Zur Landtagswahl in Schleswig-Holstein

Schles­wig-Hol­stein hat gewählt, und das Ergeb­nis ist irgend­wie doch über­ra­schend. Mit 43,4 Pro­zent schrappt Dani­el Gün­thers CDU an der abso­lu­ten Mehr­heit (ein Sitz fehlt!). Auf Platz zwei lan­den die schles­wig-hol­stei­ni­schen Grü­nen mit 18,3 Pro­zent und 14 Sit­zen, ein Rekord­ergeb­nis auch das. Ganz vor­ne lie­gen Grü­ne bei den jüngs­ten Wähler*innen – übri­gens in einem Land mit Wahl­al­ter 16. Und erst­mals in Schles­wig-Hol­stein sind unter den Man­dan­ten auch drei grü­ne Direkt­man­da­te (zwei­mal Kiel, ein­mal Lübeck) – herz­li­chen Glückwunsch!

Die SPD – vor eini­gen Wochen im Saar­land noch glän­zen­de Gewin­ne­rin – ver­liert mas­siv und kommt auf 16,0 Pro­zent (12 Sit­ze), die FDP hal­biert sich etwa (6,4 Pro­zent, 5 Sit­ze), und der SSW kommt auf 5,7 Pro­zent und vier Sit­ze. Erfreu­lich: die AfD ver­passt den Wie­der­ein­zug und zeigt, dass Rechts­extre­me auch abge­wählt wer­den können.

Die Koali­ti­ons­bil­dung wird jetzt inter­es­sant. Rech­ne­risch wäre eine Grü­ne-SPD-SSW-FDP-Koali­ti­on mit der bis­he­ri­gen grü­nen Finanz­mi­nis­te­rin Moni­ka Hein­old an und einem Sitz Mehr­heit mög­lich, poli­tisch denk­bar ist das wohl aber nicht. Blei­ben die CDU-plus-x-Vari­an­ten. Laut ARD am belieb­tes­ten wäre eine Fort­set­zung von Jamai­ka – aber das haben, sofern nicht not­wen­dig, Grü­ne wie FDP aus­ge­schlos­sen. Zuge­spitzt: Jamai­ka hat sich durch zu gro­ßen Zuspruch ver­un­mög­licht. Die Vari­an­te CDU-SSW schei­tert wohl inhalt­lich, eben CDU-SPD. Blei­ben CDU-FDP oder CDU-Grü­ne … oder eine CDU-Allein­re­gie­rung als skan­di­na­vi­sche Minderheitsregierung.

Robert Habeck – des­sen „Baby“ das grü­ne Auf­blü­hen in Schles­wig-Hol­stein immer noch ist, und des­sen Beliebt­heit wohl Zug­kraft ent­wi­ckelt hat, auch wenn die grü­nen Kom­pe­tenz­wer­te bei Kli­ma und Umwelt sin­ken – Habeck also warb ges­tern Abend mit Feu­er in jedes ihm hin­ge­hal­te­ne Mikro­fon für Schwarz-Grün, dass sei die Fort­set­zung der lager­über­grei­fen­den Erfolgs­ge­schich­te, Schwarz-Gelb dage­gen ein Rück­fall in die 1980er. Inhalt­lich bin ich da bei ihm, zuver­sicht­lich, dass das am Ende das Ergeb­nis ist, bin ich nicht.

Nun bin ich kein Poli­tik­wis­sen­schaft­ler, aber wenn ich das rich­tig ver­ste­he, gibt es zwei Denk­schu­len dazu, wel­che Koali­tio­nen wahr­schein­lich sind. Die eine blickt auf inhalt­li­che Schnitt­men­gen (Ergeb­nis wäre hier Schwarz-Gelb), die ande­re kommt mit Blick auf Macht­aspek­te, Minis­ter­pos­ten etc. unter allen inhalt­lich nicht aus­ge­schlos­se­nen auf die kleinst­mög­li­che als wahr­schein­lichs­te Koali­ti­on (und auch das wäre Schwarz-Gelb).

