Was ich so lese, oder: gesellschaftskritische Science Fiction

Pacified science fiction

Eigent­lich woll­te ich dazu nichts sagen, aber ich muss jetzt doch mal ein paar Wor­te über den Text „Magi­sche Klas­sen­kämp­fer“ von Flo­ri­an Schmidt (am 22.8. im Frei­tag erschie­nen) los­wer­den. Schmidt brei­tet dort die The­se aus, dass – platt gesagt – frü­her Sci­ence Fic­tion ein eman­zi­pa­to­ri­sches Gen­re war und heu­te im Dienst der Reak­ti­on steht. Das ist falsch.

Äpfel und Birnen, Bücher und Filme

Das ist zum einen falsch, weil er Äpfel mit Bir­nen ver­gleicht. „Frü­her“ sind für ihn die – in der Tat span­nen­den, lesens­wer­ten, hoch­gra­dig inter­es­san­ten – Bücher von Ursu­la K. Le Guin (The Dis­pos­s­es­sed), Joan­na Russ (z.B. The Fema­le Man) und Mar­ge Pier­cy (Woman at the edge of time und He, she, and it). Das sind drei libe­ral-femi­nis­ti­sche AutorIn­nen, die sich auf hohem lite­ra­ri­schen Niveau in den 1970er und 1980er Jah­ren mit den Mög­lich­kei­ten und Gren­zen einer bes­se­ren Gesell­schaft aus­ein­an­der­ge­setzt haben. Ich habe sie sehr ger­ne gelesen. 

Inter­es­sant sind die­se Bücher aus mei­ner Sicht vor allem des­we­gen, weil sie die Ambi­va­lenz von Uto­pien aus­kos­ten. Rei­ne Uto­pien sind näm­lich furcht­bar lang­wei­lig. Erst Kon­flik­te und Dra­men machen Bücher span­nend, und die fin­den in den ste­ri­len klas­si­schen Uto­pien – inge­nieur­tech­ni­schen Bau­plä­nen für ein bes­sers Mor­gen – eben nicht statt. The Dis­pos­s­es­sed (Pla­net der Habe­nicht­se) bei­spiels­wei­se lebt davon, dass zwar zum einen kapi­ta­lis­ti­sche Dys­to­pie und syn­di­ka­lis­tisch-anar­chis­ti­sche Uto­pie gegen­über gestellt wer­den, dass dann aber im Lauf des Buches eben auch sehr deut­lich wird, wel­che Unter­drü­ckungs­me­cha­nis­men auf dem Pla­net der Habe­nicht­se eben doch herr­schen. Erst mit die­sen Grau­tö­nen erschafft Le Guin eine plas­ti­sche Dar­stel­lung des auch in der Uto­pie beschwer­li­chen All­tags – und damit die iden­ti­fi­ka­to­ri­sche Nähe, die den klas­si­schen, „rei­nen“ Uto­pien abgeht. (Wer das Buch noch nicht gele­sen hat, soll­te es unbe­dingt tun; über He, she and it lie­ße sich ähn­li­ches sagen!)

Frü­her also die Äpfel. Als Bir­nen stellt Schmidt die­sen femi­nis­ti­schen Autorin­nen meh­re­re aktu­el­le Hol­ly­wood-SF-Fil­me gegen­über. Nach­dem ich nicht so der Kino­gän­ger bin, kann ich den Wahr­heits­ge­halt sei­ner Inter­pre­ta­tio­nen nicht beur­tei­len, hal­te es aber durch­aus für mög­lich, dass Hol­ly­wood reak­tio­nä­ren Schrott pro­du­ziert hat. (Paci­fic Rim soll ganz gut sein, habe ich gehört). 

Schmidt jeden­falls ver­gleicht Äpfel und Bir­nen, und tut so, als wäre frü­her alles Apfel gewe­sen, was heu­te Bir­ne ist. Das ist Quatsch. Es gibt heu­te eben­so intel­li­gen­te, gesell­schafts­kri­ti­sche Apfel­li­te­ra­tur wie frü­her, und ich hal­te es über­haupt nicht für aus­ge­schlos­sen, dass auch in den 1970er und 1980er Jah­ren (neben der einen oder ande­ren Le-Guin-Ver­fil­mung) reak­tio­nä­rer Schrott auf Kino­lein­wän­den gezeigt wur­de. Das hat auch was damit zu tun, wie groß die Mas­se ist, die ein Medi­um errei­chen will.

