Kommunikativer Vertrauensverlust in verunsicherten Zeiten

Waiting I

Kom­mu­ni­ka­ti­ons­gue­ril­la pro­du­ziert immer, immer, immer Ver­un­si­che­rung. Und zer­stört damit gesell­schaft­li­ches Ver­trau­en. Das ist unaus­weich­lich. Trotz­dem kann es legi­tim sein, zu die­ser Form poli­ti­scher Akti­on zu grei­fen. Bei­spiels­wei­se dann, wenn es dar­um geht, etwas schein­bar Selbst­ver­ständ­li­ches in Fra­ge zu stel­len, an Insti­tu­tio­nen zu rüt­teln, Men­schen dazu anzu­re­gen, nach­zu­den­ken und nicht ein­fach hin­zu­neh­men, was ist. (Da hat Kom­mu­ni­ka­ti­ons­gue­ril­la eini­ges mit Sozio­lo­gie gemein­sam, aber das ist eine ande­re Geschichte). 

Weil Kom­mu­ni­ka­ti­ons­gue­ril­la Ver­trau­en zer­stört, und weil, wenn es eines gibt, was in die­ser Gesell­schaft gera­de fehlt, Ver­trau­en ist, bin ich so ver­är­gert dar­über, dass ges­tern jemand die Geschich­te in die Welt gesetzt hat, dass auf­grund des tage­lan­gen War­tens in der Käl­te vor dem Ber­li­ner „Lage­so“ ein Flücht­ling gestor­ben ist. Ich gehö­re zu den tau­sen­den Men­schen, die die­se Geschich­te geglaubt haben, und die sie wei­ter­ge­ge­ben haben. 

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Kurz: Herze, Sterne, Brezeln

Cookie time IVEigent­lich hat­te ich mir ja vor­ge­nom­men, nichts dazu zu sagen, dass Twit­ter nach eini­gen Beta­tests etc. jetzt tat­säch­lich für Web­site (und wohl auch Apps) aus dem „Fav“-Sternchen ein „Fav“-Herzchen gemacht hat. Aber weil’s so hübsch ani­miert ist, wenn ich auf der Web­site das Herz ankli­cke, doch ein paar Wor­te dazu. 

Ich weiß nicht, wie es euch geht – ich ertapp­te mich manch­mal dabei, beim Kli­cken auf das (bis­he­ri­ge) Stern­chen, ein „drü­cke die Dau­men“ oder „fin­de ich auch, genau mei­ne Mei­nung“ oder „ok, Argu­ment passt, Dis­kus­si­on zu Ende“ zu sub­vo­ka­li­sie­ren. Soll hei­ßen: je nach Kon­text – mit wem habe ich es zu tun, was ist der bis­he­ri­ge Debat­ten­ver­lauf, um was für ein The­ma geht es – habe ich das Stern­chen unter­schied­lich ver­wen­det. Das Spek­trum reicht dabei von inhalt­li­cher Zustim­mung über emo­tio­na­le Unter­stüt­zung bis hin zu einem Mar­ker für Inter­es­se oder dafür, dass ich etwas gele­sen habe, und jetzt nicht noch ein­mal dar­auf ein­ge­hen muss, son­dern fin­de, dass die Debat­te jetzt zu Ende sein darf. Das alles nur das, was ich mir so beim Kli­cken dach­te – wie die­je­ni­gen, die „gefavt“ wur­den, das inter­pre­tiert haben, weiß ich nicht. Und zumin­dest dem Hören­sa­gen soll das Stern­chen bei ande­ren durch­aus auch nur „muss ich noch mal anschau­en, Book­mark gesetzt“ hei­ßen (das wäre die Seman­tik, in der Chro­me Stern­chen ver­wen­det – anders als die Stern­chen bei Ama­zon, die ja „gefällt mir“ aus­drü­cken). Ein „Fav“ kann also ganz unter­schied­li­ches bedeu­ten und ganz unter­schied­lich ein­ge­setzt wer­den. Damit ist es (oder war es) fle­xi­bler als „gefällt mir“ von Facebook.