Dass am Ende doch Schwarz-Grün her­aus­kommt, ist nicht unmög­lich. Wenn es so sein soll­te, wäre das aus grü­ner Sicht gut, sicher­lich auch gut für das Land – und etwas wirk­lich Neu­es, weil es dann kein aus der Not gebo­re­nes Grün-Schwarz wäre, son­dern ein trotz „bes­se­rer“ Alter­na­ti­ven gewähltes.

Bleibt die bun­des­po­li­ti­sche Bril­le. Dani­el Gün­ther hat gezeigt, dass eine CDU des 21. Jahr­hun­derts gewin­nen kann. Er steht gewis­ser­ma­ßen für das Gegen­teil der Merz-CDU aus den 1990ern. Jede Koali­ti­ons­ent­schei­dung wird auch dar­auf­hin gedeu­tet wer­den, wird, auch wenn es letzt­lich um die A20 oder das Wat­ten­meer geht, als Ent­schei­dung für oder gegen den Kurs der Bun­des-CDU gele­sen werden.

Rele­van­ter dafür, ob Fried­rich Merz sich eta­blie­ren kann, oder ob die CDU nicht zur Ruhe kommt, dürf­te aller­dings die NRW-Wahl am nächs­ten Sonn­tag sein. Dort lie­gen CDU und SPD aktu­ell Kopf an Kopf, eine Abwahl des CDU-MPs Wüst ist denk­bar. Und soll­te es dazu kom­men, dürf­ten die ers­ten fra­gen, ob Merz der rich­ti­ge Spit­zen­mann für die CDU ist. Sehen wir dann – und war­ten jetzt erst ein­mal dar­auf, wie sich das mit den Koali­tio­nen an der Küs­te wei­ter entwickelt.

Kurz: 100 Mrd. Euro für die (militärische) Zeitenwende?

Ich habe mir ges­tern die Son­der­sit­zung des Bun­des­tags – das ers­te Mal über­haupt an einem Sonn­tag – ange­schaut. Das war eine his­to­ri­sche Sit­zung. Trotz­dem hin­ter­lässt sie bei mir ein scha­les Gefühl. Das hat vor allem mit der „Zei­ten­wen­de“ zu tun, die Bun­des­kanz­ler Scholz als Leit­mo­tiv sei­ner Rede gewählt hat, und die vor allem durch Auf­rüs­tung und eine Abkehr vom bis­he­ri­gen Kurs der SPD gekenn­zeich­net zu sein scheint

Um nicht falsch ver­stan­den zu wer­den: ich begrü­ße es, dass es jetzt spür­ba­re Sank­tio­nen gegen Putins Russ­land gibt. Und ich hal­te es in die­ser his­to­ri­schen Situa­ti­on für rich­tig, dass die EU der Ukrai­ne Waf­fen lie­fert – es geht dar­um, sich gegen einen Angriff zu ver­tei­di­gen. Da hält die Ukrai­ne bes­ser stand, als Putin sich das wohl gedacht hat­te. Und ja, ich fin­de es sogar nach­voll­zieh­bar, dass die Ver­tei­di­gungs­li­nie der NATO nach Osten jetzt ver­stärkt wer­den soll.

