Skeptisches zur Grundeinkommenspetition
Über diverse Kanäle bin ich in den letzten Tagen auf die Grundeinkommenspetition aufmerksam gemacht worden. Bisher gehöre ich nicht zu den über 10.00020.000 MitzeichnerInnen der Petition (mitzeichnen noch bis 10.2.17.2. möglich), obwohl ich, wie langjährige LeserInnen dieses Blogs wissen, der Idee eines bedingungslosen Grundeinkommens durchaus positiv gegenüberstehe. Nebenbei bemerkt: ich finde es klasse, dass es – bei allen Mängeln – das ePetitions-System des Bundestags gibt. Und die Grundeinkommenspetition zeigt, dass das gut mit viralen Verbreitungswegen und sozialen Netzen (auch außerhalb der digitalen Welt) zusammenpasst.
Warum stehe ich trotzdem bisher nicht unter der Petition? Dafür habe ich vor allem zwei Gründe.
1. Der vollständige Text der Petition lautet
„Der Deutsche Bundestag möge beschließen … das bedingungsloses Grundeinkommen einzuführen.“
Das ist für sich alleine genommen auf jeden Fall knapp, aber auch ziemlich schwammig. Jetzt ließe sich argumentieren, dass es sinnvoll ist, dass das schwammig ist, weil sonst zu viele ausgegrenzt werden. Sehe ich anders – mir wäre eine Petition, die einen realpolitisch durchdachten Vorschlag macht, lieber. So lässt sich das trotz der vielen, vielen MitunterzeichnerInnen nämlich viel zu schnell vom Tisch wischen. Auch die Mitglieder des Petitionsausschusses des Deutschen Bundestags werden in erster Linie das in diese Petition hineinlesen, was sie da gerne lesen wollen. Meiner Erfahrung ist, wenn die Grundeinkommensidee nicht näher begründet und geerdet wird, das in die offenmöglichste Formulierung hineingelese dann schnell genau das Falsche. Und Ablehnungsgrund im Bundestag.
Noch schwieriger wird es, wenn der knappe Text mit der Begründung zusammen gelesen wird. In dieser wird nämlich die – zugegebenermaßen ziemlich populäre – Götz-Werner-Variante eines über die Mehrwertsteuer finanzierten 1500-Euro-Grundeinkommens zur Grundlage gemacht. Ich bin zwar für ein bedingungsloses Grundeinkommen, glaube aber, dass ein bißchen mehr Kompromissfähigkeit sein muss, um in einem realpolitisch agierenden Kontext Resonanz und Anschlussfähigkeit zu produzieren. Und der Bundestag ist so ungefähr das Maximum an Tagespolitik.
2. Weil ich dem Petitionsausschuss nicht zutraue, über den Tellerrand fast aller dort vertreten Parteien hinwegzuschauen, glaube ich nicht, dass er – egal wie die Petition genau formuliert wäre – ein Grundeinkommen irgendwie positiv in den im Bundestag ablaufenden politischen Prozess hineingeben würde. Insofern stellt sich mir die Frage, ob eine Petition das richtige Instrument ist. Wenn es einen Volksentscheid auf Bundesebene geben würde, wäre das alles noch einmal ein bißchen anders. So kann das Ziel der Petition eigentlich nur sein, über den Umweg Bundestag eine gesellschaftliche und politische Debatte in Gang zu bringen bzw. wieder anzuheizen. Ob das so klappt? Ich habe meine Zweifel, und glaube, dass andere Aktionsformen effektiver wären – entweder im Sinne von viel, viel Überzeugungsarbeit in einer der größeren Fraktionen, also ganz realpolitisch (das hat leider z.B. bei Grüns auf Bundesebene nur bedingt geklappt) oder eben andersherum im Sinne außerparlamentarischer Symbol- und Meinungsbildungspolitik und eines politischen Wechsels von unten.
Zusammengefasst: um so eine Sache wie das Grundeinkommen wirklich voranzubringen, braucht es auf allen Ebenen mehr politische Professionalität. Damit meine ich nicht PR und Marketing (das klappt auch, wenn vorne ein Charismat steht), sondern die Mühen der politischen Ebenen zu durchwandern und die Mühlen von BIs und Verbänden, Parteien und Kampagnen zum Klappern zu bringen. Noch die beste Idee kann daran scheitern, dass ihr alleine zuviel zugetraut wird und darüber vergessen wird, Netzwerke und Bündnisse zu schmieden, die Öffentlichkeit zu erreichen und immer wieder und wieder Überzeugungsarbeit zu leisten. Politische Erfolge entstehen nicht von alleine, sondern brauchen auch unter der Oberfläche der Anträge und Parteitagsreden viel Vorarbeit. (Das sei im übrigen auch den GrundeinkommensaktivistInnen in der eigenen Partei noch einmal gesagt!).
Vielleicht ist die E‑Petition ein Fokuspunkt, um eine politische Professionalisierung zu erreichen. Ich bin skeptisch. Im Untergrund sich alleine überlassen habe ich Angst, dass aus der vielunterzeichneten Petition eher ein sehr kurzes Feuerwerk mit einer sehr langen Lunte werden wird. Und darauf habe ich keine Lust. Aber vielleicht überzeugt mich ja in den nächsten fünf Tagen noch jemand vom Gegenteil (oder davon, dass ich durch die ehrenamtliche Teilnahme am politischen Betrieb schon so verdorben bin, dass ich die Kraft der Ideen nicht mehr wahrnehme).
