Zeit, die Demokratie zu verteidigen

Manch­mal ist es ein Kie­sel­stein, der etwas ins Rol­len bringt. Die Recher­che von Cor­rec­tiv ist – und das ist jetzt nicht abwer­tend gemeint – genau so ein Kie­sel­stein. Dass die AfD sich in den letz­ten Jah­ren stark radi­ka­li­siert hat, dass sie Depor­ta­tio­nen plant und allen Rech­te ent­zie­hen will, die nicht in ihr Welt­bild pas­sen, ist nicht neu. Aber jetzt ist es bekannt. Jetzt ist es in der Welt. 

Die­ser Kie­sel­stein hat etwas in Bewe­gung gesetzt. Zwar gibt es – rechts der Mit­te – Ver­su­che, in das Mus­ter von „wir stel­len die AfD, indem wie sie kopie­ren“ zu ver­fal­len. Ganz über­wie­gend aber: erschre­cken, ein Ernst­neh­men der Bedro­hung, die die­se Par­tei für unse­re Demo­kra­tie, unse­re Wer­te, unse­re Frei­heit und unse­ren Wohl­stand dar­stellt. Das ist eine abs­trak­te Bedro­hung, aber es ist auch eine ganz kon­kre­te Gefahr – für alle, die nicht ins Bild der AfD pas­sen, auf­grund von Her­kunft, Haupt­far­be oder „fal­schem“ Gedankengut. 

In die­sem Moment des Schre­ckens, des Rea­li­sie­rens, dass es denen wirk­lich ernst ist, und dass Umfra­ge­wer­te von 20 bis 30 Pro­zent viel­leicht die letz­te Gele­gen­heit bie­ten, dem Rechts­ruck etwas ent­ge­gen­zu­set­zen, liegt auch etwas Posi­ti­ves. Ich bin sicher nicht der ein­zi­ge, der auf einen, nun ja, „Auf­stand der Anstän­di­gen“ gewar­tet hat. Der fin­det jetzt statt. Bun­des­weit gibt es Demons­tra­tio­nen und fin­den sich Bünd­nis­se für die Ver­tei­di­gung der Demo­kra­tie. In kur­zer Zeit sind sehr vie­le Men­schen auf die Stra­ße gegan­gen, 10.000 in Pots­dam, 25.000 in Ber­lin, 30.000 in Köln. Das sind viel mehr als bei den Trak­to­ren­pro­tes­ten der Landwirt*innen. Und die Lis­te der Demos für das nächs­te Wochen­en­de ist lang (ich wer­de am Sonn­tag bei der Demo in Frei­burg dabei sein, 15 Uhr, Platz der Alten Synagoge). 

Und auch die Medi­en haben end­lich gemerkt, dass das kein Spiel ist. Hof­fe ich jedenfalls. 

Die­ser Moment ist auch der rich­ti­ge, um zu schau­en, wie wehr­haft unse­re Demo­kra­tie ist. Damit mei­ne ich nicht nur die Debat­ten um ein Par­tei­ver­bots­ver­fah­ren und ähn­li­che recht­li­che Instru­men­te, son­dern vor allem das Hin­se­hen, ob die Regeln, die wir uns selbst in Ver­fas­sun­gen, Geset­zen und Geschäfts­ord­nung gege­ben haben, geeig­net sind, um Rechts­extre­me außen vor zu halt und die­sen kei­nen Hebel zu geben, unser Land zu zerstören. 

Zu die­sen Fra­gen, wie wet­ter­fest unse­rer Demo­kra­tie ist, gehört auch das The­ma Social Media. Der Digi­tal Ser­vices Act der EU und die in der Fol­ge erlas­se­nen natio­na­len Gesetz­ge­bun­gen haben auch die Auf­ga­be, „Sorg­falts­pflich­ten für Anbie­ter von Ver­mitt­lungs­diens­ten im Hin­blick auf die Art und Wei­se, wie jene gegen rechts­wid­ri­ge Inhal­te, Online-Des­in­for­ma­ti­on oder ande­re gesell­schaft­li­che Risi­ken [vor­ge­hen]“, zu schaf­fen. Das passt m.E. nicht zu Algo­rith­men bei You­tube und Tik­tok, die hau­fen­wei­se AfD-Pro­pa­gan­da hoch­spie­len. Wie scharf oder stumpf die­ses Schwert ist, bleibt abzu­war­ten – jeden­falls gibt es hier Handlungsbedarf.

Es ist jetzt an uns allen, die­ses Momen­tum auf­recht zu erhal­ten. Die inter­na­tio­na­le Lage ist düs­ter. Die Ver­tei­di­gung der Demo­kra­tie ist kein Selbst­läu­fer. Sie braucht uns. Aber genau­so gilt, jetzt nicht in Fata­lis­mus zu ver­fal­len. Noch kann etwas gegen die Macht­er­grei­fung getan wer­den, von der die AfD träumt. Tun wir es! 