Aber mir war das bei Scholz dann doch zu viel Begeis­te­rung dafür, der Bun­des­wehr noch mehr Geld zu geben. Ande­re Fra­gen kamen in sei­ner Rede nur am Ran­de vor – die zukünf­ti­ge Per­spek­ti­ve der Ukrai­ne. Die Tat­sa­che, dass es auch sozi­al­de­mo­kra­ti­sche Ener­gie­po­li­tik war, die uns in die jet­zi­ge Abhän­gig­keit gebracht hat. Und auch in Rich­tung der aus der Ukrai­ne flie­hen­den Men­schen fehl­te mir in Scholz‘ Rede Empa­thie und aus­ge­streck­te Hän­de. Ein Stück weit fand sich dass das dann bei Baer­bock (huma­ni­tä­re Hil­fe), bei Habeck (Ener­gie­po­li­tik) und selbst bei Lind­ner (das bis­her grü­ne Framing von Kli­ma­schutz als Ermög­li­chung von Frei­heit auf­grei­fend) wie­der. Aber trotz­dem – ich hät­te das ger­ne von Scholz gehört. So ste­hen die ange­kün­dig­ten 100 Mrd. € für die Bun­des­wehr dem Bit­ten um zwei­stel­li­ge Mil­lio­nen­be­trä­ge für huma­ni­tä­re Hil­fe gegen­über; von einem 100-Mrd.-€-Manhattan-Programm, um die „Ener­gie­sou­ve­rä­ni­tät“ schnellst­mög­lich zu errei­chen, war eben­so nichts zu hören. Gleich­zei­tig heißt es von Lind­ner, dass die Schul­den­brem­se wei­ter gilt und die Inves­ti­tio­nen in die Bun­des­wehr anders­wo ein­ge­spart wer­den müs­sen. Dass da das Par­la­ment mit­zu­re­den hat, hat dan­kes­wer­ter­wei­se Brit­ta Haßel­mann deut­lich gemacht. Viel­leicht setzt sich ja doch noch ein Kurs intel­li­gen­ter Stär­kung der Bun­des­wehr statt schlicht „mehr Geld in Rüs­tung“ durch. Das wer­den jeden­falls kei­ne ein­fa­chen Ent­schei­dun­gen in der Koalition.

Am Ran­de: Merz begann staats­män­nisch und ende­te unter­ir­disch; die Lin­ke wag­te die vor­sich­ti­ge Distan­zie­rung von ihrer bis­he­ri­gen Linie, und die AfD wäre jeder­zeit bereit, ein putin­sches Mario­net­ten­ka­bi­nett zu bilden.

Weltgeschichtsmüdigkeit

Die Kli­ma­kri­se, die Pan­de­mie, und jetzt die rus­si­sche Inva­si­on der Ukrai­ne, Putins Angriffs­krieg unter dünns­ten Vor­wän­den. Ich bin müde und wütend und fas­sungs­los. Mein Mit­ge­fühl und mei­ne Sor­ge gilt den Men­schen in der Ukrai­ne, deren Städ­te bom­bar­diert wer­den, die jetzt flie­hen müs­sen, die kämpfen.

Ich bin froh über Soli­da­ri­täts­be­kun­dun­gen an allen Orten, über das Sank­ti­ons­pa­ket – aber ob das reicht, ob es, so wie es gestal­tet ist, etwas bringt? Ich bin defi­ni­tiv kein Exper­te für Außen- und Sicher­heits­po­li­tik, aber mich wun­dert schon, dass es bei SWIFT, bei den Gas­lie­fe­run­gen kei­ne Einig­keit in Euro­pa und im Wes­ten gibt. 

Und ich mache mir Sor­gen dar­über, dass Chi­na sich vor­nehm zurück­hält. Blau­pau­se für eige­ne Expansionsbestrebungen?

Am Sonn­tag soll der Bun­des­tag zu einer Son­der­sit­zung zusam­men­tre­ten. Wenn ich mir das Tem­po der letz­ten 24 Stun­den anschaue, bin ich mir, so zynisch das ist, nicht sicher, ob dann, in zwei Tagen, noch viel von der Ukrai­ne übrig ist. Oder ob Putin dann sein Etap­pen­ziel, das wohl dar­in besteht, hier einen Vasal­len­staat zu errich­ten, – oder schlicht: die Ukrai­ne zu erobern – bereits erreicht haben wird.

Mich macht das auch des­we­gen wütend, weil die letz­ten Jah­re uns eigent­lich hät­ten schlau­er machen kön­nen, und uns – dem Wes­ten, der EU, Deutsch­land – eigent­lich Zeit gege­ben hät­ten, auf der­ar­ti­ge Sze­na­ri­en vor­be­rei­tet zu sein. Offen­sicht­lich sind wir es nicht. 

