Ein Stimmungsbild (im Herbst)

Yesterday's rain II

Drau­ßen ist es Spät­som­mer. Mal wie­der ein Wet­ter­um­schwung – vor ein paar Tagen waren es noch über 35 °C, jetzt reg­net es im Herbst­mo­dus. Aber ich will nicht über das Wet­ter schrei­ben, son­dern über die Bun­des­tags­wahl, und die­ses Land. 

Eigent­lich woll­te ich die­sen Text anders begin­nen, ich hat­te ihn auch schon halb fer­tig. Mit einem Blick auf die mög­li­chen Koali­tio­nen nach der Wahl, mit einem Blick auf die FDP, die sich der­zeit so in der Mit­tel­punkt rückt, und auch auf die Ori­gi­nal-AfD. Auf die Infas-Ana­ly­se in der ZEIT ein­ge­hen, die zeigt, dass Deutsch­land doch offe­ner und libe­ra­ler ist, als vie­le den­ken, und dass die medi­al so domi­nan­ten rech­ten Het­zer nur eine Min­der­heit vertreten. 

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Zehn Regeln für Demokratie-Retter

Nur etwas mehr als hun­dert Sei­ten umfasst das Büch­lein Zehn Regeln für Demo­kra­tie-Ret­ter des Köl­ner Jour­na­lis­ten Jür­gen Wie­bicke, das als Lizenz­aus­ga­be der Bun­des­zen­tra­le für poli­ti­sche Bil­dung für 1,50 € erhält­lich ist. Und eigent­lich ist alles, was Wie­bicke dort locker erzäh­lend auf­schreibt, selbst­ver­ständ­lich. Oder soll­te selbst­ver­ständ­lich sein. Viel­leicht braucht eine im Ange­sicht eines auf­lo­dern­den Rechts­po­pu­lis­mus ver­un­si­cher­te Gesell­schaft genau die­se Bestä­ti­gung des Selbst­ver­ständ­li­chen, und viel­leicht ist Wie­bickes Buch gera­de des­we­gen ein wich­ti­ges Vade­me­cum für Bür­ge­rin­nen und Bürger. 

Oder viel­leicht ist das Büch­lein auch des­we­gen wich­tig, weil sich hin­ter den Regeln, hin­ter dem Auf­ruf zu Gelas­sen­heit und loka­lem Enga­ge­ment auch eini­ge Sät­ze ver­ber­gen, die mög­li­cher­wei­se nicht auf Zustim­mung sto­ßen oder nicht sofort geteilt werden. 

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Kurz: Lauschangriff auf der BDK

Einer dpa-Mel­dung zum „Lausch­an­griff“ auf ein Gespräch zwi­schen Win­fried Kret­sch­mann und Mat­thi­as Gastel auf der BDK ent­neh­me ich, dass der „Jour­na­list“, der die­se pri­va­te Unter­hal­tung auf dem Par­tei­tag auf dem rech­ten Por­tal „Jour­na­lis­ten­watch“ (Umfeld „PI“, sie­he etwa hier) ver­öf­fent­lich hat, Chris­ti­an Jung heißt. Ein wenig goog­len zeigt, dass Herr Jung auch Autor des rechts­extre­men Kopp-Ver­lags ist – und bringt ein Foto ans Licht. Den ken­ne ich doch, den­ke ich mir – und dann fällt mir auf, wo ich die­sen Her­ren schon ein­mal gese­hen habe:

Wir saßen dies­mal recht weit vor­ne. Irgend­wann bau­te dann ein Kame­ra­team eine halb-pro­fes­sio­nell aus­se­hen­de Kame­ra direkt neben unse­ren Dele­gier­ten­rei­hen auf, um Cem Özd­emir auf dem Podi­um zu fil­men. Mit­ten in der Debat­te über die Qua­li­tät von Erzieher*innen stell­te sich dann ein Herr im karier­ten Hemd direkt vor die Absper­rung zum Podi­um und ließ sich bei einem Auf­sa­ger fil­men. Ich kann den Text nicht mehr genau wie­der­ge­ben, aber es ging sinn­ge­mäß dar­um, dass Cem ihm immer noch nicht die (Suggestiv-)Frage beant­wor­tet habe, ob der Flücht­lings­zu­zug nicht zu einem mas­si­ven Anwuchs an Ter­ro­ris­ten füh­re, oder so. Ich hat­te das dann mit dem Hin­weis „Hier wer­den Fake-News pro­du­ziert“ get­wit­tert. Was genau auf dem Pres­se-Akkre­di­tie­rungs­schild­chen stand, konn­te ich lei­der nicht lesen. Ich hät­te vom Akzent her auf Bay­ern­ku­rier getippt. (Anders als bei z.B. der AfD sind unse­re Par­tei­ta­ge halt öffent­lich, auch was die Pres­se­ak­kre­di­tie­rung anbelangt …).

