Kurz: Koalitionskrach zu Studiengebührenstudie (Update 3: HIS-Studie liegt vor)

Laut Medi­en­be­rich­ten hat das HIS – ein renom­mier­tes Hoch­schul­for­schungs­in­sti­tut – für das Bun­des­mi­nis­te­ri­um für Bil­dung und For­schung empi­risch unter­sucht, ob Stu­di­en­ge­büh­ren eine abschre­cken­de Wir­kung haben. Nach den Gerüch­ten über die bis­her nicht vor­lie­gen­de Stu­die scheint die­se Abschre­ckungs­wir­kung bestä­tigt wor­den zu sein (also sin­ken­de Stu­dier­nei­gung; dass es die­ses Jahr trotz­dem vol­le Ersti-„Klassen“ gibt, ist dann eher mit Jahr­gangs­stär­ken und der Abschaf­fung von Jahr­gang 13 in eini­gen Bun­des­län­dern zu erklä­ren). Bis­her wur­de die Stu­die nicht veröffentlicht. 

Das ist tat­säch­lich ziem­lich dane­ben, da stim­me ich sowohl der SPD zu – die das The­ma gera­de in der Koali­ti­on zum Kon­flikt­herd #123 erklärt – als auch der grü­nen For­de­rung, nicht nur die Ergeb­nis­se schnell zu ver­öf­fent­li­chen, son­dern auch regel­mä­ßig ein Stu­di­en­ge­büh­ren­mo­ni­to­ring zu betrei­ben, nur anschließen.

Update: (21.10.2008) Wie pas­sen die Ergeb­nis­se der Stu­die eigent­lich zum BVerfG-Urteil gegen das Stu­di­en­ge­büh­ren­ver­bot? Vor allem im Hin­sicht auf die Begrün­dung, dass eine bun­des­wei­te Rege­lung nicht not­wen­dig sei, weil 

[…] anzu­neh­men [ist], dass die Län­der bei Ein­füh­rung von Stu­di­en­ge­büh­ren in eigen­ver­ant­wort­li­cher Wahr­neh­mung der ver­fas­sungs­recht­lich begrün­de­ten Auf­ga­be zu sozi­al­staat­li­cher, auf die Wah­rung glei­cher Bil­dungs­chan­cen bedach­ter Rege­lung den Belan­gen ein­kom­mens­schwa­cher Bevöl­ke­rungs­krei­se ange­mes­sen Rech­nung tra­gen wer­den. (Pres­se­mit­tei­lung zum Urteil) 

Update 2: Das HIS rela­ti­viert laut Spie­gel Online die Effek­te von Studiengebühren:

Die umstrit­te­ne Stu­die soll dazu Daten lie­fern. Die Autoren aller­dings haben die Abschre­ckungs­wir­kung von Stu­di­en­ge­büh­ren inzwi­schen rela­ti­viert. Nega­ti­ve Effek­te sei­en nach­weis­bar, aber nur in gerin­gem Maße, sag­te HIS-Geschäfts­füh­rer Mar­tin Leit­ner am Diens­tag. Von den jun­gen Leu­ten, die 2006 in Deutsch­land stu­di­en­be­rech­tigt waren, woll­ten 6000 bis 18.000 wegen der Gebüh­ren kein Stu­di­um begin­nen, sag­te Leit­ner. Dies sei­en jedoch nur 1,5 bis 3,8 Pro­zent aller Stu­di­en­be­rech­tig­ten gewe­sen. Im Gegen­zug hät­ten zwei Pro­zent gezielt zu einer Hoch­schu­le mit Stu­di­en­ge­büh­ren gehen wol­len, weil sie sich dort eine bes­se­re Aus­stat­tung und Betreu­ung erhofft hätten. 

Update 3: (31.10.2008) Inzwi­schen liegt laut Pres­se­mit­tei­lung der HIS die Stu­die vor. Dort ist auch ein Link zum Down­load zu finden.

Spin am Beispiel Studienanfängerzahlen

Zum The­ma Stu­di­en­an­fän­ger­zah­len lie­gen heu­te zwei Pres­se­mit­tei­lun­gen in mei­ner Mail­box. Die ers­te kommt von der grü­nen Bundestagsfraktion:

Erneut haben mehr jun­ge Men­schen auf ein Stu­di­um ver­zich­tet. Laut Sta­tis­ti­schem Bun­des­amt san­ken die Zahl der Stu­di­en­an­fän­ge­rin­nen und ‑anfän­ger um fünf Pro­zent. Dazu erklärt Kai Geh­ring, hoch­schul­po­li­ti­scher Sprecher:

Der Rück­gang der Stu­di­en­an­fän­ger­zah­len ist ein pein­li­ches Armuts­zeug­nis für die Hoch­schul­po­li­tik von Bund und Län­dern. Weni­ger Stu­di­en­an­fän­ger sind ein Alarm­si­gnal an die Wis­sen­schafts­mi­nis­ter in Bund und Land.

