Science Fiction und Fantasy im Februar 2024

Hamburg XXXIII

Vor­teil an Pen­del­stre­cken: viel gele­sen krie­gen. Zuerst aber ein Blick auf sons­ti­ge Medi­en. Die Gra­phic Novel Unfol­low (2020) von Lukas Jüli­ger fand ich dann doch eher verstörend/irritierend. Aber viel­leicht sind auch Gra­phic Novels nicht so ganz mein Format.

Auf dem Bild­schirm gese­hen habe ich einen der Net­flix-Wes-Ander­son-Kurz­fil­me (nach Roald Dahl), sowas wie Wes Ander­son als Essenz. Hat was. Dann haben wir Tomor­row­land (2015) ange­schaut – ein biss­chen Gib­sons Gerns­back-Kon­ti­nu­um, ein biss­chen Wer­bung für Dis­neys Ver­gnü­gungs­park. Ins­ge­samt nicht so rich­tig überzeugend.

Wow-Effekt dafür bei der zwei­ten Staf­fel The Wit­cher (Net­flix), naja vor allem Auf­grund des har­ten Über­ra­schungs­mo­ments ganz am Schluss. Ansons­ten soli­de gemach­te Fantasy.

Gele­sen habe ich Veno­mous Lump­su­cker (2022) von Ned Beau­man – eine düs­te­re und böse Sati­re auf Zer­ti­fi­kats­han­del, Kapi­ta­lis­mus und liber­tä­re Sei­fen­bla­sen­träu­me. Ober­fläch­lich geht es in die­sem Buch um die Welt in ein paar Jahr­zehn­ten. Das Arten­ster­ben hat sol­che Aus­ma­ße ange­nom­men, dass sich rund um den Erhalt der letz­ten Arten und Öko­sys­te­me ein Wirt­schafts­zweig ent­wi­ckelt hat – mit han­del­ba­ren Schutz­rech­ten, mul­ti­na­tio­na­len Kon­zer­nen und kor­rup­ten Regi­men. Der (wenn ich das rich­tig sehe, fik­ti­ve) titel­ge­ben­de Lump­fisch steht in der Ost­see kurz vor dem Aus­ster­ben. Ent­spre­chend ist die Haupt­per­son, eine Bio­lo­gin, nicht gewillt, einem mul­ti­na­tio­na­len Kon­zern den Per­sil­schein für deren Abbau­rech­te im letz­ten Habi­tat die­ses Fisches zu geben. Dem Kon­zern gefällt das nicht, auch des­we­gen, weil da schon abge­baut wur­de – und über­haupt: im Zwei­fel gibt es ja Gen­ban­ken. Bis dann ein unvor­her­ge­se­he­nes Ereig­nis dazu führt, dass eine wil­de Jagd auf die letz­ten Lump­su­cker beginnt. Eine Jagd, die Beau­man für eine exzel­lent zuge­spitz­te Sati­re diver­ser Aus­wüch­se unse­rer Gegen­warts­ge­sell­schaft nutzt.

Nach­dem mir die­ses Buch sehr gut gefal­len hat, habe ich dann Beau­mans älte­res The Tele­por­ta­ti­on Acci­dent (2012) gele­sen, damit bin ich aller­dings nicht so rich­tig warm gewor­den, bzw. konn­te erst gegen Schluss des Buches was damit anfan­gen. Set­ting hier sind die 1930er Jah­re, Ber­lin, Paris, Los Ange­les, es geht um poli­tik-des­in­ter­es­sier­te Kunst, Bohe­me und Möch­te­gern-Bohe­me – und immer wie­der um Lust und Ver­lan­gen der männ­li­chen Haupt­per­son. Das Ende dage­gen hat Poten­zi­al, bzw. spielt mit Potenzialitäten.

Ganz was ande­res: Rebec­ca Camp­bells Band Arbo­rea­li­ty (2022) – ich wür­de das als mit­ein­an­der ver­schlun­ge­ne Vignet­ten aus einer Zukunft nach der Kli­ma­kri­se bezeich­nen, ver­or­tet zwi­schen Van­cou­ver und Seat­tle, zusam­men­ge­hal­ten durch Bäu­me (und durch Per­so­nen, die bzw. deren Kin­der und Enkel immer wie­der auf­tau­chen). Nicht auf­re­gend, ohne gro­ße Action, immer aus der indi­vi­du­el­len Per­spek­ti­ve, aber gera­de des­we­gen ein­drück­lich und lesenswert.

Von Mal­ka Older ist der zwei­te Band ihrer auf einem zur neu­en Hei­mat der von der Erde geflo­he­nen Mensch­heit gewor­de­nen „Steampunk“-Jupiter („Giant“) spie­len­den Detek­tiv­se­rie („cozy space ope­ra detec­ti­ve mys­tery“) erschie­nen, und The Impo­si­ti­on of Unneces­sa­ry Obs­ta­cles (2024) hat mich – viel­leicht weil ich das Set­ting schon kann­te – dann doch mehr abge­holt als der ers­te Band. Uni­ver­si­tä­ten und deren inter­ne Poli­tik spie­len eine Rol­le, und natür­lich die nicht ganz ein­fa­che Bezie­hung zwi­schen Mos­sa und Plei­ti, den bei­den Haupt­fi­gu­ren. Und Io kommt auch vor.

