Prima Material für eine Fallstudie zu Blogs (Update 2)

Boing Boing owns their blog, but not their repu­ta­ti­on – that’s got to be ear­ned. (Quel­le)

Also, per­haps „per­ma­link“ should be ren­a­med. (Quel­le)

Logo BoingBoingIch mache mir jetzt nicht die Mühe, alle Fund­stel­len her­aus­zu­su­chen: seit ein paar Tagen gibt es Gerüch­te dar­um, dass das Blog „Boing­Bo­ing“ (so unge­fähr das dritt­größ­te über­haupt) alle auf die Blog­ge­rin „Vio­let Blue“ ver­wei­sen­den Ein­trä­ge gelöscht hat. Das ist ers­tens des­we­gen ein The­ma, weil Blogs von „Per­ma­links“ leben (also für Ver­wei­se auf Blog­ein­trä­ge einen dau­er­haf­ten Link zur Ver­fü­gung stel­len); die Per­ma­links zu allen Ein­trä­gen, in denen Vio­let Blue erwähnt wird, funk­tio­nie­ren nicht mehr, wenn die Ein­trä­ge gelöscht bzw. „unpu­blished“ (aus der Ver­öf­fent­li­chung gezo­gen) wer­den. Zwei­tens ist es gute Pra­xis in Blogs, frü­he­re Feh­ler durch Ergän­zun­gen etc. zu ver­deut­li­chen, statt still­schwei­gend zu edi­tie­ren, und drit­tens hat gera­de Boing­Bo­ing den Ruf, für freie Rede, Trans­pa­renz, netz­kul­tu­rel­le Wer­te und gegen Zen­sur zu kämp­fen. Eine explo­si­ve Gemenge­la­ge also (und Herz­schmerz ist auch dabei).

Inzwi­schen gibt es ein State­ment von Boing­Bo­ing, in dem kurz gesagt steht: ja, wir haben alle Ein­trä­ge gelöscht, in denen auf Vio­let Blue Bezug genom­men wird, und nein, wir sagen nicht war­um. Erin­nert mich ein biß­chen an die Kom­mu­ni­ka­ti­ons­po­li­tik im Fall Flickr.

Inter­es­sant dar­an ist nun letzt­lich gar nicht so sehr der kon­kre­te Fall, son­dern viel­mehr das, was dazu an Dis­kus­si­on statt­fin­det. Allein schon die – in kür­zes­ter Zeit meh­re­re hun­dert – Kom­men­ta­re zum oben genann­ten State­ment bei Boing­Bo­ing selbst sind sehr lesens­wert, in wei­te­ren Blogs gibt’s wei­te­re Debat­ten. Bei Boing­Bo­ing fin­det die eine Hälf­te es völ­lig unmög­lich, weil Boing­Bo­ing damit sei­ne Repu­ta­ti­on ver­spielt und das fra­gi­le Netz­werk der Ver­lin­kun­gen im Inter­net gefähr­det, die ande­re Hälf­te fin­det es völ­lig okay, weil es halt ein pri­va­tes Blog ist, und die Betrei­be­rIn­nen tun und machen kön­nen, was sie wol­len. Ein biß­chen Fan­boy­tum ist sicher auch dabei.

War­um ist das gan­ze nun Mate­ri­al für eine Fall­stu­die zu Blogs? Weil z.B. hier sehr schön deut­lich wird, wie aus einem sub­kul­tu­rel­len Blog mit (emo­tio­nal gebun­de­ner und auf Sozi­al­ver­trau­en auf­bau­en­der) Gemein­schaft eine mas­sen­me­dia­le Kör­per­schaft mit for­ma­tier­ter Öffent­lich­keit und regel­ge­lei­te­tem Sys­tem­ver­trau­en wird. In die­sem Insti­tu­tio­na­li­sie­rungs­pro­zess kommt es zu Wahr­neh­mungs­ver­schie­bun­gen und ver­än­der­ten Rah­mun­gen bis­her akzep­tier­ter oder nicht akzep­tier­ter Prak­ti­ken. Was Repu­ta­ti­on aus­macht, wan­delt sich eben­falls. Kurz gesagt: hier lässt sich die gesell­schaft­li­che Gene­se repro­du­zier­ba­rer Erwar­tun­gen an das Ver­hal­ten von „Blogs“ und die Kon­flikt­haf­tig­keit der damit ver­bun­de­nen unter­schied­li­chen impli­zi­ten Stan­dards beob­ach­ten – und die Fra­ge stel­len, ob Effek­te wie die­ser auto­ma­tisch mit Wachs­tum und Kapi­ta­li­sie­rung von Web 2.0‑Angeboten zustan­de kom­men, oder ob es Mög­lich­kei­ten gibt, die „net­te Inter­net­com­mu­ni­ty von neben­an“ auch auf ein paar Mil­lio­nen Sei­ten­ab­ru­fe pro Tag zu skalieren.

