Wie Frauen und Männer das Internet nutzen

Ich war eigent­lich auf der Suche nach was ganz ande­rem (näm­lich sozio­de­mo­gra­phisch auf­ge­schlüs­sel­ten Daten zur Ver­füg­bar­keit von Mobil­te­le­fo­nen in pri­va­ten Haus­hal­ten) beim Sta­tis­ti­schen Bun­des­amt, bin dabei aber auf die Publi­ka­ti­on Pri­va­te Haus­hal­te in der Infor­ma­ti­ons­ge­sell­schaft gesto­ßen (Fach­se­rie 15, Rei­he 4, 2009). Das ist eine im April und Mai 2009 durch­ge­führ­te euro­pa­wei­te Erhe­bung zur Nut­zung und Ver­füg­bar­keit von Infor­ma­ti­ons- und Kom­mu­ni­ka­ti­ons­tech­no­lo­gie. Die­se fin­det alle drei Jah­re statt. 

Im ver­link­ten Ergeb­nis­band fin­den sich nun zwar lei­der kaum Aus­sa­gen zur IuK-Tech­no­lo­gie Mobil­te­le­fon (nur zur mobi­len Inter­net­nut­zung), aber dafür anders inter­es­san­tes – näm­lich nach Geschlecht* und nach Alter auf­ge­schlüs­sel­te Daten zur Nut­zung des Inter­net. Die wich­tigs­ten davon habe ich mal in zwei Tabel­len gepackt. Im eigent­li­chen Bericht sind noch eini­ge Daten mehr ent­hal­ten, aber die­se hier erschie­nen mir beson­ders interessant:


Tabel­len zur Netz­nut­zung, Daten­quel­le: Stat. Bun­des­amt, Fach­se­rie 15, Rei­he 4, 2009. Ankli­cken zum Vergrößern

In den Tabel­len sind jeweils Pro­zent­an­ga­ben nach Geschlecht (m/w/gesamt) und Alters­grup­pe ange­ge­ben; alle Anga­ben in der obe­ren Tabel­le bezie­hen sich auf Per­so­nen des ange­ge­be­nen Geschlechts und Alters, die im ers­ten Quar­tal 2009 das Netz genutzt haben. In der unte­ren Tabel­le sind die­se umge­rech­net auf die Gesamt­be­völ­ke­rung (also inkl. Nicht-Nut­ze­rIn­nen) in der jewei­li­gen Kom­bi­na­ti­on aus Geschlecht und Alters­grup­pe. Die Anga­be „u“ ist der „/“ aus der amt­li­chen Tabel­le und bedeu­tet, dass die Zahl der Fäl­le im Feld zu klein für eine siche­re Anga­be ist (d.h. weni­ger als 50 Fäl­le). Befragt wur­den in die­ser amt­li­chen Erhe­bung ins­ge­samt 23556 Personen.

Inter­es­sant ist nun der Blick auf die lachs­far­ben und baby­blau­en Fel­der. Baby­blau steht dafür, dass hier der jewei­li­ge Anteil bei den Män­nern um mehr als 3 Pro­zent­punk­te über dem der Frau­en liegt; lachs­far­ben mar­kiert die umge­kehr­te Dif­fe­renz. Auch wenn das nicht die sinn­volls­te Metho­de ist, um über die Signi­fi­kanz von Unter­schie­den zwi­schen zwei Grup­pen zu spre­chen, ergibt sich zumin­dest schnell ein Bild.

In der letz­ten Spal­te – Gesamt­be­völ­ke­rung unab­hän­gig vom Alter – sind es nur drei bzw. (bezo­gen auch auf die Nicht-Nut­ze­rIn­nen, die nach Geschlecht dif­fe­rie­ren) nur ein Item, bei dem die Nut­zung durch Män­ner nicht um min­des­tens drei Pro­zent­punk­te über der Nut­zung durch Frau­en liegt. Mehr Män­ner als Frau­en sind mobil im Inter­net, mehr Män­ner als Frau­en schau­en Fern­se­hen oder hören Radio im Inter­net, mehr Män­ner machen Online-Ban­king und laden Com­pu­ter­spie­le her­un­ter. Die Spann­wei­te der Unter­schie­de ist dabei beacht­lich und reicht von 5 Pro­zent­punk­ten beim E‑Government (Behör­den­kon­takt per Netz) bis zu 26 Pro­zent­punk­ten Dif­fe­renz beim Down­load von Software.