Viel­mehr waren die letz­ten Jah­re von einem Weg­schau­en gekenn­zeich­net, ange­fan­gen bei engen wirt­schaft­li­chen Ver­flech­tun­gen und dem Enga­ge­ment rus­si­scher Staats­kon­zer­ne nicht nur im Gas­markt, son­dern auch an ande­ren Stel­len. Steht der ehe­ma­li­ge Bun­des­kanz­ler Ger­hard Schrö­der eigent­lich inzwi­schen auf Sanktionslisten? 

Russ­land wur­de nicht als Dik­ta­tur, als Auto­kra­tie wahr­ge­nom­men, egal wie töd­lich der Umgang Putins mit Oppo­si­tio­nel­len war, wie wenig frei Pres­se und Wah­len waren. Und über die Land­nah­men (Krim, Geor­gi­en, der Osten der Ukrai­ne) wur­de weggesehen.

Eben­so wur­de immer wie­der igno­riert, dass Putin offen­sicht­lich recht plan­voll an so etwas wie einer inne­ren Zer­set­zung Euro­pas und des Wes­tens arbei­te­te. Die Unter­stüt­zung für Trump in den USA; Unter­stüt­zung für rech­te Par­tei­grün­dun­gen und ‑akti­vi­tä­ten über­all in Euro­pa, egal, ob es um Le Pen, die FPÖ oder um die AfD ging – das Aus­rol­len von Pro­pa­gan­da über RT und sozia­le Medi­en bis hin zum Streu­en von Falsch­mel­dun­gen in der Pan­de­mie und dem Her­an­zie­hen von „Quer­den­k­er­grup­pen“. Und gleich­zei­tig die Schaf­fung wirt­schaft­li­cher Abhän­gig­kei­ten und Ver­bin­dun­gen, mit einer Viel­zahl von Ex-Politiker*innen mit gut bezahl­ten Positionen.

Das alles fügt sich seit ges­tern zu einem neu­en Puz­zle zusam­men. Man­che schrei­ben, das wir uns in einem neu­en kal­ten Krieg befin­den. Wenn das so ist, dann hat die­ser schon vor Jah­ren begon­nen. Und ich hof­fe nur, dass alle – ins­be­son­de­re auf der Lin­ken – die mein­ten, groß­zü­gig über red flags einer men­schen­rechts­ver­let­zen­den Dik­ta­tur hin­weg­se­hen zu kön­nen, spä­tes­tens mit dem gest­ri­gen Tag auf­ge­wacht sind.

1975 gebo­ren bin ich ein Kind des kal­ten Krie­ges. Ich erin­ne­re mich an kind­li­che Atom­bom­ben­ängs­te im Wett­rüs­ten der bei­den Blö­cke, an Pro­pa­gan­da und dann vor­sich­ti­ger Annä­he­rung, 1989/90 als Erleich­te­rung, ver­bun­den mit der nai­ven Hoff­nung, vor­an gekom­men zu sein auf dem Weg zu einer fried­li­che­ren Welt. 

Die­se Ära – oder war es eine Fata Mor­ga­na? – bricht zusam­men, und die Ängs­te vor dem, was jetzt kommt, sind groß. 

