Nicht beantwortbare Fragen

Ab und zu ruft auch hier mal jemand von einem Markt­for­schungs­in­sti­tut an. Teils aus Höf­lich­keit, teils aus der Erwä­gung her­aus, dass ich ja die Ergeb­nis­se man­cher Mei­nungs­um­fra­gen durch­aus span­nend fin­de (Sonn­tags­fra­ge und so), und teils aus pro­fes­sio­nel­lem Inter­es­se her­aus mache ich da – zumin­dest, wenn’s eines der grö­ße­ren Insti­tu­te ist – tat­säch­lich auch mal mit. Zum Bei­spiel heu­te. Auf­trag­ge­ber war For­sa, gefragt wur­de nach einem bun­ten Strauss, der von der Fra­ge „Trin­ken Sie häu­fig Lei­tungs­was­ser“ bis hin zur aktu­el­len Tages­po­li­tik reich­te. Bei eini­gen Fra­gen habe ich mich gefragt, wer sowas in Auf­trag gibt. Und bei ein paar Fra­gen ist mir mal wie­der klar gewor­den, war­um quan­ti­ta­tiv ori­en­tier­te Befra­gun­gen so ihre Tücken und Pro­ble­me haben. 

Bei­spiel 1: „Jetzt geht es um die RAF-Ter­ro­ris­ten. Sehen Sie dar­in eher fehl­ge­lei­te­te Träu­mer oder schlim­me Kri­mi­nel­le?“ – Hmm, bei­des trifft es eigent­lich nicht wirk­lich. Aber in das binä­re Ras­ter passt eben nur eine der bei­den Ant­wor­ten – und am Schluss kommt dann eben raus, dass x % der Bevöl­ke­rung die Mit­glie­der der RAF für schlim­me Kri­mi­nel­le hal­ten. Aha.

Bei­spiel 2: Bei den sta­tis­ti­schen Anga­ben am Schluss ging es erst mal um Fami­li­en­stand (ledig), Zusam­men­le­ben (immer­hin) und dann dar­um, ob ich „die Per­son im Haus­halt sei, die den grö­ße­ren Anteil Haus­ar­beit mache“ bzw. „ob ich die Per­son sei, die den grö­ße­ren Anteil Ein­kom­men erwirt­schaf­te“. Das ers­te ver­su­chen wir ziem­lich gleich zu ver­tei­len, das zwei­te ist zum einen inzwi­schen auch gleich ver­teilt, und geht zum ande­ren durch­aus nicht in eine gemein­sa­me Kas­se. Letzt­lich konn­te ich bei­de Fra­gen nicht beant­wor­ten – die Vari­an­te „halbe/halbe“ war schlicht nicht vor­ge­se­hen. Ein schö­nes Bei­spiel dafür, wie Ankreuz­fra­gen blind für Rea­li­tät sind, wenn die­se signi­fi­kant davon abweicht, was sich die Fra­ge­bo­ge­n­er­stel­le­rIn­nen so gedacht haben – und die Aus­wer­tung der­ar­ti­ger Erhe­bun­gen zugleich repro­du­ziert, was die Fra­ge­bo­ge­n­er­stel­le­rIn­nen gedacht haben.

War­um blog­ge ich das? Viel­leicht liest’s ja jemand von For­sa oder so …

Prima Klima für Europa?

Ges­tern abend war ich bei einer ganz inter­es­san­ten Ver­an­stal­tung von Carl-Schurz-Haus und Hein­rich-Böll-Stif­tung BaWü: die zeig­ten im Hör­saal 2004 vor lei­der ver­hält­nis­mä­ßig zur Hör­saal­grö­ße rela­tiv weni­gen Leu­ten zuerst den Al-Gore-Film „An Incon­ve­ni­ent Truth“ (Wiki­pe­dia), und baten danach noch Mar­tin Rocholl (BUND/Friends of the Earth Euro­pe) zu einem Impuls­vor­trag bzw. einer Podiumsdiskussion. 