Kei­ne (nen­nens­wer­te) Dif­fe­renz ergibt sich in die­ser Betrach­tungs­wei­se für die drei „akti­ven“ Items: nicht nach Geschlecht unter­schied­lich fällt dem­nach die Netz­nut­zung für eMail und für ande­re Kom­mu­ni­ka­ti­ons­for­men (Chat­ten und Foren­kom­men­ta­re hat das Sta­tis­ti­sche Bun­des­amt hier zusam­men­ge­wor­fen) aus – und auch bei der Erstel­lung eige­ner Inhal­te gibt es kaum Differenzen. 

Soweit bestä­tigt sich zunächst das eta­blier­te Bild netz­af­fi­ner Män­ner und weni­ger netz­af­fi­ner Frauen.

Wird nun das gan­ze nach Alter dis­agr­eg­giert, zei­gen sich erstaun­li­che Dif­fe­ren­zen zwi­schen den­je­ni­gen ab 25 Jah­ren und den bei­den Alters­grup­pen dar­un­ter. Hier gibt es jetzt näm­lich plötz­lich Berei­che der Netz­nut­zung, die häu­fi­ger von Frau­en als von Män­nern betrie­ben wer­den. Nament­lich geht es dabei wie­der um die The­men EMail-Schrei­ben, sons­ti­ge Kom­mu­ni­ka­ti­on im Netz und das Erstel­len eige­ner Inhal­te. Dazu kommt ein leich­ter Vor­sprung beim E‑Government. Die Dif­fe­renz beim Online-Ban­king ebnet sich ein. 

Sowohl beim Down­load von Soft­ware, beim Down­load von Com­pu­ter­spie­len wie auch bei der Nut­zungs­häu­fig­keit und bei der mobi­len Nut­zung bleibt die Geschlech­ter­dif­fe­renz > 3 % dage­gen erhalten.

Wie sind die­se Daten nun zu inter­pre­tie­ren? Gehen weib­li­che digi­tal nati­ves ganz anders an das Netz ran als Frau­en über 24 Jah­ren? Oder sind hier Geschlech­ter­ver­hält­nis­se im Sin­ne bei­spiels­wei­se der zuneh­men­den Ver­ant­wor­tung für Fami­li­en­ar­beit, die dann weni­ger Zeit für einen – eh männ­lich kon­no­tier­ten (Schön­ber­ger 1999, 2008) – expe­ri­men­tel­len Umgang mit neu­en Tech­no­lo­gien lässt? 

Und natür­lich über­tra­gen sich die all­tags­welt­li­chen Pro­zes­se und Prak­ti­ken des doing gen­ders auch ins Netz – femi­nis­ti­sche Blogger(i/I)nnen kön­nen davon ein Lied sin­gen, das betrifft aber auch Zuwei­sun­gen von Tätig­keits­be­rei­chen, als nor­mal ange­se­he­ne Akti­vi­tä­ten und erwar­te­tes Ver­hal­ten. In die­sem Zusam­men­hang ist es auf­fäl­lig, dass es gera­de die „kom­mu­ni­ka­ti­ven“ Berei­che sind, in denen Frau­en stär­ker oder ähn­lich stark in der Netz­nut­zung ver­tre­ten sind wie Män­ner. Das könn­te jetzt natu­ra­lis­tisch inter­pre­tiert wer­den, im Sin­ne eines „Frau­en sind halt kom­mu­ni­ka­ti­ver, Män­ner repa­rie­ren halt lie­ber das Auto spie­len halt lie­ber Computerspiele“. 

Ich hal­te eine sol­che Inter­pre­ta­ti­on aber nicht nur für unwahr­schein­lich, son­dern auch für gefähr­lich – und wür­de eher davon aus­ge­hen, dass hier zwei Din­ge zu beob­ach­ten sind: Ers­tens die Nor­ma­li­sie­rung der Netz­nut­zung, also eine Ver­schie­bung vom expe­ri­men­tell-tech­ni­schen ins all­täg­lich-untech­ni­sche, so dass das Netz schon lan­ge nicht mehr als „Män­ner­do­mä­ne“ zu betrach­ten ist. Die­se Ver­all­täg­li­chung ist aber nicht auf alle Tätig­keits­fel­der und Gerä­te glei­cher­ma­ßen aus­ge­rich­tet und gleich­mä­ßig ver­teilt. Das Instal­lie­ren von Soft­ware oder der „neue“ mobi­le Netz­zu­gang ragen hier heraus.