Zeit des Virus, Update XIII

Freiburg panorama

In mei­nem letz­ten Update hieß die Omi­kron-Vari­an­te noch „Ny“. Um Miss­ver­ständ­nis­se zu ver­mei­den, wur­de die­ser Virus-Vari­an­te aber weder der Name „Ny“ noch der Name „Xi“ gege­ben, son­dern erst der nach­fol­gen­de Buch­sta­be im grie­chi­schen Alpha­bet, eben „Omi­kron“. Und inzwi­schen ist Omi­kron in aller Mun­de. In eini­gen Län­dern ist die Omi­kron-Wel­le schon voll am Lau­fen – bei­spiels­wei­se in Groß­bri­tan­ni­en, in Nor­we­gen und in Däne­mark. Und wenn die Nach­rich­ten stim­men, dann gehen die Nie­der­lan­de ab heu­te Abend bis Mit­te Janu­ar in einen Lock­down – also einen rich­ti­gen – und in Lon­don wur­de der Kri­sen­fall aus­ge­ru­fen. Alles deu­tet dar­auf hin, dass Omi­kron sehr viel anste­cken­der ist, dass die Imp­fun­gen nur bedingt wir­ken (etwas bes­ser sieht es aus, wenn eine drit­te Imp­fung, ein „Boos­ter“ dazu­kommt), und dass die Gerüch­te über leich­te­re Ver­läu­fe sich nicht bestätigen. 

In Deutsch­land und auch hier in Baden-Würt­tem­berg machen die Omi­kron-Fäl­le, soweit das über­haupt erfasst wird, erst einen Bruch­teil der Fäl­le aus. Die vier­te Wel­le (Del­ta-Wel­le) hat ihren Höhe­punkt über­schrit­ten, die Neu­in­fek­tio­nen etc. gehen wie­der run­ter. Trotz­dem sind die Inzi­den­zen noch recht hoch. Wei­ter­hin gilt die Alarm­stu­fe II, die bei­spiels­wei­se Groß­ver­an­stal­tun­gen wie Weih­nachts­märk­te unter­sagt und für Geschäf­te jen­seits des täg­li­chen Bedarfs 2G vor­sieht. In den Schu­len gilt die Mas­ken­pflicht und bei Infek­tio­nen, die bei den mehr­mals in der Woche statt­fin­den­den Tests fest­ge­stellt wer­den, ein Kohortierungsprotokoll. 

Das „durf­ten“ wir dann auch aus­pro­bie­ren: da in der Klas­se unse­res Kin­des ein PCR-bestä­tig­ter Fall auf­ge­tre­ten war, wur­de die Klas­se für fünf Tage kohor­tiert, d.h. täg­lich getes­tet, das Mit­tags­band und der Nach­mit­tags­un­ter­richt wur­de gestri­chen, es gab die Emp­feh­lung, auch pri­vat auf Kon­tak­te zu ver­zich­ten und die Kin­der muss­ten die Pau­sen im Klas­sen­zim­mer ver­brin­gen. Und auch die Vari­an­te „rotes Signal in der CWA“ tauch­te in den letz­ten Wochen bei uns auf, in der Fol­ge dann ein PCR-Test (zum Glück nega­tiv) beim ande­ren Kind.

Jetzt ste­hen die Weih­nachts­fe­ri­en bevor. Also, in man­chen Bun­des­län­dern lau­fen sie schon, da wur­de der Feri­en­be­ginn vor­ver­legt. In Baden-Würt­tem­berg gab es die Mög­lich­keit, sich frei­wil­lig in Selbst­qua­ran­tä­ne zu bege­ben und die letz­ten drei Tage vor Weih­nach­ten im Fern­un­ter­richt zu ver­brin­gen. Wir haben uns dazu ent­schie­den, die­se Mög­lich­keit zu nut­zen, auch mit Blick auf Groß­el­tern­be­su­che zu Weih­nach­ten. Die Schu­le hat dazu bei allen Kin­dern abge­fragt, ob sie teil­neh­men oder nicht. In den Klas­sen der Kin­der sind es etwa 30–40 Pro­zent, die in die Selbst­qua­ran­tä­ne gehen – und in Kauf neh­men, Klas­sen­ar­bei­ten nach­schrei­ben zu müs­sen und die schu­li­schen Weih­nachts­fei­ern zu verpassen.

