Esslingen liegt nicht nur am Neckar, der Neckar teilt die Stadt auch in das eigentliche Stadtgebiet auf der einen Neckarseite und diverse Vorstädte und Erweiterungen auf der anderen Neckarseite. Der Weg vom Bahnhof zu meiner Esslinger Wohnung führt über den Neckar, d.h. über die Pliensaubrücke, eine interessante Mischung aus historischem Wachturm, alter Neckarbrücke, den letzten Schienenspuren einer nicht mehr fahrenden Straßenbahn und Rampe für Fuß- und Radverkehr. Eigentlich gäbe es auch einen direkten Weg vom Bahnhof zur Brücke, der ist derzeit aber wegen Bauarbeiten am Neckar gesperrt, d.h. mein Weg ist dadurch etwas länger. Und ab und zu wundere ich mich darüber, wieso jetzt doch Autos auf der Fußgängerbrücke fahren oder wo überall geparkt werden kann …
Kurz: Legalisierung ante portas
Bundesratssitzungen sind normalerweise eher dröge. Heute anders. Die Website bundesrat.de war immer wieder down, auf Youtube sahen rund 30.000 Leute dem Stream zu, und im Chat neben dem Stream sausten Brokkoli-Emojis, Unverständnis für Unionsredner*innen und Zuspruch für Karl „King“ Lauterbach nur so durch. Richtig: es ging um das Cannabisgesetz.
Im Endeffekt hat es im Bundesrat keine Mehrheit für die Anrufung des Vermittlungsausschusses gegeben. In den Reden wurde deutlich, dass die Union auf Totalblockade setzt und – Bundesgesetz hin oder her – an einem maximal repressiven Kurs beispielsweise in Bayern festhalten will. Andere Länderminister*innen betonten dagegen eher Zustimmung zum Ziel der Legalisierung und Entkriminalisierung, sahen aber Probleme im Vorgehen des Bundes und in einzelne Regelungen. Eigentlich wäre ein Vermittlungsausschuss (VA) der richtige Ort, um diese Unklarheiten zu klären. Dass es trotzdem keine Mehrheit dafür gab, lag an vielen Enthaltungen, lag sicherlich auch an dem offensiven Blockadekurs der Unionsspitze – jede Anrufung des VA wäre risikoreich geworden – und lag im Endeffekt auch daran, dass das Land Sachsen ungültig abgestimmt hat. (Stimmabgaben sind im Bundesrat nur einheitlich möglich – Ministerpräsident Kretschmer stimmte für den VA, sein Minister Dulig aus der SPD dagegen, damit zählte die Stimmabgabe im Ergebnis nicht).
Persönlich kann mir dieses Gesetz fast egal sein – ich habe weder an Cannabis noch an Alkohol ein Interesse (auch im Unterschied zu z.B. dem CDU-Chef Merz) – politisch ist dieses Ergebnis auch aus meiner Sicht ein Erfolg. Gesundheitsminister Lauterbach (SPD) hat das in seiner Rede deutlich gemacht: es geht um Kontrolle und Jugendschutz, um ein Ende des Schwarzmarkts und die Entkopplung von anderen Drogen. Und dafür ist eine klug gemachte Legalisierung der deutlich bessere Weg als Drohung und Polizei. Nicht zuletzt: die Ampel zeigt, dass es manchmal doch einen Fortschritt geben kann.
Drei Gedanken zu „Was ihr wollt. Wie Protest wirklich wirkt.“
Friedemann Karig, der mir bisher vor allem über den einen oder anderen prononcierten Tweet auf Mastodon aufgefallen war – ich bin nicht der große Podcast-Hörer, sonst wäre das sicher anders – hat vor ein paar Tagen das rund 180 Seiten umfassende Buch Was ihr wollt. Wie Protest wirklich wirkt veröffentlicht. Das Buch geht auf die Geschichte von Protesten ein, und legt einen besonderen Fokus auf die Aktionen der Letzten Generation. Es lässt sich geschmeidig weglesen – im Nachgang bin ich dann aber doch an drei Punkten hängengeblieben.
