Nachdenken über Parteien, Teil II

Auftrag: grün 16

Eigent­lich woll­te ich im zwei­ten Teil mei­nes „Nach­den­kens über Par­tei­en“ noch was zur Böll-Tagung letz­tes Wochen­en­de schrei­ben. Aus aktu­el­lem Anlass muss das aller­dings war­ten. Viel­mehr geht’s jetzt um … 

Splitter 2: … die nicht geführte Kursdebatte und ihre Folgen

In den letz­ten Tagen gab es ein paar Mal inner­par­tei­lich ziem­lich viel Auf­re­gung. Ein Anlass dafür war die Infor­ma­ti­on dar­über, dass der Vor­stands­vor­sit­zen­de von Daim­ler als Gast­red­ner zur dies­jäh­ri­gen Bun­des­de­le­gier­ten­kon­fe­renz (BDK) ein­ge­la­den ist. Mir erschien das halb­wegs plau­si­bel – schließ­lich ist eines der hei­ßen The­men der BDK der all­mäh­li­che Aus­stieg aus dem Ver­bren­nungs­mo­tor (unter dem Slo­gan: „Ret­tet die deut­sche Auto­in­dus­trie“). Und zu die­ser Debat­te auch mal zu hören, was Daim­ler sich so an Mobi­li­täts­zu­kunft vor­stellt, ist ja nun nicht ganz uninteressant. 

Dass es dabei bei ein­sei­ti­ger Pro­pa­gan­da blei­ben wür­de, erschien mir nicht als beson­ders plau­si­bel. Schließ­lich ken­ne ich unse­re Dele­gier­ten und weiß, dass die­se nicht ein­fach nur höf­lich klat­schen, son­dern sich durch­aus zu Wort mel­den. Und selbst ein pro­mi­nent ein­ge­flo­ge­ner Gast­red­ner mit knap­pem Zeit­bud­get wird nicht umhin­kom­men, ein biss­chen Kon­text und Wider­re­de mitzukriegen.

Ande­re sehen das offen­kun­dig ganz anders. Die ers­te Asso­zia­ti­on bei Daim­ler ist hier nicht der Auto­mo­bil­her­stel­ler, son­dern die Lie­fe­rung von Rüs­tungs­gü­tern – hier: Mili­tär-LKWs – in Kri­sen­ge­bie­te. Und die zwei­te ist dann sowas wie die Vor­stel­lung, dass ein glo­bal agie­ren­der Groß­kon­zern auf der dunk­len Sei­te steht und des­we­gen per se anzu­grei­fen, aber nicht anzu­hö­ren ist. Oder etwas weni­ger pole­misch: dass eine Gast­re­de von Daim­ler auf einem grü­nen Par­tei­tag zum Green­wa­shing bei­trägt und zen­tra­len Ele­men­ten grü­ner Poli­tik wider­spricht, und nur zu Gast­re­den ein­ge­la­den wer­den darf, wer grü­ne Poli­tik voranbringt. 

Jeden­falls koch­ten die Emo­tio­nen hoch, auch halb­wegs pro­mi­nen­te Lan­des­vor­sit­zen­de äußer­ten sich kri­tisch, es wur­de mit Dring­lich­keits­an­trä­gen und Aus­trit­ten gedroht; heu­te ent­schied der Par­tei­rat, also der erwei­ter­te Bun­des­vor­stand, dass es eine Gast­re­de, aber auch ein Dis­kus­si­ons­for­mat geben soll, in dem auch kri­ti­sche The­men zur Spra­che kom­men. Das mag die­sen kon­kre­ten Kon­flikt halb­wegs beru­hi­gen. Aber es gärt und bro­delt wei­ter­hin. Das bestärkt mich – zusam­men mit ähn­li­chen Auf­re­gungs­dy­na­mi­ken in ande­ren Fäl­len in der letz­ten Zeit – in mei­nem Ein­druck, dass es vie­len hier um etwas ganz ande­res geht.

Wer möch­te, kann den Bogen noch wei­ter span­nen. Auch die öffent­lich zele­brier­ten Aus­trit­te in die­sem Jahr lau­fen letzt­lich in ihren Begrün­dun­gen vor allem auf den einen Punkt zu: Grün sei nicht mehr grün, es habe einen mas­si­ven Rechts­ruck gege­ben, statt dem ehr­li­chen Enga­ge­ment für das Wah­re, Gute, Schö­ne tre­te jetzt unin­spi­rier­tes, maxi­mal macht­po­li­tisch inspi­rier­tes Ver­wal­ten in den Vor­der­grund. Wer die Grü­nen von vor 20 oder 30 Jah­ren gewählt habe, könn­ne unmög­lich wei­ter­hin grün wählen.