Aber nicht nur Weih­nach­ten steht vor der Tür, son­dern auch die fünf­te Wel­le, also die bereits erwähn­te Omi­kron-Vari­an­te. Es gibt Model­lie­run­gen, nach denen bereits vor dem Jah­res­wech­sel die Mehr­zahl der Fäl­le hier­zu­lan­de zu die­ser Vari­an­te gehö­ren könn­ten. „Unter der Decke“ der abflau­en­den Del­ta-Wel­le wür­de dann die fünf­te Wel­le bereits anwach­sen und uns kurz nach Weih­nach­ten mit vol­ler Wucht tref­fen. Damit wäre der Ver­such, die fünf­te Wel­le durch eine mög­li­che Impf­pflicht zu ver­hin­dern, gescheitert.

Die Zahl der Imp­fun­gen hat in den letz­ten Wochen noch­mals deut­lich zuge­legt. Es gibt aktu­ell sehr vie­le Mög­lich­kei­ten, sich imp­fen zu las­sen. Aller­dings sind das vor allem Boos­ter-Imp­fun­gen, also Dritt­imp­fun­gen der­je­ni­gen, die schon die ers­te und zwei­te Imp­fung hin­ter sich haben. Ich hat­te heu­te einen sol­chen Boos­ter-Ter­min im Gun­del­fin­ger Kul­tur- und Ver­eins­haus, die Imp­fun­gen haben dort die Mal­te­ser durch­ge­führt. Mit Astra­Ze­ne­ca, Biontech und Moder­na habe ich jetzt alle drei gro­ßen Impf­stof­fe mal aus­pro­biert … und hof­fe, dass das tat­säch­lich etwas bringt und die Boos­ter-Imp­fung tat­säch­lich auch im Hin­blick auf Omi­kron hilft. 

Etwa ein Vier­tel der Bevöl­ke­rung ist aller­dings wei­ter­hin gar nicht geimpft. Das sind viel zu vie­le, um das Virus an der Ver­brei­tung zu hin­dern, dazu bräuch­te es (bei Del­ta) 90 Pro­zent Impf­quo­te. Im Janu­ar soll der Bun­des­tag dar­über bera­ten, ob ab März eine all­ge­mei­ne Impf­pflicht ein­ge­führt wird. Aus heu­ti­ger Sicht: viel zu spät. Und ob das kommt, ist auch noch nicht klar. Mög­li­cher­wei­se ist bis dahin der Impf­stoff an die spe­zi­el­le Struk­tur der Omi­kron-Vari­an­te ange­passt. Oder es gibt eine vier­te oder fünf­te Imp­fung für alle. Ich bin jeden­falls bei wei­tem nicht der ein­zi­ge, der nicht glaubt, dass es mit der drit­ten Imp­fung getan ist. 

Dazu, wie weit das unge­impf­te Vier­tel der Bevöl­ke­rung viel­leicht doch zu einer Imp­fung bereit wäre, gibt es unter­schied­li­che Bewer­tun­gen und Ein­schät­zung. Ein Teil wird von den bis­he­ri­gen Impf­an­ge­bo­ten ver­mut­lich schlicht nicht erreicht; viel­leicht ist auch der sozia­le Druck nicht groß genug. Da wür­de eine Impf­pflicht dann hel­fen. Ein ande­rer Teil besteht aus vehe­men­ten, zuneh­mend gewalt­be­rei­ten und ver­schwö­rungs­af­fi­nen Impfgegner*innen. Hier braut sich eine Min­der­heit zusam­men, die das sozia­le Gefü­ge extrem belas­tet – und bis in Fami­li­en und Freun­des­krei­se hin­ein für Spal­tun­gen und Kon­flik­te sorgt.

