Leseempfehlungen für den Sommer

Dass ich in den letz­ten Tagen kaum dazu gekom­men bin, mich um die­ses Blog zu küm­mern, hat auch etwas damit zu tun, dass ich eini­ge SF-Neu­erschei­nun­gen ver­schlun­gen habe. Die Art Bücher, bei denen am Ende Trau­rig­keit ein­setzt, weil das Buch zu Ende ist, und die Geschich­te doch eigent­lich noch wei­ter gehen könn­te. Falls also noch jemand was zum Lesen für den Som­mer sucht, ist hier viel­leicht etwas dabei.

Beson­ders emp­feh­len möch­te ich Semio­sis von Sue Bur­ke. Auf den ers­ten Blick ist das eine die­ser Geschich­ten von einem Gene­ra­tio­nen­raum­schiff, das auf einem Pla­ne­ten lan­det, um eine neue Kolo­nie zu grün­den. (Dass es von die­ser Sor­te Geschich­ten in den letz­ten Jah­ren eini­ge gab, mag mir nur so vor­kom­men. Viel­leicht hat es aber auch was mit dem Wunsch, die­sem Pla­ne­ten zu ent­kom­men, zu tun). Inter­es­sant wird die­ses Buch des­we­gen, weil wir – über meh­re­re Gene­ra­tio­nen hin­weg – der idea­lis­tisch gepräg­ten Kolo­nie dabei zuschau­en, wie sie zum einen ihre ganz eige­nen Regeln ent­wi­ckelt, für jede Gene­ra­ti­on immer wie­der neu. Zum ande­ren wird nach und nach klar, dass intel­li­gen­tes Leben in Pflan­zen­form durch­aus aggres­siv sein kann. Aber eben auch lern­fä­hig. Und nach und nach wach­sen einem die ganz unter­schied­li­chen Per­sön­lich­kei­ten ans Herz. 

Ein biss­chen ähn­lich hin­sicht­lich des Ein­füh­lens in wirk­lich frem­de Intel­li­gen­zen ist Child­ren of Ruin von Adri­an Tchai­kovs­ky, eine Art Par­al­lel­quel zu sei­nen Child­ren of Time. Die damals noch sehr fremd­ar­ti­gen intel­li­gen­ten Spin­nen sind uns jetzt nah – aber was pas­siert, wenn Tin­ten­fi­sche ganz getrennt und ver­teilt begin­nen, zu den­ken, und unter­be­wusst Raum­fahrt zu betreiben?

Genug der Gene­ra­tio­nen­raum­schif­fe und frem­den Lebens­for­men. Ein ande­rer Trend sind Deep-Tech-Dys­to­pien, irgend­wie das Cyber­punk der 2020er Jah­re. Neben Cory Doc­to­rows Wal­ka­way (und sei­ner Novel­len-Samm­lung Radi­cal­i­zed) passt auch das gera­de erschie­ne­ne Ste­al­ing Worlds von Karl Schroe­der gut zu die­sem Trend. Nach Trump und Kli­ma­kri­se sind die USA ein ver­trau­ens­lo­ses Land am Abgrund. Dafür gibt es über­all Sen­so­ren und Über­wa­chungs­tech­nik. Das scheint gutes zu haben, wenn es etwa um eine glo­ba­le Block­chain zur Über­wa­chung von Umwelt­pro­ble­men geht, führt aber auch dazu, dass es gar nicht so ein­fach ist, unter­zu­tau­chen. Aug­men­ted Rea­li­ty a la Goog­le Glass ist weit ver­brei­tet, und letzt­lich ist es eben­so ein Spiel, den Über­wa­chungs­ka­me­ras aus­zu­wei­chen, wie es ein Spiel ist, zer­fal­le­ne Häu­ser wie­der auf­zu­bau­en. Oder steckt mehr dahinter?

(Etwas weni­ger Deep-Tech, aber auch near future in einer sehr glo­ba­len und diver­sen Welt: Eliza­beth Bears Novel­le In the House of Arya­man, a Lonely Signal Burns, eine Art Detektivgeschichte.)