Ich emp­fin­de das als völ­lig über­trie­ben, aber der wah­re Kern dahin­ter ist wohl der lan­ge Zeit ver­dräng­te und über­tünch­te Kon­flikt zwi­schen einer Bewe­gungs­par­tei und einer Mit­ge­stal­tungs­par­tei. Das ist nicht iden­tisch mit den Flü­gel­zu­ord­nun­gen. Es gibt durch­aus auch Par­tei­lin­ke, die Mit­ge­stal­tung im Rah­men des im libe­ra­len Par­la­men­ta­ris­mus mach­ba­ren für eine zen­tra­le Auf­ga­be der Par­tei Bünd­nis 90/Die Grü­nen hal­ten, und es gibt min­des­tens herz­the­men­spe­zi­fisch eben auch die zum frei­schwe­ben­den Bewegt­sein hin­ge­zo­ge­ne „Rea­los“. Und es gibt durch­aus die kom­mu­nal­po­li­ti­schen Mitgestalter*innen, die beim bun­des- oder welt­po­li­ti­schen gro­ßen Gan­zen zu Freund*innen der Bewe­gungs­par­tei mutieren.

Sche­ren­schnitt­ar­tig: die Bewe­gungs­par­tei ver­ab­so­lu­tiert ihren poli­ti­schen Kom­pass, ers­tens aus einer mora­li­schen Auf­ge­la­den­heit her­aus, zwei­tens jedoch des­halb, weil dif­fe­ren­zier­te Posi­tio­nen und Kom­pro­miss­be­reit­schaft „auf der Stra­ße“ und „in der Oppo­si­ti­on“ sonst unge­hört blei­ben. Grü­ne rei­hen sich in die gro­ßen Pro­test- und Kon­flikt­fel­der ein – natür­lich auf der rich­ti­gen Sei­te -, rufen in Bünd­nis­sen zu Demos und Aktio­nen auf und ver­ab­schie­de­nen Reso­lu­tio­nen, in denen der Ent­wurf einer bes­se­ren genau­so skiz­ziert wird wie das Übel der bestehen­den Welt. Die Hal­tung ist „wir da unten“ gegen „die da oben“, und wenn in die­ser Denk­wei­se mit­re­giert wird, dann als das Kor­rek­tiv, das den grö­ße­ren Regie­rungs­part­ner SPD dar­an hin­dert, Unsinn zu machen. (P.S.: Und selbst für inner­par­tei­li­che Kon­flik­te fal­len der Bewe­gungs­par­tei als ers­tes die bewähr­ten Instru­men­te Unter­schrif­ten­samm­lung, offe­ner Brief, Pro­test­pla­kat, demons­tra­ti­ves Saal-Ver­las­sen sowie die gute alte Tril­ler­pfei­fe ein …)

Genau­so sche­ren­schnitt­ar­tig geht die Mit­ge­stal­tungs­par­tei vom vor­ge­fun­de­nen Hand­lungs­rah­men aus. Sie denkt de Kom­pro­miss schon mit und geht prag­ma­tisch an die Din­ge her­an. Es gibt eine Visi­on, eine Leit­li­nie – übri­gens: auch Minis­ter­prä­si­dent Win­fried Kret­sch­mann betont, wie vor kur­zem auf der Böll-Ver­an­stal­tung zum Update der Par­tei­en­de­mo­kra­tie, die Not­wen­dig­keit eines Wer­te­kom­pass und einer Visi­on – die jedoch nicht ver­ab­so­lu­tiert wird. Klei­ne Schrit­te in die rich­ti­ge Rich­tung, immer auf der Suche nach Mehr­heits­fä­hig­keit in einer Gesell­schaft, die doch schon viel wei­ter ist. Die Hal­tung ist „zusam­men schaf­fen wir es“, und zum „zusam­men“ gehö­ren ganz selbst­ver­ständ­lich auch die Poli­zei, die Wirt­schaft vom Klein­un­ter­neh­men bis zum Groß­kon­zern, der Sport­ver­ein und die Ehren­amts­ar­beit der Kirchen. 

Auch die Mit­ge­stal­tungs­par­tei will grü­ne Zie­le umset­zen. Die Beto­nung liegt hier aber auf dem „umset­zen“, nicht auf den Zie­len. Sie will noch mehr: gut regie­ren, in gro­ßer Eigen­stän­dig­keit und ohne Vor­ab­fest­le­gung auf ein Pro­jekt (vgl. auch Teil I).

