Kurz: Exzellent verunsichert

Alt­kanz­ler­amts­mi­nis­ter Pofalla bekommt einen Pos­ten bei der Bahn – als Chef­lob­by­ist. Die Medi­en berich­ten, ver­kehrs- und anti­kor­rup­ti­ons­po­li­ti­sche Empörung.

Die Sati­re­sei­te Pos­til­lon behaup­tet, bereits am 1.1. ent­spre­chen­des berich­tet zu haben. Der Schluss liegt nahe (war­um eigent­lich?): Die Medi­en­ma­schi­ne hat fei­er­tags­be­dingt Sati­re für Ernst genom­men und dann schlicht von­ein­an­der abge­schrie­ben. Pofalla – eine gigan­ti­sche Ente?

Oder doch Meta­sa­ti­re? Denn Blog­posts zurück­da­tie­ren kann jeder. Pofalla bei der Bahn ist also doch der Ernst­fall, die Ente sind wir – aber für einen Moment ver­wisch­ten die Gren­zen. Allein schon die Plau­si­bi­li­tät, dass es eben Sati­re hät­te sein kön­nen, zeigt die Absur­di­tät die­ser Per­so­na­lie. Ver­un­si­che­rung par excel­lence. Und dafür Cha­peau, lie­ber Postillon!

P.S.: Der Tho­mas Knü­wer schreibt sehr viel aus­führ­li­cher eine klu­ge Ana­ly­se dazu, was hier pas­siert ist.

Merkels Mobiltelefon, menschliche Bedürfnisse und die Allgegenwart der Risiken

Phone

Ange­la Mer­kel, das ist doch die Kanz­le­rin, die ger­ne SMS von der Regie­rungs­bank ver­schickt. Das fällt mir jetzt wie­der ein, wo das #mer­kel­pho­ne zum Hash­tag von Rang auf­ge­stie­gen ist. 

Jetzt, nach der Bun­des­tags­wahl, nach Beginn der Koali­ti­ons­ver­hand­lun­gen und nach der Ent­las­sung (und kom­mis­sa­ri­schen Fort­füh­rung des Amtes) taucht im Licht der Öffent­lich­keit auf, dass Mer­kel eine der Staats­chefin­nen und Regie­rungs­chefs ist, die vom US-Geheim­dienst NSA abge­hört wird (wie die FAZ weiß, auf dem für Regie­rungs­din­ge genutz­tem Par­tei­han­dy). Eine wei­te­re Spät­fol­ge der Snow­den-Ent­hül­lun­gen. Viel­leicht – ich bin mir da noch nicht sicher – der Aus­lö­ser dafür, dass das The­ma Über­wa­chung neu ent­flammt und zu tat­säch­li­chen poli­ti­schen Ver­än­de­run­gen führt. Schließ­lich ist Mer­kel ja auch die Kanz­le­rin der spon­ta­nen Wen­de. Wir wer­den es sehen; aktu­ell wür­de ich aller­dings gleich gro­ße Chan­cen dafür sehen, dass das The­ma in weni­gen Tagen wie­der in der Ver­sen­kung ver­schwun­den ist, Schwamm drüber.

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Kurz: Koalitionsspiele, taktische

Eigent­lich ist die Koali­ti­ons­si­tua­ti­on nach die­ser Wahl so offen wie noch lan­ge nicht. Aber die Welt spielt ver­rückt: Kon­ser­va­ti­ve Sozi­al­de­mo­kra­ten for­dern zu Schwarz-Grün auf. Füh­ren­de Rea­los und Rea­las sagen, dafür sei die Zeit noch nicht reif. Die domi­nie­ren­den Figu­ren des lin­ken Lagers bei uns hal­ten dage­gen die LINKE nicht für regie­rungs­fä­hig – es sei des­we­gen nicht sinn­voll, die rech­ne­ri­sche Opti­on Rot-Rot-Grün zu son­die­ren. Die LINKE wie­der­um scheint nicht ernst­haft an Koali­ti­ons­ge­sprä­chen Inter­es­se zu haben. Neu­wah­len wären auch eine Opti­on – wenn jemand aus der Stim­men­mehr­heit von CDU/CSU, AFD und FDP auch eine Sitz­mehr­heit machen will. Aber alle zusam­men gehen sie davon aus, dass es am Schluss selbst­ver­ständ­lich eine 80%-Koalition aus CDU/CSU und SPD geben wird, SPD-Basis­vo­tum hin oder her. Wenn über­haupt, ist 2017 im Blick. Was ins­ge­samt scha­de ist – weil fast alles ande­re, inklu­si­ve eine Min­der­heits­re­gie­rung Mer­kel, mehr bewe­gen wür­de als eine Gro­ße Koalition.

