Discounter und ihre Kosten (Update)

Seit ein paar Tagen wird dar­über dis­ku­tiert, dass die Dis­coun­ter-Ket­te Lidl Beschäf­tig­te übelst aus­spio­niert hat – die Debat­te schlägt wei­te Krei­se, im bür­ger­recht­lich-daten­schüt­ze­ri­schen Umfeld kur­siert schon ein Vor­schlag für ein neu­es Fir­men­lo­go. Dass der pri­vat­wirt­schaft­li­che Big-Brot­her-Trieb dem staat­li­chen in nichts nach­steht, ist so neu nun aller­dings auch wie­der nicht. Und wäh­rend die mit Pay­back-Kar­te zah­len­den Kun­dIn­nen das zumin­dest frei­wil­lig tun, geht die inti­me Über­wa­chung von rela­tiv wehr­lo­sen – Betriebs­rä­te und so’n Zeug mögen die Dis­coun­ter, wenn ich das so pau­schal sagen darf, ja auch nicht – abhän­gig Beschäf­tig­ten in ihrer Ver­werf­lich­keit noch um eini­ges über das sons­ti­ge Geba­ren hin­aus. Um es klar zu sagen: die Arbeits­be­din­gun­gen bei Dis­coun­tern sind einer der Grün­de, war­um ich ver­su­che, zu ver­mei­den, dort ein­zu­kau­fen. Und das gilt eben nicht nur für Lidl, son­dern für alle, die in die­se Preis­klas­se hinabreichen.

Julia See­li­ger weist nun dar­auf hin, dass unse­re Bun­des­tags­ab­ge­ord­ne­te – und wirt­schafts­po­li­ti­sche Spre­che­rin der Bun­des­tags­frak­ti­on – Kers­tin And­reae einen Vier-Wochen-Boy­kott von Lidl for­dert. Und Julia hat völ­lig recht damit, die­ses zurück­zu­wei­sen. Auf den ers­ten Blick mag der Vor­schlag logisch erschei­nen: ein Wirt­schafts­un­ter­neh­men hält sich nicht an den ord­nungs­po­li­ti­schen Rah­men, wird a. juris­tisch belangt und b. sym­bo­lisch auch von Ver­brau­che­rIn­nen-Sei­te mit Miss­ach­tung – sprich: Kauf­boy­kott – bestraft. Danach gelobt es Bes­se­rung und alles ist wie­der grün und sozi­al in der Markt­wirt­schaft. Wenn es denn so wäre, und wenn der­ar­ti­ges der ein­zi­ge Grund für einen Boy­kott wäre. Nur pas­sie­ren fast jede Woche bei den gro­ßen Bil­lig­händ­lern Din­ge, die hart an der Gren­ze zum Ille­ga­len lie­gen: das zei­gen die gewerk­schaft­li­chen Schwarz­bü­cher eben­so wie die ent­spre­chen­den Pres­se­mel­dun­gen. (Mal ganz abge­se­hen von den Bedin­gun­gen bei Zulie­fe­rer-Fir­men in ande­ren Län­dern oder der öko­lo­gi­schen und gesund­heit­li­chen Qua­li­tät von bil­lig her­ge­stell­ten Produkten).

Und ganz prin­zi­pi­ell stellt sich die Fra­ge, ob die grenz­wer­ti­gen Arbeit­neh­me­rin­nen-Rech­te und das ent­spre­chen­de Lohn­ni­veau bei der­ar­ti­gen Unter­neh­mun­gen nicht schon im kal­ku­la­to­ri­schen Ansatz vor­ge­se­hen sind. Wenn das so ist, dann wäre es bes­ser, wenn Kers­tin statt der Boy­kott­for­de­rung, die ja auch so ein biß­chen Kapi­tu­la­ti­on vor dem Kapi­tal ent­hält, zum Bei­spiel das The­ma Min­dest­lohn in den Vor­der­grund rücken wür­de. Das heißt dann aber auch: mehr Ord­nungs­recht. Und auch, wenn ich von Gewerk­schaf­ten nicht immer viel hal­te – in die­sem Bereich sind sie wei­ter­hin unbe­dingt notwendig.