Zwei­tens ist gera­de in die­sem ver­all­täg­lich­ten Netz ein Durch­schla­gen der ganz „nor­ma­len“ Selbst­ver­ständ­lich­kei­ten zu beob­ach­ten, und zwar sowohl auf der Ebe­ne „erlaub­ter“ und als rol­len­kon­form wahr­ge­nom­me­ner Akti­ons­fel­der als auch auf der Ebe­ne struk­tu­rel­ler Ein­schrän­kun­gen – also Kin­der­er­zie­hung als Bruch­li­nie zwi­schen den Alters­grup­pen. Das spie­gelt sich dann ver­mut­lich auch in den ein­zel­nen Berei­chen wie­der, also bei­spiels­wei­se trotz der fast iden­ti­schen Antei­le beim Erstel­len eige­ner Inhal­te, im Phä­no­men der männ­li­chen Alpha-Blogger.

So inter­es­sant die­se sta­tis­ti­schen Daten sind – eigent­li­ches Wis­sen dar­über, wie die­se Dif­fe­ren­zen zu Stan­de kom­men, war­um sie sich in bestimm­ten Berei­chen über die Alters­grup­pen hin­weg fort­set­zen und in ande­ren auf­bre­chen, braucht ande­re Metho­den – also den Blick auf die Prak­ti­ken der Netz­nut­zung, die Ana­ly­se des dis­kur­si­ven Doing Gen­ders und die Unter­su­chung der struk­tu­rel­len Mög­lich­kei­ten. Dane­ben wäre es m.E. auch sinn­voll, die Dif­fe­ren­zie­rung noch wei­ter zu trei­ben – die Sek­tio­nie­rung nach Alter und Geschlecht zeigt Abhän­gig­kei­ten vom Lebens­ver­lauf. Das sta­tis­ti­sche Bun­des­amt hat sei­ne Daten auch nach Bil­dungs­stand dis­agg­re­giert – aber eben nicht gekop­pelt mit den ande­ren Fak­to­ren. Natür­lich gerät auch da die Reprä­sen­ta­tiv­sta­tis­tik an ihre Gren­zen (schon jetzt sind eini­ge Fel­der nicht aus­wert­bar, weil die Fall­zah­len zu klein wer­den). Prin­zi­pi­ell jedoch wäre, wenn schon das quan­ti­ta­ti­ve Para­dig­ma bemüht wer­den soll, genau hier der nächs­te Schritt, also beim Blick dar­auf, wie sozia­le Her­kunft – viel­leicht auch die Fami­li­en­struk­tur – mit Alter und Geschlecht interagieren.

P.S.: Ich bin mir sicher, dass es Blogs und wei­te­re For­schungs­ar­bei­ten zu die­sem The­men­feld gibt. Nach­dem ich eigent­lich auf der Suche nach etwas ganz ande­rem war, habe ich da jetzt nicht wei­ter recher­chiert, son­dern nur das, was ich eh gera­de in der Hand hat­te, her­bei­ge­zo­gen. Über Hin­wei­se in den Kom­men­ta­ren wür­de ver­mut­lich nicht nur ich mich freuen.


* Selbst­ver­ständ­lich geht das sta­tis­ti­sche Bun­des­amt dabei von Zwei­ge­schlecht­lich­keit aus.

Lite­ra­tur
Schön­ber­ger, Klaus (1999): »Inter­net zwi­schen Spiel­wie­se und Fami­li­en­post. Doing Gen­der in der Netz­nut­zung«, in Eike Hebecker/Frank Kleemann/Harald Neymanns/Markus Stauff (Hrsg.): Neue Medi­en­wel­ten. Zwi­schen Regu­lie­rungs­pro­zes­sen und all­täg­li­cher Aneig­nung. Frank­furt: Cam­pus, S. 249–270.

Schön­ber­ger, Klaus (2008): »Doing Gen­der, kul­tu­rel­les Kapi­tal und Prak­ti­ken des Blog­gens«, in Hen­gart­ner, Thomas/Simon Micha­el: Bil­der-Bücher-Bytes. Ber­lin. www.