War­um blog­ge ich das? Weil’s ein span­nen­des Real­ex­pe­ri­ment ist.

Update: (7.7.2008) Nach­dem der Kom­men­t­ar­th­read bei Boing­Bo­ing inzwi­schen auf über 1500 Kom­men­ta­re ange­wach­sen ist (und von gegen­sei­ti­gen Beschimp­fun­gen zurück zu einem zivi­li­sier­ten Dis­kurs gefun­den hat), erscheint es mir als pas­send, fol­gen­de simp­le Erklä­rung für die star­ke Dyna­mik inter­net­ba­sier­ter Dis­kus­sio­nen in die­sen Arti­kel einzufügen:


Duty Calls, xkcd (CC-BY-NC)

Update 2: (23.7.2008) Inzwi­schen gibt es die Les­sons Lear­ned – mit wei­te­ren 500 Kom­men­ta­ren. Und ein inter­es­san­tes Essay zu den Kon­se­quen­zen für’s Blog­ging gibt’s (anders­wo) auch.

Ideen gesucht: Infostand 2.0 (Update 5)

In den letz­ten Jahr­zehn­ten gab es für Wahl­kämp­fe zwei Haupt­spiel­fel­der: die Are­na der bun­des­wei­ten Mas­sen­me­di­en – vom Talk­show­auf­tritt bis zum Bericht über den Par­tei­tag – auf der einen Sei­te, und die Stra­ße mit Pla­ka­ten, Info­stän­den, dem Ver­tei­len von Fly­ern und Haus­be­su­chen auf der ande­ren Sei­te. Irgend­wo dazwi­schen dann noch „Hin­ter­zim­mer­ver­an­stal­tun­gen“ (also die übli­chen Podi­ums­dis­kus­sio­nen und Refe­ra­te) und neue Akti­vi­täts­for­men wie Vorwahlpartys. 

All­mäh­lich ent­de­cken die Par­tei­en (nicht zuletzt ange­sichts der Kam­pa­gnen von Howard Dean 2004 und Barack Oba­ma 2008), dass mit dem Web 2.0 die Mög­lich­keit eröff­net wur­de, einen neu­en Raum für Inter­ak­tio­nen zwi­schen Par­tei­en und Öffent­lich­keit zu nut­zen. Im Sinn von „Visi­ten­kar­ten“ oder „Schau­fens­tern“, ja selbst von „vir­tu­el­len Par­tei­zen­tra­len“ (C. Bie­ber) ist die­se Ent­de­ckung schon ein paar Jah­re alt und inzwi­schen recht gut eta­bliert (R. Kuh­len spricht von der jetzt auch schon zehn Jah­re zurück­lie­gen­den Bun­des­tags­wahl 1998 als „Mond­lan­dung des Inter­net“). Neu ist die Ent­de­ckung, dass das Inter­net eben nicht nur die Mög­lich­keit bie­tet, Infor­ma­tio­nen zu sen­den, Pro­gram­me und Kan­di­da­tIn­nen zu prä­sen­tie­ren, und auch über das Eröff­nen von Foren hin­aus­geht, son­dern tat­säch­lich einen vir­tu­el­len Raum dar­stellt, in dem Men­schen sich sowohl auf­hal­ten als auch aktiv sind. 