Feminismus und New Wave

Aber Schmidt täuscht sich auch, wenn er Le Guin, Pier­cy und Ross für den Main­stream der Sci­ence-Fic­tion-Lite­ra­tur der 1970er und 1980er hält. Femi­nis­ti­sche Sci­ence Fic­tion ist und war rand­stän­dig. Schmidt igno­riert Hein­lein eben­so wie die ste­ri­le Asi­mov-Roboter­welt, wie eben alle Zeit­ge­nos­sen (m), die zeit­gleich mit Le Guin, Pier­cy und Ross ver­öf­fent­licht haben. Was ist mit den reak­tio­nä­ren Phan­ta­sien eines Lar­ry Niven? Was ist mit den unzäh­li­gen Held-im-Kampfanzug-rettet-nackte-Frau-vor-Aliens-Romanen? 

Schmidt igno­riert dar­über hin­aus, dass Sci­ence-Fic­tion-Lite­ra­tur (ich blei­be mal bei den Tex­ten) ihre „gol­de­ne Zeit“ als Heft­chen­ro­man erlebt hat. Und dass es meh­re­rer Wel­len des Auf­be­geh­rens dage­gen bedurf­te, um les­ba­re, lite­ra­ri­sche Sci­ence Fic­tion zu schaf­fen. Die femi­nis­ti­sche Kri­tik – für die hier stell­ver­tre­tend Le Guin, Pier­cy und Ross ste­hen – war eine die­ser Wel­len. Min­des­tens Le Guin ver­öf­fent­lich übri­gens auch heu­te noch. Zwi­schen Ver­gan­gen­heit und Gegen­wart bestehen also durch­aus direk­te Verbindungen.

Eine zwei­te Wel­le war die Aneig­nung der Sci­ence Fic­tion durch die „new wave“ in den 1960ern und 1970er Jah­ren, die durch eine Abkehr von den simp­len Pulp-Geschich­ten, durch eine Hin­wen­dung zur Inner­lich­keit und zum „inner space“ sowie durch lite­ra­ri­sche Expe­ri­men­te gekenn­zeich­net war. Kunst­voll, prä­pun­kig, zeit­geis­tig, viel­leicht gesell­schafts­kri­tisch, aber nicht unbe­dingt poli­tisch. In dem oben ver­link­ten Wiki­pe­dia-Arti­kel wer­den auch Le Guin und Ross die­ser „new wave“ der Sci­ence Fic­tion zuge­rech­net. Ich wür­de J.G. Ball­ard, Samu­el R. Delaney und Bri­an Aldiss als typi­sche Ver­tre­ter die­ser „new wave“ lesen. John Brun­ner? Den viel­leicht auch. Und die im letz­ten Jahr­zehtn erschie­ne­nen Tex­te von Chi­na Mie­ville ver­wei­sen – mei­ne ich jeden­falls – durch­aus auf die­sen Ausgangspunkt.

Die „new wave“ der 1960er hat Sci­ence Fic­tion aus dem Ghet­to der Heft­chen­ro­ma­ne und der simp­len, tech­nisch moti­vier­ten Plots befreit. Sie hat damit zugleich die Tür für wei­te­re, bis heu­te nach­wir­ken­de „Bewe­gun­gen“ oder „Wel­len“ geöff­net. Das eine ist Cyber­punk, Anfang der 1980er Jah­re zum mani­fes­ten Gen­re gewor­den. Nicht jeder Cyber­punk-Text ist poli­tisch, oft tau­chen – noir und zer­schun­den, aber doch – Macho­hel­den und ‑hel­din­nen auf. Aber ein Sub­text der Kri­tik am glo­ba­li­sier­ten Kapi­ta­lis­mus, an der Macht der Kon­zer­ne schwingt im Cyber­punk mit. Der bekann­tes­te (wenn auch gar nicht so ger­ne selbst dort ein­ge­ord­ne­te) Ver­tre­ter die­ser „new new wave“ ist sicher­lich Wil­liam Gib­son mit dem Neu­ro­man­cer und den fol­gen­den Büchern. Welt­raum­schif­fe kom­men hier kei­ne vor, dafür eine Mischung aus all­täg­li­chem Zer­fall, Dro­gen­han­del, Glanz der glo­ba­len Kon­zern­zen­tra­len und ihrer vir­tu­el­len Wel­ten. Durch­aus fil­misch geschrie­ben, und durch­aus par­al­lel mit der stil­prä­gen­den Atmo­sphä­re des Films Bla­derun­ner.