Jetzt also Her­zen. Die sind viel mehr als Stern­chen mit Bedeu­tung auf­ge­la­den. Für einen Teil der oben skiz­zier­ten Nut­zens­prak­ti­ken passt auch ein Herz – alles von „ich mag dich“ bis „ich mag das“ bis „fühl dich gedrückt“. Für „gutes Argu­ment“ oder „sehe ich auch so“ oder „hmm, inter­es­san­ter Hin­weis“ – eher weni­ger. Und das fiel mir auf, als ich gera­de die „Natu­re“ dafür herz­te, dass sie dar­über berich­te­te, dass der neue kana­di­sche Pre­mier­mi­nis­ter einen Pos­ten „Wis­sen­schaft“ im Kabi­nett vor­sieht. War lus­tig ani­miert, der Druck aufs Herz­chen – aber eigent­lich gar nicht so emo­tio­nal auf­ge­la­den, wie es aus­sah. Inso­fern: Span­nend wird jetzt sein, wie wir Twit­ter-Nut­ze­rIn­nen mit den Her­zen umge­hen wer­den. Die Funk­tio­na­li­tät ist die glei­che, die Seman­tik ist flui­de – auch ein Herz kann eine Bre­zel ein Stern­chen sein. Wenn alle das so lesen und sehen. Oder es kommt zu Boy­kot­ten, Pro­test­ak­tio­nen usw. – das Droh­po­ten­zi­al gegen­über der Fir­ma Twit­ter ist aller­dings ver­dammt nied­rig. Ich tip­pe drauf, dass das Herz bleibt, und Twit­ter – das Medi­um – sich dadurch letzt­lich nicht wesent­lich ändert. Anders wäre es bei Maß­nah­men wie einer nicht mehr chro­no­lo­gi­schen oder gar gefil­ter­ten Time­line. Das wür­de den ganz beson­de­ren Cha­rak­ter Twit­ters maß­geb­lich ver­än­dern. Und nicht zum Besseren.

Smarte Parteien? Um welches Problem geht es eigentlich?

Convention tools

In den Reve­la­ti­on-Space-Büchern des Sci­ence-Fic­tion-Autors Alas­ta­ir Rey­nolds tau­chen am Ran­de die „Demar­chists“ auf – eine Grup­pe von Men­schen, die das Ide­al direk­ter Demo­kra­tie ver­wirk­licht haben: Ein Implan­tat im Kopf legt jedem und jeder stän­dig Ent­schei­dun­gen zur Abstim­mung vor. Demo­gra­phie und Demo­kra­tie gehen inein­an­der über, der Wil­le des Vol­kes ist die stän­dig aktua­li­sier­te Sum­me des Wil­lens der Ein­zel­nen. Deli­be­ra­ti­on fin­det dage­gen, soweit das die­ser Fik­ti­on zu ent­neh­men ist, eher nicht statt. Aber, einem Sci­ence-Fic­tion-Buch ist das ange­mes­sen, eigent­lich erfah­ren wir auch nur etwas über das „Tool“ und wenig dar­über, wie die Prak­ti­ken, Pro­zes­se und Ver­fah­ren aus­se­hen, die die­se auf die Spit­ze getrie­be­ne Form direk­ter Demo­kra­tie so mit sich bringt.