Sta­tis­ti­sches Bun­des­amt (2009): Pri­va­te Haus­hal­te in der Infor­ma­ti­ons­ge­sell­schaft – Nut­zung von Infor­ma­ti­ons- und Kom­mu­ni­ka­ti­ons­tech­no­lo­gie. Wirt­schafts­rech­nun­gen. Fach­se­rie 15 Rei­he 4. Wies­ba­den: Sta­tis­ti­sches Bundesamt.

War­um blog­ge ich das? Weil ich nicht den Ein­druck habe, dass Daten
wie die­se all­ge­mein bekannt sind.

Nach­trag: Das gan­ze als Dia­gram­me visua­li­siert gibt es hier:

diagramme-netznutzung
Abbil­dung. Netz­nut­zung nach Alter und Geschlecht.
Quel­le: Stat. Bun­des­amt, eige­ne Dar­stel­lung. Ankli­cken zum Vergrößen.

Kurz: Blog zum Buch zum Projekt

Screenshot http://blog.wa-gen.deGes­tern habe ich damit zuge­bracht, aus einer Web­site eines For­schungs­pro­jekts („Wald­wis­sen und Gen­der“, 2005–2008) – pünkt­lich zum Erschei­nen des aus die­sem Pro­jekt her­aus ent­stan­de­nen Buchs („Abschied vom grü­nen Rock“, Mün­chen: oekom, Sept. 2010) ein Blog zu machen. Ist nicht wirk­lich schnell, sieht aber ok aus, und wird hof­fent­lich dazu bei­tra­gen, über Pro­jekt und Buch hin­aus ein biß­chen ein Sam­mel­punkt für The­men an der Schnitt­stel­le von Forst­ver­wal­tun­gen, wald­be­zo­ge­ner Umwelt­bil­dung und forst­li­chen Geschlech­ter­ver­hält­nis­sen zu sein. 

War­um ein Blog? Ers­tens, weil’s kom­men­tier­bar ist, zwei­tens, weil’s schnell aktua­li­sier­bar ist, selbst wenn FTP nicht funk­tio­niert, und drit­tens, weil das ten­den­zi­ell auch ande­re Leu­te über­neh­men kön­nen. Mal sehen, was dar­aus wird.

Wer sich für Geschlech­ter­ver­hält­nis­se im Wald und eine Gen­der-Per­spek­ti­ve auf forst­li­che Akti­vi­tä­ten und For­schungs­fra­gen inter­es­siert, fin­det dort jeden­falls schon eini­ges (im Buch natür­lich auch ;-) ) – und wird sicher­lich auch in Zukunft auf dem Lau­fen­den gehal­ten wer­den. Also: blog.wa-gen.de bookmarken!

 

Irreführende Werbung bei Facebook

Im öffent­li­chen Dis­kurs taucht in letz­ter Zeit immer öfter der Ver­gleich zwi­schen Face­book und Goog­le auf. Das betrifft die Mög­lich­keit, über den sich im Netz aus­brei­ten­den Like-But­ton sowas wie per­so­na­li­sier­te Such­ergeb­nis­se zu gene­rie­ren, es betrifft aber – in klei­ne­rem Maße – auch die Tat­sa­che, dass Goog­le sein Geld mit Wer­bung ver­dient, und Face­book natür­lich eine noch genau­er auf per­sön­li­che Inter­es­sen abge­stimm­te Anzei­gen­ver­mark­tung betrei­ben kann. So ganz plau­si­bel fin­de ich die­sen Ver­gleich nicht, aber dar­um soll es jetzt auch gar nicht gehen.

Viel­mehr habe ich mich schon häu­fi­ger dar­über gewun­dert, wel­che Kon­tak­te bei Face­book von mir – angeb­lich – wel­che Pro­duk­te toll fin­den. In der Rand­spal­te steht dann unter der Wer­be­an­zei­ge sowas wie „XYZ likes this“. Auch die eige­nen Fea­tures bewirbt Face­book in die­ser Wei­se. Seit kur­zem gibt es den „fri­end fin­der“, eine Funk­ti­on, die aus Daten­schutz­sicht hef­tig kri­ti­siert wird. Letzt­lich geht es dabei dar­um, Face­book den Zugriff auf das eige­ne EMail-Adress­buch zu ermög­li­chen, um so dort gespei­cher­te Kon­tak­te – und indi­rek­te Ver­bin­dun­gen – bei Face­book zu fin­den (und sei­en es auch nur die ande­ren Pati­en­tIn­nen des eige­nen The­ra­peu­ten). Mit ande­ren Wor­ten: Face­book ver­sucht hier, auf pri­va­te Daten­be­stän­de zuzu­grei­fen, um mehr Men­schen dazu zu brin­gen, bei Face­book Mit­glied zu werden.