Blogging
Live-Blog­ging bei der baden-würt­tem­ber­gi­schen Regio­nal­kon­fe­renz um Grundeinkommen/Grundsicherung

Soweit die Vor­be­mer­kung. Was bedeu­tet es nun, das „Web 2.0“ für Wahl­kämp­fe und Par­tei­kom­mu­ni­ka­ti­on zu nut­zen? Nahe­lie­gend sind dabei zwei Din­ge: zum einen der „user gene­ra­ted con­tent“, also die akti­ve Betei­li­gung von Men­schen, und zum ande­ren die sozia­le Ver­net­zung über das Inter­net. Dabei ent­ste­hen dann Din­ge wie meinespd.net oder my.fdp als gro­ße par­tei­po­li­ti­sche Web 2.0‑Plattformen bzw. Com­mu­ni­ties, und auf einem klei­ne­ren Level par­tei­po­li­ti­sche Blogs, Pod­casts (a la Mer­kel …) und Wiki-Expe­ri­men­te (pdf).

In die­sem Rah­men bewe­gen sich auch Über­le­gun­gen, wie Bünd­nis 90/Die Grü­nen, lan­ge Zeit netz­po­li­ti­sche Vor­rei­ter und wei­ter­hin eine Par­tei mit einer sehr netz­af­fi­nen Wäh­ler­schaft, bes­ser mit dem Web 2.0 klar­kom­men kön­nen. Es gibt vie­le Blogs ein­zel­ner Leu­te und Kam­pa­gnen­blogs zu Kli­ma oder Über­wa­chung, mehr oder weni­ger alle Abge­ord­ne­ten haben ihre Web­sites, auf den Bun­des- und Lan­des­ver­bands­sei­ten sind häu­fi­ger mal Pod­casts und inter­ak­ti­ve Schnipp­sel (wie der „Grün-o-mat“) zu fin­den usw. Ab und zu wird mit die­sen oder jenen Ele­men­ten des Web‑2.0‑Portfolio expe­ri­men­tiert – die­se Expe­ri­men­te (etwa BDK inter­ak­tiv oder Wikis für Pro­gramm­bau­stei­ne) ver­schwin­den aber genau so schnell wie­der, wie sie gekom­men sind. Ein ein­heit­li­ches Kon­zept fehlt weit­ge­hend, ist in der sehr auf Auto­no­mie bedach­ten Struk­tur der Par­tei wohl auch schlecht durch­setz­bar. Eben­so gibt es bis­her nichts in Rich­tung „mein grün“ für Mit­glie­der und erst recht nicht für WählerInnen. 

2009 ste­hen nun Europa‑, BaWü-Kom­mu­nal- und Bun­des­tags­wahl an. Umso drän­gen­der wird die Fra­ge, in wel­che Rich­tung sich der „green space“ ent­wi­ckeln soll. Dabei geht es um ver­schie­de­ne Ziel­grup­pen für die Web‑2.0‑Nutzung der Par­tei; mir fal­len min­des­tens vier ein: 

  1. Grü­ne Funk­tio­nä­rIn­nen bzw. grü­ne Glie­de­run­gen, die ein­fach und schnell ins Netz wol­len (z.B. mit Word­Press). Bezo­gen auf den Kom­mu­nal­wahl­kampf heißt das bei­spiels­wei­se auch: unge­fähr 500 grü­ne und grün-nahe Lis­ten und etwa zehn­mal so vie­le Kan­di­da­tIn­nen könn­ten im Netz auf­tau­chen. Aber auch außer­halb des Wahl­kampfs soll­te der vir­tu­el­le Info­stand nicht ein­ge­klappt werden.
  2. Grü­ne Mit­glie­der und Akti­ve, die sich mit Gleich­ge­sinn­ten aus­tau­schen und kurz­schlie­ßen wol­len – neben Blogs fin­det da viel heu­te in Mai­ling­lis­ten statt, so ist’s jeden­falls im lin­ken Flügel.
  3. (Poten­zi­el­le) Wäh­le­rIn­nen, die mehr wol­len, als nur eine Hoch­glanz­web­site in die Hand gedrückt zu bekom­men, wobei das „mehr“ sowohl in Rich­tung Unter­hal­tung als auch in Rich­tung tie­fer­ge­hen­de Information/Interaktion gehen kann.
  4. Bis­her poli­tisch schlecht erreich­te „Neti­zens“, die, so die Ver­mu­tung eini­ger, eigent­lich viel mit Grün anfan­gen kön­nen müss­ten, wenn sie doch bloss mal her­schau­en würden.