Kurz: Ein Moment der Befreiung

Sky on the lane

Als klei­ner Nach­trag zu mei­ner län­ge­ren Ana­ly­se direkt nach der Wahl: Viel­leicht geht es nur mir so, aber ich emp­fin­de, nach­dem der ers­te Schock der acht Pro­zent über­wun­den ist, die poli­ti­sche Situa­ti­on nach der Bun­des­tags­wahl als einen dop­pel­ten Moment der Befrei­ung. Die­se Öff­nung mag schnell wie­der vor­bei­geht, aber jetzt ist sie da.

Befrei­ung, weil mit dem jetzt doch ziem­lich rasan­ten Rück­zug der 1998er-Gene­ra­ti­on – Jür­gen Trit­tin, Clau­dia Roth, Rena­te Kün­ast – erst spür­bar wird, wie eng die Ban­de waren, die sich mei­ne Par­tei in letz­ter Zeit auf­er­legt hat. Natür­lich ver­schwin­den lan­ge eta­blier­te inter­ne Macht­struk­tu­ren nicht, nur weil ein paar Köp­fe aus­ge­tauscht wer­den, weil sich ein paar Men­schen mehr oder weni­ger zurück­zie­hen. Bei all ihren über­haupt nicht in Fra­ge zu stel­len­den Ver­diens­ten war es doch die­se Gene­ra­ti­on, die die Peri­ode 1998 bis 2005 zum Maß­stab der Din­ge mach­te. Ja, wir haben eini­ge Feh­ler in die­ser Zeit auf­ge­ar­bei­tet – aber irgend­wie schwamm doch immer das rot-grü­ne Pro­jekt samt aller Regie­rungs­zeit­fest­le­gun­gen im kon­zep­tu­el­len Hin­ter­grund, war der Maß­stab der Din­ge. Jetzt wird es für mich spür­bar, dass wir tat­säch­li­che die Chan­ce haben, uns zu erneu­ern. Allent­hal­ben wird nach Gemein­sam­kei­ten und nach dem zen­tra­len Ele­ment grü­ner Iden­ti­tät gesucht. Wir erfin­den uns neu. Das pas­siert regel­mä­ßig, und das ist auch gut so. Und dies­mal haben wir die Chan­ce, eine Par­tei zu erfin­den, die mehr Luft zulässt, die weni­ger eng ist, und die – nicht grund­le­gend anders, aber doch reno­viert – neu kei­men wird.

Befrei­ung aber auch, weil das nur im Kon­text der Unsi­cher­heit mög­lich ist, die seit dem 22.9. bun­des­po­li­tisch herrscht. Weder Mer­kel noch Rot-Grün hat gewon­nen. Plötz­lich wird über Min­der­hei­ten­re­gie­run­gen und All­par­tei­en­ko­ali­tio­nen dis­ku­tiert. Die Kate­go­rie des staats­tra­gen­den „aber ihr müsst“ scheint nicht mehr zu gel­ten – weder SPD noch Grü­ne wol­len sich auf eine Koali­ti­on mit Mer­kel ein­las­sen. Das so fest gefugt erschei­nen­de deut­sche Regie­rungs­sys­tem zeigt ers­te klei­ne Ris­se. Ob die zuge­kit­tet wer­den, und wir in eini­gen Wochen von der 80%-Koalition erschla­gen wer­den, oder ob die­se Ris­se aus­ge­wei­tet wer­den, und auf Bun­des­ebe­ne bis­her nicht da gewe­se­ne Model­le aus­pro­biert wer­den, wer­den wir dann sehen. Bis dahin weht der Wind der Geschich­te unge­hin­dert über die deut­sche Prärie.