Kurz ein paar Stich­wor­te: der Film war – obwohl er von DVD gezeigt wur­de – durch­aus ein­drucks­voll (eine genaue Ana­ly­se der Dra­ma­tur­gie wür­de sich loh­nen!), was inso­fern erstaun­lich ist, als es sich dabei tat­säch­lich in wei­ten Stre­cken um eine Power­Point(das Mac-Äquivalent)-Präsentation han­del­te. Al Gore vor Bildschirm/groß. Gore vor Lein­wand. Lein­wand ohne Gore. Lein­wand mit Publi­kum usw. Dazwi­schen geschnit­ten waren bio­gra­phi­sche Ein­schü­be (die Farm, auf der Gore als Jun­ge auf­wuchs – sein Pro­fes­sor, der als einer der ers­ten CO2-Mes­sun­gen vor­ge­nom­men hat – sei­ne an Lun­gen­krebs gestor­be­ne, rau­chen­de Schwes­ter – Video­se­quen­zen von der Flo­ri­da-Hängt-Wahl­nacht usw.) und Gore im Trans­port­mit­tel A bis F am Lap­top (der Apfel immer schön im Bild). Inhalt­lich steht vie­les aus dem Film schon in sei­nem 1992 erschie­nen Buch „Wege zum Gleich­ge­wicht“. Haupt­aus­sa­ge ist: das Kli­ma ändert sich, es wird schnel­ler wär­mer, als dies jemals in der Geschich­te der Fall war, der Kli­ma­wan­del hängt am CO2-Aus­stoss, und wenn das ant­ark­ti­sche oder grön­län­di­sche Eis schmilzt, dann wird es nicht nur wär­mer, son­dern es gibt auch einen mas­si­ven Anstieg des Mee­res­spie­gels mit ent­spre­chen­den Fol­gen für die dicht­be­sie­del­ten Küs­ten­zo­nen der Welt. Erst ganz am Schluss kom­men dann ein paar Punk­te dar­über, was dage­gen getan wer­den kann – neben ein biß­chen viel typisch ame­ri­ka­ni­schem Dick-Auf­tra­gen der durch­aus rich­ti­gen Bot­schaft wäre das Ver­hält­nis von „es gibt wirk­lich einen Kli­ma­wan­del“ (70–80%) und „was getan wer­den kann“ (20–30%) einer der Kri­tik­punk­te für mich. 

Noch ein letz­tes Wort zum Film: ein inter­es­san­ter Sub­text war das Ver­hält­nis von Poli­tik und Wis­sen­schaft, das ab und zu mal ange­spro­chen wur­de. Erin­ner­te mich an Kim Stan­ley Robin­sons Roma­ne – der neus­te, der dem­nächst mal als Taschen­buch erschei­nen muss, han­delt von einem Öko-Prä­si­dent im Wei­ßen Haus in den Zei­ten des Kli­ma­wan­dels, der davor auch schon mal die Ant­ark­tis besucht hat. Gores fik­ti­ve Biographie?

Kurz noch zur „Podi­ums­dis­kus­si­on“ nach dem Film. Die gefiel mir von ihrer Dra­ma­tur­gie her nicht so gut. Der Mode­ra­tor, Wolf­gang Kai­ser von den Grü­nen, sah sei­ne Auf­ga­be vor allem dar­in, Publi­kums­fra­gen ein­zu­sam­meln, sie zuzu­spit­zen und zu beant­wor­ten. Viel­leicht lag es aber auch am Publi­kum, dass mir die­ser Teil der Ver­an­stal­tung nicht so gelun­gen erschien. Da gab es näm­lich eini­ge, die sehr pene­trant nach dem Bevöl­ke­rungs­wachs­tum frag­ten – und auf mich den Ein­druck einer der klei­nen Frei­bur­ger Sek­ten machten.

Auf dem Podi­um saßen jeden­falls Mar­tin Rocholl und Lio­ba Gram­mel­s­pa­cher, grü­ne Gemein­de­rä­tin aus Frei­burg. Wäh­rend Rocholl einen durch­aus inter­es­san­ten Impuls­vor­trag hal­ten durf­te (Stand der Kli­ma­po­li­tik in Euro­pa, was kann getan wer­den), war mir die Funk­ti­on von Gram­mel­s­pa­cher nicht so ganz klar – sie durf­te sich zwei­mal kurz zu Wort mel­den und etwas dar­über erzäh­len, was in Frei­burg für die Kli­ma­po­li­tik getan wird, und dass das ehr­gei­zi­ge Kli­ma­ziel der Stadt wohl nicht erreicht wird. Nach dem Vor­trag gab es dann noch eini­ge Fra­gen vor­wie­gend an Rocholl, etwa zur Bio­mas­se­nut­zung oder zur Toprun­ner-Stra­te­gie bei Haus­halts­ge­rä­ten. Das war für jemand, der in der Dis­kus­si­on drin­ne ist, nur mäßig span­nend. Gut gefal­len hat mir dage­gen ein Punkt, den Rocholl in sei­nem Kurz­vor­trag und in sei­nen Ant­wor­ten wie­der­holt auf­mach­te: Effi­zi­enz reicht nicht aus, es muss auch zu einem Wan­del der Lebens­sti­le kom­men (erreich­bar etwa durch die Öko­steu­er) – der Wan­del wird aber gra­vie­ren­de sozia­le Kon­se­quen­zen haben, eben­so ist eine vom Wachs­tum abhän­gi­ge Sozi­al­po­li­tik in Zukunft kaum noch mög­lich. Rocholl stell­te dann fest, dass es für die­se sich aus der öko­lo­gi­schen Fra­ge erge­ben­den loka­len und glo­ba­len sozia­len Fra­gen eigent­lich noch kei­ne Ant­wor­ten gibt, auch nicht bei den Grü­nen; dass es aber höchs­te Zeit wäre, sich damit zu beschäf­ti­gen. Hier war es schön, mal jemand zu erle­ben, der als Umwelt­lob­by­ist (mit Wur­zeln in der Jugend­um­welt­be­we­gung der 1990er, wenn ich das rich­tig ein­schät­ze) an die­se Fra­gen etwas radi­ka­ler ran­ge­hen konn­te als die DurchschnittspolitikerIn.