Mei­ne Fra­ge an alle ist jetzt schlicht: wel­che (ziel­grup­pen­spe­zi­fi­schen) Bau­stei­ne sind not­wen­dig, um – mög­lichst jen­seits der gro­ßen Lösung – wir­kungs­voll den Info­stand 2.0 und mehr im vir­tu­el­len „green space“ auf­zu­stel­len? Oder anders gesagt: wel­che Ele­men­te wer­den (von wem) sehn­lichst herbeigewünscht?

War­um blog­ge ich das? Aus prin­zi­pi­el­lem Inter­es­se, aber auch, weil ver­schie­de­ne par­tei­in­ter­ne Ver­net­zun­gen zu die­sem The­ma exis­tie­ren, und ich mit man­chen dort vor­ge­schla­ge­nen „Hype“ und/oder Mar­ke­ting-Lösun­gen nicht so viel anfan­gen kann.

Update: Weil’s so schön passt, hier noch ein Hin­weis auf die gera­de erschie­nen Kurz­stu­die zu Poli­tik im Web 2.0 von new­thin­king (dabei geht es um die Nut­zung der exis­tie­ren­den Web 2.0‑Infrastrukturen durch Par­tei­en und PolitikerInnen).

Update 2: Spree­blick geht eben­falls auf die new­thin­king-Stu­die ein und fragt sich, wer die Web 2.0‑Lücke „schlie­ßen wird. Denn im Grun­de stellt die Abwe­sen­heit pro­fes­sio­nel­ler Poli­tik­kom­mu­ni­ka­ti­on eine Chan­ce dar. Denn wenn sich Men­schen ver­net­zen, ent­ste­hen Macht und Ein­fluss. Auch in Deutschland.“

Update 3: (4.7.2008) Viel­leicht noch eine ergän­zen­de Über­le­gung: mög­li­cher­wei­se sind klei­ne­re, spe­zia­li­sier­te­re Web 2.0‑Netzwerke für die Kom­mu­ni­ka­ti­on und Dis­kus­si­on poli­ti­sche Bot­schaf­ten inter­es­san­ter (oder zumin­dest eben­so inter­es­sant) wie die gro­ßen vier oder fünf (Face­book, Stu­diVZ, XING, …). Mir fal­len dabei einer­seits the­ma­tisch ori­en­tier­te Platt­for­men ein, also z.B. utopia.de (sie­he auch hier) mit The­men­schwer­punkt „nach­hal­tig leben“ (zu dem The­ma gibt’s natür­lich auch dut­zen­de klei­ne­re Blogs und Pro­jek­te), oder kaioo als „sozia­les“ social net­work (mehr bei Hen­ning), aber auch z.B. loka­li­sier­te Com­mu­ni­ties wie z.B. das BZ-nahe fud­der für Frei­burg (Stich­wor­te dazu hier) oder stuttgart-blog.net als Ver­net­zung der loka­len Blog-Sze­ne in Stutt­gart. Zu den Akti­vi­tä­ten loka­ler Zei­tun­gen im Netz steht pas­send heu­te was bei Spie­gel Online. Es gibt sicher noch eine gan­ze Rei­he mehr an loka­len Com­mu­ni­ties, selbst in Baden-Würt­tem­berg. Bis­her weni­ger erfolg­reich schei­nen mir dage­gen Sachen wie meinestadt.de (nur als Bei­spiel für die Klas­se von Platt­for­men genannt) zu sein, die ver­su­chen, ein glo­ba­les Sys­tem für loka­le Ange­bo­te auf­zu­bau­en. Das wächst von unten her IMHO besser.

Update 4: (6.7.2008) In der eng­lisch­spra­chi­gen Wiki­pe­dia gibt es eine lan­ge Lis­te von „social net­wor­king web­sites“. Scheint mir ganz hilfreich.

Update 5: (7.7.2008) Auch Hen­ning fragt in sei­nem Blog jetzt: „Was erwar­tet ihr von der Poli­tik im Web 2.0?“

Gedankenexperiment: zwei grüne Listen

Kurz hat­te ich ja schon dar­auf hin­ge­wie­sen, dass es hier in Frei­burg durch den Aus­tritt von Coin­neach McCa­be und Moni­ka Stein aus der grü­nen Frak­ti­on gera­de tur­bu­lent her­geht. Etwas schief ange­guckt wur­de ich, weil ich die­sen Aus­tritt u.a. damit kom­men­tiert habe, dass das bes­te Ergeb­nis wohl zwei grü­ne Lis­ten wären. Was mei­ne ich damit?