Umso mehr wun­der­te es mich, als ich vor ein paar Tagen eine erstaun­te Mail bekam, ob ich den die­sen zu kri­ti­sie­ren­den „fri­end fin­der“ tat­säch­lich nut­zen wür­de. Tue ich nicht, Face­book wirbt aber bei mei­nen Kon­tak­ten damit:

facebook-friendfinder
Screen­shot des „Freun­de­fin­ders“ von Face­book – angeb­lich von mir empfohlen

Mal abge­se­hen davon, dass ene Nut­zung nicht unbe­dingt auch eine Emp­feh­lung bedeu­tet – zum Bei­spiel hät­te es ja sein kön­nen, dass ich mir das ange­schaut habe, um mir selbst ein Bild davon zu machen, wie pro­ble­ma­tisch die Umset­zung ist – wirbt Face­book hier mit fal­schen Tat­sa­chen. Dafür kann es zwei Erklä­run­gen geben.

1. Face­book sagt hier wis­sent­lich die Unwahr­heit und nimmt ein­fach irgend­wel­che Kon­tak­te als „Emp­feh­lung“.

2. Face­book und ich haben unter­schied­li­che Vor­stel­lun­gen davon, was ein „fri­end fin­der“ ist und wie er genutzt wird. Mög­li­cher­wei­se gehört ja schon die all­ge­mei­ne Suche nach Per­so­nen oder ein Kon­takt, den ich ange­nom­men habe und der das Tool genutzt hat, aus Sicht von Face­book zur „Nut­zung“. Ich habe jeden­falls defi­ni­tiv noch nie Face­book den Zugang zu einem mei­ner Mail­ac­counts gege­ben – das ist es, was ich unter „Nut­zung des fri­end fin­ders“ ver­ste­hen würde.

Das gan­ze hat jetzt zunächst ein­mal den Effekt, dass sich für mich die Ver­mu­tung, dass es bei den Wer­be­emp­feh­lun­gen durch Kon­tak­te nicht ganz mit rech­ten Din­gen zugeht, bestä­tigt. Mein Ver­trau­en in Face­book sinkt in die­ser Hin­sicht also. 

Gleich­zei­tig wird es aller­dings noch ande­ren Leu­ten so gehen wie Alex­an­der – dass ihnen vor­ge­gau­kelt wird, ich wür­de den Freun­de­fin­der emp­feh­len. Das wie­der­um hat Aus­wir­kun­gen auf mei­ne digi­ta­le Repu­ta­ti­on – und hier bin ich eher ratlos. 

War­um blog­ge ich das? U.a. aus dem zuletzt genann­ten Grund – als klei­ner Hin­weis dar­auf, dass die Emp­feh­lun­gen von Face­book „in mei­nem Namen“ von mir in keins­ter Wei­se auto­ri­siert sind.

You can’t have the pie and eat it, too

Introduction I
Timo­thy Simms
Reinhold Pix
Rein­hold Pix

Ges­tern war ja die Nomi­nie­rungs­ver­samm­lung für den Wahl­kreis Frei­burg-Ost für die Land­tags­wahl. Als Ko-Ver­samm­lungs­lei­ter muss­te ich ges­tern abend ja neu­tral sein (und den­ke, dass mir das auch eini­ger­ma­ßen gelun­gen ist). Als Kreis­vor­stands­mit­glied des KV Breis­gau-Hoch­schwarz­wald freue ich mich sehr, dass unser Abge­ord­ne­ter Rein­hold Pix wie­der nomi­niert wur­de. Trotz – oder viel­leicht auch wegen – all sei­ner Ecken und Kan­ten ist er genau der rich­ti­ge für den oft zitier­ten „länd­li­chen Raum“. Er hat uns im Schwarz­wald in der Tat Türen geöff­net, die vor­her ver­na­gelt und bar­ri­ka­diert waren. Er steht für ein boden­stän­di­ges, manch­mal etwas rup­pi­ges Grün jen­seits der Groß­städ­te. Und genau das brau­chen wir auch in der Landtagsfraktion.