Cyberpunk und literarischer Humanismus

Cyber­punk ist aber auch John Shir­ley und des­sen Eclip­se-Tri­lo­gie, in der eine musi­ka­lisch inspi­rier­te Unter­grund­be­we­gung gegen eine faschis­ti­sche Welt­macht in einem post­nu­klea­ren Euro­pa kämpft. 

Und Cyber­punk ist his­to­risch gese­hen Bruce Ster­ling, nur dass er sich dann in eine ganz ande­re Rich­tung bewegt hat – von der eska­pis­tisch schwel­gen­den Schis­ma­trix hin zu expli­zit poli­ti­schen Near-Future-Roma­nen wie Holy Fire, Hea­vy Wea­ther und Dis­trac­tion zu einer ganz neu­en Rol­le als öffent­li­cher Kri­ti­ker (ger­ne in digi­ta­len Medi­en) und Design­theo­re­ti­ker. (Über Micha­el Swan­wick und über Nor­man Spin­rad müss­te auch noch was gesagt werden …)

Weg vom Cyber­punk, hin zum lite­ra­ri­schen Huma­nis­mus, ver­tre­ten (neben Le Guin) vor allem durch Kim Stan­ley Robin­son – der eben­falls bis heu­te ver­öf­fent­lich. Auch hier gibt es eini­ge expli­zit poli­ti­sche Bücher, durch­aus auch mit uto­pi­schen Gehalt. Das reicht von sei­nen Tex­ten über die ver­schie­de­nen Zukünf­te des kali­for­ni­schen Oran­ge Coun­ty über sei­ne bei­den Tri­lo­gien (Red/Green/Blue Mars, von 1993 bis 1996 erschie­nen – am Ter­ra­forming des Mar­ses wird u.a. die Poli­tik mensch­li­chen Zusam­men­le­bens dis­ku­tiert -, und die Washing­ton Tri­lo­gy, die 2004 bis 2007 erschie­nen ist, und sich mit dem Kli­ma­wan­del und befasst) bis hin zum kürz­lich ver­öf­fent­lich­ten Werk 2312, die das Son­nen­sys­tem 300 Jah­re spä­ter dar­stellt, und vie­le Bezü­ge zu unter­schied­li­chen Wer­ken von KSR ent­hält. Viel­leicht kann 2312 sogar als Uto­pie gele­sen wer­den. Gewis­se uto­pi­sche Ele­men­te ent­hält es definitiv.

Schottischer Sozialismus

Nun könn­te jemand ein­wen­den, dass das alles viel­leicht nur die Rest­aus­läu­fer der 1960er, 1970er und 1980er sind, und heu­te eben kei­ne gesell­schafts­kri­ti­scher Sci­ence Fic­tion mehr geschrie­ben wird. Ich sehe das anders, ins­be­son­de­re mit Blick auf die schot­ti­schen Sozia­lis­ten (mir fällt gera­de kein bes­se­rer Begriff ein, auch wenn es nicht alles Schot­ten und nicht alles Sozia­lis­ten sind). Chi­na Mie­ville lie­ße sich hier eben­falls ein­ord­nen. Zen­tral ist jeden­falls der kürz­lich gestor­be­ne Iain Banks, der von 1987 bis 2012 eine gan­ze Rei­he von Sci­ence-Fic­tion-Büchern ver­öf­fent­licht hat. Die meis­ten spie­len in einer Welt, in der die „Cul­tu­re“ – ver­schie­de­ne „Ali­ens“ und intel­li­gen­te Droh­nen gemein­sam auf gigan­ti­schen Raum­schif­fen und Orbi­ta­len leben, die ihrer­seits wie­der­um intel­li­gent – und oft­mals exzen­trisch – sind (und ihre Bewoh­ne­rIn­nen mög­li­cher­wei­se eher als Haus­tie­re sehen). 

