Im Eisenbahnamt (nach einer wahren Begebenheit)

Journey of waiting VIII: train flection

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Dramatis personae

Der BITTSTELLER mit zuviel Zeit, eine ganz und gar durch­schnitt­li­che Person.

BAN-NI, ein Bon­ze im kai­ser­li­chen Eisenbahnamt.

Der CHOR der Geis­ter ver­bli­che­ner Bitt­stel­ler und Bittstellerinnen.

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Im Eisenbahnamt (nach einer wahren Begebenheit)

Ein klei­ne Kam­mer, in deren Halb­dun­kel gera­de der wuch­ti­ge Schreib­tisch hin­ein­passt, hin­ter dem BAN-NI Platz genom­men hat. Vor BAN-NI liegt eine abge­grif­fe­ne Leder­klad­de. Außer­dem steht auf dem Schreib­tisch ein reich ver­zier­tes, alt­mo­di­sches Tele­fon. Auf einem Tisch­chen in der Ecke brennt ein Räucherstäbchen.

Ein Gong ertönt.

Der BITTSTELLER betritt die Kam­mer. Er blickt sich um, sieht kei­ne Sitz­ge­le­gen­heit, bleibt also vor dem wuch­ti­gen Schreib­tisch stehen.

BAN-NI (ohne auf­zu­bli­cken): Sie wünschen?

BITTSTELLER: Ich hät­te da mal eine Frage.

BAN-NI (wei­ter­hin ohne auf­zu­bli­cken): Nur zu.

BITTSTELLER: Wie ist das eigent­lich: In wel­chen Wagen wel­cher Züge auf der Stre­cke zwi­schen den Städ­ten Frei­burg und Mann­heim funk­tio­niert eigent­lich die fern­münd­li­che Schreibtafel?

Der CHOR bezieht Stel­lung, sicht­bar dar­an, dass der Rauch des Räu­cher­stäb­chens sich bewegt.

BAN-NI blät­tert in sei­ner Kladde.

BAN-NI (liest ab): Wenn Sie in einem mit der rosa­far­be­nen Later­ne gekenn­zeich­net Zug rei­sen und die fern­münd­li­che Geis­ter­be­schwö­rung nicht funk­tio­niert, dann hilft Ihnen das kai­ser­li­che Tele­fo­namt ger­ne wei­ter. Auf Wiedersehen.

Der BITTSTELLER wirkt irri­tiert. Eine Unru­he erpackt die Kam­mer. Der BITTSTELLER räus­pert sich.

BAN-NI (blickt auf): Sie sind ja noch da? Sie wünschen?

BITTSTELLER: Ähem. Ich habe nicht den Ein­druck, dass das kai­ser­li­che Tele­fo­namt mir hel­fen kann. Mei­ne fern­münd­li­che Schreib­ta­fel funk­tio­niert ganz wun­der­bar. Mein Pro­blem ist viel­mehr: Auch wenn die rosa­far­be­ne Later­ne am Zug befes­tigt ist, klappt die fern­münd­li­che Geis­ter­be­schwö­rung ein­fach nicht. Und es liegt nicht am Gerät, ganz sicher nicht!

CHOR: Aha!

BAN-NI fängt an, in sei­ner Klad­de zu blättern.

BITTSTELLER: Viel­leicht bin ich bes­ser ver­ständ­lich, wenn ich mich noch ein­mal anders aus­drü­cke. Kön­nen Sie mir sagen, ob es eine Sys­te­ma­tik dafür gibt, in wel­chen Zügen auf der Stre­cke zwi­schen Frei­burg und Mann­heim die Geis­ter­be­schwö­rung klappt?

BAN-NI (liest flüs­sig ab): Nur in Züge, an denen die rosa­far­be­ne Later­ne befes­tigt ist, funk­tio­niert der Ser­vice der fern­münd­li­chen Geis­ter­be­schwö­rung. Das kai­ser­li­che Tele­fo­namt stellt die­sen Ser­vice zur Verfügung.

BAN-NI: Auf Wiedersehen!

