ge in den Popu­lis­mus für bür­ger­li­che Krei­se ist“ – und die Auf­for­de­rung, mit Populist*innen zu reden, aber nicht wie diese.

Das zwei­te Podi­um zur „Geschwin­dig­keit der Demo­kra­tie“ wur­de krank­heits­be­dingt zu einem mode­rier­ten Zwie­ge­spräch zwi­schen Pau­li­ne Brün­ger (Fri­days for Future) und dem grü­nen Alt-Vor­den­ker Ralf Fücks. Da ging es rela­tiv hef­tig zur Sache, die jeweils unter­schied­li­chen Bewe­gungs­er­fah­run­gen wur­den sich sich vor­ge­hal­ten, das Ver­hält­nis zwi­schen Par­tei und Bewe­gung aus­ge­lo­tet zwi­schen Ver­ständ­nis für real­po­li­ti­sche Zwän­ge und Wunsch beschleu­nig­ten Han­delns ange­sichts phy­si­ka­li­scher Her­aus­for­de­run­gen. Fücks lan­de­te letzt­lich beim grü­nen Wachs­tum, bei intel­li­gen­ten Märk­ten und der öko­lo­gi­schen Moder­ni­sie­rung im Bünd­nis mit der Mehr­heit, was zu erwar­ten war. Statt poli­tisch beschleu­nigt zu regu­lie­ren, soll­te lie­ber in die Inno­va­ti­ons­fä­hig­keit der Märk­te ver­traut wer­den, sobald die Prei­se die rich­ti­gen Anrei­ze set­zen. Alles nichts neu­es. Inter­es­san­ter die Hal­tung von Brün­ger, die sehr reflek­tiert die Stra­te­gie der Fri­days erläu­ter­te, und immer wie­der beton­te, dass Kli­ma­pro­test aus Sicht von FFF eben auch sozia­le Akzep­tanz und Lebens­wirk­lich­keit mit­denkt. Dabei gab es eine deut­li­che Abgren­zung zu Stra­ßen­blo­cka­den um der Blo­cka­de wil­len, bes­ser: sich Kämp­fe aus­su­chen, die für die trans­for­ma­ti­ons­wil­li­ge Mehr­heit der Bevöl­ke­rung anschluss­fä­hig sind. Zur Reflek­ti­on gehör­te auch die Fest­stel­lung, dass die Kli­ma­be­we­gung von der Debat­te um das Hei­zungs­ge­setz kalt erwischt wur­de – Brün­ger sprach hier von einem Rea­li­täts­check für zukünf­ti­ge Kämpfe. 

Noch ein Stück wei­ter in Rich­tung Kli­ma­schutz und Sozi­al­po­li­tik zusam­men­den­ken ging dann Prof. Ani­ta Engels, die für eine akti­ve Trä­ger­schaft der Trans­for­ma­ti­on durch wei­te Bevöl­ke­rungs­krei­se plä­dier­te. Sie mach­te die sozio­de­mo­gra­fisch sehr unter­schied­li­che Mit­wir­kung am Kli­ma­wan­del deut­lich und nahm hier ins­be­son­de­re die Pri­vat­jets der Super­rei­chen in den Blick. Hier lie­gen – bei zah­len­mä­ßig weni­gen Per­so­nen, aber extrem hohem Pro-Kopf-CO2-Aus­stoss – auch ganz kon­kre­te Hand­lungs­mög­lich­kei­ten. Dem stell­te sie am ande­ren sozio­de­mo­gra­fi­schen Ende „Kli­ma­schutz aus Man­gel“ gegen­über. Kli­ma­schutz sozi­al gerecht zu gestal­ten, ist aus Engels Sicht nicht nur die Her­stel­lung von Sozi­al­ver­träg­lich­keit (etwa durch ein Kli­ma­geld oder Aus­gleichs­zah­lun­gen), son­dern der Blick auf sozia­le Gerech­tig­keit (also eine fai­re Ver­tei­lung von Kos­ten und Ver­ant­wor­tung). Noch einen Schritt wei­ter gedacht kommt die ange­spro­che­ne akti­ve Trä­ger­schaft ins Spiel. Das könn­te z.B. hei­ßen, klei­ne Gewer­be­trei­ben­de mit ins Boot zu holen – oder ganz schlicht im Bereich der sozia­len Arbeit in den Leis­tungs­ver­ein­ba­run­gen Kli­ma mit zum The­ma (und damit zum Gegen­stand) zu machen. 

Im Block „Wie reden wir über Kli­ma­schutz“ mach­te die Neu­ro­wis­sen­schaft­le­rin Prof. Maren Urner Wer­bung für ihr Kon­zept des „kon­struk­ti­ven Jour­na­lis­mus“ – da schweb­te, neben berech­tig­ter und zuge­spitz­ter Erläu­te­rung neu­ro­wis­sen­schaft­li­cher Grund­la­gen dafür, dass wir die Kli­ma­kri­se ver­drän­gen, auch viel Wer­bung für die eige­ne Per­son mit. 