Ich ver­mu­te, dass es sich um das sel­be Team han­del­te, das dann auch Kret­sch­manns Pri­vat­ge­spräch in der Par­tei­tags­hal­le belausch­te. Ich glau­be übri­gens sofort, dass ihm das nicht auf­ge­fal­len ist – auf der BDK wim­mel­te es von Kame­ras; auch netz­be­grü­nung hat­te eini­ge (ganz ähn­li­che semi­pro­fes­sio­nel­le) mobi­le Kame­ras am Start. Und dass „MP Kret­sch­mann in ange­reg­ter Unter­hal­tung“ als Bild­ma­te­ri­al auf­ge­zeich­net wird, dürf­te auch nicht wun­dern. Jede Dele­gier­te kennt das, dass Din­ge wie Note­book-Bedie­nung und Stri­cken (und Quatsch mit Blu­men­sträu­ßen), aber auch Bei­fall und natür­lich alles, was mit halb­wegs pro­mi­nen­ten Per­so­nen in den Dele­gier­ten­rei­hen zu tun hat, ger­ne gefilmt wird. Gefilmt, als net­tes Bild­ma­te­ri­al, um Par­tei­tags­be­rich­te zu unter­le­gen, aber nicht als Ton­auf­nah­me mit Richt­mi­kro­fon! Pro­fes­sio­nel­le Journalist*innen machen das näm­lich nicht. Dass vie­le gro­ße Medi­en die­se Auf­nah­me auf­ge­nom­men (und sich damit mit einem Blog vom rech­ten Rand gemein gemacht haben), fin­de ich bestürzend.

Aber viel­leicht hat das Gan­ze auch einen Kol­la­te­ral­nut­zen. Immer­hin dis­ku­tiert die Repu­blik jetzt dar­über, wie der not­wen­di­ge Umstieg auf nicht-fos­si­le Mobi­li­tät in den nächs­ten Jah­ren am bes­ten gelin­gen kann!

Kurz: Faktencheck

Trump lügt – deut­lich mehr als ande­re US-Politiker*innen. Auch der hie­si­ge rech­te Rand – egal ob CSU oder AfD – fällt ger­ne mal durch den Fak­ten­check. Teils mit gro­bem Unsinn, teils mit an den Haa­ren her­bei­ge­zo­ge­nen Behaup­tun­gen, teils mit fein zise­lier­ten Ver­dre­hun­gen der Tat­sa­che. Wir erin­nern uns: de Mai­zie­re erfin­det Pro­zent­zah­len ohne Grund­la­ge. Und auch man­che Ple­nar­de­bat­te wür­de einen Fak­ten­check nicht bestehen.

Nur: das scheint nicht wei­ter zu inter­es­sie­ren. Sto­ry schlägt Wahr­heit, und je lau­ter das zum eige­nen Welt­bild pas­sen­de Gebrüll, des­to weni­ger inter­es­sie­ren die Fak­ten. Da kann sich z.B. das Netz noch so mühen – die „Das stimmt gar nicht? Dann über­le­ge ich es mir noch­mal anders.“-Fälle sind und blei­ben sel­ten. Der Wir­kungs­grad des mühe­vol­len, ehren­haf­ten, auf­klä­re­ri­schen Fak­ten­che­ckens scheint mir doch gering zu bleiben.

Und nun? Ver­zweif­lung? Zumin­dest das blö­de Gefühl, dass es nötig ist, mit der eige­nen Poli­tik nicht nur bei den Tat­sa­chen zu blei­ben, authen­tisch und wahr­haf­tig, son­dern zugleich auch noch die bes­se­re Geschich­te erzäh­len zu müs­sen, um anzu­kom­men. Und ohne der Ver­lo­ckung zu erlie­gen, sozia­le Kon­struk­ti­on der Wirk­lich­keit mit einer Lizenz zum frei­en Erfin­den der Din­ge zu verwechseln.

AfD-Bruchkanten im Landtag von Baden-Württemberg

Field II

Der Vor­sit­zen­de der AfD-Frak­ti­on im Land­tag von Baden-Würt­tem­berg, Jörg Meu­then, hat soeben erklärt, dass er – gemein­sam mit zwölf wei­te­ren MdL (u.a. Baron, Berg, Fiech­t­ner, Podes­wa, Stein, Wol­le) – aus die­ser Frak­ti­on aus­tritt. Zuvor wur­de in der AfD-Frak­ti­on wohl die für einen Aus­schluss des Anti­se­mi­ten Wolf­gang Gede­on not­wen­di­ge Zwei-Drit­tel-Mehr­heit ver­fehlt, obwohl zwei Gut­ach­ten (u.a. von Prof. Pat­z­elt – von wem auch sonst …) Gede­on in sei­nen Schrif­ten klar Anti­se­mi­tis­mus nach­ge­wie­sen haben. Damit ver­blei­ben zehn MdL in der bestehen­den AfD-Frak­ti­on (u.a. Bal­zer, Baum, Gede­on, Grim­mer, Klos, Räpp­le und Sän­ze – Bal­zer und Sän­ze waren bis­her stellv. Vor­sit­zen­de, Grim­mer Parl. Geschäftsführer). 