CHOR (durch­ein­an­der, geraunt):
– Schie­nen­net­ze im Osten sind jün­ger als im Wes­ten und des­halb kompatibel.
– Ich wet­te, gleich sagt er, „das kann ich ihnen lei­der nicht sagen“
– Oder er sagt: „Das weiß ich lei­der nicht“.
– Oder viel­leicht: „Die Ant­wort auf ihre Fra­ge fällt in die Kate­go­rie der kai­ser­li­chen Geheimnisse.“
– Oder „Dies wird vor­erst nicht mög­lich sein. Wann und ob es mög­lich ist, weiß ich lei­der nicht.“

Der BITTSTELLER scheucht den CHOR zur Sei­te. Über dem Räu­cher­stäb­chen ent­wi­ckelt sich eine dich­te Rauchwolke.

BAN-NI (blickt erneut auf): Sie sind ja immer noch da. Sie wünschen?

BITTSTELLER (lang­sam und deut­lich): Prä­zi­se gefragt: Wer­den auf der Stre­cke von Frei­burg nach Mann­heim zum Teil Züge oder Wagen ein­ge­setzt, an denen zwar die rosa­far­be­ne Later­ne befes­tigt ist, in denen aber kei­ne fern­münd­li­che Geis­ter­be­schwö­rung mög­lich ist?

BAN-NI ist sicht­lich ver­wirrt. Wäh­rend er die Klad­de mehr­fach von vor­ne bis hin­ten durch­blät­tert, fängt der CHOR der Geis­ter an zu raunen.

CHOR (durch­ein­an­der, geraunt, wie­der­holt sich wäh­rend der nächs­ten Sät­ze von BAN-NI und vom BITTSTELLER):
– Er will es nicht sagen, ganz klar, er will es nicht sagen!
– Er darf es nicht sagen!
– Ich fah­re drei­mal in der Woche genau auf die­ser Stre­cke, hin und zurück, und in der Hälf­te der Züge wird kein ein­zi­ger Geist beschworen.
– Ich fah­re nur ein­mal in der Woche, aber ich kann es bestä­ti­gen: die rosa­far­be­ne Later­ne hängt am Wagen, aber die fern­münd­li­che Geis­ter­be­schwö­rung hängt sich immer wie­der auf.
– Oft ist es die gro­ße Tabel­le, die nicht les­bar ist, oder das Tor zur Unter­welt, das nicht geölt ist!

BAN-NI (leicht genervt): Auf der Stre­cke von Mann­heim nach Frank­furt ist die fern­münd­li­che Geis­ter­be­schwö­rung des kai­ser­li­chen Tele­fo­n­amts gene­rell mög­lich, sofern Züge ver­keh­ren, an denen eine rosa­far­be­ne Later­ne befes­tigt ist.

BITTSTELLER, an den CHOR gewandt: All­mäh­lich hat das etwas von Situationskomik.

BAN-NI: Auf Wie­der- sind Sie noch da?

BITTSTELLE (lächelnd): Ja. Das war in mehr­fa­cher Hin­sicht lei­der kei­ne Ant­wort auf mei­ne prä­zi­se for­mu­lier­te Frage.

BAN-NI blät­tert in der Klad­de, hat etwas gefunden.

BAN-NI (liest vor): Wenn es ein tech­ni­sches Pro­blem bei der fern­münd­li­chen Geis­ter­be­schwö­rung auf die­ser Stre­cke gibt, kann Ihnen nur das kai­ser­li­che Tele­fo­namt weiterhelfen.

BAN-NI (ener­gisch): Auf Wiedersehen!

Der CHOR der Geis­ter ist zur Ruhe gekom­men. Das Räu­cher­stäb­chen glimmt nur noch. Der BITTSTELLER wen­det sich schon zur Tür, dreht sich dann aber doch noch ein­mal um. Er ergreift den Tele­fon­hö­rer des Tele­fons auf BAN-NIs Schreibtisch.

BITTSTELLER (in den Tele­fon­hö­rer): Hal­lo, ist dort das kai­ser­li­che Tele­fo­namt? Ja? – Ich bin hier gera­de im kai­ser­li­chen Eisen­bahn­amt. – Ja. – Ja, das kai­ser­li­che Eisen­bahn­amt bit­tet dar­um, etwas gegen die nicht funk­tio­nie­ren­de fern­münd­li­che Geis­ter­be­schwö­rung in den Zügen zu unter­neh­men. – Ja, nicht die Schreib­ta­feln, die Züge. Kön­nen Sie das?

Es wird dun­kel. Der CHOR bricht in höh­ni­sches Lachen aus.

Ende des ers­ten Aktes.

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