Jugendverbandsnostalgie

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Heu­te abend fei­ert die Grü­ne Jugend ihren 20. Geburts­tag. Ein wenig weh­mü­tig lese ich die Tweets aus Ber­lin – mit­ten unter der Woche war mir der Weg aus dem Süd­wes­ten dann doch zu weit. 

Aber, ihr ahnt es schon: Ich bin einer von denen, die dazu bei­getra­gen haben, dass es seit 20 Jah­ren einen bun­des­wei­ten grü­nen Jugend­ver­band gibt. In eini­gen Län­dern schon län­ger. In Baden-Würt­tem­berg war ich 1991 mit dabei, als die „Grün-Alter­na­ti­ve Jugend“ ins Leben geru­fen wur­de (in Bie­tig­heim-Bis­sin­gen, wenn ich mich rich­tig erin­ne­re), und auch im Janu­ar 1994 in Han­no­ver war mei­ne Stim­me eine, die mit über Pro­gramm, Logo und Name („Rosa-Luxem­burg-Jugend“, anyo­ne?) ent­schie­den hat. (Ich mei­ne, es gab auch davor schon mal ein Vor­tref­fen in der dama­li­gen Bon­ner Par­tei­vil­la – da erin­ne­re ich mich jeden­falls auch noch dun­kel dran …)

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Gut Ding will Weile haben: zur Zivildienstdebatte

Ange­sichts der aktu­el­len Debat­te um Wehr­pflicht, Zivil­dienst und (frei­wil­li­ge) sozia­le Diens­te ist mir ein­ge­fal­len, dass ich mich ja vor eini­ger Zeit auch schon mal poli­tisch damit aus­ein­an­der­ge­setzt hat­te. Und zwar in Form eines gemein­sam mit Alex Bonde – damals noch Grü­ne-Jugend-Vor­stand und nicht MdB – in der Zeit­schrift der Grün-Alter­na­ti­ven Jugend Baden-Würt­tem­berg (die ganz frü­her mal Bit­ter Lemon und – wohl erst ein paar Jah­re spä­ter – dann Zit­ro hieß). Lei­der kann ich gra­de nicht recher­chie­ren, wann und in wel­cher Form genau der Arti­kel erschie­nen ist – der Text mit der For­de­rung nach einem „frei­wil­li­gen Soli­da­ri­täts­jahr“ ist jeden­falls vom Juli 1996, also ziem­lich genau 14 Jah­re alt. (Neben­bei: das Gedächt­nis ist eine rät­sel­haf­te Sache – der Text ist von Alex und mir, bis gera­de eben war ich aber fest über­zeugt davon, dass wir das damals als Streit­ge­spräch gemacht hat­ten – und nicht in (sel­te­ner) Einig­keit. War aber wohl so.)

Wer also lesen will, und schau­en, ob die Argu­men­te von 1996 heu­te noch stim­men, kann hier klicken.
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Die taz fragt: Müssen Linke bio essen?

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Ist die­se Karot­te links?

Die taz macht jeden Woche so einen „Streit der Woche“, und sucht dafür natür­lich immer kon­tro­ver­se The­men. Heu­te heißt es Müs­sen Lin­ke bio essen?. Gute Fra­ge, wie ich fand – bis ich näher dar­über nach­ge­dacht habe und fest­ge­stellt habe, dass die Fra­ge eigent­lich falsch gestellt ist. Und das hat etwas mit der Grün­dung der Grü­nen zu tun.

Kur­ze Rück­blen­de in die sieb­zi­ger Jah­re. Mal abge­se­hen, dass ich da zur Welt kom­me (1975), fin­de ich die­ses Jahr­zehnt auch aus ande­ren Grün­den inter­es­sant: da for­miert sich näm­lich die moder­ne Frie­dens- und Umwelt­be­we­gung und wird letzt­lich auch zur Par­tei DIE GRÜNEN (1979/80) (und die taz …). Ein wich­ti­ges Ele­ment in die­ser Bewe­gung und in der sich grün­den­den Par­tei ist die „Neue Lin­ke“, also eine Abkehr vom dog­ma­ti­schen Sozia­lis­mus (Stich­wort 1968er und so). In der Par­tei, aber auch in die­sen Bewe­gun­gen kommt – ganz ver­kürzt gesagt – die Vor­stel­lung eines „neu­en Lebens­stils“ zusam­men, der für die Indus­trie­län­der not­wen­dig ist (spä­ter wird dar­aus das Nach­hal­tig­keits­kon­zept). Sozia­le Gerech­tig­keit und öko­lo­gi­sche Zukunfts­fä­hig­keit müs­sen zusam­men­ge­hen. Und damit kommt etwas Neu­es ins Spiel, das weder in der sozi­al­de­mo­kra­ti­schen Tra­di­ti­ons­li­nie, die an der Umwelt nur inter­es­siert hat, ob die Stahl­ar­bei­ter im Ruhr­ge­biet einen blau­en Him­mel sehen kön­nen, noch in der dog­ma­tisch-sozia­lis­ti­schen Linie (wo Umwelt irgend­wo zwi­schen Neben­wi­der­spruch und „sowje­ti­sche AKWs sind gut, west­li­che AKWs sind böse“) eine Haupt­rol­le gespielt hat. 