Für eine Mit­ge­stal­tungs­par­tei ist es selbst­ver­ständ­lich, auch mit einem Vor­stands­vor­sit­zen­den eines Auto­mo­bil­kon­zerns das Gespräch zu suchen. Nicht nur, weil so ein Kon­zern für vie­le, vie­le direk­ten und indi­rek­ten Arbeits­plät­ze und für Wert­schöp­fung zustän­dig ist, son­dern auch, weil hier das Gefühl vor­herrscht, die gro­ßen Her­aus­for­de­run­gen inklu­si­ve der Kli­ma­zie­le nur gemein­sam bewäl­ti­gen zu kön­nen. Zug­spitzt gesagt: Es geht in die­ser Den­ke dar­um, aus Daim­ler einen – tem­po­rä­ren – Bünd­nis­part­ner zu machen. Im vol­len Bewusst­sein des­sen, dass ein Auto­mo­bil­kon­zern in vie­len Punk­ten über­haupt nicht grün ist. Aber: wir reden mit den Leut‘.

Mei­ne The­se ist nun, dass in der Ver­ar­bei­tung der Wahl­nie­der­la­ge von 2013 und unter dem Ban­ner von Geschlos­sen­heit und inter­nen For­mel­kom­pro­mis­sen – weil, irgend­ei­ne Wahl ist immer – die grund­le­gen­de Debat­te dar­über, ob Bünd­nis 90/Die Grü­nen ins­ge­samt sich als Mit­ge­stal­tungs­par­tei oder als pro­tes­tie­ren­de Bewe­gungs­par­tei sehen, nie wirk­lich geführt wur­de. Unter dem Deckel kocht es aller­dings, spä­tes­tens seit­dem in Baden-Würt­tem­berg, einem Lan­des­ver­band, der sich dafür ent­schie­den hat, mit­ge­stal­ten zu wol­len, mit einem klar auf die­se Linie aus­ge­rich­te­ten Pro­gramm Minis­ter­prä­si­dent Kret­sch­mann wie­der­ge­wählt und Grü­ne drei­ßig Pro­zent der Wäh­ler­stim­men bekom­men haben. 

Die­ser Kon­flikt sucht sich nun sei­ne Ven­ti­le. Und es ist über­haupt nicht aus­ge­macht, dass „Kret­sch­mann kapie­ren“ zur bun­des­wei­ten Leit­po­si­ti­on wird. Ich befürch­te aller­dings, dass wir als Par­tei ins­ge­samt nicht gut dar­an tun, die­se Aus­ein­an­der­set­zung abzu­mo­de­rie­ren, auch nicht, wenn wie jetzt die Bun­des­tags­wahl 2017 die ers­ten Rufe nach Geschlos­sen­heit ertö­nen lässt. Denn der Kon­flikt wird immer wie­der auf­tau­chen, auch da, wo ihn nun wirk­lich nie­mand brau­chen kann. Und „drau­ßen“, jen­seits des eige­nen kusche­li­gen Sofaf­orts, wun­dern sich die Leute.

Splitter 3: Die programmatische Grundlage diskutieren und entscheiden

Wie kann so eine Debat­te geführt und ent­schie­den wer­den? Letzt­lich nur pro­gram­ma­tisch. Mit Bezug dar­auf, wie das Bun­des­tags­wahl­pro­gramm 2017 aus­sieht, und wer unse­re Spitzenkandidat*innen sein wer­den – aber auch mit Bezug auf das zur Revi­si­on anste­hen­de Grund­satz­pro­gramm. Ein sol­cher Ent­schei­dungs­pro­zess ist an der einen oder ande­ren Stel­le schmerz­haft. Ein sol­cher Ent­schei­dungs­pro­zess mag für Ein­zel­ne auch hei­ßen: „Das ist nicht mehr mei­ne Par­tei!“ Und selbst­ver­ständ­lich heißt ein sol­cher Ent­schei­dungs­pro­zess, alle par­tei­tags­or­ga­ni­sa­to­ri­schen Zwän­ge hin oder her, dass Ent­schei­dun­gen per Abstim­mung getrof­fen wer­den müs­sen, und dass der BDK eben auch tat­säch­lich Alter­na­ti­ven ange­bo­ten werden.