Was jetzt pas­siert, ist nicht so ganz klar. Die Geschäfts­ord­nung des Land­tags sieht vor, dass Abge­ord­ne­te aus einer Par­tei sich zu einer Frak­ti­on zusam­men­schlie­ßen kön­nen. Ob Abge­ord­ne­te aus einer Par­tei zwei Frak­tio­nen bil­den kön­nen, ist nicht expli­zit gere­gelt. Eben­so ist nicht klar, was pas­siert, wenn z.B. die Par­tei AfD die Mit­glie­der der Frak­ti­on oder die Aus­ge­tre­te­nen ausschließt. 

Aber gehen wir mal davon aus, dass es in Zukunft zwei AfD-Frak­tio­nen im Land­tag geben wird. Eine davon wird sich wei­ter AfD nen­nen wol­len, die ande­re wird sich eben­falls AfD nen­nen wol­len. Inso­fern rech­ne ich erst­mal mit einer Schlamm­schlacht zwi­schen den lächeln­den und den grim­mi­gen Rechtspopulist*innen dar­über, wer wer sein darf. Und wenn dann noch die Rich­tungs­kämp­fe in der Bun­des­par­tei und in der Lan­des­par­tei dazu kom­men, wird es erst recht lus­tig wer­den. (Der Bun­des­vor­stand der Par­tei hat sich in einer Erklä­rung von den Nicht-Aus­tre­ten­den distan­ziert – die aber die Rechts­nach­fol­ge der Frak­ti­on antre­ten, indem sie in die­ser bleiben …).

Die Auf­tei­lung der AfD in zwei Frak­tio­nen hat (hät­te?) posi­ti­ve und nega­ti­ve Fol­gen. Posi­tiv: Die AfD ist nicht mehr größ­te Oppo­si­ti­ons­frak­ti­on, das ist jetzt defi­ni­tiv die SPD. Das hat Aus­wir­kun­gen dar­auf, wer zuerst redet, aber auch dar­auf, wem zuerst ein Sitz zusteht. Auch den Anspruch, den Vor­sitz des Finanz­aus­schus­ses zu stel­len, wird die AfD (oder die AfD) jetzt nicht mehr wirk­lich auf­recht erhal­ten können.

An der Sitz­ver­tei­lung in den Aus­schüs­sen ändert sich in der Sum­me nichts (statt drei Sit­ze AfD gibt es jetzt einen Sitz AfD-alt und zwei Sit­ze AfD-neu). Sain­te-Laguë bil­det hier die Mehr­heits­ver­hält­nis­se hin­rei­chend genau ab. Anders sieht es bei der Beset­zung klei­ne­rer exter­ner Gre­mi­en aus – bei bis zu fünf zu ver­ge­ben­den Sit­zen gehen AfD-alt und AfD-neu bei­de zu Guns­ten der SPD leer aus. Ob die Gre­mi­en­be­set­zun­gen, die der Land­tag in sei­nen ers­ten Sit­zun­gen vor­ge­nom­men hat, jetzt wie­der­holt wer­den, weiß ich nicht. Könn­te jeden­falls inter­es­sant werden.

Weni­ger schön ist die Tat­sa­che, dass sich eini­ge Din­ge durch die Spal­tung ver­dop­peln. Die meis­ten Debat­ten im baden-würt­tem­ber­gi­schen Land­tag wer­den mit Grund­re­de­zeit je Frak­ti­on geführt. Wo bis­her die AfD sie­ben Minu­ten bekam, bekom­men jetzt AfD-alt und AfD-neu zusam­men 14 Minu­ten. Auch die Grund­fi­nan­zie­rung je Frak­ti­on muss jetzt auf sechs und nicht mehr auf fünf Frak­tio­nen ver­teilt wer­den. Laut dpa beläuft sich der Grund­be­trag je Frak­ti­on der­zeit auf 39.758 Euro pro Monat, dazu kom­men 1696 Euro pro MdL plus 293 Euro pro MdL für die Oppo­si­ti­ons­frak­tio­nen. Bis­her waren das also monat­lich 85.559 Euro an Frak­ti­ons­mit­teln, jetzt wären es zusam­men­ge­rech­net 125.317 Euro pro Monat, die an die Rechtspopulist*innen fließen.

Aber war­ten wir mal ab, wie das wei­ter­geht. Ver­ant­wor­tung wahr­neh­men ist nicht so ganz das Pro­gramm der Rechtspopulist*innen (sie­he auch Brexit …). Viel­leicht mer­ken das auch deren Wähler*innen. Gleich­zei­tig bleibt die AfD damit, weil Kon­flik­te ja einen enor­men Nach­rich­ten­wert haben, medi­al lei­der präsent. 

War­um blog­ge ich das? Um die ver­schie­de­nen Aspek­te zusam­men­zu­tra­gen – Tweets eig­nen sich dafür nur bedingt.