War­um blog­ge ich das? Den Film und eini­ge der The­sen Rocholls fand ich ein­drucks­voll; ansons­ten vor allem des­halb, weil mir das The­ma 1. all­ge­mein wich­tig ist, 2. wir am Mon­tag eine Kreis­mit­glie­der­ver­samm­lung zum Regio­na­len Kli­ma­schutz haben, die ich noch vor­be­rei­ten muss, und 3. mei­ne Diss. durch­aus auch was mit eini­gen die­ser Fra­gen zu tun hat.

Qualitätskriterien für wissenschaftliche Tagungen

Tina Guen­ther vom soz­log hat sich Gedan­ken dar­über gemacht, wor­an die Qua­li­tät einer wis­sen­schaft­li­chen Tagung zu mes­sen ist. Her­aus­ge­kom­men ist eine Lis­te, die ich nicht voll­stän­dig fin­de (z.B. fehlt das rich­ti­ge Mischungs­ver­hält­nis unter­schied­li­cher Ange­bots­for­men und die Bedeu­tung gut gestal­te­ter Pau­sen), und auch nicht in jedem Punkt tei­le (z.B. bezüg­lich der Not­wen­dig­keit eines mehr­spra­chi­gen Call for Papers), die aber eine ganz gute Grund­la­ge für eine Check­lis­te für die nächs­te (mit-)organisierte wis­sen­schaft­li­che Ver­an­stal­tung abgibt. Und zwi­schen den Zei­len eini­ges dar­über aus­sagt, wie es oft auch abläuft, und war­um Kon­fe­ren­zen manch­mal enttäuschen …

War­um blog­ge ich das? 1. Merk­pos­ten, 2. gute Gedan­ken wei­ter ver­brei­ten, 3. die eine oder ande­re Tagung, die ich besucht habe, wäre ein gutes Negativbeispiel.

Tote Klassiker und Papierpersonen

Wäh­rend des Stu­di­ums waren sie eher durch ihre Wer­ke prä­sent und stan­den in einer Rei­he mit den Emi­nen­zen des letz­ten Jahr­hun­derts. Und erst nach und nach wur­de einem bewusst, dass vie­le der „Klas­si­ker“ durch­aus noch am Leben waren – schmerz­haft dann, wenn erst die media­le Todes­nach­richt dar­über auf­klär­te, dass es noch eine Chan­ce gege­ben hät­te, sie „live“ zu erle­ben, die es jetzt nicht mehr gab: Luh­mann und Bour­dieu etwa, oder in neus­ter Zeit Bau­dril­lard oder, gera­de gele­sen, Watz­la­wick. Und bei ande­ren – etwa bei Popitz, bei dem ich noch ein Semi­nar zum The­ma Uto­pien besuch­te, als er längst eme­ri­tiert war – wur­de mir erst nach eini­ger Zeit klar, dass es sich eben durch­aus eben­falls um einen Klas­si­ker gehan­delt hat­te, des­sen Tex­te heu­te noch ihre Bedeu­tung haben. Irgend­wie schon eine selt­sa­me Wis­sen­schaft, bei der die tat­säch­li­chen Per­so­nen so hin­ter den papie­re­nern The­sen und Argu­men­ten verschwinden. 

War­um blog­ge ich das? Weil das die Gedan­ken waren, die mir beim Lesen der Mel­dung zum Tode Watz­la­wicks kamen.

BAG-Sprecher-Wahl

Im Anschluss an den For­schungs­kon­gress fand am Sams­tag und Sonn­tag eine Sit­zung der grü­nen Bun­des­ar­beits­ge­mein­schaft Wis­sen­schaft, Hoch­schu­le, Tech­no­lo­gie­po­li­tik (BAG WHT) statt. Inhalt­lich ging’s um den Rück­blick auf den Kon­gress, um grü­ne Anfor­de­run­gen an die jetzt ja sehr stark föde­ral orga­ni­sier­ten Hoch­schul­ge­set­ze und um die fami­li­en­freund­li­che Hochschule.

Alles span­nen­de The­men – für mich per­sön­lich war dann aber ein klei­ner Tages­ord­nungs­punkt am Sonn­tag­mor­gen noch span­nen­der: da ging es näm­lich um die Wahl der BAG-Spre­che­rIn­nen: das neue Team besteht aus Anja Schillhan­eck aus dem Ber­li­ner Abge­ord­ne­ten­haus und mir. Wie üblich bei Grüns ist das eine ehren­amt­li­che Posi­ti­on; die Auf­ga­be der Spre­che­rIn­nen besteht dar­in, die Arbeit der BAG zu koor­di­nie­ren, und die BAG zu ver­tre­ten. Auf der Sit­zung haben wir einen ziem­lich umfang­rei­chen The­men­ka­ta­log zusam­men­ge­stellt, mit dem die BAG sich in Zukunft beschäf­ti­gen will. Mal schau­en, wie das alles wird – ich freue mich jeden­falls auf die­se neue Aufgabe.

War­um blog­ge ich das? (A) Zur all­ge­mei­nen Infor­ma­ti­on, (B) weil ich es doch wert fand, das hier zu erwähnen.