High­light zum Schluss der Tagung dann Bun­des­trans­for­ma­ti­ons­mi­nis­ter Robert Habeck, der die Auf­ga­be hat­te, zum The­ma „Aus Zuver­sicht Wirk­lich­keit machen“ zu spre­chen. Das tat er mit einem gro­ßen Bogen von den zeit­ge­nös­si­schen Pro­tes­ten gegen das in Mann­heim erfun­de­ne Lauf­rad bis zur heu­ti­gen Lage. Statt an unbe­grün­de­te Hoff­nung zu glau­ben, plä­dier­te er für die begrün­de­te Zuver­sicht – zu der wir mit Are­ndt ver­dammt sind. Es geht nicht um Zweck­op­ti­mis­mus, son­dern um das in einer gesell­schaft­li­chen Situa­ti­on mach­ba­re, nicht um die immer bes­se­re – apo­ka­lyp­ti­sche – Pro­blem­be­schrei­bung, son­dern um die Wer­bung und letzt­lich Mehr­heits­be­schaf­fung für Lösun­gen. Inter­es­sant für mich, weil das ein sich durch­zie­hen­des The­ma der Tagung war, der Schwenk hin zu Infra­struk­tur – auch im Sin­ne des Erhalts und der Schaf­fung öffent­li­cher Räu­me, an denen unter­schied­li­che Men­schen zusam­men­kom­men. Das dür­fe – Sei­ten­hieb in Rich­tung des Kabi­netts­kol­le­gen – auch nicht an knap­pen Kas­sen schei­tern. In der öffent­li­chen Begeg­nung ent­steht Neu­es, aber auch Rea­li­täts­sinn, und Zuver­sicht – und damit Fort­schrit­te – baut genau auf die­sem Blick auf die Rea­li­tä­ten auf. Und ganz en vogue: der Blick auf Trig­ger­punk­te (Mau), die zu drü­cken ver­mie­den wer­den soll. Statt des­sen warb Habeck für inte­gra­le Lösun­gen – und die Wie­der­ent­de­ckung repu­bli­ka­ni­scher Tugen­den von Tole­ranz bis Neugierde.

Im Schluss­fa­zit des Minis­ter­prä­si­den­ten Kret­sch­mann habe ich ins­be­son­de­re noch ein­mal ein Plä­doy­er für star­ke Insti­tu­tio­nen gehört – auch für die Insti­tu­ti­on Demo­kra­tie selbst als „Infra­struk­tur der Frei­heit“ -; kei­ne Kul­tur­kämp­fe, aber auch ein genau­es Hin­schau­en, wo es um ganz nor­ma­le demo­kra­ti­sche Aus­ein­an­der­set­zun­gen geht, um den zivi­li­sier­ten Streit auf Fak­ten­ba­sis – und, im Sin­ne ein­fa­cher, erhel­len­der Bot­schaf­ten: für eine rea­lis­ti­sche und in den Tat­sa­chen ver­an­ker­te Zuversicht. 

Hier mei­ne Noti­zen zu Tag 1 der Tagung

Zu den ‚Midterm’-Wahlen in Hessen und Bayern

Zwei­mal knapp 15 Pro­zent für Bünd­nis 90/Die Grü­nen – die Pro­gno­se und die ers­ten Hoch­rech­nun­gen sahen noch etwas posi­ti­ver aus -, her­be Ver­lus­te auch für SPD und FDP (in Bay­ern klar aus dem Land­tag gefal­len, in Hes­sen nach dem vor­läu­fi­gen End­ergeb­nis gra­de so über den fünf Pro­zent): mög­li­cher­wei­se typisch für ‚Mid­term-Wah­len‘, falls eine Land­tags­wahl zur Hälf­te der Wahl­pe­ri­ode des Bun­des­ta­ges so bezeich­net wer­den kann.

Auf der ande­ren Sei­te: eine CSU, die leicht ver­lo­ren hat (und Stim­men an die noch rech­te­ren Aiwan­ger-FW wei­ter­ge­ge­ben hat, die wie­der­um, wie alle (!) ehe­ma­li­ge Wähler*innen an die AfD abge­ge­ben hat). In Hes­sen eine CDU, die deut­lich zuge­legt hat. Bei­de um die 35 Pro­zent; soli­de, aber nichts, was an kon­ser­va­ti­ve Glanz­zei­ten anknüpft. In Bay­ern wird Söders Rechts­re­gie­rung wohl wei­ter­ma­chen. In Hes­sen ist es aktu­ell offen, ob Schwarz-Grün fort­ge­setzt wird oder ob Boris Rhein sich für den Wech­sel zu Schwarz-Rot entscheidet.