Lei­der ist eine Zutat in die­sem Gemisch eine Impf­skep­sis, wie sie von schul­me­diz­in­feind­li­cher Anthro­po­so­phie und von Freund*innen der Homöo­pa­thie genährt wur­de. Das heißt nicht, dass es nicht auch in die­sen Krei­sen inzwi­schen Per­so­nen und Unter­neh­men gibt, die sich laut­stark für eine Imp­fung ein­set­zen – viel­leicht auch, um nicht den letz­ten Rest an Ruf zu ver­lie­ren. Und es ist bedau­er­lich zu sehen, dass es durch­aus auch Krei­se gibt, die mal grün-affin waren, und jetzt via „Basis“ in die­sen Impf­skep­sis­sumpf rein­ge­rutscht sind. Die inner­grü­nen Debat­ten rund um Homöo­pa­thie, Medi­zin­ver­ständ­nis, „alter­na­ti­ve Med­zin“ und Imp­fen vor eini­gen Jah­ren wir­ken jetzt wie eine Vor­ah­nung dafür, dass es sich hier nicht nur um Mei­nun­gen han­delt, son­dern um eine Hal­tung, die aus Acht­sam­keit für das eige­ne Ich her­aus die Gefähr­dung ande­rer wil­lent­lich in Kauf nimmt.

Das geht bis hin zu Ärzt*innen, die behaup­ten zu imp­fen, aber nur Koch­salz­lö­sung benut­zen, und zu Pfle­ge­kräf­ten, die sich nicht imp­fen las­sen, Impf­päs­se fäl­schen und dann Men­schen in den Ein­rich­tun­gen, in denen sie arbei­ten, anste­cken und umbringen. 

Es sind aber, das muss dazu gesagt wer­den, bei wei­tem nicht nur die­se grün-affi­nen Krei­se, die hier wir­ken – die AfD und ande­re rech­te Par­tei­en sind eben­so freu­dig dabei, auf den Zug der Impf­skep­sis auf­zu­sprin­gen und eige­ne Ver­schwö­rungs­ele­men­te bei­zu­mi­schen. Die har­te Coro­na-Leug­nung ist dage­gen sel­te­ner zu hören, auch in den Land­tags­re­den der AfD hat sich die Ton­la­ge etwas ver­än­dert. (Bei der Gele­gen­heit: hat jemand Bedarf für ein bis drei ost­deut­sche Bun­des­län­der, gebraucht, güns­tig abzugeben?) 

Die Hoff­nun­gen aus dem Som­mer, dass die Pan­de­mie bald über­wun­den sein könn­te, haben sich jeden­falls als trü­ge­risch erwie­sen. Das zwei­te Weih­nach­ten unter Pan­de­mie­be­din­gun­gen steht an. Und eini­ges deu­tet dar­auf hin, dass die bis­he­ri­gen Kon­takt­be­schrän­kun­gen, Test­pflich­ten und Teil­nah­me­zahl­be­gren­zun­gen nur der Anfang sind und wir in eine Situa­ti­on gera­ten, in der das öffent­li­che Leben noch stär­ker her­un­ter­ge­fah­ren wer­den muss. Der Blick auf das Jahr 2022 stimmt des­halb nicht beson­ders zuver­sicht­lich. Der März 2020 ist noch immer nicht zu Ende. 

Kurz zur pandemischen Lage

So ein Virus ist ziem­lich unbe­ein­druckt von poli­ti­schen Land­ge­win­nen. In den letz­ten Mona­ten haben „wir“ – Bund, Län­der, Bürger*innen – die Pan­de­mie schlei­fen las­sen. Nie­mand woll­te sich bei schein­bar nied­ri­gen Wer­ten mit Ent­schlos­sen­heit her­vor­tun und Pro­tes­te in Kauf neh­men. Auch das ist für das Virus – ins­be­son­de­re in der Del­ta-Ver­si­on – egal. Wenn nicht genü­gend Men­schen geimpft sind, brei­tet es sich aus. Und wenn dann kei­ne Kon­tak­te beschränkt wer­den, Mas­ken getra­gen, usw., brei­tet es sich schnel­ler und stär­ker aus. Egal, wer mit wel­chem Fin­ger auf wen zeigt.