Inso­fern bin froh, dass Rein­hold mit 42 Stim­men der 53 Wahl­be­rech­tig­ten wie­der nomi­niert wur­de. Wenn ich mich im Saal umge­schaut habe, habe ich vie­le Leu­te aus Gun­del­fin­gen, vor allem aber aus dem Dreis­amt­al und aus dem Hoch­schwarz­wald gese­hen. Ich den­ke, dass (fast) alle davon Rein­hold gewählt haben.

Eigent­lich also aller Grund, zufrie­den zu sein. Ganz zufrie­den bin ich nicht, und das hat damit zu tun, dass der Frei­bur­ger Gemein­de­rat Timo­thy Simms nur 11 Stim­men erhal­ten hat. Tim, den ich seit Jah­ren – u.a. aus dem Sozio­lo­gie­stu­di­um und der Hoch­schul­ar­beit – ken­ne und per­sön­lich sehr schät­ze, hat­te sich rela­tiv kurz­fris­tig für die Kan­di­da­tur bewor­ben. Er hat das mit einer sehr urba­nen Bewer­bung getan, mit einem Schwer­punkt auf weit ver­stan­de­ne Kul­tur­po­li­tik und – als Deutsch-Ame­ri­ka­ner – auf Migra­ti­on und Inte­gra­ti­on. Auch das sind The­men, die ich ger­ne in der Frak­ti­on ver­tre­ten gese­hen hät­te. Eben­so wie Rein­hold ist Tim ein unab­hän­gi­ger Geist; eben­falls ein Vorteil. 

Mein liebs­tes Ergeb­nis des Abends wäre also gewe­sen, dass bei­de nomi­niert wor­den wären. Das ist nun aber tat­säch­lich unmög­lich. Ich hät­te also mit bei­den mög­li­chen Ent­schei­dun­gen leben kön­nen – als Kreis­vor­stands­mit­glied des „länd­li­chen“ KVs dann doch mit einer Prä­fe­renz für Rein­hold. Inso­fern bin ich, wie gesagt, froh über das Ergebnis. 

Vor der Ver­samm­lung bin ich davon aus­ge­gan­gen, dass es knap­per wer­den wür­de. Ich bin auch des­we­gen davon aus­ge­gan­gen, weil die Nomie­rungs­ver­samm­lung vor fünf Jah­ren heiß umkämpft war. So unschön das klingt: eine Nomi­nie­rungs­ver­samm­lung ist nur zu gewin­nen, wenn der Kan­di­dat oder die Kan­di­da­tin vor­her par­tei­in­ter­nen „Wahl­kampf“ macht, wenn für die Per­son gewor­ben wird, wenn, kurz gesagt, Leu­te mobi­li­siert wer­den. Ich weiss, dass Rein­hold hier in den Tagen vor der Wahl­ver­samm­lung noch ein­mal gro­ße Anstren­gun­gen unter­nom­men hat, was sich letzt­lich auch aus­ge­zahlt hat. Um nicht falsch ver­stan­den zu wer­den: es geht hier nicht dar­um, Leu­te zu über­re­den, für den einen oder den ande­ren zu stim­men, sich Stim­men in irgend­ei­ner Form zu erkau­fen. Viel­mehr mei­ne ich damit, dass der Kan­di­dat bei den­je­ni­gen Wahl­be­rech­tig­ten, die von ihm und sei­ner Poli­tik über­zeugt sind, dafür wirbt, die Ver­samm­lung zu besu­chen und so die poten­zi­el­le in eine tat­säch­li­che Stim­me umzuwandeln.