Schon etwas älter und nicht so glaub­wür­dig, aber nichts­des­to­trotz span­nend zu lesen, ist ein ande­res Unter­gangs­sze­na­rio für die USA. In Robert Charles Wil­sons Juli­an Com­stock. A Sto­ry of the 22nd Cen­tu­ry lan­den wir in einem Land, das sich mehr nach 19. Jahr­hun­dert als nach Zukunft anfühlt, mit Feu­dal­her­ren und einer strik­ten Klas­sen­ge­sell­schaft, einer gera­de eben begin­nen­den Wie­der­ent­de­ckung der Indus­tria­li­sie­rung (im Post-Öl-Zeit­al­ter), einer alles domi­nie­ren­den Kir­che und radi­ka­len Intel­lek­tu­el­len und Bohe­mi­ans … Wie gesagt, beson­ders glaub­wür­dig fin­de ich den völ­li­gen tech­no­lo­gi­schen Ver­fall nicht, aber inter­es­sant ist das allemal.

Ach ja, indus­tri­el­le Fan­ta­sy: Micha­el Swan­wick beschreibt in The Iron Dragon’s Mother Faery nach der Indus­tri­al Revo­lu­ti­on, aus der Sicht einer Dra­chen­pi­lo­tin, die nach ihrem ers­ten Flug uneh­ren­haft ent­las­sen wer­den soll – und auf der Flucht ganz unter­schied­li­chen Geschich­ten und Gestal­ten begegnet. 

Last but not least habe ich Kame­ron Hur­ley für mich ent­deckt. Ihre Light Bri­ga­de spinnt aus­ge­hend von Bea­men-als-Waf­fe eine Nicht-ganz-Mili­ta­ry-SF; viel­leicht ist’s auch ein Kom­men­tar zu Hein­leins Star­ship Tro­o­pers. Fas­zi­nie­ren­der fand ich The Stars Are Legi­on, eine sehr eige­ne Geschich­te über bio­tech­no­lo­gi­sche Raum­schiff­wel­ten, Gebär­fä­hig­keit und Machtspiele.

Lesenswert: Walter Mossmanns bewegte Autobiografie

Vor ein paar Wochen war ich – dienst­lich – im Archiv sozia­le Bewe­gun­gen in Frei­burg, immer­hin wird das jnzwi­schen auch aus Lan­des­mit­teln geför­dert. Zum Abschied hat uns Volk­mar Vogt, der Archi­var, ein Buch in die Hand gedrückt. Inzwi­schen hab ich’s gele­sen und bin beeindruckt.

Kon­kret: die 2009 erschie­ne­ne Auto­bio­gra­fie von Wal­ter Moss­mann. Natür­lich war mir Moss­mann ein Begriff, Bewe­gungs­pro­mi, habe ihn auf der einen oder ande­ren Demons­tra­ti­on oder Kund­ge­bung im Dreyeck­land sin­gen oder reden gehört. 2015 verstorben.

In rea­lis­tisch sein: das unmög­li­che ver­lan­gen, Unter­ti­tel Wahr­heits­ge­treu gefälsch­te Erin­ne­run­gen, plau­dert Moss­mann über die 1960er, 1970er, 1980er. Er erzählt, und gleich­zei­tig ist das eine sehr leben­di­ge Geschichts­stun­de. Über das soge­nann­te Nach­kriegs­deutsch­land. Musik, natür­lich. Das stu­den­tisch-inter­na­tio­na­lis­ti­sche Milieu Frei­burgs. Noch mehr Musik. Das „Tol­le Jahr“ 1968. Die Geburt der badisch-elsäs­si­schen Bür­ger­initia­ti­ven aus dem Geist des Wider­stands (Geburts­hel­fer W.M.) gegen AKW und Che­mie­in­dus­trie, gegen den tech­no­kra­ti­schen Plan zur Indus­tria­li­sie­rung des Rhein­tals. Als, wie es so schön heißt, multi­tu­de. Ein biss­chen geht’s in Moss­manns Lebens­ge­schich­te auch um Polit­sek­ten und um die RAF, aber die steht am Rand. Und Rudi Dutsch­ke träumt von der neu­en USPD, die er anfüh­ren könn­te, Petra Kel­ly nervt, wäh­rend die BIs zur ganz kon­kre­ten Tat schrei­ten, mit Flug­blatt­lie­dern und Erwar­tungs­bruch – erfolgreich.