After Work Party "Innovation und Arbeit" I
Einen Haken für jeden poli­ti­schen Mantel?

Der­zeit ist das Ver­ständ­nis der Situa­ti­on ja fol­gen­des: zwei „Abtrün­ni­ge“ tre­ten aus der Frak­ti­on aus, die letzt­lich auf die Wahl­ver­samm­lung der grü­nen Par­tei­mit­glie­der zurück­geht, und machen eine eige­ne Grup­pe im Gemein­de­rat auf, mit der Ankün­di­gung, viel­leicht auch bei den Wah­len 2009 anzu­tre­ten. Der ers­te Gedan­ke eines guten Par­tei­mit­glieds muss jetzt natür­lich sein: das geht nicht, jeden­falls nicht, solan­ge die Mit­glied bei Bünd­nis 90/Die Grü­nen blei­ben, denn dann gäbe es eine kon­kur­rie­ren­de Lis­te und damit ein par­tei­schä­di­gen­des Ver­hal­ten. Das gan­ze wäre auch inso­fern para­dox, als ja bei­spiels­wei­se alle in Frei­burg woh­nen­den grü­nen Par­tei­mit­glie­der (so sie gene­rell wahl­be­rech­tigt sind) die Kom­mu­nal­wahl­lis­te auf­stel­len. Dann könn­ten auch auf kon­kur­rie­ren­den Lis­ten antre­ten­de Par­tei­mit­glie­der mit­ent­schei­den, wer denn da gegen sie auf­ge­stellt wird. Ist schräg und zurecht durch Sat­zun­gen gedeckelt.

Das gan­ze lie­ße sich aber auch noch aus einem ganz ande­ren Blick­win­kel anschau­en. Bei der letz­ten Kom­mu­nal­wahl haben die Frei­bur­ger Grü­nen – als Volks­par­tei, die sie hier sind – 25,8 Pro­zent und damit 13 Sit­ze erhal­ten (Quel­le). Mög­li­cher­wei­se liegt das kom­mu­na­le Wäh­le­rIn­nen-Poten­zi­al für grü­ne Poli­tik im wei­te­ren Sin­ne jedoch noch deut­lich höher. Eine Volks­par­tei hat immer das Pro­blem, rela­tiv kom­pro­miss­hal­ti­ge Pro­gram­me schrei­ben und umset­zen zu müs­sen. Je stär­ker die Aus­rich­tung in eine Rich­tung (das muss jetzt nicht mal unbe­dingt das klas­si­sche Sche­ma links-rechts sein, son­dern kann auch z.B. hei­ßen Kul­tur­po­li­tik vs. Umwelt­schutz) geht, und je eher das über die tat­säch­li­che Wäh­le­rIn­nen­schaft hin­aus­ge­hen­de Poten­zi­al in die­ser Rich­tung „abge­schöpft“ wird, des­to grö­ßer ist das Risi­ko von Ver­lus­ten am ent­ge­gen­ge­setz­ten Rand des Spek­trums der Par­tei. Ent­spre­chend kommt es zu Wan­de­run­gen zu ande­ren Lis­ten oder ins Lager der NichtwählerInnen. 

Die der­zei­ti­ge Frak­ti­on in Frei­burg besteht aus den Grü­nen und aus der Lis­te Jun­ges Frei­burg, die eigen­stän­dig ange­tre­ten ist. Auch die­se Kon­stel­la­ti­on ist nicht ohne Schwie­rig­kei­ten, zuletzt gab es ja auch hier Aus­schlüs­se, Über­trit­te, und so wei­ter. Trotz­dem ist zu ver­mu­ten, dass die von zwei getrenn­ten Lis­ten „Jun­ges Frei­burg“ einer­seits und „Die Grü­nen“ ande­rer­seits erreich­te Pro­zent- und Sitz­zahl höher ist als die einer gemein­sa­men Lis­te, die sich von vor­ne­her­ein auf Kom­pro­mis­se eini­gen hät­te müs­sen. Das Wahl­sys­tem setzt dem Prin­zip „getrennt antre­ten, ver­eint schla­gen“ enge Gren­zen; auch das Aus­zäh­lungs­ver­fah­ren nach d’Hondt begüns­tigt ten­den­zi­ell grö­ße­re Listen.