Ich bin davon aus­ge­gan­gen, dass auch Tim in die­sem Sin­ne mobi­li­sie­ren wür­de. Er hat das – wohl bewusst – nicht gemacht, son­dern sich mit sei­ner Bewer­bung der Ver­samm­lung gestellt. Demo­kra­tie­theo­re­tisch ist das vor­bild­haft – fak­tisch hat Poli­tik doch zu viel mit Macht zu tun, als dass die Annah­me, dass die Mehr­zahl der Teil­neh­me­rIn­nen einer Nomi­nie­rungs­ver­samm­lung dort hin­fährt, ohne nicht vor­her schon zum einen oder zum ande­ren zu ten­die­ren. In einem rela­tiv wei­ten Rah­men ist es dann auch egal, wie die Reden aus­fal­len, wel­che Fra­gen gestellt und wel­che Unter­stüt­zungs­state­ments geäu­ßert wer­den. Viel­leicht las­sen sich damit die Mit­glie­der, die ein­fach als Wahl­be­rech­tig­te gekom­men sind, ohne sich vor­her fest­ge­legt zu haben, in die eine oder in die ande­re Rich­tung bewe­gen. Wah­len und Abstim­mun­gen auf Par­tei­ta­gen schei­nen mir aber nur dann zu gewin­nen zu sein, wenn im Vor­feld, schon vor der eigent­li­chen Ver­hand­lung, vie­le von einer Sache oder einer Per­son über­zeugt wor­den sind, sich ihre Mei­nung also schon gebil­det haben – und dann auch teilnehmen. 

In die­ser Per­spek­ti­ve wird eine Nomi­nie­rungs­ver­samm­lung dann zu einem Ort, an dem es weni­ger dar­um geht, wer am Abend bes­ser auf­tritt, span­nen­der spricht, die wich­ti­ge­ren The­men ver­tritt – son­dern zu einem Ort, an dem sich ent­schei­det, wem es vor­her bes­ser gelun­gen ist, in der Par­tei für sich zu wer­ben. Und natür­lich – das hat­te Tim in sei­ner Bewer­bungs­re­de ange­spro­chen – sind die Vor­aus­set­zun­gen dafür nicht gleich. Gera­de in der Situa­ti­on, dass ein neu­er Kan­di­dat oder eine neue Kan­di­dat gegen den oder die amtierende(n) Abgeordnete(n) antritt, scheint es ohne mas­si­ve Wer­bung im Vor­feld nicht klap­pen zu können.

Es lie­ße sich jetzt noch viel dazu sagen, wie unde­mo­kra­tisch es ist, das letzt­lich die – mehr oder weni­ger zufäl­li­ge – Zusam­men­set­zung der Wahl­ver­samm­lun­gen in den aus­sichts­rei­chen Krei­sen dar­über ent­schei­det, wer mit einer hohen Wahr­schein­lich­keit in den Land­tag gewählt wird; dass Macht zu einer geo­ma­the­ma­ti­schen Ange­le­gen­heit wird. Solan­ge wir in Baden-Würt­tem­berg kein Lis­ten­wahl­recht haben, ist die Situa­ti­on aber so. Und natür­lich ist es eine Illu­si­on, zu glau­ben, dass ein Lan­des­par­tei­tag, der eine Lis­te auf­stellt, nach kom­plett ande­ren Regeln abläuft. Auch dort sind es – neben allen ande­ren Fak­to­ren – eben auch die vor­her mobi­li­sier­ten Netz­wer­ke und Grup­pen, die mit dar­über ent­schei­den, wie aus­sichts­reich eine Kan­di­da­tur ist.

Trotz­dem hät­te die Lis­ten­wahl den Vor­teil, dass die räum­li­che Begren­zung weni­ger strikt aus­fällt. Natür­lich könn­te Tim – als über­zeug­ter Frei­bur­ger ist das aber sehr unwahr­schein­lich – es noch in einem ande­ren Wahl­kreis ver­su­chen, etwa in Tübin­gen oder in Stutt­gart. Aber dass dort jemand „von außer­halb“ nomi­niert wird, ohne dass es dafür sehr gute Grün­de gibt, kommt kaum vor – schon allei­ne des­halb, weil die Fra­ge, wie groß das poten­zi­ell mobi­li­sier­ba­re Netz­werk inner­halb der loka­len Par­tei ist, eben eine ent­schei­den­de Bedeu­tung hat. Die­se loka­le Begren­zung wür­de also bei einer Lis­ten­wahl auf­ge­weicht (durch das Dele­gier­ten­prin­zip und den Wunsch, die eige­ne Regi­on auch im Par­la­ment ver­tre­ten zu sehen, gibt es de fac­to auch bei der Auf­stel­lung von Lis­ten gewis­se „Pro­por­ze“). Dann könn­te ich mei­nen Kuchen haben und ihn essen. 

So muss ich dabei blei­ben, gleich­zei­tig zufrie­den und unzu­frie­den mit dem Wahl­er­geb­nis zu sein. 