War­um blog­ge ich das? Weil das klei­ne Bei­spiel „Lidl über­wacht Ange­stell­te“ exem­pla­risch deut­lich macht, dass zur recht­li­chen Ein­he­gung von Kapi­ta­lis­mus und Glo­ba­li­sie­rung auch eine ent­spre­chen­de Kon­trol­le und Durch­set­zung der Rechts­la­ge gehört – ohne jour­na­lis­ti­sche Recher­chen (in die­sem Fall des „Stern“) pas­siert sonst sehr sel­ten etwas.

Update: (10.04.2008) Lidl behaup­tet, auf­grund der (Berich­te über die) Video­über­wa­chung spür­ba­re Umsatz­ein­bu­ßen zu erlei­den. Inter­es­sant, wenn’s denn stimmt.

Kurzeintrag: Studiengebühren in Hessen – rot-rot-grünes Parlament gegen schwarz-gelbe Regierung

Was Sarah und ihr SPD-Coun­ter­part hier vor­ha­ben, klingt ziem­lich span­nend: per rot-rot-grü­ner Mehr­heit im neu­en hes­si­schen Land­tag die wohl wei­ter­hin geschäfts­füh­ren­de Koch-Regie­rung dazu zwin­gen, die Stu­di­en­ge­büh­ren wie­der abzu­schaf­fen. Ich drü­cke die Dau­men und bin – mal abge­se­hen vom fach­po­li­ti­schen Inter­es­se – sehr gespannt, ob das hes­si­sche Pro­jekt „Regie­ren gegen die Regie­rung“ klappt.

Sind die Grünen reif für Männer, die „Frauenthemen“ ernst nehmen?

Bei den Grü­nen wird ja der­zeit wei­ter­hin ein/e Nachfolger/in für Rein­hard Büti­ko­fer gesucht. Neben all­ge­mei­ner Unlust und ande­ren Kar­rie­re­plä­nen gibt es ein inter­es­san­tes Phä­no­men bei den der­zeit für die Bewer­bung um die­sen Pos­ten absa­gen­den – eine ernst genom­me­ne ega­li­tä­re Fami­li­en­kon­zep­ti­on. Ulri­ke Win­kel­mann schreibt in der taz dazu:

Her­men­au ist dabei nicht die Ein­zi­ge, die auf ein Kind ver­weist. Die Män­ner tun dies meist nicht ganz so offen – ein­mal abge­se­hen vom schles­wig-hol­stei­ni­schen Lan­des­chef Robert Habeck (sie­he Inter­view). Es stellt sich her­aus, dass die jün­ge­ren grü­nen Män­ner mit der Eman­zi­pa­ti­on jeden­falls inso­weit Ernst machen, als Sie sich auch an die Lebens­plä­ne ihrer Part­ne­rin gebun­den füh­len – da ist ein Umzug nach Ber­lin mit allem, was der Bun­des­vor­sitz an fami­li­en­feind­li­chen Stra­pa­zen ver­spricht, nicht selbstverständlich.

In der Frank­fur­ter Rund­schau beschreibt Vera Gas­e­row das Phä­no­men als „Gene­ra­ti­on Kann-gera­de-nicht“ – und sagt zwar, „dass die Grü­nen-Nach­wuchs­ge­ne­ra­ti­on auf die Unver­ein­bar­keit von Fami­lie und Poli­tik hin­weist, dass sie durch ihr Selbst­ver­ständ­nis inner­fa­mi­liä­rer Rol­len­ver­tei­lung dafür emp­find­li­cher ist als ande­re, das macht sie sym­pa­thisch“, geht aber dann doch von eigent­lich vor­ge­scho­be­nen Grün­den aus. Ich glau­be das nicht. In die­ser – mehr oder weni­ger auch mei­ner – Gene­ra­ti­on gibt es (sicher­lich unter­schied­lich aus­ge­prägt) tat­säch­lich ein ande­res Ver­ständ­nis von Geschlech­ter­ge­rech­tig­keit, fami­liä­rer Arbeits­tei­lung und Ega­li­tät als noch bei Fischer oder gar Gedöns-Schrö­der. Zumin­dest in bestimm­ten Krei­sen ist Eman­zi­pa­ti­on tat­säch­lich zu einem Selbst­ver­ständ­lich­keits­an­spruch gefordern.