Viel­leicht ist es die­ser Fokus auf die „Tools“, der mich bei eini­gen aktu­el­len Debat­ten an die­se Bücher den­ken ließ. Auch nach dem weit­ge­hen­den Schei­tern der – soweit das aus Außen­per­spek­ti­ve fest­zu­stel­len ist – sehr stark „tool“-zentrierten Liquid-Demo­cra­cy-Debat­ten der Pira­ten­par­tei bleibt der Ruf nach der „Smart Par­ty“ (Scho­ber et al. 2015) viru­lent. Fast drängt sich der Ein­druck auf, dass ver­zwei­felt am Glau­ben dar­an fest­ge­hal­ten wird, dass die­ser Netz­werk­tech­nik doch ein demo­kra­ti­sches Heils­ver­spre­chen zu ent­lo­cken sein muss. Jeden­falls wird nach wie vor dar­über gespro­chen, dass Par­tei­en bes­ser, schö­ner, effi­zi­en­ter und betei­li­gungs­ori­en­tier­ter wer­den könn­ten, wenn sie denn nur die rich­ti­ge Tech­nik ein­setz­ten. Bis­her haben die­se Ansät­ze den Rea­li­täts­test nicht bestan­den. Das liegt – behaup­te ich – nicht am feh­len­den Wil­len der Par­tei­en, son­dern schlicht dar­an, dass die glit­zern­den „Tools“ und die zu lösen­den Pro­ble­me nicht zuein­an­der passen.
„Smar­te Par­tei­en? Um wel­ches Pro­blem geht es eigent­lich?“ weiterlesen

Warum Click-Aktivismus etwas ändern kann

Eine ers­te gro­ße Wel­le von poli­tisch moti­vier­ten Pro­fil­bild­än­de­run­gen bei Face­book fand – mit tech­ni­scher Unter­stüt­zung durch den Kon­zern – im Som­mer 2015 anläss­lich eines weg­wei­sen­den Urteils des Supre­me Court zur gleich­ge­schlecht­li­chen Ehe (Ober­ge­fell v. Hod­ges) statt. Der fol­gen­de Text ist als Kom­men­tar dazu entstanden.

2015rainbowFace­book-Ava­tare in Regen­bo­gen­far­ben – und schon bricht eine Debat­te dar­über aus, ob das a. nur eine kon­for­mis­ti­sche Mode­wel­le, b. poli­ti­sches Enga­ge­ment oder c. ein fie­ser Trick Face­books ist, um an noch mehr Daten zu kom­men. (Lesen­wer­ter Hin­ter­grund auch zu c. und dazu, wie­so Face­book plötz­lich ein Tool anbie­tet, um das eige­ne Pro­fil­bild für „cele­bra­te pri­de“ in einen Regen­bo­gen zu tau­chen, fin­det sich hier). Und dann gibt es noch die Debat­te d. dar­um, ob die Ehe für alle in den USA über­haupt – auch aus pro­gres­si­ver Sicht – das rich­ti­ge Ziel ist, und ob ein damit ver­bun­de­nes Fär­ben der Pro­fil­bil­der nicht letzt­lich das fal­sche feiert.

Natür­lich ist es „Click­ti­vism“, wenn jede/r durch ein paar Maus­klicks das Pro­fil­bild ein­fär­ben kann, um damit eine Hal­tung aus­zu­drü­cken. Ich bin trotz­dem über­zeugt davon, dass die­se Form des Akti­vis­mus nicht unter­schätzt wer­den soll­te. Auch das Demons­trie­ren auf der Stra­ße, die Teil­nah­me an einem CSD oder das Tra­gen eines Anti-AKW-Auf­kle­bers auf der Akten­ta­sche sind nicht mehr – und nicht weni­ger – als sym­bo­li­sche Hand­lun­gen. Und wer eine Unter­schrif­ten­lis­te unter­zeich­net, mög­li­cher­wei­se sogar noch anonym, tut eben­falls etwas, ohne viel zu tun. So scheint es zumindest.

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Politik im Netz – was geht?

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Letz­ten Sams­tag fand die Jah­res­ta­gung der Hein­rich-Böll-Stif­tung Baden-Würt­tem­berg statt, die die­se freund­li­cher­wei­se dem The­ma „Poli­tik im Netz – Wie das Inter­net poli­ti­sche Kom­mu­ni­ka­ti­on und Kul­tur ver­än­dert“ gewid­met hat­te. Im Fol­gen­den also ein paar Streif­lich­ter aus der Kon­fe­renz. Das Publi­kum wirk­te übri­gens sehr viel weni­ger nerdig, als das The­ma es hät­te ver­mu­ten lassen.

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