Was mir der Abend aber auch noch­mal gezeigt hat: es ist sehr leicht, und der Zuschnitt des Wahl­krei­ses ver­lei­tet gera­de­zu dazu, Stadt und Land als Bina­ri­tät zu kon­stru­ie­ren; fest­ge­macht an der Zuge­hö­ri­ge­kit zum einen oder zum ande­ren Kreis­ver­band, und dann schnell – ich habe es am Anfang die­ses Tex­tes ja auch getan – pola­ri­sier­bar auf „Land­the­men“ und „Stadt­the­men“. Es ist sehr leicht mög­lich, so zu tun, als wären das sich aus­schlie­ßen­de Gegen­sät­ze; mei­ner Beob­ach­tung nach haben bei­de Kan­di­da­ten sich auch genau so posi­tio­niert. Rein­hold als Agrar- und Tou­ris­mus­po­li­ti­ker, für den selbst Ver­brau­cher­schutz im Boden ver­an­kert ist – und Tim als Groß­stadt­kul­tur­po­li­ti­ker, für den der länd­li­che Raum nur Aus­flugs­ku­lis­se ist. 

Auch des­we­gen bin ich mit dem Ver­lauf der Nomi­nie­rungs­ver­samm­lung nicht ganz zufrie­den: den ich bin fest davon über­zeugt, dass es gera­de wir Grü­ne sind, denen es gelin­gen kann, die­sen schein­ba­ren Gegen­satz zu über­win­den. Kul­tur fin­det auch außer­halb der Stadt­gren­zen statt, und Agrar- und Ver­brau­cher­po­li­tik spielt sich auch im städ­ti­schen Super­markt ab. Dazu kommt die rea­le Unschär­fe der schö­nen Pola­ri­tät. Wer mit der Höl­len­tal­bahn vom Frei­bur­ger Haupt­bahn­hof bis in den Schwarz­wald hoch­fährt, fährt durch ein Kon­ti­nu­um aus Innen­stadt, Grün­der­zeit­stadt­vier­tel, sub­ur­ba­ner Vor­stadt, sub­ur­ba­ner Gemein­de, länd­li­cher Gemein­de. Die Gren­zen sind längst nicht so fest gezurrt, wie man­che das ger­ne hätten.*

Da liegt viel­leicht auch ein The­ma, mit dem ich mich in Zukunft stär­ker beschäf­ti­gen könn­te – nicht nur mit dem poli­ti­schen Hin­ter­grund als Vor­stands­mit­glied des „länd­li­chen“ Kreis­ver­ban­des Breis­gau-Hoch­schwarz­wald, der „urban“ geprägt und in der Stadt Frei­burg wohnt, son­dern auch mit dem, was mir in mei­ner beruf­li­chen Beschäf­ti­gung mit Agrar­so­zio­lo­gie und Forst­po­li­tik so unter die Fin­ger gekom­men ist. Ich wer­de dar­über nachdenken!

War­um blog­ge ich das? Ich bin mir gar nicht so sicher, ob es legi­tim ist, der­ar­ti­ge Gedan­ken – die ja auch ein biß­chen dem Hei­le-Welt-Bild inner­par­tei­li­cher Mit­be­stim­mung wider­spre­chen – öffent­lich zu machen. Trotz­dem sehe ich es als Auf­ga­be an, über die Gren­zen hin­aus zu den­ken, statt sie zu ver­fes­ti­gen. Und das Nach­den­ken über die gest­ri­ge Nomi­nie­rungs­ver­samm­lung mit ihrem für mich nicht ganz ein­fa­chen Ergeb­nis ist dazu ein Anlass.

* Neben­bei gesagt: auch unter dem Aspekt inter­es­sant, dass die Abgren­zung Stadt/Landkreis ein kla­res sozia­les Kon­strukt mit vie­len Kon­tin­gen­zen ist – zum Bei­spiel gehö­ren zur Stadt Frei­burg auch eini­ge rich­tig länd­li­che Gemein­den am Tuni­berg – die viel damit zu tun hat, wel­cher Gemein­de in den 1960er und 1970er Jah­ren ein Hal­len­bad ver­spro­chen wer­den konn­te und wo ein Bür­ger­haus gebaut wur­de. Die natu­ra­le „Bio­re­gi­on“ zieht dage­gen ganz ande­re Gren­zen, die ihre eige­ne Wirk­mäch­tig­keit haben.