Warum blogge ich das? Weil ich es begründungsbedürftig finde, die Petition nicht zu unterzeichnen. Und weil ich gerne auf allen Ebenen (Petition als partizipatives Instrument, Grundeinkommen als Realpolitik, professionalisierte Kampagnenarbeit) Debatten anregen möchte.
Kurz: Virales Marketing für Bahnspionage (Update 6: Nachbesprechung)
2008/09 ist das Doppeljahr der Datenschutzskandale. Nach Lidl und der Telekom kam die Bahn dran, die ihre eigenen MitarbeiterInnen beschattete. Natürlich kann so ein Thema an einem netzpolitischen Blog nicht vorbeigehen. Markus Beckedahl hat deswegen auf netzpolitik.org u.a. ein ihm anonym zugeschicktes Dokument veröffentlicht, in dem es um ein Gespräch des Berliner Datenschutzbeauftragten mit der DB-Führung geht. Der Bahn scheint die bisherige Aufmerksamkeit, die auf ihr Datenschutzproblem (und auf die Uneinsichtigkeit von Harmut „Ich würde es wieder machen“ Mehdorn) gelenkt wird, nicht zu reichen. Was machen sie also? netzpolitik.org eine Abmahnung schicken, die prompt zu der gewünschten viralen Aufmerksamkeitsgenerierung führt.
Meine Prognose: selbst wenn Markus sich gewzungen sieht, den Text zu entfernen – auf irgendwelchen Pfaden wird das Memo garantiert bei Wikileaks auftauchen. Erfolg für die Bahn im Sinne einer Kontrolle ihres öffentlichen Images also: keiner.
Update: Laut Rivva berichtet inzwischen (17:28) – gerade mal gut zwei Stunden nach dem Originalposting – mindestens 22 Blogs über Markus‘ Abmahnung, dazu kommen mehr als hundert Tweets. Einen besonderen Hinweis verdient hat das Interview, das Julia Seeliger mit Markus dazu geführt hat.
Update 2: Weitere 15 Minuten später ist auch heise mit dabei.
Update 3: (4.2.2002) Markus fasst zusammen, was in den Stunden nach der Veröffentlichung alles passiert ist – inkl. umfangreichem Pressespiegel. Eindrucksvoll auch die lange, lange Feedback-Liste. Und eine Facebook-Gruppe „Mehdorn muss weg“ gibt’s jetzt auch.
Update 4: Rechtliche Bewertung der Abmahnaktion bei Telemedicus, und Kopien des Dokuments nicht nur bei Pirate Bay etc., sondern auch bei Toni Hofreiter MdB und bei Volker Beck MdB (beide Grüne). Sehr gut! (Auch, dass Volker Beck es nicht beim Thematisieren im Web belassen hat, sondern gleich mal eine mündliche Anfrage an die Bundesregierung dazu gestellt hat.)
Update 5: (6.2.2009) Netzpolitische Solidarisierung und die dadurch verursachten Medienberichte bis hin zum taz-Titelthema scheinen geholfen zu haben – die DB AG möchte „die Sache“ wohl nicht weiter verfolgen.
Update 6: (8.2.2009) Auch wenn ich nicht jeden Punkt so teile, finde ich die post-mortem-Analyse von Ralf Bendrath sehr lesenswert. Ein bißchen zu kurz kommt mir dabei allerdings die Würdigung der „Emergenz eines Hintergrundauschens vielfacher politischer Empörung, dass das konkrete – und auch in diesem Fall letztlich politische – Handeln erst glaubwürdig werden lässt“, wie ich in einem Kommentar dazu schreibe. Erst die Möglichkeit risikolosen Solidaritätsaktivismus ermöglicht die rasante und schnelle Aktivierung des Web2.0‑Netzwerks – die wiederum zur Kulisse wird, vor der symbolpolitisch und in direkter Verhandlung agiert werden kann.
Photo of the week: Rimfrost series VI
Kurz: Meine Schwester macht Kunst (Update)
Am Samstag ist die Eröffnung einer Ausstellung, an der meine Schwester Steffi beteiligt ist. Gerade noch rechtzeitig dafür habe ich soeben ihre Website auf den neusten Stand gebracht.
Wer sich in der Eifel befindet, kann ab 31.1. (Eröffnung: 16 Uhr) und noch bis zum 15.3. im Kunst- und Kulturzentrum Monschau Plastiken, Bilder und Installationen von Dieter Call, Anja Voigt und eben Steffi Westermayer unter dem Titel „Wo ist hier“ anschauen – alle drei von der HBK Saar/Prof. Nestler. Eintritt frei. (Weitere Informationen aus der Lokalzeitung).
Und wo ich schon einmal dabei bin, kann ich natürlich auch gleich darauf hinweisen, dass Steffi ab 14.2. im „Raum für Kunst“ der Elisengalerei Aachen eine Einzelausstellung hat.
Update: (2.2.2009) Bericht der Aachener Zeitung.