Jetzt, in der damals neu­en „grü­nen“ Bewe­gung, kommt bei­des zusam­men. Auch das hat his­to­ri­sche Vor­bil­der (Stich­wort: Lebens­re­form, so irgend­wo zwi­schen 1880–1900-1920er Jah­re). In der neu­en Inkar­na­ti­on ist der „neue Lebens­stil“ in sei­ner Bewe­gungs- und Par­tei­form zudem mit mas­si­ven Hete­ro­ge­ni­tä­ten kon­fron­tiert: in der neu­en Par­tei sam­meln sich zunächst mal macht­be­wuss­te Men­schen aus den K‑Gruppen, denen Umwelt so wich­tig auch nicht ist eben­so wie natur­schüt­zen­de Blut- und Boden-Kon­ser­va­ti­ve, für die Umwelt­schutz und „Lebens­schutz“ in eins fällt. Hier kom­men sozi­al­de­mo­kra­tisch-pro­tes­tan­ti­sche Aske­tIn­nen aus der Frie­dens­be­we­gung mit Men­schen zusam­men, die aus dem „neu­en Lebens­stil“ ein mit Leib und See­le geleb­tes Öko-Pro­jekt machen wol­len (und aus deren Pro­jek­ten zum Teil die heu­ti­gen Natur­kost­gi­gan­ten ent­stan­den sind – ich fand hier den Selbst­dar­stel­lungs­pro­spekt des Natur­kosthestel­lers „Rapun­zel“ zum 30-jäh­ri­gen sehr inter­es­sant). Die­ses Amal­gam fin­det sich unter dem Ban­ner „öko­lo­gisch – sozi­al – basis­de­mo­kra­tisch – gewalt­frei“ wieder.

Ein paar Jahr­zehn­te vor­wärts: in den 1990er Jah­ren wur­de mir die­ses grü­ne Allein­stel­lungs­merk­mal so rich­tig bewusst, als ich – in der damals sehr alter­na­ti­ven Grün-Alter­na­ti­ven Jugend (GAJ) aktiv – mit den loka­len JungdemokratInnen/Junge Lin­ke (JD/JL; eben­falls hete­ro­gen zwi­schen links­li­be­ral und neo­mar­xis­tisch) über eine Zusam­men­ar­beit ver­han­del­te. Für ein paar Jah­re gab es eine gemein­sa­me Grup­pe GAJ/JD/JL in Frei­burg – aus der Zeit her­aus bin ich übri­gens auch Mit­glied der Jung­de­mo­kra­tIn­nen. Jeden­falls: die Grün-Alter­na­ti­ve Jugend bil­de­te jen­seits der Poli­tik ihre Iden­ti­tät irgend­wo zwi­schen Hanf (nicht mein Ding), Vege­ta­ris­mus (schon eher), Hip­pie­tum und Jugend­um­welt­be­we­gung, tage in Wal­dorf­schu­len und mach­te bei Aktio­nen gegen den Auto­ver­kehr mit. Für Jung­de­mo­kra­tIn­nen war es dage­gen über­haupt kei­ne Fra­ge, zur Dele­gier­ten­kon­fe­renz ins sozia­lis­ti­sche Tagungs­zen­trum in Oer-Erken­schwiek mit dem Auto anzu­rei­sen (oder auch zum Camp …) und lie­ber über Soli­da­ri­tät zwi­schen den sozia­lis­ti­schen Bru­der­län­dern und den Kampf der Arbeiter(innen?) zu reden als über sowas Selt­sa­mes wie Öko­lo­gie. Die Fra­ge eines Kol­le­gen aus der JD/JL in die­ser Zeit, war­um ich den ein Pro­blem mit dem Auto hät­te, und dass es ja wohl wich­ti­ge­res gäbe, irri­tier­te mich eben­so sehr wie den mei­ne Ant­wort mit Ver­weis auf die Gren­zen der pla­ne­ta­ren Trag­fä­hig­keit, und dass es ja wohl nichts wich­ti­ge­res geben könne.