Die „Cul­tu­re“ weist ganz klar uto­pi­sche Züge auf. Es gibt kein Geld, es gibt kei­ne Res­sour­cen­pro­ble­me, es gibt maxi­ma­le Frei­hei­ten. Ein gro­ßer Teil der Bücher lebt davon, dass Agen­tIn­nen der „Cul­tu­re“ in die Ange­le­gen­hei­ten ande­rer Pla­ne­ten und Gesell­schaf­ten ein­grei­fen, oder in deren Aus­ein­an­der­set­zun­gen hin­ein­ge­zo­gen wer­den. Das garan­tiert einen sich schnell vor­an bewe­gen­den Hand­lungs­strang, der von Banks aber immer äußerst kunst­voll ange­legt ist.

Und dann gibt es Ken MacLeod mit trotz­kis­ti­schem Ein­schlag (in The Star Frac­tion und den fol­gen­den Büchern) und in sei­nen neue­ren Wer­ken mit einem düs­te­ren Gegen­warts­be­zug (The Exe­cu­ti­on Chan­nel – Über­wa­chung, Ter­ro­ris­mus – oder Intru­si­on – Bio­po­li­tik – fal­len mir hier ein). 

Charles Stross bloggt nicht nur intel­li­gent, son­dern hat auch eine gan­ze Rei­he von Büchern geschrie­ben, in denen er sich in unter­schied­li­chen Set­tings (Alter­na­tiv­wel­ten, eine Hor­ror­par­odie, das Schott­land der nahen Zukunft, der Welt­raum in tau­sen­den Jah­ren, bevöl­kert von Robo­tern) mit The­men wie Dis­kri­mi­nie­rung, Kapi­ta­lis­mus­kri­tik oder Geo­po­li­tik aus­ein­an­der­setzt. Und er hat auch schlüs­sig dar­ge­stellt, war­um die Sin­gu­la­ri­tät auch nichts ande­res als ein tech­no­phil ein­ge­tauch­ter Erlö­sungs­glau­be ist. Defi­ni­tiv empfehlenswert!

Ian McDo­nald wur­de in Schott­land gebo­ren, lebt in Irland, und passt defi­ni­tiv in die­se Rei­he. River of Gods und Brasyl sind sowas wie Glo­ba­li­sie­rungs-SF, sei­ne neue Young-Adult-Serie Pla­nes­run­ner ver­bin­det packen­de Aben­teu­er in unter­schied­li­chen Par­al­lel­wel­ten (mit Zep­pe­li­nen!) mit gesell­schafts­kri­ti­schen Fragestellungen. 

Dann gibt es noch Alas­ta­ir Rey­nolds (die Fort­set­zung des Cyber­punk mit ande­ren Mit­teln, in düs­te­ren Raum­schif­fen). Mit Blue Remem­be­red Earth, einer „Pseu­do-Uto­pie“, ste­hen sozia­le Fra­gen im Hin­ter­grund eines Kri­mi­set­tings. Mich erin­ner­te das Buch ein biss­chen an die Mars-Tri­lo­gie von Kim Stan­ley Robinson. 

Defi­ni­tiv kein Schot­te (und kein Sozia­list), aber irgend­wie zu die­sem Kreis pas­send, ist Cory Doc­to­row. Eini­gen viel­leicht eher als Netz­kri­ti­ker und Boing-Boing-Macher bekannt, hat Doc­to­row eine Rei­he von Büchern geschrie­ben, die sich mit Walt Dis­ney, Maker-Kul­tur und Über­wa­chung aus­ein­an­der­set­zen. Beson­ders emp­feh­lens­wert fin­de ich For the win (Glo­ba­li­sie­rungs­kri­tik meets Com­pu­ter­spie­le) und Pira­te cine­ma (Coming of age im Überwachungsstaat). 

Und die Autorinnen? Und die people of color? Und überhaupt?