Nach der Wahl. Fünf Gedanken zum grünen Weg

Ich habe lei­der gera­de kei­ne Zeit für eine ordent­li­che Ana­ly­se, aber die­se paar Gedan­ken muss ich doch loswerden:

1. Auch dank der Fünf-Pro­zent-Hür­de (vgl. z.B. hier) war das Wahl­er­geb­nis ein Wahl­er­geb­nis der Para­do­xien. Die gro­ße Sie­ge­rin scheint Ange­la Mer­kel zu sein. Fast hat sie die abso­lu­te Mehr­heit erreicht, es feh­len fünf Sit­ze im Bun­des­tag. Da die FDP raus­ge­flo­gen und die AfD nicht rein­ge­kom­men ist, bedeu­tet das aber gleich­zei­tig: Die drei mehr oder weni­ger lin­ken Par­tei­en SPD, Grü­ne und LINKE stel­len zusam­men eine Mehr­heit der Sit­ze im Par­la­ment. Die sie aber aller Wahr­schein­lich­keit – wie schon 2005 – nicht in eine Regie­rungs­mehr­heit umset­zen wer­den. Gleich­zei­tig ist die par­la­men­ta­ri­sche „lin­ke Mehr­heit“ kei­ne gesell­schaft­li­che mehr – oder sie war es nie. CDU/CSU + FDP + AfD + Rechts­ra­di­ka­le kom­men im Wahl­er­geb­nis auf min­des­tens 52,5 Pro­zent. Im Osten ist das noch deut­li­cher als im Wes­ten. (Mal ganz abge­se­hen von so Neben­säch­lich­kei­ten, dass Ange­la Mer­kel deut­lich belieb­ter als die Bun­des­re­gie­rung war, und mehr Leu­te einen Wech­sel woll­ten als ent­spre­chend gewählt haben, und mal abge­se­hen von der Fra­ge, wie pro­gres­siv man­che Mit­glie­der, MdBs und Wäh­le­rIn­nen der drei lin­ken Par­tei­en eigent­lich wirk­lich sind). 

2. Soll­te es tat­säch­lich zu einer gro­ßen Koali­ti­on kom­men, habe ich Angst, (neben vie­len ande­ren Grün­den im Bereich von Umwelt­schutz, Bür­ger­rech­ten und Netz­po­li­tik) dass die ver­su­chen wird, ein Mehr­heits­wahl­recht ein­zu­füh­ren. Und ich befürch­te, dass die Spiel­räu­me und krea­ti­ven Mög­lich­kei­ten (Mer­kel als Kanz­le­rin einer Min­der­hei­ten­re­gie­rung mit wech­seln­den Mehr­hei­ten, anyo­ne?) nicht genutzt werden.

3. Die „lin­ke Mehr­heit“ im Par­la­ment kam nach einem Wahl­kampf zustan­de, der viel­leicht ein­mal als Mus­ter­bei­spiel für „wie nicht machen“ wahr­ge­nom­men wer­den wird. Das fängt mit dem Macho-Kan­di­da­ten Stein­brück an, geht über die Aus­schluss-Debat­te in den drei mehr oder weni­ger lin­ken Par­tei­en (oder aus ande­rer Sicht: über die fal­sche Fest­le­gung auf Rot-Grün statt Eigen­stän­dig­keit auch für Schwarz-Grün) bis zu einer grü­nen (ja auch von mir gelob­ten) Schön­wet­ter­kam­pa­gne, die sich im Sturm aus Dreck und Schmutz nicht hal­ten konn­te. Mein Gefühl: Wir hat­ten nicht damit gerech­net, im Wahl­kampf ernst­haft ange­grif­fen zu wer­den – und stan­den dann völ­lig hilf­los da, als die BILD den „Veggie­day“ aus dem Pro­gramm zerr­te, irgend­wie die Mehr­heit der Bevöl­ke­rung nicht merk­te, dass ein grü­nes Steu­er­kon­zept für die Mehr­heit der Bevöl­ke­rung eine Ent­las­tung bedeu­ten wür­de, und als völ­lig kon­text­los in den Irrun­gen der lin­ken Ver­gan­gen­heit gekramt wur­de (durch­aus lesens­wert, auch wenn ich nicht alles tei­le, ist dazu die­ser Text – und ob Prof. Wal­ter der rich­ti­ge Mensch für die – durch­aus rich­ti­ge – Auf­ar­bei­tung der grü­nen Ver­gan­gen­heit ist, oder doch eher ein Göt­tin­ger, sei dahin­ge­stellt). Also: Sehr viel falsch gemacht in die­sem Wahlkampf. 