Aus die­ser poli­ti­schen Bio­gra­phie her­aus liegt der Feh­ler in der Fra­ge, die die taz stellt, genau da. Natür­lich essen tra­di­ti­ons­be­wuss­te Lin­ke nicht bio, und schon gar nicht vege­ta­risch. Der Pro­to­typ dafür ist heu­te ver­mut­lich in den Gewerk­schaf­ten zu fin­den. Men­schen, die bio essen, müs­sen – selbst wenn sie’s nicht nur aus Gesund­heits­grün­den tun, son­dern schon den (natu­ra­len wie sozia­len) Her­stel­lungs­pro­zess im Blick haben – nicht unbe­dingt links sein. War­um auch?

Womit wir am Schluss noch­mal bei den Grü­nen wären. Ide­al­ty­pisch ist das näm­lich immer noch die Par­tei, in der bei­des zusam­men­kommt: das Bewusst­sein dafür, dass es eine extre­me Abhän­gig­keit zwi­schen öko­lo­gi­schen Pro­zes­sen und dem Leben von Men­schen auf die­sem Pla­ne­ten gibt, und dass „öko­lo­gi­sches Kapi­tel“ eben nicht belie­big durch ande­res ersetz­bar ist, und das Bewusst­sein dafür, dass welt­weit und lokal gese­hen Aus­beu­tungs­ver­hält­nis­se und Ungleich­be­hand­lun­gen Men­schen an ihrer Selbst­ent­fal­tung hin­dern und nicht zuletzt dar­um zu bekämp­fen sind. Bei­des kommt in Kon­zep­ten wie dem der Umwelt­ge­rech­tig­keit (envi­ron­men­tal jus­ti­ce) zusam­men: die Fest­stel­lung, dass Smog eben nicht demo­kra­tisch ist, son­dern sich öko­lo­gi­sche Risi­ken sozi­al ungleich verteilen.

Müs­sen Lin­ke bio essen? Nicht unbe­dingt, aber wenn sie wol­len, dass sie im 21. Jahr­hun­dert ernst genom­men wer­den, dann wäre Bio-Essen ein Sym­bol dafür, links zu sein, ohne dabei den Blick für poli­ti­sche Fra­gen jen­seits des Ver­hält­nis­ses von Kapi­tal und Arbeit ver­lo­ren zu haben (das gan­ze lie­ße sich übri­gens auch mit Femi­nis­mus statt mit Bio-Essen durch­spie­len). Oder anders gesagt: wer im 21. Jahr­hun­dert behaup­tet, links zu sein, aber sei­nen per­sön­li­chen Lebens­stil nicht für ein Poli­ti­kum hält, hat was verpasst.

War­um blog­ge ich das? Weil mich die Fra­ge durch­aus ange­spro­chen hat. Und ich mir auch noch gar nicht so sicher bin, ob das hier mei­ne end­gül­ti­ge Ant­wort dar­auf ist. (U.a., weil ich oben noch gar nichts zu Latours poli­ti­scher Öko­lo­gie gesagt habe).

Nach­trag: (14.08.2010) Die taz hat mich heu­te mit einer (von mir ver­fass­ten) Kurz­fas­sung die­ses Bei­trags auf ihrer Streit­fra­gen­sei­te. Lus­tig fin­de ich, dass der von mir gesei­ten­hieb­te LIN­KEN-Chef Klaus Ernst eben­so wie ich auf der „Ja, Lin­ke soll­ten bio essen“-Seite mit einem Kom­men­tar ver­tre­ten ist. So ganz über­zeugt davon, dass die­se poli­ti­sche Hal­tung auch sei­ner per­sön­li­chen Pra­xis ent­spricht, bin ich aller­dings immer noch nicht. Eher ärger­lich: dass die taz mit die Bin­nen-Is (und den Ver­weis auf die Par­al­le­li­tät zum The­ma Eman­zi­pa­ti­on) raus­ge­kürzt hat. Und natür­lich das feh­len­de „ay“ …