Heu­te hat der Bun­des­tag das novel­lier­te Infek­ti­ons­schutz­ge­setz beschlos­sen. Eigent­lich woll­te die Ampel damit – noch vor der Eini­gung auf einen Koali­ti­ons­ver­trag, noch vor der Regie­rungs­über­nah­me – Hand­lungs­fä­hig­keit zei­gen. Her­aus­ge­kom­men ist in der ers­ten Fas­sung etwas ziem­lich juris­tisch-rea­li­täts­blin­des, in der zwei­ten Fas­sung, die jetzt abge­stimmt wur­de, ein nach­ge­bes­ser­tes Gesetz, das viel­leicht hilft, viel­leicht auch nicht. 

Dass nach­ge­bes­sert wur­de, hat etwas mit der har­ten Kri­tik der Län­der zu tun, denen die Hand­lungs­grund­la­ge ent­zo­gen wer­den soll­te, die Pan­de­mie sach­ge­recht zu bekämp­fen. Und damit, dass die Pro­gno­sen des RKI und der Virolog*innen ein­ge­trof­fen sind. Auf dem Schei­tel­punkt der vier­ten Wel­le zeigt sich, wie wich­tig mög­li­cher­wei­se auch unpo­pu­lä­re Maß­nah­men wie Lock­downs, Schul­schlie­ßun­gen und der­glei­chen mehr sein könnten. 

Das jetzt ver­ab­schie­de­te Gesetz wür­de dem enge Gren­zen set­zen, auch in der nach­ge­bes­ser­ten Version. 

Die CDU/CSU hat in die­ser Situa­ti­on sehr schnell ver­ges­sen, dass sie noch die Bun­des­re­gie­rung stellt und auch in x Län­dern an der Regie­rung ist – dar­un­ter eini­ge der in der vier­ten Wel­le am stärks­ten betrof­fe­nen. Sie zeigt jetzt mit dem Fin­ger auf die Ampel – teil­wei­se mit durch­aus berech­tig­ten Argu­men­ten – und kün­digt an, das Gesetz mor­gen im Bun­des­rat zu blockieren. 

Da fah­ren jetzt zwei Züge auf­ein­an­der zu. Sack­gas­se. Aus der Sicht der einen ist die noch gar nicht kon­sti­tu­ier­te Ampel­re­gie­rung schuld an der jet­zi­gen pan­de­mi­schen Lage, aus der Sicht der ande­ren blo­ckiert die Uni­on not­wen­di­ge Schrit­te. Am Ende lei­den wir alle dar­un­ter. Und die AfD samt Impf­geg­ner­schafts­quer­den­ker­club lacht sich ins Fäustchen.

Ich bin gera­de ehr­lich ent­täuscht. In einem Par­al­lel­uni­ver­sum wür­de die­ses Inter­re­gnum mit­ten in einer Pan­de­mie dazu genutzt, inter­frak­tio­nell, ohne Frak­ti­ons­zwang, nach den bes­ten Lösun­gen zu suchen. 

Statt des­sen wer­den schon ein­mal Grä­ben ein­ge­zo­gen. Ich weiß nicht, wer glaubt, dadurch etwas zu gewin­nen. Letzt­lich ver­lie­ren wir alle.

Und die mög­li­che neue Regie­rung steht damit unter einem schlech­ten Stern, bevor sie über­haupt einen Koali­ti­ons­ver­trag vor­ge­legt hat, bevor die sie tra­gen­den Par­tei­en über­haupt zuge­stimmt haben. Auf­bruch sieht anders aus, und ein neu­er Poli­tik­stil ist das eben­falls nicht.

P.S.: Etwas ver­söhn­li­cher sieht die Lage nach der abend­li­chen MPK aus – Mer­kel, Scholz und die MPs beto­nen die Not­wen­dig­keit eines gemein­sa­men Vor­ge­hens, Blo­cka­de im Bun­des­rat wird es nicht geben, statt des­sen Eva­lu­ie­rung und ggf. Ver­schär­fung der Maß­nah­men im Dezember.