Solidarität mit unterdrückten Konservativen

Red Venice IV

Inter­es­sant an dem, was seit ges­tern als „Dirndl­ga­te“ ver­han­delt wird, fin­de ich gar nicht so sehr die Fra­ge, ob im Bun­des­tag eine mehr oder weni­ger künst­li­che* bay­ri­sche Volks­tracht getra­gen wer­den darf oder nicht. Wenn die CSU-Abge­ord­ne­te Doro­thee Bär damit meint, ihr Punk-Image auf­fri­schen zu kön­nen, soll sie das eben tun. Und wenn die Grü­ne Syl­via Kot­ting-Uhl dar­an rum­mo­sert – dann gehört das eben auch zur Mei­nungs­frei­heit dazu. (Und weil ich Syl­via seit lan­gem ken­ne, emp­fand ich ihren dies­be­züg­li­chen Tweet zunächst ein­mal vor allem als authentisch …).

So ein­fach könn­te es sein. Statt des­sen tobt jetzt eine Debat­te dar­über. Das hat – wie Ana­tol Ste­fa­no­witsch in einer lesens­wer­ten Ana­ly­se schreibt – etwas damit zu tun, dass das Modi­sche poli­tisch ist. Was wer im Bun­des­tag, in einem öffent­li­chen Amt trägt, ist eben nicht nur Pri­vat­sa­che. Und selbst­ver­ständ­lich ist die Fra­ge, wie sich wer klei­det, immer auch ein State­ment über Hal­tun­gen und Wer­te, was auch immer das sein mag.

Aber es gibt noch mehr. Der eigent­li­che Grund dafür, dass sich so schön eine öffent­li­che Empö­rung ent­fa­chen lässt, liegt wohl auch dar­in, dass seit der Bun­des­tags­wahl inner­grün und öffent­lich­keits­wirk­sam über Frei­heit dis­ku­tiert wird. Und natür­lich muss alle Welt sich empö­ren, wenn eine Grü­ne es wagt, die freie Klei­dungs­wahl einer CSU-Frau zu kri­ti­sie­ren. Sowas geziemt sich nicht für eine Frei­heits­par­tei, so der Tenor.


Und wo schon ein­mal Grü­nen-Kri­tik mög­lich ist, wird dann noch alles ande­re raus­ge­holt. Grü­ne sei­en eh schlecht geklei­det. Dies gel­te ins­be­son­de­re für grü­ne Frau­en. Es wäre doch toll, wenn die­se sich etwas modi­scher und frei­zü­gi­ger zei­gen wür­den. Man­chen fällt bei „grün“ und „Klei­dung“ auch gleich die Kopf­tuch­de­bat­te ein. Oder bes­ser noch: die Bur­ka­de­bat­te. Schließ­lich wol­len die Grü­nen alle Frau­en dazu zwin­gen, Bur­kas zu tra­gen. Und das will eine Frei­heits­par­tei sein? Pah! 

So in etwa mei­ne kur­ze Zusam­men­fas­sung eines Teils der Debat­te. Durch­aus inter­es­sant, was da alles zu Tage tritt. Klei­dung ist eben doch mehr als nur eine indi­vi­du­el­le Aus­sehens­ent­schei­dung. Son­dern hat immer auch etwas mit sozia­len Nor­men und herr­schen­den Erwar­tun­gen zu tun. Wobei jeder wei­te­re Bei­trag – auch die­ser – natür­lich dazu bei­trägt, dass das „Dirndl­ga­te“ fort­ge­führt wird.

Die etwas intel­li­gen­te­re, meist inner­par­tei­li­che Reak­ti­on ist dann eher ein Argu­men­ta­ti­ons­sche­ma nach dem Mus­ter „Ich will schließ­lich auch nicht für mein Äuße­res kri­ti­siert wer­den, des­we­gen ver­zich­te ich dar­auf, Frau Bär für ihr Äuße­res zu kritisieren.“ 

Wenn ich den oben ver­link­ten taz-Arti­kel so lese, kann ich mir durch­aus vor­stel­len, dass Doro­thee Bär sich nicht abfäl­lig über z.B. bun­te Haa­re, Pier­cings oder ande­re der Wür­de des hohen Hau­ses nicht ange­mes­se­ne For­men der Äußer­lich­keits­ge­stal­tung äußern wür­de. Ich kann mir aber auch vor­stel­len, dass sie das, wenn es denn pas­sen wür­de, durch­aus täte. Also das abfäl­li­ge Äußern über Äuße­res. (P.S. Sie­he dazu auch die­sen Tweet – zumin­dest @habichthorns grü­ne Haa­re wer­den geliebt …)