Das sind eini­ge mei­ner der­zei­ti­gen SF-Lieb­lings­au­toren. Lei­der – mal abge­se­hen von den Femi­nis­tin­nen der 1970er Jah­re – aus­schließ­lich (wei­ße) Män­ner. Der Ein­druck stimmt aller­dings nicht ganz. Auch wenn ich defi­ni­tiv mehr Autoren als Autorin­nen lese, hat das Feh­len von Frau­en in der Auf­lis­tung oben vor allem etwas damit zu tun, dass ich mich beim Schrei­ben an den Bewe­gun­gen des „new wave“ (Octa­via But­ler hät­te ich da eigent­lich auch erwäh­nen kön­nen), des „cyber­punk“ (mein Ein­druck: ein sehr män­ner­do­mi­nier­tes Gen­re) und des „schot­ti­schen Sozia­lis­mus“ ori­en­tiert habe.

Wer durch die Rit­zen die­ser Schub­la­den gefal­len ist, sind unter ande­rem die ame­ri­ka­ni­sche Autorin Eliza­beth Bear (als Ein­stieg kann ich ihre Geschich­te „The red in the sky is our blood“ in der Samm­lung Met­atro­po­lis emp­feh­len; auch Dust und die fol­gen­den Roma­ne haben mir gut gefallen). 

C.J. Cher­ryh setzt sich seit 1976 bis heu­te in einem SF-Set­ting mit Krieg und Frie­den, Fra­gen des mensch­li­chen Zusam­men­le­bens, den Gren­zen der Bio­tech­no­lo­gie oder der Her­stel­lung von Fremd­heit auseinander. 

Lau­ren Beu­kes zwei süd­afri­ka­ni­sche SF-Roma­ne – viel­leicht auch schon eher magi­scher Rea­lis­mus (Moxy­land und Zoo City) sind sehr con­tem­po­ra­ry. Und auf jeden Fall zu empfehlen.

Von Mau­re­en F. McHugh habe ich nur den 1992 erschie­ne­nen Roman Chi­na Moun­tain Zhang gele­sen, in dem ein schwu­ler Puer­to­ri­ca­ner aus dem post­re­vo­lu­tio­nä­ren Ame­ri­ka in das Herz der kom­mu­nis­ti­schen Welt­macht Chi­na zieht. Wenn Sci­ence Fic­tion die Lite­ra­tur des Was-Wäre-Wenn ist, dann ist Chi­na Moun­tain Zhang pro­to­ty­pisch für eine Form von Sci­ence Fic­tion, die sich mehr mit den Was-Wäre-Wenns gesell­schaft­li­chen Zusam­men­le­bens und poli­ti­scher Orga­ni­sa­ti­on aus­ein­an­der­setzt als mit tech­no­lo­gi­schem Fort­schritt (der in die­sem Buch auch eine Rol­le spielt, aber in den Hin­ter­grund tritt).

Übri­gens muss Fan­ta­sy nicht eska­pis­tisch sein: N. K. Jemi­sins The Hundred Thousand King­doms han­delt von Klassen‑, Ras­sen- und Geschlech­ter­ver­hält­nis­sen, und Cat Valen­tes Fairy­land-Serie spricht im Gewand des Ali­ce-im-Won­der­land-meets-Oz-Kin­der­buchs über Mecha­nis­men der Macht.

Aber Flo­ri­an Schmidt will ja mehr von Sci­ence Fic­tion als nur die Reflek­ti­on und das Auf­zei­gen von gesell­schaft­li­chen Pro­ble­men. Nein, er for­dert mehr:

Es mag ver­füh­re­risch sein, wenn sozia­le Bewe­gun­gen die kapi­ta­lis­ti­sche Herr­schafts­ord­nung zeit­wei­se außer Kraft set­zen und die wider­stän­di­ge Ästhe­tik als uto­pi­sches Ele­ment repro­du­zie­ren. Aber es reicht nicht. Trotz aller Alter­na­tiv­lo­sig­keit gilt es, sich das uto­pi­sche Den­ken wie­der anzueignen. 

Eine Aneig­nung des uto­pi­schen Den­kens, Sci­ence Fic­tion als Instru­ment sozia­ler Bewe­gun­gen. Das mag mit Eco­to­pia funk­tio­niert haben; heu­te wür­de ich dem eher Roma­ne der Öko­kri­tik wie Pao­lo Baci­g­alu­pis The Win­dup Girl (2009) oder Tobi­as S. Buckells Arc­tic Rising (2012) ent­ge­gen­set­zen. Das sind kei­ne Uto­pien. Es sind aber auch kei­ne rei­nen Dys­to­pien. Es sind Roma­ne, die von den Nischen des Wider­stan­des han­deln, die das Gute-Leben-im-Schlech­ten mit all sei­nen Begren­zun­gen dis­ku­tie­ren (wie auch vie­le der wei­ter oben kurz vor­ge­stell­ten Bücher). Schmidt ver­misst die Kraft von Blau­pau­sen­li­te­ra­tur. Ich glau­be, die wäre der Gegen­wart nicht ange­mes­sen. Die Hoff­nung stirbt zuletzt.