Aus Sicht der Uni­on war die­ser Wahl­kampf ein Migra­ti­ons­wahl­kampf. Am Wahl­abend noch, wei­ter im Wahl­kampf­mo­dus, for­der­te der Gene­ral­se­kre­tär ein fak­ti­sches Ende des Asyl­rechts, statt über die Wahl­er­geb­nis­se zu spre­chen. Hat die­ser migra­ti­ons­po­li­ti­sche Rechts­ruck der Uni­on gehol­fen? Frag­lich – wohl eher der AfD, die in bei­den Län­dern auf Platz 2 lan­de­te, die in Hes­sen auf Platz 2 und in Bay­ern auf Platz 3 nahe an den FW auf Platz 2 lan­de­te. Die Wähler*innen der AfD mögen nicht alle rechts­extrem ein­ge­stellt sein, aber nach, allem, was die Zah­len so her­ge­ben, sind sie es mehr­heit­lich eben doch. Und in einem Kli­ma, in dem Gren­zen-zu-Nar­ra­ti­ve etc. plötz­lich salon­fä­hig gewor­den sind (dan­ke Merz!), in dem sozia­le Medi­en AfD-Kanä­le in die Start­sei­ten­aus­wahl puschen und klas­si­sche Medi­en die AfD wie eine nor­ma­le Par­tei behan­deln – und nicht wie eine Par­tei, die in Tei­len vom Ver­fas­sungs­schutz beob­ach­tet wird – in die­sem Kli­ma erscheint es dann auf ein­mal legi­tim, als Bürger*in mit Zukunfts­sor­gen, mit Hass auf Grü­ne etc. die AfD zu wählen. 

Die Uni­on wird ihren Merz­rechts­kurs wohl bei­be­hal­ten. Sie glaubt, damit erfolg­reich zu sein. Die Unto­ten, die sie damit auf­weckt, sieht sie nicht, will sie nicht sehen. 

Inso­fern: kei­ne ganz nor­ma­le Mid­term-Wah­len. Und auf Sei­ten der Ampel sehe ich lei­der wenig Anlass dafür, zu glau­ben, dass die­se sich jetzt auf ein gemein­sa­mes Zukunfts­kon­zept eini­gen wird. Da ist also kei­ne Geschlos­sen­heit zu erwar­ten, kei­ne Ori­en­tie­rung und kein Zusam­men­halt. Das aller­dings wäre wich­tig für alle drei Ampel-Par­tei­en. So weiß nie­mand, wofür die SPD steht. Die FDP und die Grü­nen sind auf (da extrem knap­pe, dort halb­wegs kom­for­ta­ble) Kern­kli­en­te­le zurück­ge­wor­fen. Ein Aus­grei­fen dar­über hin­aus, die Anspra­che von Wähler*innen, die sich nicht einer Par­tei zurech­nen, die gelingt nur, wenn glaub­haft und greif­bar wird, dass die­se Bun­des­re­gie­rung gemein­sam dar­an arbei­tet, dass Deutsch­land gut durch die Kri­sen und not­wen­di­gen Ver­än­de­run­gen kommt.

Das sehe ich wie gesagt der­zeit nicht. Viel­mehr ist zu befürch­ten, dass SPD und FDP aus die­sen Wah­len ein Man­dat zum Rechts­ruck able­sen. Und irgend­wann stellt sich für Grü­ne (wie, aus ande­ren Grün­den, auch für die FDP) dann tat­säch­lich die Fra­ge, was in Kauf genom­men wird, um an ande­rer Stel­le mit­ge­stal­ten zu kön­nen. Nach den Erfah­run­gen von 2005 – dazu hat­te ich vor ein paar Tagen geblockt – als das vor­ge­zo­ge­ne Ende der Regie­rung Schrö­der II eine sehr lan­ge Oppo­si­ti­ons­pha­se ein­läu­te­te, ver­mu­te ich aller­dings, dass doch noch län­ger die Zäh­ne zusam­men­ge­bis­sen werden. 

Die FDP hat bis­her nach jeder ver­lo­re­nen Wahl die glei­che Wahl­ana­ly­se ver­brei­tet: noch mehr Oppo­si­ti­on in der Koali­ti­on, noch mehr Abgren­zung von der eige­nen Regie­rung, noch mehr FDP pur. Gehol­fen hat das bis­her nicht. Wenn sie das wei­ter so sieht, müss­te sie eigent­lich die Koali­ti­on im Bund auf­kün­di­gen – und wür­de dann ziem­lich sicher bei Neu­wah­len aus dem Bun­des­tag fliegen.

Aber viel­leicht set­zen sich Scholz, Habeck und Lind­ner – um das mal zu per­so­na­li­sie­ren, und um Füh­rung sei­tens des Kanz­lers ein­zu­for­dern – auch zusam­men und eini­gen sich auf ein paar Grund­sät­ze, ein paar Pro­jek­te, um das in den Kri­sen unse­rer Zeit erschüt­ter­te Ver­trau­en in den Staat wie­der her­zu­stel­len. Das wür­de allen Ampel­par­tei­en hel­fen. (Aber allein das scheint für Tei­le der FDP, ins­be­son­de­re in der Frak­ti­on, schon undenk­bar zu sein – lie­ber loo­se-loo­se als Grü­nen oder der Kanz­ler­par­tei auch nur ein Haar zu gönnen).

Und dann sind wir wie­der bei Merz, dem Rechts­ruck der Uni­on und dem schein­ba­ren Erstar­ken der AfD. Kei­ne schö­ne Aus­sich­ten – Zuver­sicht kann ich aller­dings gera­de nicht bieten.