4. Bezahlt haben wir das damit, dass wir vie­le kom­pe­ten­te MdBs ver­lo­ren haben, und dass vie­le kom­pe­ten­te Kan­di­da­tin­nen, auf ver­meint­lich siche­re Plät­ze gewählt, es nicht in den Bun­des­tag geschafft haben. Das betrifft Mal­te Spitz als Netz­po­li­ti­ker eben­so wie Her­mann Ott oder Hans-Josef Fell mit star­ker Öko­kom­pe­tenz, es betrifft Wolf­gang Streng­mann-Kuhn und Arfst Wag­ner als pro­fi­lier­te Sozi­al­po­li­ti­ker. Lisa Paus in Ber­lin hat es gera­de noch geschafft. Um nur eini­ge Bei­spie­le zu nen­nen. Und der vor einem Jahr ganz rea­lis­tisch erschei­nen­de Griff nach Direkt­man­da­ten in Frei­burg und Stutt­gart zer­platz­te eben­so. Soll hei­ßen: Wir soll­ten ler­nen, uns nicht auf Umfra­gen zu ver­las­sen. Ganz und gar nicht. 

5. Inner­par­tei­lich hat jetzt die Gro­ße Debat­te um eine mög­li­che – per­so­nel­le wie inhalt­li­che – Neu­auf­stel­lung ange­fan­gen. Ich bin in die­sem Zusam­men­hang sehr gespannt auf den Län­der­rat am nächs­ten Sams­tag. Klar ist, dass es ganz gegen­sätz­li­che Dia­gno­sen gibt, wor­an es (neben Schmutz­kam­pa­gnen usw.) gele­gen haben mag. Die alten Ideen hei­ßen auf der einen Sei­te „Öff­nung zur Mit­te“ (a la Baden-Würt­tem­berg?) und auf der ande­ren Sei­te „kla­res lin­kes Pro­fil“ (nein, ein Steu­er­wahl­kampf ist und war kein kla­res lin­kes Pro­fil, son­dern ein Ver­such der Ehr­lich­keit – so habe ich das jeden­falls ver­stan­den). Und dann gibt es die, die dazu auf­ru­fen, unse­re eige­nen Kern­the­men wie­der stär­ker in den Mit­tel­punkt zu stel­len. Öko­lo­gie, Kli­ma, Nach­hal­tig­keit, Natur­schutz. Und was ist mit der grü­nen Gesell­schafts­po­li­tik? Wo blei­ben unse­re femi­nis­ti­schen Wur­zeln? Wie sieht es damit aus, end­lich wirk­lich das Bür­ger­rechts­er­be anzu­tre­ten? Eine Redu­zie­rung auf Öko als Kitt der Par­tei hal­te ich für falsch, so wich­tig mir die­se The­men sind. Aber wie dem auch sei: Wir müs­sen jetzt, mit­ten in mög­li­chen Ver­hand­lun­gen über mög­li­che oder unmög­li­che Koali­tio­nen, mit­ten in der Neu­for­ma­ti­on der Bun­des­tags­frak­ti­on, unse­re eige­ne, uns defi­nie­ren­de Mit­te wie­der fin­den. Auch, weil die Euro­pa­wahl (und die baden-würt­tem­ber­gi­schen Kom­mu­nal­wah­len) qua­si schon vor der Haus­tür ste­hen. Ein schlich­tes „wei­ter so, die Wäh­le­rin­nen haben uns halt nicht ver­stan­den“ wäre hier aus mei­ner Sicht ein gro­ßer Fehler.

War­um blog­ge ich das? Nachwahlbewältigung.