War­um blog­ge ich das? Aus Ärger über das häu­fi­ge Miss­ver­ständ­nis, Akti­onfil­me in futu­ris­ti­schem Set­ting mit Sci­ence Fic­tion zu ver­wech­seln. Und weil ich glau­be, dass eini­ge Lese­rIn­nen viel­leicht eini­ge der hier dis­ku­tier­ten Bücher und AutorIn­nen ger­ne mal lesen wür­den, so sie es noch nicht tun.

8 Antworten auf „Was ich so lese, oder: gesellschaftskritische Science Fiction“

    1. Ach ja, der Hei­se-Pro­pa­gan­da-Arti­kel zu den ach so neo­li­be­ra­len Grü­nen. Habe kei­ne Zeit dazu, wür­de den aber ger­ne mal Satz für Satz aus­ein­an­der­neh­men. Aber wie dem auch sei: freut mich, dass zumin­dest mein SF-Text Anklang findet.

  1. nach­schlag: es soll­te auffallen:

    a. so gut wie alle neu­en hol­ly­wood pro­duk­tio­nen sind post-apo­ca­lyp­tisch. das macht sinn wenn man die welt nur kapi­ta­lis­tisch sehen kann. des­sen tage schei­nen ange­zaehlt zu sein. geht man wie she­vek aus pla­net der habe­nicht­se heu­te durch die welt, dann kann man es sehr deut­lich sehen!
    b. es ist auf­fael­lig, dass es kei­ne space operas mehr gibt. batt­le­star galac­ti­ca war deren abge­sang. bis aufs ende ein sehr gelun­ge­ner neben­bei. auch da: kapi­ta­lis­mus bekommt kei­nen mehr hoch. woert­lich zu neh­men im sin­ne auch die ver­wer­tung des welt­alls geht nicht mehr und vor allem fort­schritt ist in der gesell­schaft des pro­fits nicht mehr drin. aus­ser beim ipho­ne und da ist es der nsa sensor.
    c. was fehlt sind posi­ti­ve uto­pien. also sol­che die im hier und jetzt anset­zen und bestehen­de tech­nik – und kein zwur­bel­an­trieb – nut­zen und zei­gen, das es geht. man neh­me karl marx, robert kurz, wil­helm reich, erfah­run­gen aus der udssr, biss­chen batt­le­star, klaus holz­kamp, brecht und jede men­ge robo­ter und it, einen schoe­nen mann oder frau, eine fla­sche guten wein.…mische es gut und stel­le sich vor man haet­te mit die­ser welt nix zu tun. dann geht es..-:)

    (das war durch­aus sehr ernst gemeint!)

  2. sor­ry weil ich dich nicht direkt errei­chen kann (kannst die­sen post gern loeschen!):

    der arti­kel sagt nicht aus dass nur dein arbeit­ge­ber neo­li­be­ral ist, son­dern mitt­ler­wei­le alle parteien!

    neben­bei: kei­ne anma­che mei­ner­seits. nur auf­zei­gen mei­ner mei­nung. ich kenn die lin­ke sehr gut. hat­te mich ent­schie­den da kein geld ver­die­nen zu wol­len weil ich damit das recht erwer­be din­ge anders zu sehen. erneut: dan­ke fuer den post!

  3. Mir sogar mit ein paar Mona­ten Ver­spä­tung aus der See­le gespro­chen, ein krass igno­ran­ter Bei­trag im Frei­tag! Und man könn­te unter der Rubrik „mehr oder weni­ger gesell­schafts­kri­tisch“ noch Autoren wie Richard Mor­gan, Pao­lo Baci­g­alu­pi, Paul John­s­ton, Neal Ste­phen­son, Ali­ce B. Shel­don, Ian Wat­son und ein paar mehr aufführen…

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