Jetzt ganz hypo­the­tisch gespro­chen: was wür­de pas­sie­ren, wenn die Frei­bur­ger Grü­nen fest­stel­len, dass ein best­mög­li­ches Ange­bot für rele­van­te und poli­tisch nahe­ste­hen­de Wäh­le­rIn­nen-Ziel­grup­pen dar­in bestehen wür­de, nicht mit einer Lis­te anzu­tre­ten, son­dern mit zwei Lis­ten, die bei­de von der Par­tei Bünd­nis 90/Die Grü­nen unter­stützt und – viel­leicht pro­por­tio­nal zu einem Abstim­mungs­er­geb­nis – mit Gel­dern für den Wahl­kampf ver­se­hen wer­den? Ein­mal abge­se­hen davon, dass das ein sol­ches Vor­ge­hen mög­li­cher­wei­se recht­lich pro­ble­ma­tisch ist (Darf eine Par­tei über­haupt zwei Lis­ten ins Ren­nen schi­cken? Wer stellt dann wen auf?) könn­te ich mir vor­stel­len, dass unter der Rah­men­be­din­gung „Volks­par­tei mit gro­ßem Wäh­le­rIn­nen-Poten­zi­al“ ein Antre­ten mit zwei Lis­ten zu einem bes­se­ren Gesamt­ergeb­nis führt als eine Lis­te. Bei­de Lis­ten müss­ten dann natür­lich pro­gram­ma­tisch klar von ein­an­der abge­grenzt sein und jeweils ein eige­nes Pro­fil haben – viel­leicht einen Kern von gemein­sa­men For­de­run­gen, und dann jeweils eine dif­fe­ren­zie­ren­de Akzent­set­zung. Damit wür­den ziel­grup­pen­spe­zi­fi­sche Pro­duk­te auf den Wahl­markt gewor­fen, die – so die jewei­li­gen Ver­spre­chen dann auch gehal­ten wer­den – ins­ge­samt zu einer grö­ße­ren Akzep­tanz füh­ren könn­ten als eine gemein­sa­me Liste. 

Um es klar zu sagen: bei einem Poten­zi­al im ein­stel­li­gen Bereich bie­tet sich so ein Vor­ge­hen genau­so wenig an wie z.B. bei Bür­ger­meis­ter­wah­len, wo ja letzt­lich nur eine Per­son gewählt wer­den kann. Aber wenn es dar­um geht, mehr als ein Vier­tel der Bevöl­ke­rung mit ange­mes­se­ner Poli­tik zu ver­sor­gen, könn­ten zwei pro­fi­lier­te Lis­ten eine inter­es­san­te Lösung sein.

Soweit das Gedan­ken­ex­pe­ri­ment – die recht­li­chen Mög­lich­kei­ten und die poli­ti­schen Rea­li­tä­ten sehen ver­mut­lich anders aus. Und auch die klei­ne Lösung, also eine gemein­sa­me Lis­te, aber eine kla­re Iden­ti­fi­ka­ti­on von ein­zel­nen Grup­pen auf die­ser Lis­te, um die in Baden-Würt­tem­berg vor­ge­se­he­ne Mög­lich­keit des Kumu­lie­rens mit Leben zu fül­len, erscheint mir lei­der recht unwahrscheinlich. 

Trotz­dem ist es viel­leicht gar nicht so falsch, eben gera­de auch ange­sichts der rela­tiv ver­fah­re­nen aktu­el­len Situa­ti­on dar­über nach­zu­den­ken, ob mit inno­va­ti­ven Stra­te­gien nicht doch letzt­lich mehr dar­aus wer­den kann als eine gro­ße Schlamm­schlacht kurz vor der Wahl. Quer­zu­den­ken (belieb­te grü­ne Fähig­keit, außer, sie wird ein­ge­setzt) kann hier viel­leicht mehr gewin­nen als der Rück­griff auf schein­bar bewähr­te Handlungsrollen.