Zum Aiwanger-Flugblatt

Lan­ge wirk­te es so, als sei­en die Aiwan­ger-Frei­en-Wäh­ler in Bay­ern nur so eine Art CSU neben der CSU. Kein Wun­der, dass Mar­kus Söder mit denen koaliert. In den letz­ten Mona­ten ist der bay­ri­sche Vize­mi­nis­ter­prä­si­dent Hubert Aiwan­ger immer wie­der durch weit nach rechts­au­ßen offe­ne Äuße­run­gen auf­ge­fal­len. Sei es bei Drauf­hau­en auf Bünd­nis 90/Die Grü­nen, sei es mit Bemer­kun­gen wie „uns unse­re Demo­kra­tie wiederholen“. 

Seit vor­ges­tern gibt es nun hef­ti­ge Debat­ten um ein extrem anti­se­mi­ti­sches Flug­blatt, dass in Aiwan­gers Schul­zeit in den 1980er Jah­ren in sei­nem Schul­ran­zen gefun­den wur­de, und von dem er jetzt behaup­tet, dass sein älte­rer Bru­der es ver­fasst hat. Was nicht unbe­dingt erklärt, war­um es in sei­nem Schul­ran­zen war, und war­um er – also der Vize-MP-Aiwan­ger, nicht der Waf­fen­han­del-Aiwan­ger – dafür an der Schu­le dis­zi­pli­na­risch bestraft wur­de. Die Süd­deut­sche Zei­tung berich­tet aber nicht nur über das Flug­blatt, son­dern auch über Hit­ler-Ver­eh­rung. Im Netz kur­siert auch ein Bild, auf dem das sehr sicht­bar wird.

Unab­hän­gig davon, ob der Aiwan­ger Hubert das Flug­blatt ver­fasst hat oder nicht – ganz offen­sicht­lich war es etwas, das an sei­ne poli­ti­sche Hal­tung als Jugend­li­cher anschluss­fä­hig war. (Und mich wür­de ja auch inter­es­sie­ren, ob das im Eltern­haus, am Wohn­ort (Rot­ten­burg an der Laaber, knapp 9000 Ew.) bekannt, gedul­det oder viel­leicht sogar erwünscht war …).

Die span­nen­de Fra­ge ist jetzt: Gab es von den 1980ern bis heu­te eine Ent­wick­lung beim baye­ri­schen Vize-MP? Oder tickt der im Grun­de immer noch so, ver­steckt das nur bes­ser? Das, was er bis­her dazu gesagt hat, klingt nicht nach Ent­wick­lung, son­dern nur nach eil­fer­ti­gem Ent­schul­di­gungs­ver­such im Sin­ne von Kri­sen­kom­mu­ni­ka­ti­on. Das heißt, sofern da jetzt nicht noch mehr folgt: Wir müs­sen uns Hubert Aiwan­ger als einen Men­schen vor­stel­len, der in sei­ner Jugend Hit­ler toll fand – und heu­te immer noch ganz rechts­au­ßen steht.

Auf den ers­ten Blick sieht es nun so aus, dass Mar­kus Söder im baye­ri­schen Wahl­kampf damit ein mas­si­ves Pro­blem hat. 

Er hat schon ange­kün­digt, Auf­klä­rung ein­zu­for­dern. Reicht ihm das Schie­ben auf den Bru­der, die halb­ga­re Ent­schul­di­gung? Oder zieht er Kon­se­quen­zen? Letzt­lich müss­ten die hei­ßen, die Koali­ti­on mit den Frei­en Wäh­lern in Bay­ern auf­zu­kün­di­gen, und wich­ti­ger noch: sie im Okto­ber nicht erneut ein­zu­ge­hen. Das wäre konsequent.

Wet­ten wür­de ich dar­auf aber nicht. Aus zwei Grün­den. Ers­tens, weil Söder ja in sei­ner bis­he­ri­gen poli­ti­schen Lauf­bahn schon durch eine extre­me Wen­de­hals­fä­hig­keit auf­ge­fal­len ist, und auch durch die Fähig­keit, irgend­was zu for­dern, zu behaup­ten, anzu­kün­di­gen und es dann schlicht nicht zu machen. 

Und zwei­tens: die CSU war unter Strauß die Par­tei, die nichts rechts von sich dul­de­te. Mög­li­cher­wei­se sind sich CSU und FW ideo­lo­gisch doch näher, als es auf den ers­ten Blick aus­sieht. Und wer in Bay­ern ganz rechts wäh­len möch­te, muss sei­ne Stim­me nicht der AfD geben, son­dern darf die Frei­en Wäh­ler stär­ken, die dann mit der CSU wei­ter­ma­chen dür­fen. Wie sie als maß­geb­lich durch Aiwan­ger gepräg­te Par­tei ticken, ist jetzt klar.