Die zwei­te, ein paar Stun­den spä­ter, von Bil­dungs­mi­nis­te­rin Schavan:

Bun­des­bil­dungs­mi­nis­te­rin Annet­te Scha­van sag­te am Diens­tag in Bonn: „Der Abwärts­trend bei der Ent­wick­lung der Stu­di­en­an­fän­ger­zah­len ist gestoppt. Seit 2007 haben end­lich wie­der mehr jun­ge Men­schen ein Stu­di­um auf­ge­nom­men als im Jahr zuvor. Damit zeigt der Hoch­schul­pakt ers­te Wir­kung. Wir rech­nen auch künf­tig mit stei­gen­den Zah­len bei den Studierenden. […]“ 

Beim Sta­ti­schen Bun­des­amt gibt es unter­schied­li­che Daten: die Zahl der Stu­die­ren­den ist von 2005 nach 2006 gesun­ken, und liegt auch im WS 2007/08 etwas unter den Vor­jah­res­zah­len. Zur Zahl der Stu­di­en­an­fän­ge­rIn­nen heißt es auf einer Pres­se­kon­fe­renz im Dezem­ber 2007, dass die­se 2007 im Ver­gleich zum Vor­jahr um 4 % gestie­gen ist. Von 2003 bis 2006 ist die Zahl der Stu­di­en­an­fän­ge­rIn­nen dage­gen jedes Jahr gesun­ken, auch die „Stu­di­en­an­fän­ger­quo­te“ (d.h. der Anteil der Stu­di­en­an­fän­ge­rIn­nen an der gleich­alt­ri­gen Bevöl­ke­rung) ist in die­sem Zeit­raum jedes Jahr gesun­ken und erreicht 2007 mit 36,6 % auch noch lan­ge nicht die Wer­te von 2005 oder den Vor­jah­ren. Eine neue­re Pres­se­mit­tei­lung dazu habe ich nicht gesehen.

In der Hei­den­hei­mer Neue Pres­se fin­det sich zumin­dest eine Erklä­rung, war­um das The­ma jetzt auf die Agen­da gelangt:

War­um die Deut­sche Pres­se­agen­tur (dpa) ges­tern die eini­ge Mona­te alten Anga­ben mit dem Jah­res­er­geb­nis von 2003 ver­glich und zur Schlag­zei­le „Immer mehr jun­ge Men­schen ver­zich­ten auf ein Stu­di­um“ gelang­te, bleibt ein Geheim­nis. Tat­säch­lich könn­te das Jahr 2007 zum Wen­de­punkt wer­den nach mehr­jäh­ri­gem Rück­gang der Bereit­schaft jun­ger Men­schen, nach bestan­de­nem Abitur ein Stu­di­um anzu­schlie­ßen. Denn die end­gül­ti­gen Zah­len für 2007, die mitt­ler­wei­le aus den Län­dern gemel­det wur­den, über­tref­fen die vor­läu­fi­gen Anga­ben offen­bar noch. Von einem Plus von 4,7 Pro­zent ist jetzt bereits die Rede. 

Damit blei­ben alle Unklar­hei­ten offen – die Daten­grund­la­ge scheint tat­säch­lich das oben bereits ange­spro­che­ne Mate­ri­al zu sein. Das gibt beim direk­ten Ver­gleich 2006/2007 erst ein­mal Scha­van recht – der mehr­jäh­ri­ge Trend bleibt jedoch sicht­bar. Es bleibt also offen, ob es sich bei die­sen Zah­len tat­säch­lich um das Ende des „Abwärts­trends“ han­delt, wie Scha­van es inter­pre­tiert, oder ob der Trend wei­ter nach unten zeigt, wie es Geh­ring es dar­stellt. Das wird sich erst in den nächs­ten Jah­ren zeigen. 

Inter­es­sant ist es jeden­falls schon, wie hier auf­grund der sel­ben Quel­le ganz unter­schied­li­che poli­ti­sche Ein­schät­zun­gen ver­mit­telt wer­den, indem unter­schied­li­che Ver­gleichs­jah­re her­an­ge­zo­gen wer­den. Den Daten dürf­te es egal sein; als Faust­re­gel bleibt viel­leicht die Ein­sicht, dass die Latenz­zeit poli­ti­scher Maß­nah­men mit­un­ter beträcht­lich sein kann, was aber nicht unbe­dingt immer berück­sich­tig wird, wenn die­se gelobt wer­den, und dass es hilf­reich ist, sich im Zwei­fels­fall die Daten­grund­la­ge selbst anzuschauen. 

War­um blog­ge ich das? Viel­leicht trägt’s zur hoch­schul­po­li­ti­schen Auf­klä­rung bei.