Das ist auch gut so, aber damit ste­hen Bünd­nis 90/Die Grü­nen gleich­zei­tig vor einer Her­aus­for­de­rung, die etwas mit der eige­nen Pro­gram­ma­tik zu tun hat, die aber – wenn ich die Zei­chen der Zeit rich­tig deu­te – auch ganz ande­re Orga­ni­sa­tio­nen, etwa in der Wirt­schaft, betrifft: an die Stel­le von Man­n/­Kar­rie­re-Frau/­zu­hau­se mit Kind und Dou­ble-Inco­me-No-Kids sind heu­te in mei­ner Gene­ra­ti­on viel­fach Fami­li­en­grün­dungs­wün­sche getre­ten, die ega­li­tä­re gemein­sa­me Ver­ant­wor­tung, Kar­rie­re- und Kin­der­wün­sche zusam­men­brin­gen. Anders gesagt: auch jün­ge­re Män­ner ste­hen jetzt vor dem „Frau­en­pro­blem“, Kind und Kar­rie­re unter einen Hut zu brin­gen. Mit 60-Stun­den-Jobs ist das offen­sicht­lich nicht mög­lich. Einen – ich benut­ze jetzt bewusst die männ­li­chen For­men – Teil­zeit­bun­des­vor­sit­zen­den, Teil­zeit­mi­nis­ter, Teil­zeit­bür­ger­meis­ter, Teil­zeit­kon­zern­chef oder auch Teil­zeit­ab­tei­lungs­lei­ter sieht unse­re Gesell­schaft aller­dings bis­her nicht vor. Genau die­ses Dilem­ma wer­den auch die Grü­nen so schnell nicht lösen kön­nen; ver­mut­lich wird’s dann doch wie­der ein Mann oder eine Frau ohne fami­liä­re Ver­pflich­tun­gen (oder mit einer nicht­e­ga­li­tä­ren Fami­l­ein­vor­stel­lung). Aber dass es jetzt im Raum steht, und dass damit ein Pro­blem umris­sen wird, das eben auch zur Imple­men­ta­ti­on des post­bür­ger­li­chen grü­nen Wer­te­spek­trums dazu­ge­hört, ist wich­tig. Ein Bei­spiel dafür, dass eine Par­tei durch­aus Vor­rei­ter­funk­tio­nen in der­lei Belan­gen ein­neh­men kann, ist die Quo­te: in den 1980er Jah­ren bei den Grü­nen ein­ge­führt, gibt es jetzt zuneh­mend ernst­haf­te­re Über­le­gun­gen, sie auch anders­wo zu über­neh­men. Nor­we­gen mit sei­ner 40%-Quote für Auf­sichts­rä­te (im übri­gen: eine Quo­te für Män­ner und für Frau­en!) ist hier nur die Spit­ze eines in den nächs­ten Jah­ren auf­tau­chen­den Eisbergs.

War­um blog­ge ich das? Weil das Bei­spiel ein schö­nes Schlag­licht auf ein The­ma wirft, das mir sowohl poli­tisch als auch wis­sen­schaft­lich wich­tig ist. Und das zeigt, dass „Gen­der“ schon längst kei­ne Frau­en­fra­ge mehr ist.

Karlsruhe verbietet Zugriff auf Vorratsdaten

In einem Eil­ent­scheid hat das Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt den ver­dachts­un­ab­hän­gi­gen Zugriff auf gesam­mel­te „Vor­rats­da­ten“ über Tele­fon­ver­bin­dungs­da­ten außer Kraft gesetzt. Gut so!