War­um blog­ge ich das? Weil kur­ze schnip­pi­sche Kom­men­ta­re leicht miss­ver­stan­den werden.

Gebührenkompass 2008: Unzufriedenheit steigt (Update)

Die Abtei­lung Mar­ke­ting der Uni Hohen­heim betreibt seit eini­ger Zeit einen Gebüh­ren­kom­pass. In einer aktu­el­len Pres­se­mit­tei­lung heißt es zu den neus­ten Entwicklungen:

In rund 6.150 Ein­zel­in­ter­views hat­ten Gebüh­ren-Scouts des Hohen­hei­mer Lehr­stuhls für Mar­ke­ting die Zufrie­den­heit der Stu­die­ren­den an allen 54 Uni­ver­si­tä­ten mit Stu­di­en­ge­büh­ren der Repu­blik im Mai 2008 erho­ben. Dem­nach schaff­te es kei­ne Uni­ver­si­tät, ihre Stu­die­ren­den beim The­ma Stu­di­en­ge­büh­ren wirk­lich zufrie­den zu stel­len. Im Bun­des­durch­schnitt ver­ga­ben die Gebüh­ren­zah­ler ihren Uni­ver­si­tä­ten die Schul­no­te 4–5. Im Vor­jahr war es noch eine 3–4 gewesen.

Nicht nur die Unzu­frie­den­heit, auch der Anteil der Gebüh­ren­geg­ne­rIn­nen wächst. Der Lei­ter der Stu­die, Prof. Dr. Mar­kus Voeth, inter­pre­tiert dies in der Pres­se­mit­tei­lung als Her­aus­for­de­rung für die Uni­ver­si­tä­ten: „Aller­dings kön­nen sich die Stu­die­ren­den noch nicht als Kun­den füh­len.“ Das sol­len die Unis also ändern, indem sie z.B. bes­ser über die Gebüh­ren­ver­wen­dung informieren.

Die Ergeb­nis­se las­sen sich aber auch anders lesen: ins­be­son­de­re dort, wo Gebüh­ren ein­ge­führt wur­den, bzw. nach­dem jetzt tat­säch­lich gezahlt wer­den muss, zeigt sich, dass die damit bei eini­gen ver­bun­de­nen Hoff­nun­gen auf bes­se­re Stu­di­en­be­din­gun­gen über­wie­gend nicht erfüllt wer­den. Wenn davon aus­ge­gan­gen wird, dass sich dar­an nicht so schnell etwas ändert (weil Stu­di­en­ge­büh­ren z.B. struk­tu­rell gar nicht in der Lage dazu sind, die Qua­li­tät der Leh­re und der Stu­di­en­be­din­gun­gen erheb­lich zu ver­bes­sern), dürf­te die Akzep­tanz rapi­de abneh­men – und mög­li­cher­wei­se, auch nach den Erfol­gen in Hes­sen und (ein­ge­schränkt) in Ham­burg – zu einem Neu­auf­le­ben von Pro­tes­ten führen.

War­um blog­ge ich das? Als Update zu die­sem Ein­trag. und weil das Ergeb­nis umso mehr Rele­vanz hat, als – so lese ich zumin­dest die PM – hin­ter der Umfra­ge eigent­lich das Inter­es­se steckt, Gebüh­ren zu legitimieren.

P.S.: Sie­he auch hier (SpOn).

Update: (29.6.2008) Zum The­ma Stu­di­en­ge­büh­ren gibt es jetzt neu auch den Bund der Stu­di­en­ge­büh­ren-Zah­ler, der es sich wohl zum Ziel gesetzt hat, wenn es denn Gebüh­ren gibt, für deren sinn­vol­le Ver­wen­dung zu kämp­fen. Fin­de ich hoch­schul­po­li­tik-stra­te­gisch betrach­tet inter­es­sant, bin mir aller­dings noch nicht sicher, ob eine der­ar­ti­ge Instanz, wenn sie denn funk­tio­niert, nicht letzt­lich dazu bei­trägt, Gebüh­ren ins­ge­samt zu legi­ti­mie­ren – „es gibt ja den bdsz, die gucken schon, dass alles mit rech­ten Din­gen zugeht“.