Die rea­le Welt besteht nicht aus schwarz-wei­ßen Schat­ten­ris­sen. Eine rei­ne Gestal­tungs­par­tei wür­de schnell ihre Iden­ti­tät und ihre Visio­nen ver­lie­ren, und den Kon­takt zum zivil­ge­sell­schaft­lich enga­gier­ten Teil der Bevöl­ke­rung erst recht. Eine rei­ne Bewe­gungs­par­tei wür­de auf Jah­re hin­aus an der Fünf-Pro­zent-Hür­de hän­gen. Aber der zu fin­den­de Kom­pro­miss darf weder ein rei­ner For­mel­kom­pro­miss sein (um des­sen Inter­pre­ta­ti­on dann immer wie­der neu gestrit­ten wird, kaum dass die Tin­te tro­cken ist), und er darf erst recht kein Patch­work sein, bei dem dann gar kei­ne kla­re Linie mehr zu erken­nen ist, und im einen Poli­tik­feld Ide­al­bil­der, im ande­ren umset­zungs­ori­en­tier­tes Klein-Klein vorherrscht.

Viel­mehr braucht es, und das wäre mei­ne etwas abs­trak­te Schluss­fol­ge­rung, eine akti­ve Ver­stän­di­gung über unter­schied­li­che Rol­len und Hand­lungs­fel­der, über Schnitt­stel­len und Synergien. 

Und es braucht sowas wie „Ver­trau­ens­ar­beit“, Arbeit am Abbau gegen­sei­ti­gen Miss­trau­ens. In wel­cher ande­ren Par­tei ist „Minis­ter­prä­si­dent“ fast schon ein Syn­onym für „Gene­ral­ver­dacht“, in wel­cher ande­ren Par­tei inter­es­siert es nicht wei­ter, dass die Gre­mi­en, die Par­tei­ta­ge vor­be­rei­ten – der Par­tei­rat, der Bun­des­vor­stand – eine hohe demo­kra­ti­sche Legi­ma­ti­on haben, in wel­cher ande­ren Par­tei herrscht – egal, ob in Tübin­gen oder in Neu­kölln – eine so gro­ße Selbst­ge­wiss­heit der Basis, ein­zig und allein für alle zu spre­chen? Ein Stück weit macht uns das gera­de grün und sym­pa­thisch, gehört das zu unse­ren fla­chen Hier­ar­chien und zu unse­rem par­ti­zi­pa­ti­ven Poli­tik­ver­ständ­nis. Auf 150 Pro­zent auf­ge­dreht, nervt es nur noch. 

Oder, als Appell: lasst uns mit dem Gene­ral­ver­dacht auf­hö­ren, lasst uns mal mit etwas Gelas­sen­heit nicht sofort drauf­hau­en, lasst uns mal zuhö­ren, bevor Halb­sät­ze durch social media kata­ly­siert, in Lok-Emma-Manier sich zu Echos auf­tür­men, die gan­ze Gebir­ge zum Ein­sturz brin­gen. Das wür­de hel­fen, gera­de jetzt.

wird fort­ge­setzt

5 Antworten auf „Nachdenken über Parteien, Teil II“

  1. „Viel­mehr braucht es, und das wäre mei­ne etwas abs­trak­te Schluss­fol­ge­rung, eine akti­ve Ver­stän­di­gung über unter­schied­li­che Rol­len und Hand­lungs­fel­der, über Schnitt­stel­len und Synergien.“

    Magst du das noch etwas genau­er aus­füh­ren? Das scheint ja gera­de der schwie­ri­ge Teil zu sein.

    Dan­ke ins­ge­samt für dei­ne klu­gen Reflexionen.

    1. Du hast recht, dass ich da zwar einen Anspruch beschrei­be, aber wenig zur Umset­zung sage. Ist viel­leicht was für Teil III die­ser Serie – und wer Ideen dazu hat, ist herz­lich ein­ge­la­den, die zu äußern.

  2. Unter einer akti­ven Ver­stän­di­gung ver­ste­he ich das ich mei­nem Gegen­über zuhö­re und wenn ich es nicht ver­stan­den habe nach­fra­ge wie er zu der Schluss­fol­ge­rung gekom­men ist und nicht nur mei­ne Mei­nung für das non plus ultra hal­te. Kom­pro­mis­se müs­sen bei jeder Dis­kus­si­on neu aus­ge­ar­bei­tet wer­den weil der For­mel­kom­pro­miss nicht mach­bar ist. Lei­der habe ich die Erfah­rung gemacht das es vie­le Basis­mit­glie­der gibt für die der Kom­pro­miss ein Fremd­wort ist und daher nicht ange­wen­det wird. Die­se Strei­te­rei­en die dadurch ent­ste­hen haben dann nichts mehr mit einer grü­nen Kul­tur zutun.

    1. Aber umge­kehrt ist es auch kein „Mit­ge­stal­ten“ wenn man siche­ren Her­kunfts­län­dern, einer Erb­schafts­steu­er und ähn­lich schlech­ten Geset­zen kein kla­res Nein ent­ge­gen­bringt oder sogar zustimmt.

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