R.F. Kuangs Roman Babel (2022) war in den Schlag­zei­len, weil er vom Hugo-Preis­ver­lei­hungs­ko­mi­tee kur­zer­hand von der Short­list gestri­chen wur­de, wohl aus vor­aus­ei­len­der Angst vor mög­li­chen chi­ne­si­schen Zen­sur­ver­su­chen. Der Roman spielt zu Beginn des 19. Jahr­hun­derts in einem bri­ti­schen Impe­ri­um, das auf lin­gu­is­ti­sche Magie setzt statt auf Koh­le. Genau­er gesagt: in der Über­set­zung in ihren Bedeu­tun­gen aus­ein­an­der­ge­hen­de Wort­paa­re, die in Sil­ber ein­gra­viert wer­den, ver­ur­sa­chen hier magi­sche Wir­kun­gen. Der Roman ist auch ein Roman über Über­set­zun­gen, vor allem aber einer über Kolo­nia­lis­mus (aus der Per­spek­ti­ve von „Robin Swift“, in Kan­ton auf­ge­wach­sen, dann nach Lon­don und schließ­lich nach Oxford gebracht, um die magi­sche Über­set­zungs­kunst zu erler­nen) und – bevor es in der Oxford-Vari­an­te der Zau­ber­schu­le all­zu gemüt­lich wird – über Klas­sen­kampf, Revo­lu­ti­on und die Fra­ge, wann Gewalt ein­ge­setzt wer­den darf und wann nicht. Ein­drucks­voll und zurecht ein Anwär­ter auf den Hugo.

Und noch­mal eine Vari­an­te des Zau­be­rei­schul-Motivs – dies­mal in James Isling­tons The Will of the Many (2023). Der Roman spielt in einem Pseu­do-Rom, mit einer rigi­den sozia­len Schich­tung, die dar­auf beruht, einen Teil des eige­nen Wil­lens wei­ter­zu­ge­ben. Wer an der Spit­ze der­ar­ti­ger Pyra­mi­den – Reli­gi­on, Mili­tär, Ver­wal­tungs­ap­pa­rat haben je ihre eige­nen – steht, wird zum Super­held. Und wer ganz unten steht, wird halb­tot nur als Wil­lens­lie­fe­rant am Leben erhal­ten. In die­sem Set­ting ist der Wai­se Vis unser Fokus­punkt – er wird adop­tiert und kommt als 17-jäh­ri­ger Spi­on in die hie­si­ge Vari­an­te der Eli­te-Zau­be­rei-Aka­de­mie, die durch har­te Aus­wahl und auf­fäl­lig vie­le töd­li­che Unglü­cke von sich reden macht. Wem er dort trau­en kann und wem nicht, wer wel­che Intri­gen spinnt und was echt ist, und was insze­niert – das zeigt sich erst im Lauf des Geschich­te. Und auch hier spielt Impe­ria­lis­mus eine Rol­le – Vis leb­te vor der Inva­si­on durch das Pseu­do-Rom in einem bis dato selbst­stän­di­gen Insel­kö­nig­reich. Teil der Aka­de­mie ist ein mys­te­riö­ses Laby­rinth. Ohne das Ende vor­weg­zu­neh­men: da ist dann auch noch­mal man­ches ganz ande­res, als es scheint. Inso­fern bin ich schon sehr auf den zwei­ten Band gespannt.

Leseprotokoll August 2017

Neben zwei Sach­bü­chern (über die ich bereits etwas geschrie­ben habe: Wie­bicke: Zehn Regeln für Demo­kra­tie-Ret­ter und der von Kap­pes, Kro­ne und Novy her­aus­ge­ge­be­ne Medi­en­wan­del kom­pakt), eini­gen Hef­ten vom MERKUR-Sta­pel und audio­vi­su­el­lem Krams (bei Dr Who nähe­re ich mich inzwi­schen der Gegen­wart, fin­de trotz all­mäh­li­cher Gewöh­nung an Peter Capal­di Matt Smith immer noch den bes­se­ren Dok­tor – bemer­kens­wert an der BBC-Serie, neben­bei bemerkt, die Inklu­si­on: selbst­ver­ständ­lich gibt es im 23. Jahr­hun­dert eine gehör­lo­se Che­fin einer Unter­was­ser­mi­ne, und selbst­ver­ständ­lich haben nicht alle Men­schen im eng­li­schen Mit­tel­al­ter eine wei­ße Haut­far­be; dann habe ich mir end­lich mal den groß­ar­ti­gen Film Inter­stel­lar ange­schaut, der schon ewig in mei­nem Goog­le-Play-Account rum­lag, und bei der Gele­gen­heit kann ich auch Luc Bes­sons Comic­ver­fil­mung Vale­ri­an noch mal emp­feh­len) – also: neben all dem las ich vor allem drei Fan­ta­sy-Seri­en. Und zwar drei ganz unterschiedliche.