Ein kon­kre­tes Bei­spiel, an dem sich zei­gen wür­de, wie weit es mit der Tole­ranz der CSU her ist, wenn es denn eine Stel­lung­nah­me dazu gäbe, ist die Kra­wat­ten­pflicht für Schrift­füh­rer (m.) im Bun­des­tag. Der Grü­ne Sven-Chris­ti­an Kind­ler wur­de im Jahr 2011 von der Lis­te der Schrift­füh­rer im Bun­des­tag gestri­chen, weil er sich wei­ger­te, eine Kra­wat­te anzu­le­gen. Mir ist nicht in Erin­ne­rung, dass Doro­thee Bär sich damals enga­giert für die Frei­heit, sich nach eige­ner Lust und Lau­ne zu klei­den, ein­ge­setzt hat. Wenn es ihr damit ernst wäre (und es nicht nur dar­um gehen wür­de, Grü­ne zu dis­sen), könn­te sie das jetzt nach­ho­len. Ich bin dies­be­züg­lich gespannt.

Was zur Fra­ge der Macht­ver­hält­nis­se zurück­führt. Syl­via Kot­ting-Uhl ist eine vor allem durch den Kampf gegen die Atom­kraft her­vor­ge­tre­te­ne Abge­ord­ne­te einer klei­nen Oppo­si­ti­ons­par­tei. Doro­thee Bär ist Staats­se­kre­tä­rin einer Regie­rungs­frak­ti­on. Und nicht nur das: ihre – dem par­la­men­ta­ri­schen Umgang unan­ge­mes­se­ne – Ant­wort auf Syl­vi­as – dem par­la­men­ta­ri­schen Umgang unan­ge­mes­se­nen – Tweet kann sich auch in die woh­li­ge Behag­lich­keit der aktu­ell herr­schen­den kon­ser­va­ti­ven Hege­mo­nie zurück­leh­nen. Jeman­den für das Tra­gen eines Dirndls zu kri­ti­sie­ren, darf nicht sein. Aber Woll­pull­over und Rau­sche­bär­te wer­den genau­so wie Turn­schu­he immer mal wie­der ger­ne als Kli­schees her­aus­ge­holt, um deut­lich zu machen, wer nicht zur kon­ser­va­ti­ven Hege­mo­nie dazu­ge­hört. Egal, wie­viel Wirk­lich­keit im Jahr 2014 damit noch ver­bun­den ist. Dar­auf kommt es nicht an. Den zur Frei­heit gehört – so schein­bar die herr­schen­de Auf­fas­sung – auch dazu, sich nicht zu weit aus dem Fens­ter zu leh­nen und immer schön im Main­stream mit­zu­schwim­men. Das geht dann soweit, dass Ange­la Mer­kel per Pres­se Grü­ne davor warnt, rot-rot-grü­ne Koali­tio­nen ein­zu­ge­hen. Weil die Kanz­le­rin sagt, wo’s langgeht.

Was, um den Bogen zur grü­nen Frei­heits­de­bat­te zu schla­gen, nicht die Frei­heit ist, die ich mei­ne. Und ich hof­fe, dass wir uns als Par­tei (egal, wie wir uns klei­den) uns nicht zu sehr davon beein­dru­cken las­sen, wel­che gesell­schaft­li­chen Erwar­tun­gen sich aus­spie­len las­sen. Egal, wie ver­lo­ckend der Zucker­guss auf die­ser Tor­te aus­sieht. Das ist nicht unser Spiel.

War­um blog­ge ich das? Weil die Reak­tio­nen auf das „Dirndl­ga­te“ viel span­nen­der waren als der Anlass dafür. Und weil ich gemerkt habe, dass mei­ne Gedan­ken dazu schlecht in 140 Zei­chen passen.

* Auf Twit­ter wur­de dazu z.T. auf die­ses Inter­view zur „Nazier­fin­dung Dirndl“ ver­wie­sen. Das mag ja zutref­fen – aber in dem Inter­view steckt dann doch auch sehr viel an Eigent­lich­keit, an Glau­be an eine ein­zig wah­re (christ­li­che) Volks­kul­tur. Was dann wie­der­um über­haupt nicht dazu passt, dass Kul­tur sich stän­dig im Wan­del befin­det und stän­dig neu erfun­den wird. Inso­fern las­se ich das lie­ber beiseite.

P.S.: Syl­via Kot­ting-Uhl schreibt inzwi­schen auf Face­book von „les­sons lear­ned“ und davon, dass es ihr im Gesamt­bild wohl doch eher um die Per­son und deren Poli­tik als um das Klei­dungs­stück gegan­gen sei, wäh­rend Doro­thee Bär auf Twit­ter nicht nur bun­te Haa­re ver­tei­digt, son­dern auch fest­stellt, dass jeder selbst wis­sen müs­se, was als Klei­dung für Schrift­füh­rer ange­mes­sen sei. Und damit zurück zur Debat­te um poli­ti­sche Inhal­te statt um Äußerlichkeiten.

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