Erstens die Titelfrage, wie Proteste wirken. Wenn ich das richtig zusammenfasse, dann ist Karig eher skeptisch bezüglich quantitativen Ansätzen. Nicht jeder Protest, an dem 3,5 Prozent der Bevölkerung teilnehmen, war erfolgreich. Überhaupt stellt sich natürlich die Frage, was die Wirkung eines Protestes ist. In autoritären Regimen ist der Sturz der Regierung noch ein relativ klar umrissenes Erfolgskriterium. In Demokratien geht es darum, die politische Agenda zu verändern. Und das kann etwas sein, das sehr langen Atem braucht. Karig führt hier in Anlehnung an die „Ökonomie der Aufmerksamkeit“ die Idee einer „Ökologie der Aufmerksamkeit“ ein. Es geht nicht einfach um „mehr Aufmerksamkeit“, sondern darum, dass sich das richtige Narrativ durchsetzt.
Mit Narrativ meint Karig eine erzählerische Einheit, die politische Debatten strukturieren hilft, und die drei Elemente aufweist: „Wer ist Handelnder (Protagonist)? Wer ist Gegenspieler (Antagonist)? Welche Werte stehen auf dem Spiel?“ (S. 99). Daraus lässt sich dann ableiten, dass die beiden entscheidenden Fragen einer Ökologie der Aufmerksamkeit von Protesten folgende sind: „Welche Geschichte erzählt Protest über sich und seinen Gegenstand? Und: Wer sind in dieser Geschichte die Bösen?“ (S. 101). „Drei Gedanken zu „Was ihr wollt. Wie Protest wirklich wirkt.““ weiterlesen
Photo of the week: Hands off, Stuttgart
Hinter jedem Schild steckt eine Geschichte. Und ich frage mich, warum es notwendig war, dieses improvisierte Klimakrisendenkmal mit einem Betreten-Verboten-Hände-Weg-Schild auszustatten. Das zusammengefaltete, bei einem der letzten Stürme herabgewehte Kupferdach des Stuttgarter Opernhauses wird mitten im Eckensee vor dem Landtag präsentiert. Dahin kommt man also nur, wenn der See zugefroren ist. Es kann nicht darum gehen, dass das Kunstwerk nicht zerstört werden soll. Schließlich gibt es hier keine Künstler*in – das Dach wurde vom Wind zerbeult und heruntergeweht, und dann gab es die Entscheidung, es als Mahnmal liegen zu lassen. Vermutlich also – sehr deutsch – Haftungsfragen. Oder schlicht: Hände weg vom Klima!
Kurz: Frühling zu früh
Eine typische Handbewegung für die 2020er Jahre dürfte das Schulterzucken bei der Feststellung sein, dass es bereits Mitte/Ende Februar die ersten frühlingshaft warmen Tage gibt, dass die Schneeglöckchen und Narzissen, Krokusse und auch die ersten Obstbäume ungewöhnlich früh blühen. Schulterzucken deswegen, weil nicht so recht klar ist, wie damit umzugehen ist. Einerseits: großartig, eine wunderbare Jahreszeit beginnt Jahr für Jahr früher, und die Sonne scheint aufs Gesicht. Andererseits: Klimakrise, und mit der Verschiebung von Obstblüte und Vorfrühling nach vorne eben auch ein ganz klares und spürbares Zeichen, dass das mit diesen jetzt schon rund 1,5 Grad wärmeren Temperaturen eben Auswirkungen hat.
Auf den Demokratie-Demos kursierte das Lied der Mannheimer Musikerin Soffie, die von einem Land träumt, „in dem für immer Frühling ist“. Eingängige Melodie, schöner Text – und ein Land, in dem immer Frühling ist, hätte ja durchaus was. Nur: es ist recht wahrscheinlich, dass dem frühen Frühling ein früher und langer Sommer folgt. Und da hört der Spaß dann auf.