Inso­fern bin ich mir gar nicht so sicher, ob das Auf­de­cken die­ses Flug­blatts im Bay­ern-Wahl­kampf wirk­lich hilft – oder ob es nicht letzt­lich igno­riert und weg­ver­dampft wird (von Söder), und heim­lich gewert­schätzt wird (von den Wähler*innen ganz rechts) – mit der Fol­ge, dass die jet­zi­ge Koali­ti­on am Schluss gestärkt dasteht. 

Kurz: „Identitäre Bewegung“ und AfD – die nächsten Ausschlussanträge?

Den Medi­en kann ent­nom­men wer­den, dass AfD und ABW – die bei­den über den fehl­ge­schla­ge­ne­nen Aus­schluss des Abge­ord­ne­ten Gede­on ent­stan­de­nen AfD-Frak­tio­nen im Land­tag von Baden-Würt­tem­berg – auf gutem Weg zur Wie­der­ver­ei­ni­gung sind. Vor­her ver­su­chen sie noch schnell, Tat­sa­chen in Form eines (von zwei Frak­tio­nen ein­setz­ba­ren) Unter­su­chungs­aus­schus­ses „Links­extre­mis­mus“ zu schaf­fen. Was schon eine gewis­se Absur­di­tät aufweist.

Eben­so wie zwei Pres­se­mel­dun­gen der letz­ten Tage. Ges­tern gab es einen lan­gen Arti­kel im Han­dels­blatt dazu, dass die Abge­ord­ne­te Chris­ti­na Baum (Frak­ti­on AfD, zugleich Vize­vor­sit­zen­de der Par­tei AfD) offen mit der „Iden­ti­tä­ren Bewe­gung“ – den aus Frank­reich via Öster­reich impor­tier­ten neu­en Neo­na­zis – sym­pa­thi­siert. Und auch der Abge­ord­ne­te Ste­fan Räpp­le (Frak­ti­on AfD) soll, wie u.a. die taz berich­tet, gan­ze nahe dran – oder sogar drin – bei den „Iden­ti­tä­ren“ sein. 

Gleich­zei­tig lässt sich der Abge­ord­ne­te Jörg Meu­then (Frak­ti­on ABW und Bun­des­vor­sit­zen­der der Par­tei AfD) heu­te im Mann­hei­mer Mor­gen wie folgt zitie­ren:

Es ist aber bekannt, dass in Ihrer Par­tei die „Iden­ti­tä­re Bewe­gung“ ver­sucht, Fuß zu fas­sen. Die­se ver­tritt rechts­ra­di­ka­le, ras­sis­ti­sche und anti­se­mit­sche Parolen.

Meu­then: Das wer­den wir ver­hin­dern. Denn ich bin nicht bereit, mit Men­schen zusam­men­zu­ar­bei­ten, auf die Ihre Beschrei­bung passt. 

Da stellt sich mir dann schon die Fra­ge, ob – wenn AfD und ABW denn wie­der fusio­nie­ren – gleich die nächs­ten Aus­schluss­an­trä­ge auf der Agen­da ste­hen wer­den. Oder ob Meu­then als das „gemä­ßig­te“ Fei­gen­blatt der AfD mal wie­der nicht meint, was er sagt.

P.S.: Mit der NPD wür­de Meu­then übri­gens beden­ken­los zusam­men­ar­bei­ten

Was im Kurzprogramm der AfD zur Landtagswahl in Baden-Württemberg steht

Es gibt selbst in grü­nen Krei­sen den einen und die ande­re, die mehr oder weni­ger offen Sym­pa­thien zur AfD zei­gen. Oft schwingt da Poli­tik­ver­dros­sen­heit und ein „es denen da oben mal zei­gen“ mit. Und auch wenn die Hoff­nung, dass Argu­men­te hier hel­fen, begrenzt ist, erscheint es mir doch sinn­voll, vor der Land­tags­wahl in Baden-Würt­tem­berg in einem Monat mal zu zei­gen, was für einen Mist die AfD so behaup­tet. In eine ähn­li­che Rich­tung geht Kat­ta­schas Lek­tü­re des Lang­pro­gramms der AfD zur Land­tags­wahl in Baden-Würt­tem­berg.