Phone

Der Arbeits­kreis Vor­rats­da­ten­spei­che­rung begrüßt die heu­te ver­kün­de­te Ent­schei­dung des Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richts, die von CDU, CSU und SPD beschlos­se­ne ver­dachts­lo­se Samm­lung der Ver­bin­dungs- und Stand­ort­da­ten der gesam­ten Bevöl­ke­rung (Vor­rats­da­ten­spei­che­rung) durch einst­wei­li­ge Anord­nung ein­zu­schrän­ken. Die Ver­fas­sungs­rich­ter ent­schie­den: „In dem Ver­kehrs­da­ten­ab­ruf selbst liegt ein schwer­wie­gen­der und nicht mehr rück­gän­gig zu machen­der Ein­griff in das Grund­recht aus Art. 10 Abs. 1 GG (Schutz des Tele­kom­mu­ni­ka­ti­ons­ge­heim­nis­ses). Ein sol­cher Daten­ab­ruf ermög­licht es, weit­rei­chen­de Erkennt­nis­se über das Kom­mu­ni­ka­ti­ons­ver­hal­ten und die sozia­len Kon­tak­te des Betrof­fe­nen zu erlan­gen.“ […] Ralf Bend­rath vom Netz­werk Neue Medi­en und aktiv im Arbeits­kreis Vor­rats­da­ten­spei­che­rung betont: „Das Ver­fas­sungs­ge­richt ist bei Eil­ent­schei­dun­gen tra­di­tio­nell zurück­hal­tend. Dass die Rich­ter in die­sem Fall die Wei­ter­ga­be der Daten auf die Ver­fol­gung schwe­rer Straf­ta­ten beschränkt haben, zeigt, dass hier ein gra­vie­ren­der Grund­rechts­ein­griff vor­liegt. (Pres­se­mit­tei­lung des AK Vor­rats­da­ten­spei­che­rung).

Denn obwohl der Beschluss for­mal nur ein Teil­sieg für die Geg­ner der Vor­rats­da­ten­spei­che­rung bedeu­tet, ist es ein höchst signal­mäch­ti­ger: Karls­ru­hes Spruch stellt fak­tisch den Sta­tus Quo vor Ein­füh­rung der anlass­un­ab­hän­gi­gen Daten­spei­che­rung wie­der her. Denn das ist der Clou des in die­ser Hin­sicht salo­mo­ni­schen Beschlus­ses: Es erlaubt zwar noch das Sam­meln von Daten, nicht aber den beab­sich­tig­ten ver­dachts­un­ab­hän­gi­gen Voll­zu­griff dar­auf. Auch wei­ter­hin hei­ligt der Zweck auch für den Staat nicht die Mit­tel, Karls­ru­he mahnt mit sei­nem Beschluss, die Ver­hält­nis­mä­ßig­keit der ein­ge­setz­ten Mit­tel zu ach­ten. (Frank Pata­long, Spie­gel Online).

Und natür­lich die Ein­schät­zung der Situa­ti­on bei Mar­kus, die Sicht von Bun­des­da­ten­schüt­zer Peter Schaar, ein Tele­po­lis-Arti­kel, die Bür­ger­rechts­pres­se­er­klä­rung der Bun­des­grü­nen und nicht zuletzt die (lei­der noch nicht online ste­hen­de) Pres­se­mit­tei­lung der baden-würt­tem­ber­gi­schen Grü­nen, in der es heißt:

„Die Ent­schei­dung des Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richts ist ein wich­ti­ger Etap­pen­sieg für den Rechts­staat. Damit ertei­len die Rich­ter den Über­wa­chungs­phan­ta­sien der Gro­ßen Koali­ti­on ein­mal mehr eine Absa­ge“, erklär­te Mou­rat­i­dis, der sich selbst an der Sam­mel­kla­ge gegen die Vor­rats­da­ten­spei­che­rung betei­ligt hat.

War­um blog­ge ich das? Weil mir das The­ma wich­tig erscheint, und hier neu­es bür­ger­schaft­li­ches Enga­ge­ment vie­ler tat­säch­lich mal was bewegt hat.