Zum Papier „Der Konflikt der doppelten Standards“

Eine AutorIn­nen­grup­pe aus dem Umfeld der Grü­nen Jugend hat zum aktu­el­len Nah­ost­krieg ein Posi­ti­ons­pa­pier „Der Kon­flikt der dop­pel­ten Stan­dards“ ver­öf­fent­licht. Gera­de auch weil es eher von Leu­ten geschrie­ben wur­de, die ich z.T. eher dem Dis­kurs des Anti­deut­schen zurech­nen wür­de, ist es erfreu­lich dif­fe­ren­ziert. Und so in vie­len Punk­ten als Grund­la­ge für eine inner­grü­ne Debat­te um einen Umgang mit dem Nah­ost­krieg durch­aus empfehlenswert.

Schwie­rig erscheint mir aller­dings eine impli­zi­te Logik: ein Schwer­punkt des Papie­res liegt dar­in, sehr deut­lich zu machen, dass die Hamas für den Gaza-Strei­fen alles ande­re als eine gute Wahl war – und auf­zu­zei­gen, wel­che Agres­sio­nen und Ver­stö­ße gegen das Völ­ker­recht die Hamas bzw. die Paläs­ti­nen­se­rIn­nen began­gen haben. Soweit dies ein Gegen­ge­wicht gegen die manch­mal doch arg nai­ve und blin­de Soli­da­ri­tät frie­dens­be­weg­ter Men­schen dar­stellt, ist da nichts dage­gen einzuwenden. 

Zwi­schen den Zei­len lese ich – eben gera­de wegen die­ses Schwer­punkts – aus dem Papier aller­dings auch her­aus, dass sozu­sa­gen ein „Gleich­ge­wicht des Schre­ckens“ auf­ge­rech­net oder berech­net wer­den kann: noch so völ­ker­rechts­wid­ri­ge mili­tä­ri­sche Aktio­nen wären die­ser dem Papier impli­zi­ten Logik zufol­ge dann gerecht­fer­tigt, wenn nur genü­gend schwe­re Ver­bre­chen auf der ande­ren Sei­te began­gen wor­den sind. Das öff­net die Tore zu Dis­kurs­po­si­tio­nen, die mir dann doch eher unheim­lich sind – gera­de auch in einer Par­tei, für die Krieg und mili­tä­ri­sche Aktio­nen nie den Nor­mal­fall poli­ti­schen Han­delns dar­stel­len werden.

Die­se impli­zi­te Logik gefällt mir nicht, weil sie igno­riert, dass in fast allen Fäl­len auch nicht­mi­li­tä­ri­sche Mög­lich­kei­ten des Han­delns zur Ver­fü­gung ste­hen, wie dies auch Ste­fan Zil­ler in einem Kom­men­tar zum Papier anmerkt – auch für Isra­el, gera­de auch kurz vor Wah­len. Lang­fris­tig gese­hen noch wich­ti­ger aber wür­de eine sol­che Logik ja auch bedeu­ten: wenn die „Sache“ nur wich­tig genug ist, wenn die „Gegen­sei­te“ nur selbst böse genug ist, – dann darf Völ­ker­recht und das Pri­mat des Nicht­mi­li­tä­ri­schen ger­ne igno­riert wer­den. Auf sol­che Son­der­we­ge und Auf­rech­nun­gen soll­ten wir uns nicht einlassen.

Soweit zu der Logik, die ich zwi­schen den Zei­len aus dem Papier her­aus­le­se. Größ­ten­teils rich­tig fin­de ich dage­gen die Schlussfolgerungen:

Die huma­ni­tä­re Lage in Gaza ver­schlech­tert sich Tag für Tag und ver­langt eine poli­ti­sche Lösung am Ver­hand­lungs­tisch. Des­halb for­dern wir:

  • eine sofor­ti­ge Waf­fen­ru­he; die Ein­stel­lung der Rake­ten­an­grif­fe auf die israe­li­sche Zivil­be­völ­ke­rung durch die Hamas und den Stopp der israe­li­schen Luft­an­grif­fe und der mili­tä­ri­schen Bodenoffensive, 
  • die Frei­las­sung des seit über 900 Tagen in den Gaza­strei­fen ent­führ­ten israe­li­schen Sol­da­ten Gilad Shalit, 
  • die Beru­fung einer inter­na­tio­na­len Schutz- und Poli­zei­trup­pe unter UN-Man­dat in das Kri­sen­ge­biet, die sowohl mit dem Schutz der dor­ti­gen Bevöl­ke­rung, als auch mit der Ein­samm­lung und Ver­nich­tung von Kriegs­waf­fen betraut ist, 
  • die stär­ke­re Kon­trol­le der Gren­ze zu Ägyp­ten, um Waf­fen­lie­fe­run­gen zu verhindern, 
  • die kon­trol­lier­te Öff­nung der Grenz­über­gän­ge zum Gaza­strei­fen, damit huma­ni­tä­re Hilfs­gü­ter trans­por­tiert wer­den kön­nen und die Men­schen die Mög­lich­keit zum Han­del und Auf­bau einer Öko­no­mie haben, 
  • die Unter­stüt­zung der demo­kra­ti­schen Oppo­si­ti­on in den paläs­ti­nen­si­schen Auto­no­mie­ge­bie­ten durch die UN und deren Aner­ken­nung durch Israel, 
  • huma­ni­tä­re Hilfs­kor­ri­do­re, um Schutz­räu­me für die Zivil­be­völ­ke­rung zu schaf­fen und ihnen die Mög­lich­keit zu geben Hilfs­gü­ter zu empfangen, 
  • die Ein­be­ru­fung eines inter­na­tio­na­len Kri­sen­gip­fels, der berät, wie der Kon­flikt auf diplo­ma­ti­sche Ver­hand­lun­gen trans­fe­riert wer­den kann. 

War­um blog­ge ich das? Weil es mich doch manch­mal irri­tiert, wie leicht anti­mi­li­ta­ris­ti­sche Grund­hal­tun­gen in Ver­ges­sen­heit gera­ten, wenn nur die „Sache“ wich­tig genug ist.