Die grü­ne Par­tei­grün­dung kommt auch vor (das muss ich natür­lich erwäh­nen), kurz vor Schluss des Buches. Moss­mann schreibt, „Wir [die Bür­ger­initia­ti­ven] schick­ten doch schon seit Jah­ren unse­re Anwäl­te in die Gerichts­ver­hand­lun­gen, war­um soll­ten wir nicht auch unse­re Abge­ord­ne­ten ins Par­la­ment schi­cken?“ – kom­mu­nal fing das etwa 1975 an, in Lan­des­par­la­men­ten dann 1980, und was Moss­mann skep­tisch macht, ist nicht der Schritt ins Par­la­ment, son­dern die Suche nach der „Par­tei ganz neu­en Typs“. Nein, er „hät­te lie­ber eine stink­nor­ma­le Par­tei, die grü­nen Abge­ord­ne­ten soll­ten dann aber im Par­la­ment min­des­tens so gut und pro­fes­sio­nell sein wie unse­re bes­ten Anwäl­te vor Gericht.“ – 1980 geschrie­ben, und viel­leicht sind wir da heu­te, irgendwie.

Aber Moss­manns Auto­bio­gra­fie hat mich nicht des­we­gen beein­druckt, weil ganz am Schluss auch grün als poli­ti­sche Far­be vor­kommt. Nein, span­nend und leben­dig und unglaub­lich dicht und nah ist das, was – mit Aus­flü­gen nach Lar­zac und Chi­le, Däne­mark und Wal­deck – in den zwei Jahr­zehn­ren zuvor da pas­siert, wo Poli­tik zwi­schen WGs, Kol­le­gi­en­ge­bäu­den und Webers Wein­stu­be sich mate­ria­li­siert, und wo der Zug aus Karls­ru­he kom­mend die Vor­ber­ge pas­siert und dann über Denz­lin­gen, Gun­del­fin­gen und Zäh­rin­gen den Haupt­bahn­hof erreicht. Neben all dem Gro­ßen ist’s der Geist des Ortes, der hier prä­zi­se rekon­stru­iert wird, und so Moss­manns prä­gen­de Jah­re nahe bringt.

Sieben Tage, sieben Bücher

Auf Face­book läuft seit eini­ger Zeit ein – naja, eigent­lich: Ket­ten­brief – zum The­ma „Sie­ben Tage, sie­ben Bücher“. Wer mit­macht, soll an sie­ben Tagen jeweils ein Buch­co­ver ohne wei­te­re Erläu­te­rung pos­ten, und eine wei­te­re Per­son zum mit­ma­chen ani­mie­ren. Das Ergeb­nis fin­de ich durch­aus inter­es­sant; bei eini­gen sehr vor­her­seh­bar, bei ande­ren uner­war­tet. Jeden­falls passt mir das jeden Tag ein Cover pos­ten und eine Per­son nomi­nie­ren nicht, des­we­gen gibt es mei­ne sie­ben (plus zwei) Cover jetzt gesam­melt. Und auch wenn’s kei­ne wei­te­ren Erläu­te­run­gen geben soll: bei vie­len davon steht das gewähl­te Cover pars pro toto für eine gan­ze Rei­he von Büchern, die ich auch hät­te pos­ten können …

Für mich neu entdeckt: Bujolds Vorkosigan-Serie

Reading Vorkosigan

Manch­mal lohnt es sich, die eige­nen Vor­ur­tei­le zu über­prü­fen. Bei­spiels­wei­se habe ich die Vor­ko­sig­an-Serie von Lois McMas­ter Bujold bis vor kur­zem für unin­ter­es­sant für mich gehal­ten. Ich wuss­te, dass es um die Aben­teu­er eines Raum­schiff-Kapi­täns Miles Vor­ko­sig­an geht, dass die Serie mit „Hora­tio Horn­blower im Welt­raum“ ver­gli­chen wur­de (Wis­sens­lü­cke, aber irgend­was mit Flot­ten, Mili­tär und See­fahrt), und dass es sich dabei um „MilSF“, also mili­tä­ri­sche Sci­ence Fic­tion handelt.

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