Ers­tens den drei­bän­di­gen Comic Angel Cat­bird. Was kommt her­aus, wenn Mar­ga­ret Atwood (ja, die Mar­ga­ret Atwood!) einen Comic schreibt? Eine nett-quirk­si­ge Geschich­te über einen For­scher, der mehr oder weni­ger zufäl­lig zum Kat­zen-Eulen-Mensch-Mutant wird und in die Unter­welt der Halb­kat­zen gerät. Einen Super­schur­ken gibt es auch, neben­bei wird auf die eine oder ande­re im Zusam­men­hang mit Kat­zen wich­ti­ge Tat­sa­che hin­ge­wie­sen (Kas­trie­ren! Im Haus hal­ten, wegen der Sing­vö­gel!), und vor und nach den eigent­li­chen Comics gibt es lesens­wer­te Vor­wor­te und Skizzensammlungen.

Zwei­tens habe ich den ers­ten und den gera­de neu erschie­ne­nen zwei­ten Band der Lica­ni­us-Tri­lo­gie von James Isling­ton gele­sen, das sind The Shadow of What Was Lost und An Echo of Things To Come. Ich kann die­ses umfang­rei­che Epos nicht unein­ge­schränkt emp­feh­len, auch wenn die Wel­ten­kon­struk­ti­on und deren Beschrei­bung gut gelun­gen ist, die – eine zen­tra­le Rol­le im Buch spie­len­de – Magie mit ihren Begren­zun­gen plau­si­bel wirkt, und Isling­ton auch eini­ges zu Gesell­schafts- und Macht­struk­tu­ren und Cha­rak­te­ren mit Grau­tö­nen zu sagen hat. Gleich­zei­tig sind bei­de Bücher aber auch sehr blu­tig, und in Cae­den – einer von vier oder fünf Haupt­fi­gu­ren – wird die Ambi­va­lenz auf eine Grat­wan­de­rung geschickt (mit einem bit­te­ren Ende ganz am Schluss des Epi­logs von An Echo of Things To Come).

Anfangs wirkt The Shadow of What Was Lost wie eine typi­sche Geschich­te über den aus­er­wähl­ten jugend­li­chen Hel­den (ja, eine Zau­ber­schu­le kommt auch vor, die erin­nert aber eher an Le Guin als an Har­ry Pot­ter); bald jedoch wird klar, das Isling­ton mit die­sem Kli­schee durch­aus spielt. Den­noch ist’s mir zu viel Epos, zu viel gut und böse, zu vie­le mora­li­sche Fra­gen und zu viel göt­ter­glei­che Unsterb­li­che. Ent­spre­chend bin ich noch unent­schlos­sen, ob ich den drit­ten Band lesen möch­te oder nicht.

Drit­tens habe ich, nach­dem ich den ers­ten Band bereits vor eini­ger Zeit gele­sen habe, die rest­li­chen Bücher von Marie Brenn­ans Serie der „Erin­ne­run­gen der Lady Trent“ gele­sen – The Tro­pic of Ser­pents, Voya­ge of the Basi­lisk, In the Laby­rinth of Dra­kes, Within the Sanc­tua­ry of Wings (sowie die Kurz­ge­schich­te „From the edi­to­ri­al page of the Fal­ches­ter Weekly Review“. Die erzäh­len­de Lady Trent blickt auf ein aben­teu­er­li­ches Leben als Natur­for­sche­rin zurück, in dem sie rund um die Welt gereist ist, um die unter­schied­li­chen Arten von Dra­chen kennenzulernen. 

Dabei wird der anthro­po­lo­gi­sche Hin­ter­grund Brenn­ans sehr schön deut­lich, denn – mal abge­se­hen von den Dra­chen – ist die Fan­ta­sy­welt, in der die­se Geschich­ten spie­len, gar nicht so anders als unse­re im 18. oder 19. Jahr­hun­dert. Spra­chen, Kul­tu­ren, Reli­gio­nen und Geo­gra­phie sind zur Kennt­lich­keit ent­stellt. Es gibt Ras­sis­mus und Kolo­nia­li­sie­rungs­be­mü­hun­gen, im Qua­si-Eng­land, das Lady Trents Hei­mat ist, spie­len sozia­le Klas­sen nach wie vor eine gro­ße Rol­le – und selbst­ver­ständ­lich ist es alles ande­re als eine Selbst­ver­ständ­lich­keit, dass eine Frau sich als Wis­sen­schaft­le­rin behaup­ten will. Neben der plau­si­bel und unter­halt­sam beschrie­be­nen Natur­ge­schich­te der Dra­chen (und einer Über­ra­schung im letz­ten Band, die aller­dings schon etwas erahn­bar ist) ist Inter­sek­tio­na­li­tät, in Ver­frem­dung sicht­bar gemacht, das The­ma hin­ter der Geschich­te die­ser Bücher, ohne dass das zu dick auf­ge­tra­gen wird.