Die Debatte darum, ob Bündnis 90/Die Grünen eine linke Partei sind – was für mich lange eine Selbstverständlichkeit war – dreht mal wieder auf. In diesem Blogbeitrag will ich zunächst versuchen, die unterschiedlichen Ebenen zu sortieren, auf denen diese Frage diskutiert wird.
Kurz: Die Piratenpartei ist ihre mediale Repräsentation
Hannah Beitzer hat einen schönen, nachdenklichen Text über Online-Aktivismus, die Piratenpartei und burn-out-artige Symptome geschrieben. Der Text hat mich zu folgender These gebracht:
Die Piratenpartei ist zwangsläufig identisch mit ihrer medialen Repräsentation – deswegen kein Weg aus eigener Kraft aus der Krise.
Und weil das jetzt vielleicht etwas erklärungsbedürftig ist, noch ein paar Sätze dazu, was ich damit meine. Vor dem Internet gab es zwei relativ klar getrennte Sphären: Eine Sphäre des innerparteilichen Diskurses (durchaus auch mit eigenen Medien) und eine Sphäre des öffentlichen Diskurses über eine Partei. Natürlich konnte auch vor dem Internet und vor Social Media schon eine parteiinterne Debatte z.B. in bundesweit gelesenen Tageszeitungen ausgetragen werden. Aber die Trennung der Sphären war vorhanden.
Die Piraten sind dagegen mit Social Media groß geworden. Das hat ihren Aufstieg befördert, sie jetzt aber auch in eine Ecke gedrängt, denn trotz eigener Medien (Mailinglisten, Pads, Mumble) findet ein großer Teil des pirateninternen Diskurses öffentlich statt. Zum Beispiel auf Twitter. Sonst würden mässig interessierte Beobachter wie ich ihn vermutlich gar nicht wahrnehmen. So fällt er zwangsläufig in die Timeline.
Das wiederum erschwert es für die Piraten ungemein, sich auf sich selbst zu besinnen. Parteiinterne Meinungsbildung und mediale Repräsentation fallen in eins, eine vom medialen Diskurs unabhängige Positionierung zu setzen, ist fast nicht möglich. Gerade in einer Selbstfindungsphase mit heftigen Flügelkämpfen ist das fatal. Insofern sagt meine Kristallkugel: Auch nach dem außerordentlichen Bundesparteitag wird die Piratenpartei nicht zur Ruhe kommen.
P.S.: Und ja, das hat auch etwas mit der Forderung nach umfassender Transparenz zu tun.
Kurz: Die BAGen
Gestern und vorgestern fand das halbjährliche Treffen der grünen BAG-SprecherInnen statt, der BAG-SprecherInnen-Rat. BAGen sind … ja, was eigentlich? Manche würden sagen, sie sind die inhaltlichen Thinktanks der Partei, andere sehen darin eher eine Koordinierungsplattform für bestimmte Politikfelder. Oder Zusammenschlüsse der AktivistInnen eines Themas. Jedenfalls gibt es knapp zwei Dutzend Bundesarbeitsgemeinschaften, jeweils mit gewählten Delegierten aus den Ländern und Fraktionen, und zwei SprecherInnen. Letztere haben sich getroffen. Als Sprecher der BAG Wissenschaft, Hochschule und Technologiepolitik war ich dabei.
Während manche früheren BAG-SprecherInnen-Räte eher an den Rand von Parteitagen geklatscht waren, hatten wir diesmal tatsächlich ein bisschen Zeit, und das war gut so. Neben eher organisatorischen Fragen (Wahl der geschäftsführenden SprecherInnen, Wahl der Länderratsdelegierten, Finanzen der BAGen) konnten wir so auch inhaltlich und strategisch diskutieren. Zum einen gab es ein Gespräch mit dem Bundesvorstand über zentrale Vorhaben der nächsten eineinhalb Jahre – auch ein Zeichen der gestiegenen Wertschätzung für die BAGen in der Partei. Zum anderen diskutierten wir zwei inhaltliche Papiere: Die AG „Kultur und Nachhaltigkeit“ stellte Thesen zum Zusammenhang dieser beiden Felder vor. Und aus „meiner“ BAG hatten wir einen Diskussionsanstoß zum Verhältnis von Wissenschaft und (grüner) Politik dabei, der rege debattiert wurde – zu diesem Papier werde ich sicherlich bei Gelegenheit noch mehr schreiben.
Auch wenn’s ein bisschen Streit darum gab, ob wir BAG-SprecherInnen uns eher als Speerspitze der Parteibasis sehen – oder ob wir mehrheitlich, bei Lichte betrachtet, typische Exemplare der mittleren Funktionärsebene dieser Partei darstellen, hatte ich insgesamt, und das ist ja nicht bei allen Terminen so, den Eindruck, dass sich die lange Zugfahrt Freiburg – Berlin gelohnt hat. In dieser Form gerne wieder!
Die Zombiepartei
Unlängst vermutete ich ja noch, dass die Piraten es bei der Europawahl schaffen würden, die dort geltende Drei-Prozent-Hürde zu knacken; vielleicht, das entscheidet sich Ende des Monats, kommt die Europawahl sogar ganz ohne eine solche Hürde aus. Aber zurück zu den Piraten: Wenn ich mir die Diskussionen der letzten Tage so anschaue, dann muss ich diese Einschätzung doch revidieren. Es wirkt so, als hätte diese Partei komplett ihren Kompass verloren. Oder, noch etwas zugespitzer: als würden wir der Hülle einer einst lebendigen Partei dabei zusehen, wie sie untot durch die Gegend stakst.
Zwei Flügel auf der immerwährenden Suche nach der Mitte
Vielleicht bin ich einfach schon zu lange dabei in dieser Partei, vielleicht ist das der Grund, warum ich das derzeit stattfindende innerparteiliche Ringen um die Deutungsmacht nach der Wahlniederlage nicht besonders beeindruckend finde. Wir streiten über den richtigen Kurs, das tun wir als Partei, das tun wir gemeinsam – und wir tun es nicht zum ersten Mal. Und es wird, da bin ich mir sicher, nicht mit dem Durchmarsch des einen oder des anderen Flügels enden, sondern mit einer neuen Selbstgewissheit grüner Eigenständigkeit.
Eingeständnisse und Eigenständigkeit
Auch der gestern stattgefundene Länderrat zum Wahlausgang, an dem ich als Delegierter für Baden-Württemberg teilgenommen habe, ändert nichts an dieser Bewertung. Nein, er bestärkt mich sogar in dieser Auffassung. Klar: Es gab die großen Schaufensterreden, in denen nicht nur für den einen oder anderen Kurs geworben wurde, sondern auch versucht wurde, die Schuld für die Wahlniederlage möglichst auf der anderen Seite des innerparteilichen Spektrums abzuladen. Einige Reden lassen sich hier richtig schön als Musterbeispiel dafür hernehmen, wie versucht wird, nachträglich ein neues Narrativ über die Tatsachen zu stülpen, bei dem dann die „andere Seite“ schlechter als vorher dasteht.
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