Ich beschrän­ke mich im Fol­gen­den auf die auch in mei­nem Brief­kas­ten gelan­de­te „Kurz­fas­sung des Wahl­pro­gramms der AfD Baden-Würt­tem­berg zur Land­tags­wahl 2016«. Die übri­gens gleich mit einer Lüge anfängt, inso­fern das auf der Titel­sei­te abge­bil­de­te Neue Schloss zwar Sitz des Finanz­mi­nis­te­ri­ums ist, aber mit dem Land­tag – um den es bei der Wahl am 13. März geht – nicht so rich­tig etwas zu tun hat. Über die ein­zel­nen von der AfD zur Wahl gestell­ten Per­so­nen sage ich hier nichts, eini­ges dazu, wel­che Gestal­ten für die AfD antre­ten, fin­det sich hier.

Inter­es­sant fin­de ich, in was für einem Aus­maß die AfD in ihrem Kurz­pro­gramm Ver­schwö­rungs­theo­rien Raum gibt. Fak­ten spie­len dabei kei­ne gro­ße Rol­le. Aber das ist ja ein bekann­tes Sche­ma: Es wird irgend­ei­ne Behaup­tung in die Welt gewor­fen, und wenn – z.B. in den Medi­en – eine sach­li­che Erwi­de­rung dazu zu fin­den ist, dann ist das eben „Sys­tem­pres­se“ oder „Lügen­pres­se“, die ver­sucht, die „Wahr­heit“ zu ver­schlei­ern. Jede Wider­le­gung einer Behaup­tung wird so im rich­ti­gen Mind­set nur zum Fut­ter, um die Rich­tig­keit der Lüge zu bestä­ti­gen. Inso­fern wird auch der fol­gen­de Text bei Hard­core-Fans der AfD nicht zum Nach­den­ken füh­ren – aber viel­leicht bei eini­gen, die aktu­ell mit dem Gedan­ken spie­len, bei der Wahl zu zündeln.

„Was im Kurz­pro­gramm der AfD zur Land­tags­wahl in Baden-Würt­tem­berg steht“ weiterlesen

Platzhalterbild für antigrüne Propaganda

Der vierte Advent – und eine unschöne Überraschung von der AfD Berlin

Im Fol­gen­den geht es dar­um, wie es dazu kam, dass ich mich am Advents­sonn­tag als „Vor­stand ‚Bünd­nis 90/Die Grü­nen‘ “ unver­hofft – und wider Wil­len – auf einem grü­nen­feind­li­chen Share­pic der AfD Ber­lin wiederfand. 

Das Bild, auf dem ich zu sehen bin, und um das es dabei geht, ist die­se hier. Dass die­ses Bild von der AfD ver­wen­det wur­de, dar­auf mach­te mich – am vier­ten Advents­sonn­tag, ich schau­te erst am spä­te­ren Vor­mit­tag mal in die sozia­len Medi­en – ein Tweet des Deutsch­land­funk-Jour­na­lis­ten Falk Stei­ner auf­merk­sam. Mit­ten in einer Debat­te dar­über, ob das Zitat, dass die AfD Ber­lin dem „Vor­stand ‚Bünd­nis 90/Die Grü­nen‘ “ in den Mund leg­te, irgend­wie glaub­haft sein könn­te. Falk fiel jeden­falls auf, dass die auf dem win­zi­gen Foto abge­bil­de­te Per­son ziem­lich nach mir aus­sah – und dass ich bis­her nicht durch Zita­te zum The­ma „deut­sche Bevöl­ke­rung zurück­drän­gen“ auf­ge­fal­len bin. (Wer sich anschau­en will, wie das von der AfD ver­brei­te­te Share­pic aus­sah, kann das in die­sem Screen­shot tun, abdru­cken will ich den Tweet nicht, weil so ein Unsinn nicht wei­ter ver­brei­tet wer­den muss). 

Klar war auch, dass es sich hier um ein älte­res Foto han­deln muss­te: das Logo wird seit eini­gen Jah­ren nicht mehr ver­wen­det, mei­ne Haa­re sind inzwi­schen deut­lich grau­er gewor­den. Inzwi­schen habe ich – auch mit Hil­fe von TinEye – das Ursprungs­bild gefun­den. Im Jahr 2007 fand ein Lan­des­aus­schuss der baden-würt­tem­ber­gi­schen Grü­nen statt, bei dem unter ande­rem – nach län­ge­rem Vor­lauf – über das Grund­ein­kom­men dis­ku­tiert wur­de. Mein Blog­text dazu ist noch online, das dort ver­link­te ehe­ma­li­ge Grund­ein­kom­mens­blog der baden-würt­tem­ber­gi­schen Grü­nen nicht mehr. Ich hat­te das Bild damals als Vor­schau­bild im Blog ver­wen­det, ich ver­mu­te, dass das Ori­gi­nal im Bericht der Lan­des­par­tei auf dem Grund­ein­kom­mens­blog zu fin­den war. 

„Platz­hal­ter­bild für anti­grü­ne Pro­pa­gan­da“ weiterlesen